BT-Drucksache 17/10397

Förderung nachhaltiger Stadtentwicklung in Entwicklungs- und Schwellenländern durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit

Vom 24. Juli 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10397
17. Wahlperiode 24. 07. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Ute Koczy, Bettina Herlitzius, Thilo Hoppe,
Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), Agnes Brugger,
Viola von Cramon-Taubadel, Bettina Herlitzius, Katja Keul, Tom Koenigs,
Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Daniela Wagner und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Förderung nachhaltiger Stadtentwicklung in Entwicklungs- und Schwellenländern
durch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit

Das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Städte, mehr als die Hälfte der Welt-
bevölkerung lebt in Städten. Auf der Suche nach einer besseren Zukunft, Arbeit
und einem besseren Leben ziehen nach wie vor viele Menschen vom Land in die
Städte. Auch das Bevölkerungswachstum und das hohe Eigenwachstum der
Städte in Entwicklungs- und Schwellenländern tragen zur Verstädterung bei.
Lebten 1950 noch weniger als 30 Prozent der Weltbevölkerung in Städten, so
sind es heute schon 52 Prozent. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen (UN)
wird der Anteil bis 2050 auf mehr als 67 Prozent ansteigen. Als Folge entwi-
ckeln sich auch immer mehr Millionenstädte, sogenannte Megacities. Dies gilt
insbesondere für die Länder in Afrika und Asien, wo sich zahlreiche Megacities
entwickelt haben und sich ständig vergrößern. In Lateinamerika beträgt der Ver-
städterungsgrad bereits über 80 Prozent. Mittlerweile lebt ca. jede/jeder dritte
Stadtbewohner/Stadtbewohnerin in einem inner- oder randstädtischen Margi-
nalviertel, umgangssprachlich oftmals als Slum bezeichnet, was knapp einer
Milliarde Menschen entspricht. In den am wenigsten entwickelten Ländern le-
ben sogar drei Viertel der Bevölkerung in Marginalsiedlungen.

Durch die Verstädterung verändern sich die Lebensstile, die sozialen Beziehun-
gen und das Arbeitsumfeld vieler Menschen radikal. Diese Entwicklung bietet
Chancen, sie führt teils jedoch zu schwerwiegenden sozialen und ökologischen
Problemen. War man zuvor in familiären oder dörflichen Strukturen gegen
Lebensrisiken abgesichert, fallen diese Sicherungsnetze in Städten häufig weg.
So werden neue Formen der sozialen Absicherung nötig. Durch die Entstehung
riesiger informeller Siedlungen breiten sich Städte unkontrolliert aus. In den be-
troffenen Siedlungen mangelt es an grundlegender Infrastruktur. Der Aufbau
von Energie- und Wasserversorgung, Straßen, Gesundheits- und Bildungsein-

richtungen kann mit dem rasanten Zuwachs nicht Schritt halten. Beschäftigung
findet überwiegend im informellen Sektor statt. Viele Bewohner und Bewohne-
rinnen von Marginalsiedlungen sind von gewaltsamen Vertreibungen betroffen
und Repressionen ausgesetzt. Im Zuge des Infrastrukturausbaus von Megacities
werden Arme zunehmend an den Rand gedrängt. Gleichzeitig sind viele Mar-
ginalviertel besonders verwundbar gegenüber Naturkatastrophen, wie z. B. Erd-
rutschen oder Überflutungen. Für Klima und Umwelt stellt die rasante Verstäd-

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terung eine enorme Herausforderung dar. Schon heute finden drei Viertel des
globalen Energieverbrauchs in Städten statt. Veränderte Konsum-, Lebens- und
Ernährungsgewohnheiten wie auch das gesteigerte Verkehrsaufkommen und die
zunehmende Industrialisierung treiben den Energiebedarf und die klimaschäd-
lichen Treibhausgasemissionen in die Höhe. Sowohl Luft- als auch Wasserver-
schmutzung nehmen zu. Gleichzeitig werden die Konsequenzen des Klima-
wandels in den Städten deutlich. Insbesondere in Städten in Küstenzonen steigt
das Risiko von Überschwemmungen. In informellen Siedlungen gibt es zudem
keine geregelte Abfall- oder Abwasserentsorgung, was die Umweltprobleme
noch verschärft.

Das Städtewachstum bietet jedoch auch Chancen. Städte können mehr Arbeits-
plätze sowie einen besseren Zugang zu Gesundheitseinrichtungen und Schulen
bieten, als es häufig auf dem Land der Fall ist. Außerdem können sie als Zentren
politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandels fungieren, die im
besten Fall eine ganze Region positiv beeinflussen. Um diese Chancen nutzen
zu können und die genannten Probleme zu vermeiden, ist jedoch eine partizipa-
tive und nachhaltige Stadtentwicklung zentrale Voraussetzung.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung das Thema Verstädterung und Stadtent-
wicklung in Entwicklungs- und Schwellenländern?

Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus ihrer Bewertung?

2. Welchen Ansatz verfolgt die Bundesregierung, um eine nachhaltige Stadtent-
wicklung in Entwicklungs- und Schwellenländern zu fördern, und welche
Rolle sollte nach Ansicht der Bundesregierung die Entwicklungszusammen-
arbeit in diesem Bereich spielen?

3. Welche Maßnahmen und Initiativen hat die Bundesregierung ergriffen bzw.
plant sie zu ergreifen, um das Thema klima- und sozialverträgliche Verstäd-
terung auf der internationalen Agenda weiter nach oben zu setzen?

4. In welchen Ländern führt die Bundesregierung Projekte zur nachhaltigen
Stadtentwicklung durch (bitte nach Land, Projekt, Volumen auflisten)?

Welches sind dabei die inhaltlichen Schwerpunkte in jedem Land?

5. In welchem Umfang und mit welchen thematischen Schwerpunkten flossen
in den letzten zehn Jahren finanzielle Mittel der deutschen Entwicklungs-
zusammenarbeit in die Stadtentwicklung (bitte einzeln nach Schwerpunkt,
Jahren und Volumen auflisten und zwischen Technischer Zusammenarbeit
– TZ – und Finanzieller Zusammenarbeit – FZ – differenzieren)?

6. In welchem Umfang fördert die Bundesregierung die Aktivitäten privater
Träger im Bereich der nachhaltigen Stadtentwicklung (bitte nach Träger,
Ländern, Jahren, Volumina auflisten)?

7. Inwiefern, und wenn ja, wo, unterstützt die Bundesregierung partizipative
Stadtteilentwicklungsprojekte?

8. Inwiefern, und wenn ja, wo, unterstützt die Bundesregierung aktuell öffent-
liche Bürgerhaushalte in Entwicklungs- und Schwellenländern (bitte nach
Träger, Ländern, Jahren, Volumina auflisten – auch für abgeschlossene Vor-
haben)?

9. Bestehen Initiativen für den afrikanischen und lateinamerikanischen Konti-
nent ähnlich der der Cities Development Initiative in Asia (CDIA), an der
sich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung (BMZ) beteiligt?
Wenn nein, warum nicht?

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10. Welche Position hat die Bundesregierung zu der Empfehlung des Wissen-
schaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen
(WBGU), regelmäßige Sachstandsberichte über globale Urbanisierungs-
trends vorzulegen und überprüfbare Methoden und harmonisierte Darstel-
lungen der Treibhausgasintensität von Städten zu entwickeln, die alle rele-
vanten Akteure und Sektoren umfassen, und direkte wie indirekte
Emissionen berücksichtigen?

11. Was sind aus Sicht der Bundesregierung angepasste und adäquate Ener-
gielösungen für Städte und Megacities in Entwicklungs- und Schwellenlän-
dern?

12. Welche Vorhaben wurden im städtischen Raum im Bereich Energie durch
die deutsche Entwicklungszusammenarbeit umgesetzt (bitte nach Land,
Projekt, Volumen auflisten)?

13. In welcher Höhe hält die Bundesregierung es für sinnvoll und durchsetzbar,
Investitionen im Bereich klimaverträgliche Megacities zu fördern?

14. Welche Position hat die Bundesregierung, im Rahmen von Weltbank oder
anderen multilateralen Organisationen ambitionierte Klimaschutzstrategien
zum Thema „klimaneutrale Megastadt“ zu fördern?

15. Wie viele kommunale Klimapartnerschaften sind bereits im Rahmen des
Projekts „50 kommunale Klimapartnerschaften bis 2015“ eingegangen,
welches von Engagement Global respektive der Servicestelle Kommunen
in der Einen Welt (SKEW) mit durchgeführt wird?

16. In welchem Umfang fließen Mittel aus dem BMZ in das Projekt „50 kom-
munale Klimapartnerschaften bis 2015“ (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?

17. Welchen Beitrag können nach Ansicht der Bundesregierung Städtepartner-
schaften zur nachhaltigen Stadtentwicklung in Entwicklungs- und Schwel-
lenländern leisten?

18. In welchem Umfang fließen finanzielle Mittel aus dem BMZ in Aktivitäten
der SKEW zum Aufbau globaler Städtepartnerschaften (bitte nach Jahren
aufschlüsseln)?

19. Was versteht die Bundesregierung unter „Green Urban Economy“?

20. Welche konkreten Maßnahmen führt die Bundesregierung durch, um in-
klusives Wirtschaftswachstum zu fördern, welches laut der Informations-
broschüre des BMZ „Perspektiven der Urbanisierung – Städte nachhaltig
gestalten“ Kernelement einer „Green Urban Economy“ sein soll?

