BT-Drucksache 17/10475

Energiearmut erkennen und Lösungen anbieten

Vom 13. August 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10475
17. Wahlperiode 13. 08. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Bärbel Höhn, Markus Kurth, Daniela Wagner, Kerstin Andreae,
Nicole Maisch, Lisa Paus, Harald Ebner, Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann,
Bettina Herlitzius, Maria Klein-Schmeink, Oliver Krischer, Undine Kurth
(Quedlinburg), Friedrich Ostendorff, Brigitte Pothmer, Dorothea Steiner,
Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Energiearmut erkennen und Lösungen anbieten

Steigende Strom- und Heizkosten bringen immer mehr Haushalte in Zahlungs-
schwierigkeiten. Nach Schätzungen von Verbraucherschützern waren im ver-
gangenen Jahr rund 800 000 Haushalte in Deutschland von Stromsperren auf-
grund von Zahlungsrückständen betroffen. Auch die Heizkosten entwickeln sich
zu einem steigenden Kostenfaktor und werden zur sogenannten zweiten Miete.
Es leiden zum einen die Haushalte im Arbeitslosengeld (ALG)-II-Bezug, bei
denen der vorgesehene Anteil im Regelsatz die tatsächlichen Stromkosten in den
meisten Fällen nicht deckt. Zum anderen aber auch die Geringverdienerinnen
und Geringverdiener, welche eine Reduktion ihrer Stromrechnung zum Beispiel
durch die Anschaffung neuer, verbrauchsarmer Geräte aus eigenen Mitteln
finanziell nicht stemmen können. Zusätzlich wurde durch die Bundesregierung
im Jahr 2011 die Heizkostenkomponente im Wohngeld abgeschafft. Es ist
falsch, die steigenden Energiepreise der Energiewende anzulasten, da sie viel-
fältige Gründe haben (z. B. steigende Nachfrage nach Rohstoffen in Schwellen-
ländern, monopolartige Strukturen auf dem Energiemarkt, ein steigender Dollar-
kurs, falsche Entscheidungen durch die Koalitionsfraktionen). So ist die EEG-
Umlage (EEG = Erneuerbare-Energien-Gesetz) seit 2002 um nur 3 ct/kWh
gestiegen, während der Strompreis um 10 ct/kWh stieg.

In der öffentlichen Debatte ist von „Energiearmut“ die Rede, ohne dass der
Begriff hinlänglich definiert ist. In Großbritannien gilt als energiearm, wer mehr
als 10 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens für die energetische Grundver-
sorgung („Energieexistenzminimum“) aufbringen muss, das trifft auf ca. 14 Pro-
zent der britischen Haushalte zu. Die fehlende Definition und Erfassung der
Haushalte in Deutschland erschwert die Einsetzung von geeigneten Maßnah-
men zur Lösung des Problems und Sicherstellung einer energetischen Grund-
versorgung. In der Diskussion befindliche Vorschläge von den Wohlfahrts- und
Verbraucherverbänden sind neben den allgemeinen Maßnahmen zur Stärkung
der Einkommenssituation (Mindestlohn, Erhöhung des Regelsatzes) unter ande-

rem kostenlose Beratungsangebote, Contracting-Programme sowie Stromspar-
tarife, die gleichzeitig entlastend wirken können sowie Anreize zur Senkung des
Verbrauchs setzen.

Drucksache 17/10475 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

Energiearmut

1. Wie definiert die Bundesregierung Energiearmut, und wie schätzt sie das
aktuelle Ausmaß in Deutschland ein (betroffene Haushalte in absoluten
Zahlen, Prozent, regionale Verteilung)?

2. Falls die Bundesregierung noch keine Kriterien zur Definition von Ener-
giearmut entwickelt hat, inwieweit sieht die Bundesregierung eine einheit-
liche Definition als sinnvoll an, und inwieweit plant sie konkrete Schritte
(wie etwa Beauftragung von Studien, Anfertigung von Berichten) in diese
Richtung?

3. Wie groß ist aktuell der Anteil der Haushalte in Deutschland, die mehr als
10 Prozent ihres Nettoeinkommens für die energetische Grundversorgung
aufbringen müssen?

4. Wie hat sich der Anteil der Haushalte, die von Energiearmut betroffen sind,
seit 2005 entwickelt (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?

5. Wie ist die Verteilung der betroffenen Personen und Haushalte nach Region,
Alter und Geschlecht?

6. Wie viele Strom- und Gassperren gab es nach Kenntnis der Bundesregierung
in den Jahren 2008 bis 2011 in Deutschland (bitte nach Jahren aufschlüs-
seln)?

7. Zu welchem Anteil waren Haushalte mit ALG-II-Bezug nach Kenntnis der
Bundesregierung von Strom- und Gassperren betroffen?

8. Wie groß war durchschnittlich im Jahr 2011 nach Kenntnis der Bundes-
regierung die monatliche Differenz zwischen dem Regelsatzanteil für
Strom und dem tatsächlichen Stromverbrauch (bitte gegliedert nach ver-
schiedenen Haushaltstypen)?

9. Welchen monatlichen Verbrauch pro Person sieht die Bundesregierung als
energetische Grundversorgung („Energieexistenzminimum“) an, jeweils
mit und ohne Warmwasserbereitung und Heizenergie (Nachtspeicherhei-
zungen)?

10. Wie viele Fälle sind der Bundesregierung bekannt, in denen „schutzbedürf-
tigen Kunden“ Strom oder Gas abgestellt wurde, und welches waren nach
Kenntnis der Bundesregierung die Gründe für die Verletzung der Elektrizi-
täts- und Erdgasrichtlinie.

