BT-Drucksache 17/10377

Regulierungsbedarf in der Leiharbeit

Vom 20. Juli 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10377
17. Wahlperiode 20. 07. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann, Diana Golze,
Matthias W. Birkwald, Werner Dreibus, Klaus Ernst, Cornelia Möhring,
Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Regulierungsbedarf in der Leiharbeit

Die „Märkische Allgemeine“ berichtete am 22. Mai 2012 über den Einsatz von
Leiharbeitskräften in einer Niederlassung des Weltmarktführers für Sitzsysteme
in Nutzfahrzeugen. In der Niederlassung gibt es 30 Beschäftigte, von denen al-
lerdings nur zwei einen Festvertrag haben: „Bei uns gibt es zwei Festangestellte,
den Chef und den Qualitäter“ wird im genannten Zeitungsbericht ein Mitarbeiter
zitiert. Die restlichen Beschäftigten sind Leiharbeitskräfte.

Den betroffenen Leiharbeitskräften wurde bei der Anstellung gesagt, dass sie ein
halbes Jahr zur Probe als Leiharbeiter angestellt würden und danach eine Fest-
anstellung zu einem Lohn von 10 bis 12 Euro bekommen sollten. Aus dem hal-
ben Jahr sind mittlerweile allerdings sechs Jahre geworden. Hinzu kommt, dass
viele Leiharbeitskräfte in der Niederlassung der Firma in einer der unteren
Lohngruppen (Entgeltgruppe 2 – Tätigkeiten mit Anlernzeit) des Tarifvertrages
für Leiharbeitsbeschäftigte eingruppiert sind. Dies bedeutet derzeit 7,46 Euro pro
Stunde. Nach Ansicht des zuständigen Gewerkschaftssekretärs der IG Metall ist
es fraglich, ob diese Eingruppierung als Hilfsarbeiter der tatsächlichen Tätigkeit
entspricht und somit rechtmäßig ist. Aber selbst bei korrekter Eingruppierung
wäre der Lohn der Leiharbeitskräfte deutlich niedriger als das Entgelt vergleich-
barer Festangestellter, die nach dem Tarifvertrag der Metallbranche bezahlt
werden.

Zum wiederholten Male stellt sich angesichts des hier dargestellten Beispiels die
Frage, ob die bestehende Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung ausreicht,
um Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt zu verhindern.

Des Weiteren stellt sich die Frage, wie die Bundesregierung die in einzelnen
Branchen erzielten Tarifergebnisse im Bereich der Leiharbeit beurteilt und ob sie
angesichts der Reichweite der Regelungen einen gesetzgeberischen Handlungs-
bedarf sieht, um Equal Pay in der Leiharbeit durchzusetzen. Die Bundesministe-
rin für Arbeit und Soziales, Dr. Ursula von der Leyen, hatte im Dezember 2011
gleiche Löhne für Leiharbeiter und Stammbeschäftigte gefordert (siehe: www.n-
tv.de/politik/Von-der-Leyen-fordert-Equal-Pay-article5041266.html). In diesem

Zusammenhang hatte sie die Tarifvertragsparteien aufgefordert, sich auf einen
Zeitpunkt zu verständigen, ab dem Leiharbeiter im Betrieb den gleichen Lohn
wie die Stammbeschäftigten bekommen sollen. Für diesen Weg hat sie den Tarif-
vertragsparteien ein zeitliches Limit bis zum Ende des ersten Quartals 2012 ge-
setzt. Sollte bis dahin keine entsprechende Einigung zustande kommen, hat die
Bundesministerin die Einrichtung einer Expertenkommission angekündigt.

Drucksache 17/10377 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Bereits zum Zeitpunkt dieser Ankündigung gab es eine tarifliche Equal-Pay-Lö-
sung für die Stahlbranche und ein tarifliches Stufensystem zur Angleichung der
Löhne in der Chemiebranche. Zwischenzeitlich hat auch die IG Metall mit dem
Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie einen Tarifvertrag abge-
schlossen, der Regelungen zur Leiharbeit enthält. Tarifgebundene Entleihfirmen
in der Metall- und Elektroindustrie werden verpflichtet, Leiharbeitskräften nach
einem Einsatzzeitraum von 18 bzw. 24 Monaten einen unbefristeten Vertrag an-
zubieten. Darüber hinaus hat die IG Metall mit den Verbänden der Leiharbeits-
branche (dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e. V. – iGZ –
und dem Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister e. V. – BAP)
Branchenzuschläge für Leiharbeitskräfte vereinbart, die im Bereich der Metall-
und Elektroindustrie eingesetzt werden. Demzufolge sollen mit der Überlas-
sungsdauer stufenweise ansteigende Zuschläge gezahlt werden, die nach neun
Monaten bei 50 Prozent liegen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem in der Vorbemer-
kung der Fragesteller dargestellten Fall?

