BT-Drucksache 16/9677

Umsetzung der europäischen Fluggastverordnung in Deutschland

Vom 18. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9677
16. Wahlperiode 18. 06. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jan Mücke, Horst Friedrich (Bayreuth), Patrick Döring,
Joachim Günther (Plauen), Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt,
Uwe Barth, Rainer Brüderle, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Dr. Christel
Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner
Hoyer, Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Ina Lenke, Markus Löning, Horst Meierhofer,
Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr,
Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina Schuster,
Dr. Max Stadler, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia
Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle
und der Fraktion der FDP

Umsetzung der europäischen Fluggastverordnung in Deutschland

Am 17. Februar 2005 trat die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen
Parlaments und Rates in Kraft. Sie gilt für Flüge, die von einem Flughafen auf
dem Gebiet der Europäischen Union (EU) abgehen. Sie ist ferner auf Flüge aus
Drittstaaten anzuwenden, die ihr Ziel an einem Flughafen eines Mitgliedstaates
haben, sofern die ausführende Fluggesellschaft eine solche der Gemeinschaft
ist. Die Verordnung gibt Fluggästen im Falle der Nichtbeförderung, der Annul-
lierung oder bei großer Verspätung von Flügen einen Anspruch auf Ausgleichs-
und Unterstützungsleistungen gegenüber den Luftfahrtunternehmen.

So sind die Fluggesellschaften bei Verspätungen ab zwei Stunden verpflichtet,
Mahlzeiten und Erfrischungen anzubieten. Verzögert sich der Abflug des ge-
buchten Fluges auf den nächsten Tag, ist zusätzlich für eine unentgeltliche
Hotelunterbringung zu sorgen.

Bei kurzfristigen Annullierungen haben die Fluggäste Anspruch auf eine Aus-
gleichsleistung in Höhe von 250 Euro bis 600 Euro, abhängig von der Stre-
ckenlänge des ausgefallenen Fluges. Dieser Anspruch besteht nicht, wenn die
Fluggesellschaft nachweisen kann, dass der Ausfall auf außergewöhnliche Um-
stände zurückzuführen ist.

Ist ein Flug überbucht, ist das Luftfahrtunternehmen zunächst verpflichtet,
durch Anbieten einer zusätzlichen Gegenleistung Fluggäste zum freiwilligen
Verzicht auf die Beförderung mit dem betroffenen Flug zu bewegen. Wird ei-
nem Fluggast die Beförderung gegen seinen Willen verwehrt, hat er Anspruch
auf die bei einer Verspätung zu gewährenden Unterstützungsleistungen sowie
die bei einer Annullierung fälligen Ausgleichsleistungen. Unabhängig von der
Freiwilligkeit des Zurückbleibens haben die betroffenen Flugreisenden die

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Wahl, ob sie den gebuchten Flug zu einem späteren Zeitpunkt durchführen oder
sich die Flugscheinkosten vollständig erstatten lassen möchten.

Sowohl bei Verspätungen als auch bei Annullierungen und Nichtbeförderungen
sind die Fluggesellschaften verpflichtet, die Fluggäste über deren Rechte zu in-
formieren.

Am 4. April 2007 veröffentlichte die Europäische Kommission eine Mitteilung
über die Anwendung und Ergebnisse der Verordnung (EG) Nr. 261/2004
[KOM(2007) 168endg.]. Darin wird darauf hingewiesen, dass bei der Ausle-
gung mehrerer Normenbegriffe noch Unklarheiten bestehen. So führt die Kom-
mission aus, dass 70 Prozent der Ressourcen der nationalen Beschwerdestellen
dafür verwendet werden, zu klären, ob Annullierungen tatsächlich auf „außer-
gewöhnliche Umstände“ im Sinne der Verordnung – wie von den Fluggesell-
schaften angegeben – zurückzuführen sind. Anlass für Streitigkeiten ist zudem
häufig die Frage, ob ein Flug, der viele Stunden nach der planmäßigen Abflug-
zeit – meist mit einer Ersatzmaschine – durchgeführt wurde, noch als stark ver-
spätet gilt oder ob bereits eine Annullierung des gebuchten Fluges vorliegt. Die
Kommission moniert darüber hinaus die teilweise mangelhafte Beachtung der
Informationspflichten der Fluggesellschaften. Fluggäste würden über ihre
Rechte oftmals fehlerhaft oder gar nicht belehrt werden.

Die Mitteilung der Kommission ist sehr abstrakt gehalten und lässt nicht erken-
nen, ob die von ihr beschriebenen Erkenntnisse speziell auch für Deutschland
gelten.

Mit Beschluss vom 17. Juli 2007 legte der Bundesgerichtshof dem Europäi-
schen Gerichtshof die Frage zur Vorabentscheidung vor, nach welchen Krite-
rien eine große Verspätung von einer Annullierung abzugrenzen sei. Ein Urteil
des Europäischen Gerichtshofes steht hierzu noch aus.

