BT-Drucksache 16/9608

Möglichkeiten missbräuchlicher Ortung von Mobiltelefonen mittels privater Anbieter begegnen

Vom 18. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9608
16. Wahlperiode 18. 06. 2008

Antrag
der Abgeordneten Gisela Piltz, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Dr. Max Stadler, Christian Ahrendt, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks,
Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle, Mechthild Dyckmans, Jörg
van Essen, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael
Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan,
Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Hellmut
Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz
Lanfermann, Ina Lenke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Markus Löning,
Horst Meierhofer, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Detlef Parr,
Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina Schuster, Carl-Ludwig Thiele,
Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing,
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Möglichkeiten missbräuchlicher Ortung von Mobiltelefonen mittels privater
Anbieter begegnen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Im Internet und auf verschiedenen Fernsehsendern werden derzeit zahlreiche
Angebote zur so genannten Handyortung aktiv beworben. Damit wird der
Eindruck erweckt, dass die Angabe einer Mobilfunknummer ausreicht, um
das hierüber genutzte Mobiltelefon jederzeit und von jedermann orten zu
können.

2. Nahezu jede Person in Deutschland verfügt mittlerweile über ein oder meh-
rere Mobilfunktelefone. Durch eine Ortung können somit Aufenthaltsort und
Bewegungsmuster von nahezu Jedermann ermittelt werden, was einen weiten
und tiefen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen darstellt. Den
bislang bestehenden Möglichkeiten missbräuchlicher Ortung von Mobiltele-
fonen mittels privater Anbieter muss wirksam begegnet werden. Um die
Grundrechte von Betroffenen besser zu schützen, müssen die Voraussetzun-
gen, die für die Nutzung eines Ortungsservice von Mobiltelefonen zu erfüllen
sind, heraufgesetzt werden.
3. Grundsätzlich ist die Ortung einer Mobilfunknummer durch Privatpersonen
aufgrund des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und aufgrund
datenschutzrechtlicher Bestimmungen nur mit Einwilligung des Inhabers der
zu ortenden Mobilfunknummer erlaubt.

4. Auch ist zu beachten, dass die Ortung eines Teilnehmers über den Standort
seines Mobiltelefons in Notfällen eine große Hilfe sein kann. So besteht die

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Möglichkeit, sich bei der gemeinnützigen Björn-Steiger-Stiftung mit seiner
Mobilfunkkennung registrieren zu lassen, um damit die Möglichkeit für die
Rettungsdienste, die sich dieses Dienstes bedienen, zu eröffnen, im Notfall
geortet zu werden. Dies ist angesichts dessen, dass Notrufsäulen nicht immer
verfügbar sind und gerade in kritischen Situationen das Mobiltelefon eine
praktische Möglichkeit bietet, schnell Hilfe zu rufen, sinnvoll. Aus Gründen
des Datenschutzes wird jedoch die Ortung nur nach vorheriger Ankündigung
und jeweils fallbezogenem Einverständnis durchgeführt. Der Deutsche Bun-
destag begrüßt ausdrücklich den Ausbau dieser Möglichkeiten zur Verbesse-
rung der Notfallrettung.

5. Als Grundlage für die Ortung von Mobiltelefonen dienen Mobilfunkzellen.
Über Mobilfunkzellen setzt sich das jeweilige Mobilfunknetz zusammen. Es
sind bestimmte Positionsmarker. Über den genauen Standort informiert die
so genannte „Cell-ID“. Anhand dieser ermittelt der Netzbetreiber, welche
Mobiltelefone sich momentan in der jeweiligen Mobilfunkzelle befinden.
Mobiltelefone, die in empfangsbereitem Zustand mitgeführt werden, melden
sich in kurzen Abständen bei der für sie gerade „zuständigen“ Basisstation
des Mobilfunknetzes an. Das gesamte Mobilfunknetz ist entsprechend einem
Raster in einzelne Zellen aufgeteilt. Zum Empfang eingehender Anrufe oder
Kurzmitteilungen ist die genaue Lokalisierung des Standortes des Mobiltele-
fons durch den Mobilfunknetzbetreiber notwendig. Im Rahmen dieser stän-
digen Positionsangabe werden unter anderem die Kartennummer (IMSI) und
die Gerätenummer (IMEI) des Mobiltelefons an die Basisstation gesendet.
Die Genauigkeit der Ortung hängt von der Dimension der einzelnen Zelle ab.
Je nach Standort deckt sie einen mehr oder weniger großen Umkreis – abhän-
gig vom voraussichtlichen Nutzeraufkommen – ab. So verfügen Städte über
ein feinmaschigeres Netz von Mobilfunkzellen, die jeweils einen Radius von
ungefähr 300 Metern abdecken. Im ländlichen Raum können diese Bereiche
häufig mehrere Kilometer umfassen.

