BT-Drucksache 16/9804

Rechte von Bahnkunden stärken

Vom 25. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9804
16. Wahlperiode 25. 06. 2008

Antrag
der Abgeordneten Hans-Michael Goldmann, Mechthild Dyckmans, Dr. Karl Addicks,
Christian Ahrendt, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher,
Jörg van Essen, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Miriam Gruß,
Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein,
Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Hellmut Königshaus,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle
Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Michael Link (Heilbronn), Markus Löning,
Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk
Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz,
Jörg Rohde, Marina Schuster, Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar,
Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-
Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Rechte von Bahnkunden stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Eisenbahn ist ein wichtiger Verkehrsträger in Deutschland. Das Ziel der gro-
ßen Bahnreform von 1993 war es, neben einer Entlastung des Staatshaushalts
vor allem mehr Verkehr auf die Schiene zu verlagern. Um dieses Ziel zu errei-
chen, hat der deutsche Steuerzahler seit 1993 rund 240 Mrd. Euro zur Sanierung
und Stärkung der Eisenbahn aufgebracht. Das Personenverkehrsaufkommen ist
in dieser Zeit von knapp 1,5 Milliarden beförderten Personen pro Jahr auf rund
2,2 Milliarden gestiegen. Allerdings verlief die Entwicklung in Nah- und Fern-
verkehr gegenläufig. Im Nahverkehr, der zu etwa zwei Drittel aus Steuermitteln
finanziert wird und der durch zunehmenden Wettbewerb zwischen verschiede-
nen Anbietern gekennzeichnet ist, gab es einen Zuwachs von rund 60 Prozent.
Im Fernverkehr, der eigenwirtschaftlich und in faktischer Monopolstellung von
der Deutschen Bahn AG erbracht wird, gab es einen Rückgang um 10 Prozent.
Insgesamt muss man somit feststellen, dass die Ziele der Bahnreform bisher nur
teilweise erreicht sind. Weitere Anstrengungen zur Attraktivitätssteigerung der
Bahn sind geboten. Dabei spielt im Personenverkehr die Stärkung der Kunden-
rechte eine zentrale Rolle. Kundenbefragungen wie auch die öffentliche Diskus-
sion dieses Themas belegen immer wieder, dass Verspätungen im Bahnverkehr

das größte Ärgernis für die Kunden und einer der Hauptgründe sind, die einer
stärkeren Akzeptanz der Deutschen Bahn AG entgegenstehen.

Daten und Zahlen zu Verspätungen und Kosten durch Schadenersatzleistungen
legt die Deutsche Bahn AG derzeit nicht öffentlich vor. Bahnkunden können
heute für die reine Verspätung (das heißt ohne weitere materielle Folgeschäden)
keine Entschädigung von der Deutschen Bahn AG fordern. Erstattungen seitens
der Bahn erfolgen ausschließlich auf Basis von Kulanz.

Drucksache 16/9804 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die EG-Verordnung 1371/2007 über die Rechte und Pflichten im Eisenbahn-
verkehr vom 23. Oktober 2007, die am 3. Dezember 2009 unmittelbar in Kraft
treten wird, sieht neben Regelungen über Informations- und Versicherungs-
pflichten, Haftung für Personen und Gepäckschaden Entschädigungsansprüche
für die Verspätung und den Ausfall von Zügen vor. Danach erhalten Fahrgäste
bei einer Verspätung von 60 bis 119 Minuten einen Entschädigungsanspruch in
Höhe von 25 Prozent des Fahrpreises und von 50 Prozent des Fahrpreises ab 120
Minuten.

Bundesregierung und Deutscher Bundestag befassen sich seit langem mit der
Verbesserung der Fahrgastrechte, ohne jedoch bisher Entscheidungen zu treffen.
Bereits im Mai 2003 wurde im Deutschen Bundestag eine Anhörung zu Fahr-
gastrechten im öffentlichen Personenverkehr durchgeführt. Im November 2003
hat die Bundesregierung einen Gutachtenauftrag mit dem Titel „Qualitätsoffen-
sive im öffentlichen Personenverkehr – Verbraucherschutz und Kundenrechte
stärken“ vergeben. Das Gutachten der Firma ProgTrans wurde im Juni 2006 vor-
gelegt und schlug Sonderregelungen im Allgemeinen Eisenbahngesetz vor: die
Erstattung von 30/60/90 Prozent des Fahrpreises bei 30/60/90 Minuten Verspä-
tung. Konsequenzen hat die Bundesregierung aus diesem Gutachten nicht gezo-
gen. Allerdings hat die Bundesregierung wiederholt ihre Absicht bekräftigt, die
EG-Verordnung bereits zum Januar 2009 umzusetzen. Seit über einem halben
Jahr wird ein Gesetzentwurf zu Fahrgastrechten angekündigt, aber auf Kosten
der Verbraucher durch einen Streit zwischen Justiz- und Verbraucherministe-
rium blockiert.

