BT-Drucksache 16/9836

Umstellung der Umsatzsteuer von der Soll- auf die Istbesteuerung

Vom 25. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9836
16. Wahlperiode 25. 06. 2008

Antrag
der Abgeordneten Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Volker Wissing, Frank Schäffler,
Carl-Ludwig Thiele, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Rainer Brüderle, Angelika
Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van
Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth),
Dr. Edmund Peter Geisen, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel
Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer,
Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Heinz
Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Michael Link
(Heilbronn), Markus Löning, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke,
Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr,
Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Dr. Konrad Schily, Marina Schuster,
Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia
Winterstein, Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Umstellung der Umsatzsteuer von der Soll- auf die Istbesteuerung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das geltende Umsatzsteuerrecht verpflichtet die Unternehmer, die Steuer für
ausgeführte Umsätze an das Finanzamt zu zahlen, ohne dass sie das Geld von
ihren Kunden erhalten haben. Die Umsatzsteuer ist fällig, sobald die Leistung
ausgeführt ist. Der Unternehmer selbst kann von seinen Kunden Zahlungen erst
nach Rechnungsstellung verlangen. Zwischen beiden Terminen können längere
Zeiträume liegen. Das ist zum Beispiel bei großen Bauvorhaben der Fall. Die
Umsatzsteuer muss also für den Staat vorfinanziert werden. Das führt zu Liqui-
ditäts- und Zinsbelastungen, die bei finanzschwachen Unternehmen existenz-
bedrohend sein können. Bei schlechter Zahlungsmoral der Kunden verstärkt
sich dieser Effekt. Das Finanzamt verlangt die Umsatzsteuer vom Unternehmer,
unabhängig davon, ob er seine Forderungen beitreiben kann oder nicht.

Zum Vorsteuerabzug berechtigt ist ein Unternehmer schon dann, wenn er die
Rechnung für eine Leistung erhalten hat. Auf die Begleichung der Rechnung
kommt es nicht an. Hier finanziert der Staat die Liquidität des Unternehmens
vor. Das Umsatzsteuersystem ist an dieser Stelle sehr betrugsanfällig. Durch

Verwendung von falschen oder Scheinrechnungen kommt es zu Steuerausfällen.
Die Finanzverwaltung ist bis heute nicht in der Lage, Missbräuche beim Vor-
steuerabzug wirksam zu bekämpfen. Einerseits ist die Zahl der Umsatzsteuer-
sonderprüfungen gering. Andererseits ist die Zusammenarbeit der für die Steu-
erverwaltung zuständigen Länder nicht so effektiv, dass Unternehmen, die ihren
Sitz in ein anderes Land verlegen oder ihre Existenz beenden, schnell aufgespürt
werden können. Muss beim Vorsteuerabzug erst nachgewiesen werden, dass die

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Umsatzsteuer bezahlt wurde, bleibt mehr Zeit für stichprobenartige Prüfungen,
ob Rechnungen fingiert sind.

Fazit: Das System der Sollversteuerung erfüllt seine Aufgabe, die Erzielung
staatlicher Einnahmen, immer weniger. Materiell-rechtliche Änderungen an die-
sem System, die die Bundesregierung offenbar plant, dürften wenig hilfreich
sein. Mit der Umstellung auf eine Reverse-Charge-Besteuerung ist die Bundes-
regierung in Brüssel auf ganzer Linie gescheitert.

Der Deutsche Bundestag lehnt es ab, dass der Staat den Unternehmen weitere
bürokratische und finanziell belastende Maßnahmen zumutet, um Betrugs-
delikte einzelner Betriebe zu unterbinden. Er fordert, das Umsatzsteuersystem
insgesamt auf die Istversteuerung umzustellen: Der Vorsteueranspruch entsteht
erst dann, wenn eine Rechnung nachweisbar bezahlt wurde. Die Umsatzsteuer
für eigene Umsätze eines Betriebs ist erst dann anzumelden und abzuführen,
wenn der Unternehmer das Geld vom Leistungsempfänger erhalten hat.

Die Istversteuerung für eigene Umsätze eines Unternehmens ist bereits heute für
kleinere Unternehmen mit einem Gesamtumsatz bis zu 250 000 Euro möglich.
Diese Grenze kann jederzeit angehoben werden. Eine umfassende Umstellung
des Umsatzsteuersystems auf die Istversteuerung setzt allerdings voraus, dass
die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie geändert wird. Da alle Mitgliedstaaten von
Steuerausfällen in Folge von Betrugsdelikten betroffen sind, sollte die Zustim-
mung für notwendige Änderungen der Richtlinie auch kurzfristig erreichbar
sein.

Da die Umstellung auf die Istbesteuerung vorübergehend zu Einnahmeverschie-
bungen des Staates führen kann, ist sie stufenweise vorzunehmen. Der Staat
erhält Umsatzsteuer für eigene Umsätze später, muss auf der anderen Seite Vor-
steuerbeträge später erstatten. Unterm Strich führt die Systemumstellung zu kei-
nen Steuerausfällen. Der Deutsche Bundestag ist darüber hinaus der Auffassung,
dass die Steuerverwaltung effektiver gestaltet werden muss. Dazu gehören nicht
nur eine schnellere und bessere Zusammenarbeit der Länder, sondern auch mehr
Umsatzsteuersonderprüfungen.

II. Der Deutsche Bundestag beschließt:

1. Die Umsatzsteuer wird insgesamt auf die Istversteuerung umgestellt. Sie ist
erst dann anzumelden und abzuführen, wenn der Unternehmer den Rech-
nungsbetrag von seinem Kunden erhalten hat.

2. Der Anspruch auf Vorsteuerabzug entsteht erst dann, wenn der Unternehmer
eine Rechnung nachweislich bezahlt hat.

3. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, auf EU-Ebene not-
wendige Schritte einzuleiten, damit eine entsprechende Änderung des Um-
satzsteuergesetzes mit EU-Recht vereinbar ist.

4. Der Deutsche Bundestag unterstützt die in die Föderalismuskommission II
eingebrachten Vorschläge für eine effektivere Steuerverwaltung, die den
Steueranspruch des Staates sichert.

Berlin, den 25. Juni 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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