Über die Mobilfunkortungen werden die Zentren der Mobilfunkzelle, in der
sich das Gerät befindet, angezeigt. Diese Art der Identifizierung ist unabhän-
gig von einem Satelliten, der seine Daten nur bei direktem Sichtkontakt lie-
fert. So wird beispielsweise die Suche nach dem Mobiltelefon nicht von Tun-
neldurchfahrten behindert. Dadurch lassen sich die Anwesenheit einer Person
an einem Ort sowie Bewegungsprofile erstellen.

6. Die Ortung von Mobiltelefonen wird als Dienstleistung von zahlreichen Un-
ternehmen angeboten. Dabei sind die Voraussetzungen, nach denen der Auf-
trag für eine Ortung des Mobiltelefons zu erteilen ist, unterschiedlich: Einige
Anbieter führen eine Ortung erst dann durch, wenn der Auftrag über die zu
ortende Nummer durch persönliche Unterschrift des betroffenen Mobilfunk-
kunden oder eine vergleichbar nachweisbare und transparente, dokumen-
tierte Willenserklärung bestätigt wird. Bei anderen ist eine persönliche,
schriftliche oder der Schriftform vergleichbare Anmeldung nicht erforder-
lich. Für die Freischaltung des Ortungsservice reicht es häufig aus, dass über
die zu ortende Mobilfunknummer nur einmal per SMS (short message ser-
vice) die Zustimmung zur Ortung an den Anbieter gesandt wird. Mittlerweile
werden bereits „Jahresflatrates“ zur Ortung von Mobiltelefonen zum Preis
von 39 Euro angeboten. Der betroffene Mobilfunknutzer erfährt in der Regel
nicht, dass sein Mobiltelefon dauerhaft überwacht wird. Auch bei Dienst-
handys kann dieser besondere „Service“ vor einer Übergabe an den Mitarbei-
ter vom Arbeitgeber in Anspruch genommen werden.

7. Lässt der Anbieter eine einmalige SMS als Auftragserteilung ausreichen,
kann eine missbräuchliche Anmeldung nicht mehr ausgeschlossen werden:

Derjenige, der eine Mobilfunknummer überwachen möchte, muss nur kurz-

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zeitig in den Besitz des betroffenen Mobiltelefons beziehungsweise der ent-
sprechenden SIM-Karte gelangen, um die erforderliche Kurznachricht ab-
zusenden. Sofern der Auftraggeber mit dem Inhaber der betroffenen
Mobilfunknummer in häuslicher Gemeinschaft lebt oder als Arbeitgeber
das Mobiltelefon zur Verfügung stellt, ist ein solcher Zugriff jederzeit mög-
lich. Derzeit bestehen keine ausreichenden Schutzvorkehrungen und Sank-
tionsmöglichkeiten, um den berechtigten Inhaber vor einer solchen wider-
rechtlichen Überwachung zu schützen: Strafrechtlich ist der Tatbestand der
missbräuchlichen Ortung von Mobilfunknummern nicht normiert. Sofern
die Anmeldung nur über eine missbräuchlich versandte SMS und nicht
schriftlich erfolgt, besteht insoweit nach der derzeitigen Rechtslage keine
Sanktionsmöglichkeit.

