BT-Drucksache 16/9628

Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Verfahrens zur Wahl der Bundesverfassungsrichterinnen und Bundesverfassungsrichter

Vom 18. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9628
16. Wahlperiode 18. 06. 2008

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Jerzy Montag, Irmingard Schewe-Gerigk, Hans-Christian
Ströbele, Wolfgang Wieland, Josef Philip Winkler und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Verfahrens zur Wahl
der Bundesverfassungsrichterinnen und Bundesverfassungsrichter

A. Problem

Das Verfahren zur Wahl der Bundesverfassungsrichter ist intransparent. Dies
haben gerade Vorgänge in jüngster Zeit gezeigt. Es besteht kein Verfahren, das
der Öffentlichkeit die Möglichkeit eröffnet, sich auf Grund eigener Anschau-
ung eine fundierte Auffassung zu den Kandidaten zu bilden. Zugleich steht
auch den Kandidaten kein Verfahren zur Verfügung, in dem sie etwaige Beden-
ken gegen ihre Kandidatur in einer sachorientierten Befragung ausräumen kön-
nen.

Zu der Intransparenz trägt dabei auch bei, dass die beiden großen politischen
Lager (CDU/CSU und SPD) die Benennung der Richter vielfach als ihre ge-
meinsame (alleinige) Domäne betrachten und sie sich nicht regelmäßig ge-
halten sehen, auch mit den kleineren Parteien einen Konsens über die beste
Besetzung des Gerichts zu erzielen.

Weiterhin ist nur schwer erträglich, dass das Verfassungsgericht immer noch
weit von einer geschlechtergerechten Besetzung entfernt ist. Unter den acht
Richtern des ersten Senates ist nur eine Frau; auch im zweiten Senat sind nur
zwei Frauen vertreten.

Schließlich ist es – jenseits der Frage, ob dies verfassungsgemäß ist – nicht
mehr hinnehmbar, dass der Bundestag nicht, wie im Wortlaut des Grundgeset-
zes vorgesehen, die Wahl der von ihm zu bestimmenden Verfassungsrichter
selbst vornimmt, sondern diese ihm zugewiesene Funktion an ein Gremium
delegiert hat.

B. Lösung

Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz wird so geändert, dass künftig eine ge-
schlechtergerechte Besetzung gewährleistet ist und der Bundestag selbst die

Wahl der von ihm zu bestimmenden Richter vornimmt. Dabei wird ein transpa-
rentes Verfahren vorgeschlagen, das insbesondere auch eine Anhörung der
Kandidaten vorsieht. Die Einzelheiten dieses Verfahrens – einschließlich der
nunmehr erforderlichen Dreiviertelmehrheit – werden in der Geschäftsordnung
des Deutschen Bundestages geregelt. Die entsprechenden Vorschläge zum Ver-
fahren sind Gegenstand eines Antrages zur Änderung der Geschäftsordnung
des Deutschen Bundestages, der parallel eingebracht wird.

Drucksache 16/9628 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

C. Alternativen

Keine

D. Kosten

Keine

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9628

Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des Verfahrens zur Wahl
der Bundesverfassungsrichterinnen und Bundesverfassungsrichter

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl. I S. 1473),
zuletzt geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 23. No-
vember 2007 (BGBl. I S. 2614) wird wie folgt geändert:

1. In § 2 wird folgender Absatz angefügt:

„(4) In jeden Senat müssen mindestens je drei Männer
und je drei Frauen gewählt werden.“

2. § 6 wird wie folgt gefasst:

㤠6

Die vom Bundestag zu wählenden Richter des Bun-
desverfassungsgerichts werden auf Vorschlag eines Aus-
schusses vom Bundestag gewählt. Das Verfahren und die
für die Wahl erforderliche Mehrheit regelt die Geschäfts-
ordnung des Bundestages.“

3. § 7 wird wie folgt gefasst:

㤠7

Dabei sind auch Regelungen über die für die Wahl erfor-
derliche Mehrheit und die Anhörung der Kandidaten zu
treffen.“

4. § 7a wird wie folgt geändert:

a) In Absatz 1 werden die Wörter „das älteste Mitglied
des Wahlausschusses“ durch die Wörter „der Präsi-
dent des Bundestages“ ersetzt.

b) In Absatz 3 werden die Wörter „des ältesten Mit-
glieds des Wahlausschusses“ durch die Wörter „des
Präsidenten des Bundestages“ ersetzt.