11. Was war Gegenstand des am 11. Juni 2012 stattgefundenen Treffens zwi-
schen dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit Wohlfahrts- und
Sozialverbänden, und zu welchen Ergebnissen kam es?

12. Zu welchem Ergebnis kam die vom Parlamentarischen Staatssekretär bei
der Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Hans-Joachim Fuchtel, ange-
kündigte Überprüfung bei der Bundesagentur für Arbeit, in welchen Fällen
Darlehen bei Stromschulden gewährt werden?

13. Wie bewertet die Bundesregierung die Umsetzung der im Jahr 2009 erlas-
senen Elektrizitäts- und Erdgasrichtlinie hinsichtlich der „ausreichenden
Energieversorgung für schutzbedürftige Kunden“?

Preissteigerungen

14. Welchen Preisanstieg der Primärenergieträger gab es in den vergangenen
zehn Jahren?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10475

15. Wie hoch war im selben Zeitraum nach Kenntnis der Bundesregierung die
Zunahme der Energiekosten für Privathaushalte?

Wie ist die Verteilung zwischen Heizen, Strom und sonstigen Energiekos-
ten?

16. Um wie viel Prozent lag die Zunahme der Energiekosten in den vergange-
nen zehn Jahren über der allgemeinen Teuerungsrate (bitte nach Energie-
trägern und Jahren aufschlüsseln)?

17. Welchen Energiekostenanstieg für Privathaushalte erwartet die Bundes-
regierung in den kommenden 24 Monaten (bitte nach Strom und Wärme
aufschlüsseln)?

18. Mit welchen Annahmen zu den Weltmarktpreisen von Öl, Kohle und Gas
kalkuliert die Bundesregierung ihre Prognosen für die wirtschaftliche Ent-
wicklung der nächsten vier Jahre?

19. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Vorschlag,
virtuelle Kraftwerke in Bezug auf die Ausnahmeregelungen bei der Strom-
steuer, welche sich nach der verbrauchten Menge berechnen, mit Großbe-
trieben gleichzustellen?

Maßnahmen

20. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung zur Verringerung der von
Energiearmut betroffenen Haushalte?

21. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die Anzahl der von
Strom- und Gassperren betroffenen Haushalte zu verringern?

22. Plant die Bundesregierung in diesem Zusammenhang eine Novellierung
des § 19 der Stromgrundversorgungsverordnung (StromGVV) in Hinblick
auf Fristen, Höhe der Rückstände und die Verhältnismäßigkeit?

23. Plant die Bundesregierung eine Konkretisierung der Härtefallregelungen in
Bezug auf Strom- und Gassperren bzw. eine Definition von besonders
schutzbedürftigen Gruppen?

Wenn ja, bis wann, und wenn nein, warum nicht?

24. Plant die Bundesregierung, vor Einsetzung einer Strom- oder Gassperre
eine Beratung verpflichtend vorzuschreiben?

Wenn ja, bis wann, und wenn nein, warum nicht?

25. Plant die Bundesregierung insgesamt den Ausbau von Beratungsangeboten
zur Reduzierung der Energiekosten?

Wenn ja, in welchem Ausmaß, bis wann und für welche Zielgruppen?

26. Durch wen soll die Beratung erfolgen, und wer trägt die Kosten?

27. Sieht die Bundesregierung einen Bedarf nach Einführung milderer Mittel als
Alternative zu Strom- oder Gassperren (z. B. Einbau von Prepaid-Zählern,
Leistungsreduzierung), und wenn ja, wird sie in dieser Legislaturperiode
Maßnahmen hierzu ergreifen, und wenn ja, welche?

28. Wie steht die Bundesregierung dem von Sozialverbänden geforderten Ver-
bot von Abschluss- bzw. Bearbeitungsgebühren bei Abschluss von Raten-
zahlungsvereinbarungen gegenüber?

Plant Sie, ein solches einzuführen, und wenn ja, bis wann?

Wenn nein, warum nicht?

Drucksache 17/10475 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
29. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus dem Vorschlag
der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, die mit so genannten
Stromspartarifen einerseits Anreize zu sparsamem Verbrauch setzen und
andererseits Geringverbraucher finanziell entlasten will?

30. Wie beurteilt die Bundesregierung die rechtlichen Möglichkeiten, Energie-
versorgungsunternehmen zu verpflichten, mindestens einen Stromspartarif
ohne Grundgebühr und mit progressivem Preisanstieg anzubieten?

31. Welche Erfahrungen gibt es in der EU mit Energiespartarifen, und wie
schätzt die Bundesregierung die Übertragbarkeit dieser Modelle auf
Deutschland ein?

32. Wie wird die Bundesregierung bei der Umsetzung der EU-Effizienzricht-
linie die besondere Verletzlichkeit einkommensschwacher Haushalte be-
rücksichtigen?

33. Welche Fördermaßnahmen zur bevorzugten Sanierung von Wohnhäusern
mit einkommensschwachen Mieterinnen und Mietern plant die Bundes-
regierung, und wie möchte sie dabei die Bezahlbarkeit der Maßnahmen
durch die Mieterinnen und Mieter im Rahmen der Mietrechtsnovelle ge-
währleisten?

34. Wie bewertet die Bundesregierung eine Wiedereinführung der Heizkosten-
komponente für Wohngeldempfängerinnen und Wohngeldempfänger?

35. Wie bewertet die Bundesregierung die Weiterentwicklung der Heizkosten-
komponente hin zu einem Klimazuschuss („Klimawohngeld“) für Wohn-
geldempfängerinnen und Wohngeldempfänger, so dass diese auch in ener-
getisch sanierten Wohnungen leben können?

Berlin, den 13. August 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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