Entspricht der dortige Einsatz von Leiharbeitskräften der Intention, welche
die Bundesregierung bei der Regulierung der Arbeitnehmerüberlassung zu-
grunde legt?

2. Hat die Leiharbeitsagentur, welche im genannten Fall die Leiharbeitskräfte
verleiht, eine Verleiherlaubnis der Bundesagentur für Arbeit?

Gab es Prüfungen der Leiharbeitsagentur durch die Bundesagentur für Arbeit
oder die Finanzkontrolle Schwarzarbeit?

Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

3. Wie bewertet die Bundesregierung generell Geschäftsmodelle, die darauf set-
zen, über einen Zeitraum von mehreren Jahren einen überwiegenden Teil der
Belegschaft auf der Basis von Leiharbeit einzusetzen und den Leiharbeiterin-
nen und Leiharbeitern niedrigere Entgelte als in der Einsatzbranche üblich zu
zahlen?

4. Leitet die Bundesregierung aus der prinzipiellen Legalität solcher Geschäfts-
modelle einen gesetzgeberischen Handlungsbedarf ab, um damit einherge-
hende Verwerfungen zu verhindern?

Wenn ja, welche Schritte sind geplant?

Wenn nein, warum nicht?

5. Ist nach Ansicht der Bundesregierung ein Einsatz von Leiharbeitskräften, der
über sechs Jahre andauert und dessen Beendigung auch nicht absehbar ist, als
vorübergehend im Sinne des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes zu beurtei-
len?

6. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus den nunmehr vor-
liegenden Tarifabschlüssen für einzelne Branchen, die mit unterschiedlicher
Reichweite eine Annäherung in der Bezahlung von Leiharbeitskräften und
Stammbeschäftigten beinhalten?

Hält die Bundesregierung diese für ausreichend, um Equal Pay zu realisieren,
oder wird sie wie angekündigt eine Expertenkommission mit dieser Frage
betrauen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10377

7. Sind der Bundesregierung neben den in der Vorbemerkung der Fragesteller
genannten Branchen weitere bekannt, für die es derzeit tarifliche Regelun-
gen zum Thema Equal Pay für Leiharbeiter gibt?

Wenn ja, welche?

8. Wie viele Leiharbeitsbeschäftigte werden nach Kenntnis der Bundesregie-
rung derzeit von solchen tariflichen Regelungen zur besseren Bezahlung
von Leiharbeitsbeschäftigten erfasst (bitte absolute und prozentuale Zahlen
nennen)?

9. Wie lange ist nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit die durchschnitt-
liche Verleihdauer eines Leiharbeitsbeschäftigten (falls möglich bitte nach
Einsatzbranchen differenzieren)?

Wie bewertet die Bundesregierung angesichts dieser Zahlen die bestehen-
den tariflichen Lösungen zur Annäherung der Bezahlung von Leiharbeits-
kräften und Stammbeschäftigten?

10. Welches sind nach Kenntnis der Bundesregierung die zehn Branchen, in de-
nen die meisten Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter eingesetzt werden?

Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung jeweils das durchschnitt-
liche Bruttomonatsentgelt der regulären Vollzeitbeschäftigten in diesen
Branchen?

11. Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung derzeit das durchschnitt-
liche Bruttomonatsentgelt von Vollzeitbeschäftigten in der Arbeitnehmer-
überlassung, und wie hoch ist das durchschnittliche Bruttomonatsentgelt für
Vollzeitbeschäftigte insgesamt (falls möglich bitte jeweils das arithmetische
Mittel und den Median benennen)?

12. Wie viele Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter erhalten nach Kenntnis der
Bundesregierung derzeit einen Lohn unterhalb der Niedriglohnschwelle
(bitte in absoluten und relativen Zahlen angeben und nach Geschlecht und
Alter differenzieren sowie für den Zeitraum von 2008 bis heute darstellen)?

13. Wie viele Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter erhalten ergänzend zu ihrem
Erwerbseinkommen aufstockende Leistungen gemäß dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch (bitte absolut und prozentual angeben und falls möglich
jeweils nach Voll- und Teilzeit, Geschlecht und Alter differenzieren sowie
für den Zeitraum von 2008 bis heute darstellen)?

14. Wie hoch ist der Anteil von ungeförderten Stellen in der Arbeitnehmerüber-
lassung an allen offenen ungeförderten Stellen, die bei der Bundesagentur
für Arbeit gemeldet sind (bitte sowohl Zugänge als auch den Bestand sowie
für den Zeitraum von 2008 bis heute darstellen)?

Berlin, den 20. Juli 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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