5. Nach § 105 wird folgender § 105a eingefügt:

㤠105a

Die Vorgabe des § 2 Abs. 4 ist für den Ersten Senat bis
zum 1. März 2017 und für den Zweiten Senat bis zum
31. März 2011 zu erreichen. Für den Ersten Senat ist fer-
ner bis zum 30. April 2011 eine Besetzung mit mindes-
tens zwei Frauen zu erreichen.“

Artikel 2
Das Verfahren für die Wahl der Richter durch den
Bundesrat regelt die Geschäftsordnung des Bundesrates.

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in
Kraft.

Berlin, den 18. Juni 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

(vgl. § 6 Abs. 4 BVerfGG vom 12. März 1951; BGBl. I Grundgesetz eine Wahl der von ihm zu bestimmenden Rich-

S. 243). Inhaltlich ist diese Regelung sinnvoll, damit die
beiden großen Parteien gehalten sind, einen breiten Kon-
sens über die Besetzung des Gerichts zu bilden und dieses

ter durch den Bundestag selbst vor. Einzelheiten hinsicht-
lich der Mehrheit und des transparenten Verfahrens (siehe
auch Abschnitt A) werden dabei in einer Regelung in der
Drucksache 16/9628 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Begründung

A. Allgemeines

Das Verfahren zur Wahl der Bundesverfassungsrichter ist
intransparent. Dies haben gerade Vorgänge in jüngster Zeit
gezeigt. Es besteht kein Verfahren, das der Öffentlichkeit
die Möglichkeit eröffnet, sich auf Grund eigener Anschau-
ung eine fundierte Auffassung zu den Kandidaten zu bilden.
Zugleich steht auch den Kandidaten kein Verfahren zur Ver-
fügung, in dem sie etwaige Bedenken gegen ihre Kandida-
tur in einer sachorientierten Befragung ausräumen können.

Zu der Intransparenz trägt dabei auch bei, dass die beiden
großen politischen Lager (CDU/CSU und SPD) die Benen-
nung der Richter vielfach als ihre gemeinsame (alleinige)
Domäne betrachten und sie sich nicht regelmäßig gehalten
sehen, auch mit den kleineren Parteien einen Konsens über
die beste Besetzung des Gerichts zu erzielen.

Weiterhin ist es – jenseits der Frage, ob dies verfassungsge-
mäß ist – nicht mehr hinnehmbar, dass der Bundestag nicht,
wie im Wortlaut des Grundgesetzes (GG) vorgesehen (Ar-
tikel 94 Abs. 1 BVerfGG – Bundesverfassungsgerichtsge-
setz), die Wahl der von ihm zu bestimmenden Verfassungs-
richter selbst vornimmt, sondern diese ihm zugewiesene
Funktion an ein Gremium delegiert hat.

Deshalb sieht der Entwurf vor (§ 6 BVerfGG), dass der
Bundestag nunmehr wie im Grundgesetz vorgesehen die
Wahl der Verfassungsrichter selbst vornimmt. Dieser Wahl
vorgeschaltet werden soll dabei ein transparentes Verfahren,
das – ebenso wie die für die Wahl erforderliche Mehrheit –
in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ge-
regelt werden soll. Dieser Regelungsstandort wurde zum
einen gewählt, weil das Verfahren im Deutschen Bundestag
üblicherweise in der Geschäftsordnung geregelt ist. Zum
anderen sieht Artikel 42 Abs. 2 Satz 2 GG vor, dass Rege-
lungen über die qualifizierte Mehrheit bei Wahlen gerade in
der Geschäftsordnung zu treffen sind. Aus diesen Gründen
lag es nahe in der gesetzlichen Regelung nach Artikel 94
Abs. 2 Satz 1 GG nur die Grundlagen für eine Einzelre-
gelung in der Geschäftsordnung des Bundestages (und ent-
sprechend für die Geschäftsordnung des Bundesrates für die
von ihm zu wählenden Richter) zu legen.

Die nähere Ausgestaltung des Verfahrens ist deshalb Gegen-
stand eines Antrages zur Änderung der Geschäftsordnung,
der gleichzeitig mit dem vorliegenden Entwurf eingebracht
wird. Dieser Antrag hat folgenden wesentlichen Inhalt:

● Die für die Wahl erforderliche Mehrheit wird auf drei
Viertel der abgegebenen Stimmen der Mitglieder des
Bundestages festgelegt (bisher Zweidrittelmehrheit). Da-
mit wird der Zustand wieder hergestellt, der ursprünglich
im Bundesverfassungsgerichtsgesetz vorgesehen war.
Denn nach der ursprünglichen Regelung war im entspre-
chenden Gremium eine Dreiviertelmehrheit erforderlich

pondiert dabei mit Regelungen im Grundgesetz, die
gleichfalls einer Minderheit von 25 Prozent Einfluss-
möglichkeiten eröffnen (vgl. Artikel 44 Abs. 1 GG und
Artikel 23 Abs. 1a sowie Artikel 93 Abs. 1 Nr. 2 in der
Fassung der jüngst verabschiedeten Änderung des Grund-
gesetzes; siehe dazu: Bundestagsdrucksache 16/8488).

