BT-Drucksache 16/9805

Gesundheitsfonds und staatliche Beitragssatzfestsetzung in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht einführen

Vom 25. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9805
16. Wahlperiode 25. 06. 2008

Antrag
der Abgeordneten Daniel Bahr (Münster), Heinz Lanfermann, Dr. Konrad Schily,
Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann, Michael Kauch, Detlef Parr, Dr. Karl Addicks,
Christian Ahrendt, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher,
Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke,
Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Miriam
Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter
Haustein, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Michael Link
(Heilbronn), Markus Löning, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke,
Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Cornelia
Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina Schuster, Dr. Max Stadler,
Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz,
Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle
und der Fraktion der FDP

Gesundheitsfonds und staatliche Beitragssatzfestsetzung in der gesetzlichen
Krankenversicherung nicht einführen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der Gesundheitsfonds und der bun-
desweit für alle gesetzlichen Krankenkassen einheitliche Beitragssatz zum
1. Januar 2009 nicht eingeführt werden.

Berlin, den 25. Juni 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

Begründung
Der Gesundheitsfonds löst keines der anstehenden Probleme des Gesundheits-
systems, sondern er schafft neue. Er ist das Einfallstor für die Einheitskasse. Er
ebnet den Einstieg in ein staatlich zentralistisches Gesundheitswesen.

Mit Gesundheitsfonds und Beitragssatzfestsetzung wird ein wesentliches Ele-
ment des Wettbewerbs, der Preis für die Versicherung, außer Kraft gesetzt und
durch eine staatliche Preisregulierung ersetzt.

Drucksache 16/9805 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Ein einheitlicher Krankenversicherungsbeitrag für alle gesetzlichen Kranken-
kassen in Deutschland, der durch die Bundesregierung festgelegt wird, macht
ein ökonomisch verantwortliches Verhalten der Krankenkassenvorstände, bei
dem Preis und Leistung in Relation gesetzt werden, unmöglich. Das verstärkt
den Druck zur Rationierung und wird zu Forderungen nach mehr Steuergeld
führen.

Der Beitragssatz wird zur politischen Größe, die sich an der Kassenlage und dem
Zeitpunkt innerhalb der Wahlperiode ausrichtet, nicht jedoch an gesundheits-
politischen Notwendigkeiten. Fehlentscheidungen wirken sich nicht nur auf eine
einzelne Krankenkasse, sondern auf den gesamten Bereich der gesetzlichen
Krankenversicherung und damit auf 90 Prozent der Bevölkerung aus. Wird der
Beitragssatz zu niedrig festgelegt, führt das zur Rationierung von Gesundheits-
leistungen und zu einem Kassensterben mit der Tendenz zur Einheitsversiche-
rung, weil die kassenindividuelle Finanzierungsmöglichkeit über Zusatzbeiträge
gesetzlich erheblich beschränkt ist. Wird der Beitragssatz zu hoch festgelegt,
wird Unwirtschaftlichkeit gefördert, die Arbeitnehmer zahlen zu viel, die Lohn-
zusatzkosten steigen und Arbeitsplätze geraten in Gefahr.

Der Gesundheitsfonds entkoppelt die Beziehung zwischen den Beiträgen und
den Leistungen der einzelnen Krankenkasse. Statt den heutigen Risikostruktur-
ausgleich im Zuge des propagierten Wettbewerbs auf das Wesentliche zu be-
schränken, wird er zu einem allumfassenden Zuteilungssystem ausgeweitet.
Statt sich der Begründung stellen zu müssen, warum man Krankenkassen Geld
wegnimmt, um es den Mitkonkurrenten zu geben, wird nun staatlicherseits nach
gesetzten Kriterien eine gewisse Geldsumme je Versicherten zugeteilt.

Auch wenn die Verantwortlichen den Eindruck erwecken wollen, dass es objek-
tive Kriterien gebe, nach denen das Geld verteilt werden könne, zeigt sich bei
der Erarbeitung des so genannten morbiditätsorientierten Risikostrukturaus-
gleichs, bei dem der Auswahl der Morbiditätsgruppen 50 bis 80 insbesondere
kostenintensive chronische Krankheiten und Krankheiten mit schwerwiegen-
dem Verlauf zugrunde gelegt werden sollen, dass es eine solche Objektivität
nicht gibt. Der wissenschaftliche Beirat beim Bundesversicherungsamt, der die-
sen morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich entwickeln sollte, ist zu-
rückgetreten, weil er sich nicht mehr in der Lage sah, den politischen Umvertei-
lungsforderungen des Bundesministeriums für Gesundheit unter Wahrung
seines wissenschaftlichen Ansatzes nachzukommen. Das zeigt mehr als deutlich
die politische Manipulationsanfälligkeit eines solchen Ausgleiches.

