BT-Drucksache 17/10295

Umwertungen der NS-Vergangenheit

Vom 12. Juli 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10295
17. Wahlperiode 12. 07. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Nicole Gohlke, Steffen Bockhahn, Klaus Ernst, Ulla Jelpke,
Dr. Lukrezia Jochimsen, Petra Pau, Jens Petermann, Kathrin Senger-Schäfer,
Frank Tempel, Halina Wawzyniak, Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE.

Umwertungen der NS-Vergangenheit

Am Pfingstwochenende 2012 fand der 63. „Sudetendeutsche Tag“ in Nürnberg
statt. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer formulierte als Schirm-
herr dieses Treffens eine Reihe von politischen Forderungen, die gänzlich oder
teilweise der Zuständigkeit des Bundes unterliegen. So wurde von Horst
Seehofer mit Blick auf die Bundesregierung die Einführung eines Gedenktages
für die Opfer von Flucht und Vertreibung (FAZ, 29. Mai 2012) genauso wie die
Entschädigung von deutschen Zwangsarbeitern gefordert. Weiter machte sich
der bayerische Ministerpräsident für die finanzielle Unterstützung des geplanten
Sudetendeutschen Museums in München stark, für das er eine Grundsteinlegung
noch in diesem Jahr versprach (ebd.).

Aus Sicht der Fragesteller und Fragestellerinnen reihen sich diese Ankündigun-
gen und Initiativen in eine schleichende Umwertung der NS-Vergangenheit ein,
wie sie von Seiten der Vertriebenenverbände seit vielen Jahren betrieben wird.
Ziel (mindestens aber Effekt) dieser Politik ist es, mittels der begrifflichen und
formellen Gleichsetzung von deutschen Leidenserfahrungen in der Zeit des
Faschismus mit den Opfern der NS-Politik eine Relativierung deutscher Verant-
wortung vorzunehmen und die historische Kausalität zu vernebeln. Ausgangs-
punkt ist dabei das inzwischen von der Bundesregierung immer wieder verkün-
dete Postulat, es gäbe „keine ungeklärten bzw. juristisch umstrittenen Fragen von
NS-Entschädigungen“ mehr (vgl. z. B. die Antwort der Bundesregierung auf die
Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE. auf Bundestagsdrucksache 17/8134,
Frage 34). Genau dieses (falsche) Selbstbewusstsein steht hinter der von Horst
Seehofer angeführten Begründung für die Forderung nach Entschädigung deut-
scher Zwangsarbeiter: „Wir zahlen in Europa für alles, dann können wir auch für
deutsche Zwangsarbeiter zahlen“ (FAZ, 29. Mai 2012). Angesichts einer bis
heute großen Zahl so genannter vergessener Opfer – erinnert sei nur an die sow-
jetischen Kriegsgefangenen oder italienischen Militärinternierten, die eben bis
heute keinerlei Entschädigung erhalten haben – scheint es den Fragestellern und
Fragestellerinnen ein falsches Signal zu sein, die deutschen Folgeopfer der NS-
Politik jetzt ins Zentrum zu stellen.
Wir fragen die Bundesregierung:

1. Plant die Bundesregierung die Einführung eines nationalen Gedenktages für
die Opfer von Flucht und Vertreibung, und wie begründet sie ihre Position
zu dieser Frage?

Drucksache 17/10295 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
2. Teilt die Bundesregierung die Befürchtung der Fragesteller und Fragestel-
lerinnen, dass ein solcher Gedenktag als Pendant zum Gedenktag an die
Opfer der NS-Herrschaft am 27. Januar aufgefasst werden müsste und da-
mit eine historisch falsche Parallelisierung zwischen den Opfern der NS-
Politik und den deutschen Folgeopfern der NS-Politik vorgenommen
würde, und wie begründet sie ihre Position?

3. Macht sich die Bundesregierung die Position des bayerischen Ministerprä-
sidenten Horst Seehofer zu eigen, der eine Entschädigung deutscher
Zwangsarbeiter nach dem 8. Mai 1945 in den von Deutschland überfalle-
nen Ländern fordert, und wie begründet sie ihre Position?

4. Ist im Bundeskabinett über die Forderung nach Entschädigung deutscher
Zwangsarbeiter nach dem 8. Mai 1945 in den von Deutschland überfalle-
nen Ländern gesprochen worden, und welche Vereinbarungen wurden zu
diesem Punkt getroffen?

5. Über welchen finanziellen Rahmen wird im Zusammenhang mit der Forde-
rung nach Entschädigung für deutsche Zwangsarbeiter nach dem 8. Mai
1945 in den von Deutschland überfallenen Ländern gesprochen?

6. Sieht die Bundesregierung deutsche Zwangsarbeiter nach dem 8. Mai 1945
in den von Deutschland überfallenen Ländern, unabhängig von ihrer Rolle
und Verantwortung im NS-Regime, als entschädigungswürdige Personen
an, und wie begründet sie ihre Position?

7. Wie begründet die Bundesregierung eine mögliche Entschädigung deut-
scher Zwangsarbeiter nach dem 8. Mai 1945 in den von Deutschland über-
fallenen Ländern vor dem Hintergrund, dass größere Gruppen von
Zwangsarbeitern unter der NS-Herrschaft bis heute keinerlei Entschädi-
gung erhalten haben?

8. Plant die Bundesregierung eine finanzielle Beteiligung am Sudeten-
deutschen Museum in München, und wie sieht diese finanzielle Beteili-
gung gegebenenfalls aus?

9. Ist die Bundesregierung an der Konzeption des geplanten Sudeten-
deutschen Museums in München beteiligt, und wie sieht diese Konzeption
aus?

10. Wie lässt sich aus Sicht der Bundesregierung ein Sudetendeutsches
Museum mit Unterstützung des Bundes begründen, vor dem Hintergrund,
dass sich der Bund an der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ und
dem dort geplanten Ausstellungsprojekt beteiligt?

11. Soll nach Ansicht der Bundesregierung jede der von Flucht und Vertrei-
bung betroffenen deutschen Gruppen ein eigenständiges Museum erhalten,
und nach welchen Kriterien entscheidet die Bundesregierung über eine Be-
teiligung?

Berlin, den 12. Juli 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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