Mit Schriftlicher Frage vom 3. Juni 2008 (Frage 73 auf Bundestagsdrucksache
16/9554) erkundigte sich der Abgeordnete Jan Mücke über die Zahl der beim
Luftfahrt-Bundesamt (LBA) eingegangenen Beschwerden wegen annullierter
Flüge und deren Behandlung durch die Fluggesellschaften. Zur Antwort der
Bundesregierung besteht Nachfragebedarf. Darüber hinaus sind eventuell ein-
getretene Veränderungen gegenüber den Antworten der Bundesregierung auf
die Kleine Anfrage der Fraktion der FDP (Bundestagsdrucksachen 16/6088 und
16/6186) von Interesse.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Planstellen wurden seit Zuweisung der Aufgaben als Beschwerde-
stelle im Sinne des Artikels 16 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 an
das LBA zur Erfüllung dieser Aufgaben beim LBA neu geschaffen?

2. Wie viele Planstellen stehen beim LBA derzeit zur Bearbeitung von
Beschwerden nach Artikel 16 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 zur
Verfügung?

3. Erachtet die Bundesregierung die für die Bearbeitung von Beschwerden im
Sinne des Artikels 16 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 zur Verfü-
gung stehenden Planstellen als ausreichend?

4. Falls nein, was beabsichtigt die Bundesregierung, um diesen Zustand abzu-
stellen?

Inwieweit sehen die Pläne der Bundesregierung zum Bundeshaushalt 2009
nach den Ressortabstimmungen die Schaffung neuer Planstellen beim LBA
vor?

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5. Wie viele Beschwerden nach Artikel 16 der Verordnung (EG) Nr. 261/
2004 gingen in den Jahren 2005 bis 2008 jeweils ein?

6. In wie viel Prozent der in den Jahren 2005 bis 2008 eingereichten Be-
schwerden im Sinne des Artikels 16 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 261/
2004 erachtete das LBA nach eigener Prüfung diese als begründet?

7. Welchen Zeitraum nimmt die Bearbeitung einer Beschwerde im Sinne des
Artikels 16 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 durchschnittlich in
Anspruch?

8. Welche Verstöße gegen Pflichten aus der Verordnung (EG) Nr. 261/2004
werden den Fluggesellschaften von den Beschwerdeführern am häufigsten
vorgeworfen?

9. Inwieweit hält die Bundesregierung die jetzige Rechtslage, nach der das
LBA bei festgestellten Verstößen gegen die Pflichten aus der Verordnung
(EG) Nr. 261/2004 nur Bußgelder verhängen kann, für geeignet, die den
Fluggästen zustehenden Ausgleichsansprüche zur Durchsetzung zu verhel-
fen?

10. Welchen Standpunkt vertritt die Bundesregierung in Bezug auf die Frage,
ob das LBA auch selbst und direkt die Zahlung von Ausgleichsleistungen
an Flugreisende anordnen können sollte (vgl. oben genannte Mitteilung der
Europäischen Kommission vom 4. April 2007; Nummer 6.2)?

11. Welche für Deutschland relevanten Ergebnisse hatten die in der oben ge-
nannten Mitteilung der Europäischen Kommission vom 4. April 2007
(Nummer 8) angekündigten Gespräche mit den einzelstaatlichen Durchset-
zungsstellen – somit auch mit dem LBA – in Hinblick auf die Straffung
und Stärkung der Durchsetzungsverfahren?

12. Wie viele Bußgeldbescheide erließ das LBA in den Jahren 2005 bis 2008
gegen Luftfahrtunternehmen, weil diese ihren Verpflichtungen aus der Ver-
ordnung (EG) Nr. 261/2004 schuldhaft nicht nachkamen?

13. Auf welchen Betrag beliefen sich die vom LBA gegen Luftfahrtunterneh-
men festgesetzten Bußgelder im Durchschnitt, soweit sie ihre Ursache in
einer Nichtbeachtung der Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 261/2004
hatten?

14. Hat das LBA festgestellt, dass sich einzelne Fluggesellschaften durch die
Verhängung eines Bußgeldes nicht veranlasst sahen, ihr in Bezug auf die
Verordnung (EG) Nr. 261/2004 pflichtwidriges Verhalten zu ändern?

Falls ja, in welchem Maße hat dies Niederschlag in der Höhe der verhäng-
ten Bußgelder gefunden?

15. Welche konkreten Verpflichtungen aus der Verordnung (EG) Nr. 261/2004
haben die Luftfahrtunternehmen am häufigsten missachtet?

16. Führt jede begründete Beschwerde wegen Nichtbeachtung der Vorschriften
der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 zu einer Verhängung eines Bußgeldes?

Falls nicht, welche Kriterien sind für das LBA bei seiner Entscheidung
maßgeblich und gibt es andere Maßnahmen, die das LBA bei einem festge-
stellten Pflichtverstoß alternativ ergreift?

17. Welche Informationen liegen der Bundesregierung zur Größenordnung
nicht beförderter Fluggäste aufgrund überbuchter Flüge bei europäischen
Fluggesellschaften vor?

