BT-Drucksache 17/10026

Aufsichtstätigkeit beim Arbeitsschutz

Vom 14. Juni 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/10026
17. Wahlperiode 14. 06. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, Brigitte Pothmer,
Birgitt Bender, Britta Haßelmann, Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink,
Elisabeth Scharfenberg, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Aufsichtstätigkeit beim Arbeitsschutz

Um sich greifende prekäre Beschäftigung und steigender Leistungs- und
Kostendruck prägen den Arbeitsalltag vieler Beschäftigter in Deutschland.
Psychische Gefährdungen am Arbeitsplatz sind nach Auskunft der Deutschen
Rentenversicherung inzwischen der Hauptgrund für Frühverrentungen. Inner-
halb der vergangenen zehn Jahre ist ihr Anteil an den Frühverrentungen von
24 Prozent auf 40 Prozent angestiegen.

Gleichzeitig sind demografischer Wandel und drohender Fachkräftemangel in
der deutschen Wirtschaft allgegenwärtig. Deutschland kann es sich nicht leis-
ten, auf Arbeitskräfte zu verzichten. Daher gilt es, die Arbeitswelt so zu gestal-
ten, dass Beschäftigte bis zum Eintritt in das Rentenalter gesunde alterns-
gerechte Arbeitsbedingungen vorfinden.

Vor diesem Hintergrund steht der Arbeitsschutz vor großen Herausforderungen.
Eine humane Arbeitsgestaltung ist das Gebot der Stunde und daher ist der
Bedarf an Beratung und Überwachung durch effektive Aufsichtsbehörden groß.
In der Zusammenfassung des von der Bundesregierung vorgelegten „Berichts
über Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit“ für das Jahr 2010 ist aber
nachzulesen, „dass in den Bundesländern der Personalstand der Gewerbe-
aufsicht – wie in den letzten Jahren schon – weiter kontinuierlich abgebaut wird
und parallel dazu die Zahlen von besichtigten Unternehmen und von Besichti-
gungen in Unternehmen rückläufig sind. Eine aufmerksame Verfolgung dieser
Entwicklung ist weiterhin geboten“.

Wir fragen die Bundesregierung:

Personalstand und Ressourcen

1. Wie hat sich der Personalstand der Aufsichtsbehörden im Arbeitsschutz
nach Kenntnis der Bundesregierung von 2005 bis heute pro Jahr entwickelt
(bitte nach Gewerbeaufsicht in den Ländern, Unfallversicherung und Be-
rufsgenossenschaften differenzieren)?
2. Sieht die Bundesregierung Handlungsbedarf bezüglich der Personalentwick-
lung der Aufsichtsbehörden im Arbeitsschutz in den letzten Jahren?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, was unternimmt die Bundesregierung (bitte nach Gewerbeaufsicht
in den Ländern, Unfallversicherung und Berufsgenossenschaften differen-
zieren)?

Drucksache 17/10026 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die Bundesregie-
rung aus der Aussage des Vorsitzenden des Länderausschusses für Gesund-
heitsschutz und Arbeitssicherheit (LASI), Steffen Röddecke, der im „IG
Metall Tipp für den Arbeitsplatz Nr. 43, 2011“ mit den Worten zitiert wird:
„Der staatliche Arbeitsschutz ist durch den teilweise massiven Abbau von
Stellen in einzelnen Bundesländern an seine Grenzen gestoßen. Er ist dort
nicht mehr in der Lage, seinen Verpflichtungen umfassend nachzukommen.
Es können nur noch die dringendsten Pflichtaufgaben erledigt werden. Der
Arbeitsschutz agiert damit wie die Feuerwehr, er löscht, wenn es brennt.
Weitere für die Gesundheit wichtige Aufgaben, wie etwa die Prävention
von Muskel-Skelett-Erkrankungen oder psychischen Fehlbelastungen wer-
den dadurch vernachlässigt“?

4. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Aufsichtspersonen aus-
reichend qualifiziert sind, um den Anforderungen bei der Besichtigung von
psychischen Gefährdungen angemessen gerecht zu werden?

Wenn ja, warum?

Wenn nein, warum nicht, und welche Maßnahmen plant die Regierung?

5. Bestätigt die Bundesregierung, dass den Aufsichtsbehörden in den letzten
Jahren weitere neue zusätzliche „fachfremde“ Aufgaben übertragen wur-
den, ohne weiteres Personal einzuplanen?

Wenn ja, wie begründet die Bundesregierung, dass die Aufsichtsbehörden
dennoch ihrer Aufsichtspflicht gerecht werden können?

Besichtigungen und Sanktionen

6. Wie viele Besichtigungen wurden nach Kenntnis der Bundesregierung jähr-
lich in den Jahren 2005 bis heute pro Jahr durchgeführt, und wie viele davon

a) in kleinen Betrieben,

b) in mittelgroßen Betrieben und

c) in großen Betrieben

(bitte jeweils nach Gewerbeaufsicht in den Ländern, Unfallversicherung
und Berufsgenossenschaften differenzieren)?

7. Wie viel Prozent der Betriebe wurden nach Kenntnis der Bundesregierung
seit 2005 bis heute pro Jahr besichtigt (bitte nach kleinen, mittelgroßen und
großen Betriebe differenzieren)?