Verbraucherminister der Länder und des Bundes haben auf der 3. Verbraucher-
ministerkonferenz (VSMK) am 13. und 14. September 2007 in Baden-Baden
und erneut beim Treffen der Verbraucherminister am 11. Juni 2008 in Berlin ge-
fordert, die Fahrgastrechte verbraucherfreundlicher zu gestalten als es die EU-
Verordnung vorsieht.

Um wirksame Anreize für mehr Leistungsqualität in der öffentlichen Personen-
beförderung auf der Schiene zu schaffen, sollte die Entschädigungsregeln für
Verspätungen im Sinne der von der Verbraucherministerkonferenz beschlosse-
nen Regeln weiterentwickelt werden. Fahrgastrechte müssen so wirksam sein,
dass sich Pünktlichkeit für die Bahn finanziell auszahlt.

Für Beschwerdefälle, bei denen sich Bahnkunden nicht zufriedenstellend behan-
delt fühlen, sieht die EG-Verordnung vor, Beschwerdestellen bei den Eisenbahn-
aufsichtsbehörden einzurichten. Die EG-Verordnung enthält dagegen keine
Aussage zu einer neutralen Schlichterstelle. Derzeit gibt es die überregionale
Schlichtungsstelle Mobilität beim Verkehrsclub Deutschland e. V. (VCD), deren
Finanzierung seitens des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz bis 30. November 2009 gesichert ist. Die Schlichtungs-
stelle ist zuständig für Probleme im überregionalen Fernverkehr von Bus, Bahn,
Flug und Schiff. Die Schlichtungsstelle wird nach einer Erstbeschwerde beim
Unternehmen tätig und verhandelt dann kostenlos Streitfälle. Sie hat nach eige-
ner Auskunft bislang 993 Verfahren mit der Deutschen Bahn AG und anderen
Bahnunternehmen geführt, von denen 85 Prozent akzeptiert wurden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert deshalb die Bundesregierung auf:

1. Um eine unbürokratische Entschädigung der Kunden zu gewährleisten, sind
unverzüglich pauschale und einheitliche Entschädigungsregelungen sowohl
für den Fern- als auch den Nahverkehr zu treffen.

2. Bei einer Verspätung von mindestens 30 Minuten hat der Fahrgast einen Ent-
schädigungsanspruch in Höhe von 25 Prozent des Fahrpreises, sofern der

Preis für eine einzelne Fahrt mindestens 8 Euro beträgt.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9804

3. Bei einer Verspätung von mindestens 60 Minuten hat der Fahrgast einen Ent-
schädigungsnspruch in Höhe von 50 Prozent des Fahrpreises, sofern der Preis
für eine einzelne Fahrt mindestens 4 Euro beträgt.

4. Das Eisenbahnunternehmen haftet nur dann nicht, wenn die Verspätung
durch außerhalb des Eisenbahnbetriebs liegende Umstände verursacht wird
und das Eisenbahnunternehmen diese Umstände trotz der gebotenen Sorgfalt
nicht vermeiden kann.

5. Die Einrichtung einer unabhängigen Schlichtungsstelle in Streitfällen gesetz-
lich zu verankern.

Berlin, den 25. Juni 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

Begründung

Die EG-Verordnung über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahn-
verkehr vom 23. Oktober 2007 zeigt, dass es in der Europäischen Union weithin
Konsens darin besteht, die Attraktivität des Schienenpersonenverkehrs im Ver-
gleich zu anderen Verkehrsträgern durch eine Stärkung der Fahrgastrechte im
Eisenbahnverkehr zu erhöhen und damit die Qualität und Effektivität der Schie-
nenpersonenverkehrsdienste zu verbessern.

Die Entschädigungsregelungen der EG-Verordnung werden jedoch sowohl von
den Verbraucherministern von Bund und Ländern mehrheitlich für unzureichend
gehalten.

Die von der Verbraucherministerkonferenz vorgeschlagenen Regeln sind auch
für die Deutsche Bahn AG zumutbar, da nach Untersuchungen der Stiftung
Warentest vom Februar 2008 Ansprüche auf Entschädigungszahlungen bei
Regionalzügen nur in ca. 1 Prozent und bei Fernzügen bei 4 Prozent der Verspä-
tungen entstehen könnten. Im Nahverkehr in Bayern und Schleswig-Holstein
gelten schon jetzt weitergehende Entschädigungsregeln als die EU-VO.

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