18. Wie viele Beschwerden gingen in den Jahren 2005 bis 2008 jeweils beim
LBA ein, die zum Inhalt hatten, wegen Überbuchung nicht mit dem ge-
buchten Flug befördert worden zu sein?

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19. Wann liegt nach Ansicht der Bundesregierung ein „außergewöhnlicher
Umstand“ im Sinne des Artikels 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/
2004 als Ursache für eine Flugannullierung vor?

Nach welchen Kriterien bemisst sich dessen Vorliegen?

20. Inwieweit kann nach Ansicht der Bundesregierung ein technischer Defekt
am Fluggerät einen „außergewöhnlichen Umstand“ darstellen?

21. Wurde die als Antwort auf die Fragen 19 und 20 dargestellte Auffassung
der Bundesregierung bereits durch gerichtliche Entscheidungen, z. B. im
Rahmen von Einspruchsverfahren nach Verhängung eines Bußgeldes be-
stätigt?

22. Treffen die Aussagen der Europäischen Kommission in ihrer oben genann-
ten Mitteilung vom 4. April 2007, dass 30 Prozent aller Beschwerden zum
Inhalt hätten, dass Fluggesellschaften Annullierungen fehlerhaft auf außer-
gewöhnliche Umstände zurückführen würden, und dass die behördliche
Prüfung dieser Bewertung 70 Prozent der Ressourcen der Beschwerde-
stelle beanspruchen würde, auch für Deutschland zu?

Falls nein, welchen Anteil machen die darauf gerichteten Beschwerden
und der dadurch verursachte Bearbeitungsaufwand in Deutschland aus?

23. In welcher Weise erfolgt nach Ansicht der Bundesregierung eine Abgren-
zung des Begriffs der Annullierung von dem der Verspätung?

24. Ist der Bundesregierung bekannt, wann mit einem Urteil des Europäischen
Gerichtshofes zur Klärung des in Frage 23 aufgeworfenen Abgrenzungs-
problems zu rechnen ist?

25. Ist der Bundesregierung bekannt, wann die von der Europäischen Kom-
mission in ihrer oben genannten Mitteilung vom 4. April 2007 in Aussicht
gestellte Mitteilung zur Präzisierung der unklaren Aspekte der Verordnung
(EG) Nr. 261/2004 veröffentlicht wird, und welche einzelnen unklaren
Aspekte darin präzisiert werden?

26. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung hinsichtlich der Erfüllung
der Informationspflichten gemäß Artikel 14 der Verordnung (EG) Nr. 261/
2004 an deutschen Flughäfen?

Sieht die Bundesregierung diesbezüglich Verbesserungsbedarf?

27. Wann erwartet die Bundesregierung den nächsten Bericht der Europäi-
schen Kommission zu den Erfahrungen mit der Anwendung der Verord-
nung (EG) Nr. 261/2004?

28. Ist nach den Erkenntnissen der Bundesregierung auf europäischer Ebene
geplant, die Verordnung (EG) Nr. 261/2004 zu novellieren?

29. Welchen Standpunkt vertritt die Bundesregierung zu einer Ausweitung des
Anwendungsbereichs der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 auf Fluggäste,
die von einem Flughafen in einem Drittland einen Flug zu einem Flug-
hafen in der Gemeinschaft antreten, der nicht von einem Luftfahrtunter-
nehmen der Gemeinschaft durchgeführt wird (vgl. Artikel 17 Satz 1 zwei-
ter Anstrich der Verordnung (EG) Nr. 261/2004)?

30. Stehen nach Ansicht der Bundesregierung einer dahingehenden Änderung
der Verordnung (Frage 29) übergeordnete Rechtsvorschriften entgegen?

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31. Welche Fluggesellschaft gilt nach Ansicht der Bundesregierung bei einem
mit einer Flugnummer eines Luftfahrtunternehmens der Gemeinschaft ver-
sehenen Code-Share-Flug, der von einer Fluggesellschaft eines Drittstaates
operiert wird, als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ im Sinne des Arti-
kels 3 Abs. 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 261/2004?

Sollte dies nach Ansicht der Bundesregierung die Fluggesellschaft des
Drittstaates sein: Ist die Fluggesellschaft der Gemeinschaft nach Ansicht
der Bundesregierung in diesem Rahmen aus vertraglicher Nebenpflicht ge-
halten, den Fluggast im Vorfeld einer von ihm bei dieser Fluggesellschaft
beabsichtigten Buchung explizit darauf hinzuweisen, dass der von ihr an-
gebotene Flug von einem Luftfahrtunternehmen eines Drittstaates ausge-
führt wird und für diesen die Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 261/
2004 nicht gelten?

32. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die in Artikel 7 Abs. 1 der
Verordnung (EG) Nr. 261/2004 festgesetzten Ausgleichsbeträge ange-
messen sind (vgl. Artikel 17 Satz 1 dritter Anstrich der Verordnung (EG)
Nr. 261/2004)?

Falls nein, inwieweit sieht die Bundesregierung entsprechenden Ände-
rungsbedarf?

Berlin, den 17. Juni 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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