BT-Drucksache 17/10534

Reformbedarf für Genossenschaften

Vom 22. August 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10534
17. Wahlperiode 22. 08. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Johanna Voß, Dr. Barbara Höll, Heidrun Bluhm,
Werner Dreibus, Dr. Dagmar Enkelmann, Ulla Lötzer, Dr. Axel Troost
und der Fraktion DIE LINKE.

Reformbedarf für Genossenschaften

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat das Jahr 2012 zum Inter-
nationalen Jahr der Genossenschaften erklärt. In der Resolution ruft die Gene-
ralversammlung die Mitgliedstaaten auf, Genossenschaften zu fördern und
„ihren Beitrag zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung stärker bekannt-
zumachen“ sowie „die Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Tätigkeit
von Genossenschaften gegebenenfalls weiter zu prüfen“.

Im Jahr 1996 wurden zugleich mit dem Gesetz zur Einführung der Europäischen
Genossenschaft und zur Änderung des Genossenschaftsrechts zum einen Ge-
nossenschaften weiter der Struktur von Kapitalgesellschaften angeglichen, zum
anderen aber auch unter anderem soziale und kulturelle Zwecksetzungen zuge-
lassen und Erleichterungen für kleine Genossenschaften beschlossen.

Zwar ist für „kleine Genossenschaften“ mit einer Bilanzsumme bis 1 Mio. Euro
oder Umsätzen bis 2 Mio. Euro im Rahmen der genossenschaftlichen Pflichtprü-
fung keine umfassende Jahresabschlussprüfung mehr notwendig. Jedoch haben
kleine Genossenschaften weiterhin ein großes Problem mit dem unangemessen
hohen Prüfungsaufwand und teuren Pflichtmitgliedschaften in Prüfverband und
Kammern. Kleine Genossenschaften werden hierdurch regelrecht totgeprüft.
Dies führt dazu, dass viele solidarische Initiativen, deren geeignete Organisa-
tionsform die einer Genossenschaft wäre, andere Rechtsformen wählen. Sie
konstituieren sich beispielsweise als eingetragener Verein. Dieses Problem der
zu hohen Kosten für kleine Genossenschaften muss gelöst werden, wie zuletzt
auch der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages festgestellt hat. Es wird
berichtet (hib, 9. Mai 2012), dass die Bundesregierung aus diesem Grunde Über-
legungen anstellt, bei ganz kleinen Genossenschaften auf Pflichtmitgliedschaft
und Pflichtprüfung zu verzichten.

Trotz der genannten Hürden wurden in den letzten Jahren wieder mehr Genos-
senschaften gegründet. Ein großer Teil dieser Neugründungen besteht aus soge-
nannten Energiegenossenschaften, die einen wichtigen Beitrag zur Regionalisie-
rung der Energieversorgung und zum Umstieg auf erneuerbare Energien leisten.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Initiativen ergreift die Bundesregierung anlässlich des von der Ge-
neralversammlung der Vereinten Nationen ausgerufenen Internationalen
Jahres der Genossenschaften, um Genossenschaften bekannt zu machen, die
Gründung von Genossenschaften zu unterstützen und den Solidargedanken
der Genossenschaften zu stärken?

Drucksache 17/10534 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Hat die Bundesregierung die Genossenschaftsnovelle von 2006 evaluiert?

Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

Wenn nein, warum nicht, und wird dies nachgeholt?

3. Sieht die Bundesregierung weiteren Reformbedarf?

Wenn ja, welchen?

Wenn nein, warum nicht?

4. Wie viele Genossenschaften mit wie vielen Mitgliedern sind nach Kenntnis
der Bundesregierung in Deutschland registriert (bitte nach Branche, Bun-
desland, Größe und Art aufschlüsseln)?

5. Wie viele der Genossenschaften verfolgen nach Kenntnis der Bundesregie-
rung gemeinnützige Zwecke (bitte nach Bundesland, Tätigkeitsfeld und
Größe aufschlüsseln)?

6. Wie viele Genossenschaften wurden nach Kenntnis der Bundesregierung
seit 2000 gegründet (bitte nach Jahr, Branche, Bundesland und Größe auf-
schlüsseln)?

7. Wie viele Genossenschaften wurden nach Kenntnis der Bundesregierung
seit 2000 aus dem Genossenschaftsregister ausgetragen (bitte nach Jahr,
Branche, Bundesland und Größe aufschlüsseln)?