● Der Rechtsausschuss, dem die Aufgabe zukommt, sich
Verfassungsfragen in besonderer Weise anzunehmen,
wird mit der Vorbereitung der Wahl beauftragt. Regel-
mäßig soll er dabei eine (sich zentral auf Verfassungs-
fragen konzentrierende) Anhörung der Kandidaten
durchführen, die er – ggf. auch auf Grund eines Minder-
heitsvotums einer Fraktion – dem Deutschen Bundestag
zur Wahl vorschlägt. Auf Antrag einer Fraktion ist der
Ausschuss verpflichtet, eine Anhörung der vorgeschla-
genen Kandidaten durchzuführen.

Schließlich wird durch das vorliegende Gesetz auch eine
Vorgabe gemacht (§ 2 BVerfGG), die eine geschlechterge-
rechte Besetzung des Gerichts vorgibt. Im Hinblick auf das
Gleichstellungsgebot des Artikels 3 Abs. 2 GG ist es nicht
länger tolerabel, dass im Ersten Senat nur eine Frau und im
Zweiten Senat nur zwei Frauen vertreten sind.

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1

Zu Nummer 1 (§ 2 Abs. 4 BVerfGG)

Die Bestimmung gibt vor, dass in jedem Senat mindestens
drei Frauen und drei Männer vertreten sein müssen. Damit
wird eine Mindestrepräsentanz der Geschlechter von unge-
fähr 40 Prozent vorgesehen, wie dies auch einer interna-
tionalen Tendenz entspricht (vgl. z. B. Plan of action der
Inter-Parliamentary Union, www.ipu.org). Diese Vorgabe
kann schon wegen Artikel 3 Abs. 2 GG nicht als unzulässige
Einschränkung der Wahlorgane (Bundestag und Bundesrat)
gesehen werden. Vielmehr ist darauf hinzuweisen, dass die
bei bestimmten Richterstellen bestehende Beschränkung der
Auswahlmöglichkeit auf den Personenkreis der Bundesrich-
ter (vgl. § 4 BVerfGG und Artikel 94 Abs. 1 GG) die Wahl-
möglichkeiten auf einen wesentlich kleineren Personenkreis
reduziert.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Entwurf in
§ 105a (Nummer 5) auch eine handhabbare und angemes-
sene Übergangsfrist vorsieht, um – im Hinblick auf die jetzt
bestehenden Amtsperioden – zu einer geschlechtergerech-
ten Besetzung zu kommen.

Zu Nummer 2 (§ 6 BVerfGG)

Die Vorschrift sieht nunmehr entsprechend der Regelung im
Thema nicht weiterhin zum Gegenstand intransparenter
Absprachen zu machen. Die gewählte Mehrheit korres-

Geschäftsordnung getroffen, die zugleich mit dem vorlie-
genden Gesetzentwurf eingebracht wird.

Deutscher Bundestag – 16 rucksache 16/9628
. Wahlperiode – 5 – D

Zu Nummer 3 (§ 7 BVerfGG)

Die Vorschrift sieht vor, dass der Bundesrat in seiner Ge-
schäftsordnung für die Wahl der von ihm zu bestimmenden
Richter eine der für den Bundestag vorgesehenen Regelung
entsprechende Ausgestaltung vornehmen kann.

Zu Nummer 4 (§ 7a BVerfGG)

Folgeänderungen

Zu Nummer 5 (§ 105a BVerfGG)

Die Vorschrift stellt sicher, dass ein – in Hinblick auf die
jetzt bestehenden Amtsperioden – angemessener Zeitraum
zur Verfügung steht, um zu einer geschlechtergerechten
Besetzung des Gerichts zu kommen. Satz 2 sieht dabei für
den Ersten Senat, in dem gegenwärtig nur eine Frau Rich-
terin ist, gesondert vor, dass dort bis zum 30. April 2011 zu-
mindest eine weitere Frau Richterin werden soll.

Zu Artikel 2

Inkrafttreten

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