Welchen Beitrag leisten diese Maßnahmen zur Reduzierung von Armut und
sozialer Ungleichheit?

21. Welche Ansätze verfolgt die Bundesregierung, um soziale Absicherung von
Menschen im informellen Sektor zu erreichen, und in welchem finanziellen
Umfang wurde dieser Bereich in den letzten zehn Jahren unterstützt (bitte
einzeln nach Schwerpunkt, Jahren und Volumen auflisten und zwischen TZ
und FZ differenzieren)?

a) Unterstützt die Bundesregierung den Versuch großer deutscher und eu-
ropäischer Versicherungskonzerne, die neuen Mittelschichten in den
Städten mit privaten Policen gegen Risiken abzusichern, und inwieweit
kooperiert sie mit diesen Versicherungsunternehmen?

b) Mit welchen spezifischen Ansätzen der sozialen Sicherung können aus
Sicht der Bundesregierung die Ärmsten in den Marginalvierteln der
Großstädte erreicht werden?

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22. Welche Maßnahmen und Ansätze hält die Bundesregierung für geeignet,
um die Ausbreitung von Marginalvierteln in Entwicklungs- und Schwellen-
ländern zu verhindern oder einzudämmen?

23. Welche konkreten Maßnahmen werden in der deutschen Entwicklungszu-
sammenarbeit unternommen, um der spezifischen sozialen Spaltung in Me-
gacities in Entwicklungs- und Schwellenländern entgegenzuwirken?

24. Welche Maßnahmen und Ansätze hält die Bundesregierung für geeignet,
um in Entwicklungs- und Schwellenländern die Ernährungssicherung in
Städten zu verbessern, und wie bewertet die Bundesregierung die Rolle von
Städten bei der Nahrungsmittelproduktion?

25. Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung unternommen, um
zur Erreichung des Millenniumentwicklungsziels zur Verbesserung der
Lebensbedingungen von mindestens 100 Millionen Slumbewohnern und
Slumbewohnerinnen bis 2020 beizutragen?

26. Welchen Beitrag leistet die Bundesregierung zur Erreichung des Millenni-
umentwicklungsziels, den Anteil der Menschen ohne nachhaltigen Zugang
zu sauberem Trinkwasser und Sanitärversorgung bis 2015 zu halbieren, und
in welchem finanziellen Umfang wurde dieser Bereich in den letzten zehn
Jahren unterstützt (bitte einzeln nach Schwerpunkt, Jahren und Volumen
auflisten und zwischen TZ und FZ differenzieren)?

a) Mit welchen spezifischen Ansätzen kann aus Sicht der Bundesregierung
die Versorgung der ärmsten Bevölkerungsgruppen im urbanen Raum er-
reicht werden?

b) Inwiefern und mit welchen Ansätzen verfolgt die Bundesregierung auch
die Partizipation und das Empowerment der ärmsten Bevölkerungsgrup-
pen im Rahmen von Entwicklungsmaßnahmen im Wassersektor?

27. Welchen Ansatz verfolgt die Bundesregierung im Bereich Abfall- und Ab-
wasserentsorgung im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
zu nachhaltiger Stadtentwicklung, und in welchem finanziellen Umfang
wurde dieser Bereich in den letzten zehn Jahren unterstützt (bitte einzeln
nach Schwerpunkt, Jahr und Volumen auflisten und zwischen TZ und FZ
differenzieren)?

28. Welchen Ansatz verfolgt die Bundesregierung, um im Rahmen der Stadt-
entwicklung in Entwicklungs- und Schwellenländern das Recht auf men-
schenwürdiges Wohnen umzusetzen?

29. Welche Rolle spielt nach Ansicht der Bundesregierung das Programm für
menschliche Siedlungen der UN (UN- HABITAT) in Bezug auf nachhaltige
Stadtentwicklung?

30. Welche Position vertritt die Bundesregierung in Bezug zur Aufwertung von
UN- HABITAT, bis hin zu einer mandatierten Sonderorganisation für nach-
haltige Urbanisierung?

31. In welchem Umfang beteiligt sich Deutschland (über die Beiträge zum re-
gulären UN-Haushalt hinaus) an der Finanzierung von UN- HABITAT (bitte
nach Jahren aufschlüsseln)?

32. Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um zur
Umsetzung der in der UN- HABITAT-Agenda festgelegten Ziele beizutra-
gen?

33. Inwieweit war nachhaltige Stadtentwicklung ein Verhandlungsthema im
Rahmen der Rio+20 United Nations Conference on Sustainable Develop-

ment?

Wenn ja, was war das Ergebnis?

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34. Inwieweit hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung, Dirk Niebel, im Rahmen der Verhandlungen des Rio+20-Gip-
fels konkrete Forderungen oder Vorschläge zur nachhaltigen Stadtentwick-
lung vorgebracht?

Wenn ja, welche?

Berlin, den 24. Juli 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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