8. Welche Arbeitsschutzbereiche (u. a. „psychische Belastungen“ und „Ar-
beitszeit“) wurden nach Kenntnis der Bundesregierung in welcher prozen-
tualen Größenordnung bei den Betriebsbesichtigungen jährlich in den Jah-
ren 2005 bis heute überprüft (bitte nach Gewerbeaufsicht in den Ländern,
Unfallversicherung und Berufsgenossenschaften differenzieren)?

9. Wie häufig stellte sich nach Kenntnis der Bundesregierung bei Betriebsbe-
sichtigungen pro Jahr seit 2005 bis heute absolut und prozentual zu allen
geprüften Betrieben heraus, dass die geprüften Betriebe keine Gefähr-
dungsbeurteilungen bzw. Gefährdungsbeurteilungen ohne die Beachtung
von psychischen Gefährdungen durchgeführt haben (bitte nach Gewerbe-
aufsicht in den Ländern, Unfallversicherung und Berufsgenossenschaften
differenzieren)?

10. Werden die Besichtigungen nach Kenntnis der Bundesregierung in allen
Branchen gleichermaßen durchgeführt oder werden Branchen schwer-
punktmäßig geprüft, bei denen Verstöße gegen Arbeitszeit- und Arbeits-
schutzvorschriften zu gravierenden gesundheitlichen Schäden bei den Be-

schäftigten führen, wie beispielsweise bei der Transport-, Logistik-, Call
Center-, Leiharbeits- oder Pflegebranche?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/10026

11. Zu wie vielen Anordnungen, Verwarnungen, Bußgeldbescheiden und Straf-
anzeigen haben die Besichtigungen nach Kenntnis der Bundesregierung
jährlich in den Jahren 2005 bis heute geführt, und in welchen Arbeits-
schutzbereichen sind die meisten Mängel aufgetreten (bitte jeweils nach
Gewerbeaufsicht in den Ländern, Unfallversicherung und Berufsgenossen-
schaften differenzieren)?

12. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass die Besichtigungen und die
Schwerpunktsetzungen dem Handlungsbedarf entsprechend ausreichen?

Wenn ja, warum?

Wenn nein, was wird die Bundesregierung unternehmen?

13. Gibt es in der Bundesregierung eine Diskussion um die Verschärfung der
Sanktionsmöglichkeiten im Arbeitsschutz, insbesondere vor dem Hintergrund
des 2011 verabschiedeten Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG),
das im Gegensatz zu vorhergehenden Gesetzen auch Sanktionen vorsieht und
Geldstrafen bis zu 3 000 Euro bei minderen, 30 000 Euro bei schweren bzw.
wiederholten Verstößen und bei vorsätzlicher oder fahrlässiger Schädigung
des Verbrauchers durch eine Vernachlässigung der Pflichten aus dem GPSG
sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr verhängt werden können?

Wenn ja, wie steht die Bundesregierung dazu?

ILO-Übereinkommen, „Senior Labour Inspections Committee“ (SLIC)

14. Kommt die Bundesrepublik Deutschland ihrer Verpflichtung aus dem Über-
einkommen Nummer 81 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO)
nach, das bereits 1955 ratifiziert wurde, und in dem sich die Bundesrepublik
Deutschland verpflichtet hat, die Arbeitsschutzaufsicht zu gewährleisten und
eine ausreichende Zahl von Aufsichtsbeamten zur Verfügung zu stellen, um
eine wirksame Ausführung der Aufgaben der Aufsicht zu gewährleisten?

Wenn ja, wie ist das mit den Personalkürzungen beispielsweise in Bayern
zu vereinbaren?

Wenn nein, was plant die Bundesregierung?

15. Welche konkreten Maßnahmen wurden bisher im Zuge der Umsetzung des
ILO-Übereinkommens Nr. 187 ergriffen, das 2010 ratifiziert wurde und all-
gemeine Grundsätze für die Gestaltung einer nationalen Arbeitsschutzpoli-
tik festlegt, nach denen Regierungen zur Verhütung von Unfällen, Erkran-
kungen und Todesfällen am Arbeitsplatz die ständige Verbesserung des
Arbeitsschutzes zu fördern haben und gemeinsam mit den Sozialpartnern
eine nationale Politik entwickeln müssen, um eine sichere und gesunde
Arbeitsumwelt zu gewährleisten, und was plant die Bundesregierung dies-
bezüglich, insbesondere im Bereich der psychischen Gefährdungen?

16. Wie beurteilt die Bundesregierung die bereits 2006 erfolgte Rüge des SLIC
der EU, das die Qualität der deutschen Arbeitsaufsicht bemängelt und den
deutschen Akteuren eine zu defensive Sanktionspolitik, eine unzureichende
Beteiligung von Betriebs- und Personalräten und eine fast nur reaktive
Überwachungsstrategie sowie eine mangelnde Ressourcenausstattung der
Vollzugsbehörden bescheinigt hat, und welche konkreten Maßnahmen wur-
den aufgrund des Berichts des SLIC seither ergriffen, um die kritisierten
Missstände zu beheben?

Berlin, den 14. Juni 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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