8. Einen Schutz vor einer missbräuchlichen Überwachung des Mobilfunkver-
kehrs kann eine schriftliche Fixierung der Auftragserteilung für eine Mobil-
funkortung gewährleisten. Bei einigen Diensten verpflichtet sich der Be-
rechtigte bereits jetzt zusätzlich mit seiner persönlichen Signatur, andere
Nutzer des Mobiltelefons über die mögliche Lokalisierung des Geräts in
Kenntnis zu setzen. Sofern der Auftragnehmer der Mobilfunkortung wider-
rechtlich eine schriftliche Auftragserteilung für ein fremdes Mobiltelefon
erteilt, ist der Straftatbestand der Urkundsdelikte gemäß § 267 StGB (Straf-
gesetzbuch) betroffen. Im Gegensatz zur bloßen Auftragserteilung durch
eine SMS ist der Betroffene insofern besser vor unerlaubten Überwachun-
gen geschützt.

9. Die weit verbreitete SMS-Bestätigungsmethode ist bislang nicht hin-
reichend gegen Missbrauch abgesichert. Sofern eine Unterschrift für den
Abschluss eines wirksamen Mobilfunkortungsvertrages verlangt wird, be-
steht ein strafrechtlicher Missbrauchsschutz über die Vorschriften über die
Urkundsdelikte. Voraussetzung für die Verfolgung ist jedoch, dass dem Be-
troffenen die Überwachung seines Mobiltelefons auch bekannt gemacht
wird.

10. Die Informationspflichten gegenüber dem betroffenen Mobilfunkbenutzer
sollten ebenfalls verbessert werden. Insofern sollten die Anbieter der Or-
tungsdienste zu einem Mindestkanon an Missbrauchssicherung gesetzlich
verpflichtet werden:

a) Zum Abschluss eines Ortungsvertrages sollte immer die persönliche Un-
terschrift des Eigentümers zur Freigabe oder eine der Schriftform ver-
gleichbare, transparente und dokumentierbare Willenserklärung verlangt
werden (Bestätigungs-SMS allein reicht nicht aus) und

b) nach jeder Ortung hat eine SMS an das geortete Mobilfunkgerät zu erfol-
gen mit dem Hinweis, dass der Besitzer gerade geortet wurde und von
welcher Mobilfunknummer aus der Auftrag ausging, da etwa Eigentü-
mer und dauerhafter Nutzer auseinanderfallen können.

II. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die rechtlichen, technischen und tatsächlichen Gegebenheiten zu prüfen und
Vorschläge zu erarbeiten, wie einem Missbrauch von Möglichkeiten zur Or-
tung von Mobiltelefonen mittels privater Anbieter effektiv entgegengewirkt
werden kann,

2. Maßnahmen zu prüfen, wie eine missbräuchliche Ortung von Mobiltelefonen
dem Betroffenen offenbart und so effektiver aufgeklärt werden kann,

3. die Bevölkerung darüber aufzuklären, dass die Ortung mittels Mobiltele-

fonen in Notfällen möglich und hilfreich sein kann, und alle notwendigen
Voraussetzungen in technischer wie rechtlicher Hinsicht für die Umsetzung

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der e-Call-Richtlinie zu schaffen, um der Notfallrettung erforderlichenfalls
Zugriff auf die Mobilfunkstandorte der vom Notfall betroffenen Personen zu
ermöglichen,

4. hierzu eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, die mindestens vorsieht, dass

a) zum Abschluss eines Ortungsvertrages immer die persönliche Unterschrift
des Eigentümers zur Freigabe oder eine der Schriftform vergleichbare,
transparente und dokumentierbare Willenserklärung verlangt wird und
eine Bestätigungs-SMS allein nicht ausreicht sowie

b) nach jeder Ortung eine SMS an das geortete Mobilfunkgerät geschickt
wird mit dem Hinweis, dass der Besitzer gerade geortet wurde und von
welcher Mobilfunknummer der Auftrag ausging oder auf andere Weise die
Ortung für den Besitzer des Mobilfunkgeräts offenkundig gemacht wird.

Berlin, den 17. Juni 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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