BT-Drucksache 16/9880

Höhe und Entwicklung des sächlichen Existenzminimums für Kinder und Erwachsene

Vom 30. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9880
16. Wahlperiode 30. 06. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Herbert Schui, Dr. Axel Troost
und der Fraktion DIE LINKE.

Höhe und Entwicklung des sächlichen Existenzminimums
für Kinder und Erwachsene

Verbraucherinnen und Verbraucher müssen seit 2005 bei Gütern des täglichen
Grundbedarfs erhebliche Preissteigerungen hinnehmen. So sind beispielsweise
die Kraftstoff-, Heizöl- und Energiekosten sowie die Preise für Nahrungsmittel,
Verkehr und Bildung massiv angestiegen. Der Verbraucherpreisindex für
Deutschland (Gesamtindex) stieg 2007 gegenüber 2005 um 3,9 Prozent an.
Demgegenüber betrug der Anstieg des individuellen Preisindex, der über den
persönlichen Inflationsrechner auf den Internetseiten des Statistischen Bundes-
amtes für Menschen, die Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
(SGB II) beziehen, ermittelt werden kann (regelsatzspezifischer Preisindex),
für den gleichen Zeitraum mehr als 6 Prozent. Ursache dafür ist die unter-
schiedliche Zusammensetzung und Gewichtung von Warengruppen beim allge-
meinen Preis- und beim Regelsatzindex.

Trotz dieses massiven Preisanstiegs wurden die Eckregelsätze seit 2005 nur um
0,8 Prozent angehoben. Grund dafür ist die Kopplung der Eckregelsätze an den
aktuellen Rentenwert. Dieser enthält mehrere Dämpfungsfaktoren, die den An-
stieg der Beitragssätze der Rentenversicherung begrenzen sollen und gleich-
zeitig das Leistungsniveau absenken. Aufgrund dieser Kopplung sind Bezie-
hende von Grundsicherungsleistungen von politischen Eingriffen in die Ren-
tenformel betroffen, obwohl sie eine bedarfsorientierte Leistung beziehen, die
das Existenzminimum sichern soll. Dazu kommt, dass im Rahmen der Errech-
nung der Höhe der Regelsätze für 2005, die bei einzelnen relevanten Ausgabe-
positionen vorgenommenen Abschläge sachfremd waren. Wohlfahrtsverbände
sprachen deshalb von einer gezielten Begrenzung von Leistungsansprüchen.
Weiterhin wurde festgestellt, dass der 2005 errechnete Regelsatz, dem bis dato
geltenden Statistikmodell folgend, um 19 Prozent zu niedrig angesetzt war. Der
Paritätische Wohlfahrtsverband hat in einer Stellungnahme zu einer Anhörung
des Deutschen Bundestags daher aktuell einen angemessenen Regelsatz von
434 Euro errechnet, wenn die gültige Rechtslage umgesetzt würde (vgl. Bun-
destagsausschussdrucksache 16(11)1022).

Dies ist von besonderer Bedeutung, da die Höhe der Regelsätze bzw. deren An-

passung die Berechnungsgrundlage für das sächliche Existenzminimum und
dieses seinerseits die Grundlage für das verfassungsrechtlich gebotene steuer-
freie Existenzminimum bildet.

Vor dem Hintergrund der Kritik an der Ermittlung und Anpassung der Regel-
sätze ist zweifelhaft, ob die Höhe des steuerfreien Existenzminimums sowohl
für Erwachsene als auch für Kinder den Vorgaben des Bundesverfassungs-

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gerichts entspricht, nach denen das Einkommen der Steuerpflichtigen und ihrer
Kinder insoweit steuerfrei bleibt, als es zur Schaffung der Mindestvorausset-
zungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie und warum hat sich die Grundlage für die Ermittlung der Regelsatz-
leistung im Rahmen der früheren Sozialhilfe bzw. des SGB XII und SGB II
von 1990 auf 2008 verändert?

2. Auf welche Bedarfe zu jeweils welchem Anteil verteilt sich die Regelsatz-
leistung im Rahmen des Arbeitslosengeldes II?

3. Auf welcher Grundlage wurden die jeweiligen Anteile der Warengruppen
an der Regelsatzleistung im Rahmen des Arbeitslosengeldes II festgesetzt?