Mit der staatlichen, bundeseinheitlichen Beitragssatzfestsetzung und der Zah-
lung von Zuweisungen an die Krankenkassen aus dem Gesundheitsfonds ergibt
sich zudem die große Gefahr eines Mentalitäts- und Strategiewechsels. Die Ak-
tivitäten der Krankenkassen werden sich darauf ausrichten, möglichst viel Geld
aus dem Gemeinschaftstopf zu erhalten und nicht mehr darauf, Versicherte
durch ein überzeugendes Preis-Leistungs-Verhältnis zu binden. Verbunden mit
der Konstruktion des Zusatzbeitrages, der möglichst vermieden werden muss,
um die Abwanderung von Versicherten zu verhindern, werden Qualitätsaspekte
gegenüber reinen Kostenüberlegungen deutlich ins Hintertreffen geraten.

Will man schuldenfrei in den Fonds starten und – wie politisch verkündet –
zu Beginn dafür sorgen, dass die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen zu
100 Prozent aus den Zuweisungen gedeckt sind, wird der heutige Beitragssatz
auf weit über 15 Prozent steigen, denn man überfinanziert mit einem solchen
Schritt die Krankenkassen, die heute einen niedrigen Beitragssatz haben. Hinzu
kommt der bürokratische Aufwand. Ein deutlich steigender Beitragssatz konter-
kariert das Ziel der Senkung der Lohnzusatzkosten, das sich auch die Bundes-
regierung zu eigen gemacht hat.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9805

Der Gesundheitsfonds vernichtet Spielräume für Lösungen, die den regionalen
Besonderheiten in ausreichendem Maße Rechnung tragen. Das führt zu Ineffi-
zienz. Die Tendenz zu einer bundesweiten Nivellierung wird gefördert, das Sub-
sidiaritätsprinzip missachtet. Die in § 272 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch
vorgesehene Konvergenzphase, in der unterschiedliche Be- und Entlastungen
durch die Verteilungswirkungen des Gesundheitsfonds in jährlichen Schritten
von maximal 100 Mio. Euro bezogen auf alle im Bereich eines Landes tätigen
Kassen stufenweise angeglichen werden, ändert – selbst wenn für die Um-
setzung doch noch eine Lösung gefunden wird – hieran grundsätzlich nichts,
sondern mildert die Folgen in einer Übergangsphase lediglich ab.

Der kassenindividuelle Zusatzbeitrag ist so konstruiert, dass er zum Scheitern
verurteilt ist. Wenn 95 Prozent der GKV-Ausgaben aus lohnbezogenen Beiträgen
mit einheitlichen Beitragssätzen gedeckt werden müssen, stehen maximal fünf
Prozent des Volumens für wettbewerbsrelevante Preisunterschiede zur Verfü-
gung (bei fast 100-prozentig identischem Leistungsspektrum). Durch die Be-
schränkung der Zusatzprämie auf ein Prozent des jeweiligen Gesamtbruttoein-
kommens bis zur Höhe der Beitragsbemessungsgrenze schrumpft der Spielraum
nochmals. Wer 1 500 Euro verdient, muss maximal 15 Euro an monatlicher Zu-
satzprämie bezahlen. Kaum vorstellbar ist, dass es sich eine Krankenkasse leisten
kann, stattdessen ihre mehr verdienenden Versicherten deutlich stärker zu belas-
ten mit z. B. 35 Euro monatlich bei 3 500 Euro Einkommen. Diese Versicherten
würden ganz schnell ihre Krankenkasse wechseln oder sofern möglich zur pri-
vaten Krankenversicherung abwandern.

Der Gesundheitsfonds soll aus all diesen Gründen gar nicht erst geschaffen wer-
den. Die Krankenkassen müssen ihre Beitragsautonomie behalten, um ihre
Geschäftspolitik im Hinblick auf die Interessen ihrer jeweiligen Versicherten
zielgerichtet ausrichten und sich damit im Wettbewerb mit den anderen gesetz-
lichen Krankenkassen bewähren zu können. Der Weg in eine Einheitsversiche-
rung unter Ausschaltung des Wettbewerbs darf nicht weiter beschritten werden.

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