8. Worin sieht die Bundesregierung die wesentlichen Ursachen für Genossen-
schaftsauflösungen?

9. Wie viele der seit 2006 gegründeten Genossenschaften lassen nach Kennt-
nis der Bundesregierung investierende Mitglieder nach § 8 des Genossen-
schaftsgesetzes (GenG) zu (bitte nach Branche und Größe aufschlüsseln)?

10. Wie viele der vor 2006 gegründeten Genossenschaften führten nach Kennt-
nis der Bundesregierung die Möglichkeit investierender Mitglieder nach
§ 8 GenG nachträglich ein (bitte nach Branche und Größe aufschlüsseln)?

11. In wie vielen Genossenschaften sind nach Kenntnis der Bundesregierung
Mehrfachstimmrechte zugelassen (bitte entsprechend den Kriterien nach
§ 43 Absatz 3 Nummer 1 bis 3 GenG aufschlüsseln)?

12. Wie viele Europäische Genossenschaften (SCE) gründeten sich nach
Kenntnis der Bundesregierung seit deren Einführung mit Sitz oder Mitglie-
dern in Deutschland?

13. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Anteil kleiner Genos-
senschaften nach § 53 Absatz 2 GenG an den Genossenschaftsneugründun-
gen seit 2006 sowie an allen Genossenschaften?

14. Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die durchschnittlichen
Kosten für Prüfung und Pflichtmitgliedschaften kleiner Genossenschaf-
ten – auch im Vergleich zu anderen Rechtsformen?

15. Wenn die Bundesregierung zu den Fragen 4 bis 14 teilweise keine statis-
tischen Daten vorlegen kann, welche Schätzungen sind der Bundesregie-
rung jeweils bekannt, und beabsichtigt die Bundesregierung die entspre-
chenden Daten zu erheben?

16. Hat sich nach Ansicht der Bundesregierung die Belastung kleiner Genos-
senschaften durch den Wegfall der Jahresprüfung bei einer Bilanzsumme
bis zu 1 Mio. Euro oder Umsätzen bis zu 2 Mio. Euro relevant verringert?

17. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass für kleine Genossenschaf-
ten die hohen Rechtsformkosten durch Pflichtmitgliedschaften in Prüfver-
bänden und Kammern sowie durch die Pflichtprüfungen nach wie vor ein
großes Problem darstellen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10534

18. Stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, dass Genossenschaften im
Vergleich mit anderen Rechtsformen bezüglich der Rechtsformkosten be-
nachteiligt sind?

19. Was beabsichtigt die Bundesregierung zu unternehmen, um die Rechtsform
der Genossenschaft attraktiver zu machen und die Situation kleiner Genos-
senschaften zu verbessern?

20. Beabsichtigt die Bundesregierung die Einführung einer „kleinen Genossen-
schaft“ oder einer „haftungsbeschränkten Kooperativgesellschaft“ ohne ge-
nossenschaftliche Prüfpflichten und Pflichtmitgliedschaften?

Wenn ja, welche Kriterien und Regeln werden hierfür diskutiert?

21. Ist von der Bundesregierung beabsichtigt, die Schwellenwerte für die Be-
freiung von der Jahresabschlussprüfung nach § 53 Absatz 2 GenG anzuhe-
ben?

Wenn ja, auf welche Höhe?

22. Wann beabsichtigt die Bundesregierung ihre Vorschläge zur Verbesserung
der Situation kleiner Genossenschaften vorzulegen?

23. Plant die Bundesregierung weitere Änderungen des Genossenschafts-
rechts?

Wenn ja, welche?

24. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung daraus, dass Selbsthilfe-
initiativen aufgrund der hohen Kosten durch Prüfgebühren und Pflicht-
mitgliedschaft häufig andere Rechtsformen der der Genossenschaften vor-
ziehen – insbesondere was das Ausweichen auf Vereine nach § 21 des Bür-
gerlichen Gesetzbuchs (BGB) betrifft?

25. Teilt die Bundesregierung die Überlegung Betroffener, dass für kleine Ko-
operativen mit geringen Erlösen oft keine der anderen Rechtsformen zumut-
bar ist und für diese daher die Möglichkeit der Zulassung als wirtschaft-
licher Verein nach § 22 BGB bestehen sollte?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, beabsichtigt die Bundesregierung diesbezüglich bundeseinheit-
liche Regelungen zu schaffen oder bezüglich der Zulassungspraxis entspre-
chend Einfluss auf die Bundesländer zu nehmen?

26. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Vorschlag
unter anderem des Zentralverbandes deutscher Konsumgenossenschaften
e. V., des Deutschen LandFrauenverbandes e. V. und der Dritte-Welt-Läden,
die Rechtsform wirtschaftlicher Vereine nach § 22 BGB für kleine Koope-
rationen zu nutzen, die bei dauerhafter Überschreitung einer festgelegten
Umsatz- oder Gewinnschwelle in eine Genossenschaft mit allen Pflichten
und Kosten umgewandelt werden?

27. Wer ist in den Bundesländern für die Zulassung wirtschaftlicher Vereine
nach § 22 BGB zuständig (bitte einzeln benennen)?

28. Wie unterscheidet sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Zulassungs-
praxis wirtschaftlicher Vereine zwischen den Bundesländern, vor allem hin-
sichtlich kleiner Selbsthilfeinitiativen?

29. Wie viele wirtschaftliche Vereine gemäß § 22 BGB gibt es nach Kenntnis
der Bundesregierung (bitte nach Bundesländern und Tätigkeitsfeldern auf-
schlüsseln)?

30. Wie viele Genehmigungen wirtschaftlicher Vereine gemäß § 22 BGB wur-
den nach Kenntnis der Bundesregierung in den einzelnen Bundesländern in
den letzten zehn Jahren erteilt (bitte nach Jahr, Bundesland und Tätigkeits-
feld des wirtschaftlichen Vereins aufschlüsseln)?

Drucksache 17/10534 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
31. Unterstützt die Bundesregierung die Initiative von ehemaligen Schlecker-
Beschäftigten, ehemalige Schlecker-Filialen in Form einer Genossenschaft
wieder zu eröffnen?

32. Welche Instrumente stehen aus Sicht der Bundesregierung zur Unterstüt-
zung der Genossenschaftsbestrebungen der gekündigten Schlecker-Be-
schäftigten zur Verfügung, bzw. auf welche Förderprogramme könnten sie
zugreifen?

33. Wie viele Gründungen von Energiegenossenschaften wurden nach Kennt-
nis der Bundesregierung in den letzten zehn Jahren registriert (bitte nach
Jahren, Bundesland, Tätigkeitsfeld – allgemein, Netz, Photovoltaik, Wind,
Biogas etc. – aufschlüsseln)?

34. Welche Förderprogramme stehen nach Kenntnis der Bundesregierung zur
Gründung von Energiegenossenschaften im Bereich regenerativer Energien
zur Verfügung, wie viele Anträge wurden gestellt, wie viele positiv be-
schieden, wie viele abgelehnt, und aus welchen Gründen?

35. Stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, dass regionale Energiege-
nossenschaften ein wichtiger Baustein für die beschlossene Energiewende
zu erneuerbaren Energien sind und die damit verbundene Dezentralisierung
der Stromproduktion den notwendigen Übertragungsnetzausbau verringern
kann?

Wenn ja, welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung zur Unter-
stützung von regionalen Energiegenossenschaften?

36. Wie werden Genossenschaftsanteile – insbesondere von Wohnungsgenos-
senschaften – bei Bezug von Sozialleistungen nach dem Arbeitslosengeld II
(ALG II) behandelt?

37. Werden Genossenschaftsanteile als Schonvermögen angesehen?

38. Wird der Erwerb von Genossenschaftsanteilen an Wohnungsgesellschaften
von ALG-II-Beziehern durch die zuständigen Ämter übernommen oder
kann er anderweitig gefördert werden?

39. Stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, dass die Gründung von
Genossenschaften in Hinsicht auf Fördermaßnahmen gegenüber anderen
Rechtsformen (z. B. GmbH) benachteiligt ist?

Wenn ja, wie beabsichtigt die Bundesregierung dies zu ändern?

40. Welche Förderprogramme können auf Bundes- und nach Kenntnis der
Bundesregierung auf Landesebene bei Gründung einer Genossenschaft ge-
nutzt werden?

41. Welche weiteren Programme auf Bundes- und nach Kenntnis der Bundes-
regierung auf Landesebene zur Förderung des Genossenschaftswesens und
zum Erwerb von Genossenschaftsanteilen existieren in der Bundesrepublik
Deutschland?

42. Wie viele Anträge wurden auf Bundes- und nach Kenntnis der Bundes-
regierung auf Landesebene 2010 und 2011 gestellt, und wie viele wurden
positiv oder abschlägig beschieden (bitte nach Förderprogrammen auf-
schlüsseln)?

Berlin, den 22. August 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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