4. Wie hat sich das sächliche Existenzminimum seit 1990 bis aktuell entwi-
ckelt?

5. Aus welchen Gründen wurde das sächliche Existenzminimum für das Jahr
2008 gegenüber dem Jahr 2005 gesenkt?

6. Wie hat sich der allgemeine Verbraucherpreisindex seit 1990 bis aktuell
jeweils exklusive Miet- und exklusive Heizungskosten in den einzelnen
Jahren entwickelt?

7. Wie haben sich jeweils die Preise der regelsatzrelevanten Waren- und
Dienstleistungsgruppen seit 1990 bis aktuell in den einzelnen Jahren ent-
wickelt?

8. Wie hat sich der individuelle Verbraucherpreisindex für die Regelleistung
im Rahmen der früheren Sozialhilfe bzw. des Arbeitslosengeldes II (regel-
satzspezifischer Preisindex) seit 1990 bis aktuell in den einzelnen Jahren
entwickelt?

9. Wie haben sich die Regelsätze in der Sozialhilfe bzw. die Regelleistung im
Rahmen des Arbeitslosengeldes II seit 1990 bis aktuell entwickelt?

10. Sieht die Bundesregierung angesichts der divergierenden Entwicklung zwi-
schen dem allgemeinen Verbraucherpreisindex für Deutschland und dem
regelsatzspezifischen Preisindex, die Notwendigkeit, zukünftig einen ge-
sonderten Preisindex bezüglich des sächlichen Existenzminimums festzu-
stellen (Antwort bitte mit Begründung)?

11. Welche Überlegungen liegen der Tatsache zugrunde, die bei der Ermittlung
des Rentenwertes angewendeten Dämpfungsfaktoren auch bei der Fort-
schreibung des sächlichen Existenzminimums hinzuzuziehen?

12. Welche Auswirkung hat die Berücksichtigung der bei der Ermittlung des
Rentenwertes angewendeten Dämpfungsfaktoren bei der Ermittlung des
sächlichen Existenzminimums auf dessen Entwicklung (Antwort bitte mit
Begründung)?

13. Hält die Bundesregierung die Hinzuziehung der Dämpfungsfaktoren bei
der Berechnung des sächlichen Existenzminimums für sachgerecht (Ant-
wort bitte mit Begründung)?

14. Wie bewertet die Bundesregierung die Einschätzungen des Paritätischen
Wohlfahrtsverbandes vom September 2007 (Expertise: Regelsatz und Preis-
entwicklung: Vorschlag für eine sachgerechte Anpassung des Regelsatzes
an die Preisentwicklung nach einem regelsatzspezifischen Preisindex),
nach denen der Realwert des Regelsatzes – und damit des sächlichen Exis-
tenzminimums – aufgrund des Preisanstiegs und der unzureichenden Re-

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gelsatzanpassung zwischen 2003 und 2007 um rund 5 Prozent gesunken ist
(Antwort bitte mit Begründung)?

15. Wie bewertet die Bundesregierung die Kritik des Paritätischen Wohlfahrts-
verbandes, nach der der für das Jahr 2005 ermittelte Regelsatz um 19 Pro-
zent zu niedrig angesetzt war, um von einer sachgerechten Umsetzung des
Statistikmodells sprechen zu können (Antwort bitte mit Begründung)?

16. Wie bewertet die Bundesregierung die Kritik, z. B. seitens des Paritäti-
schen Wohlfahrtsverbandes, an der Ableitung des Regelsatzes für Kinder
und Jugendliche von dem Regelsatz für Erwachsene?

17. Wie bewertet die Bundesregierung Berechnungen (z. B. Irene Becker:
„Konsumausgaben von Familien im unteren Einkommensbereich“, Hans-
Böckler-Stiftung 2007), nach denen der Bedarf von Kinder und Jugendli-
chen deutlich höher einzuschätzen ist, als der aktuelle abgeleitete Regel-
satz?

18. Beabsichtigt die Bundesregierung für Kinder und Jugendliche zukünftig
einen eigenständigen Bedarf zu ermitteln?

Wenn nein, warum nicht?

Berlin, den 27. Juni 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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