BT-Drucksache 16/9482

Für ein einheitliches Rentenrecht in Ost und West

Vom 4. Juni 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9482
16. Wahlperiode 04. 06. 2008

Antrag
der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann, Christian Ahrendt,
Uwe Barth, Joachim Günther (Plauen), Heinz-Peter Haustein, Hellmut Königshaus,
Heinz Lanfermann, Markus Löning, Jan Mücke, Cornelia Pieper, Christoph Waitz,
Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring,
Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich
(Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner
Hoyer, Michael Kauch, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk,
Harald Leibrecht, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Michael Link (Heilbronn),
Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Burkhardt Müller-Sönksen, Hans-Joachim
Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler,
Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr),
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Für ein einheitliches Rentenrecht in Ost und West

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Fast zwei Jahrzehnte nach der Deutschen Einheit ist die Zeit gekommen, die
Rentenberechnung in Deutschland einheitlich und nicht mehr getrennt nach Ost
und West unterschiedlich durchzuführen. Das zum Zeitpunkt der Wiederverei-
nigung angestrebte Ziel, nach einer Übergangsphase relativ rasch in ein einheit-
liches Rentensystem überzugehen, ist aus dem Blick geraten. Der Aufholprozess
der Lohnstrukturen in den neuen Ländern und damit die Angleichung der Rech-
nungswerte in der Rentenversicherung werden im gegenwärtigen System noch
unabsehbare Zeit andauern.

Die unterschiedliche Rentenberechnung führt bei Versicherten in Ost und West zu
Unzufriedenheit. Die Rentner in den neuen Bundesländern verstehen nicht, wa-
rum der Rentenwert Ost, der wesentlich die Höhe der Renten bestimmt, 18 Jahre
nach der Einheit um 12,1 Prozent unter dem Rentenwert West liegt – und auch auf
weitere lange Zeit deutlich darunter liegen wird. Den Versicherten in den alten
Ländern kann nicht erklärt werden, warum jeder in den neuen Ländern in die
Rentenversicherung eingezahlte Euro aufgrund der Lohnhochwertung bei der

Rentenberechnung auch in Zukunft zu einem höheren Rentenanspruch führen
soll als in den alten Ländern. Denn auch in den alten Bundesländern gibt es
Hoch- und Niedriglohngebiete. Die Überführung des Rentenrechtes in ein ein-
heitliches System muss jetzt erfolgen.

Drucksache 16/9482 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die folgenden Regelungen beinhaltet:

1. Die Rechengrößen für die Rentenversicherung – Entgeltpunkte, Rentenwerte
und Beitragsbemessungsgrenzen – in den alten und den neuen Bundesländern
werden zum Stichtag 1. Juli 2010 in einheitliche Werte überführt. Ab dem
Stichtag passen sich alle Renten im Bundesgebiet entsprechend der Entwick-
lung des einheitlichen Rentenwertes an. Jeder Euro Rentenbeitrag erbringt ab
dem Stichtag im ganzen Bundesgebiet den gleichen Rentenanspruch.

2. Alle zum Stichtag der Umstellung bestehenden Rentenansprüche bzw. - an-
wartschaften in Ost und West bleiben in ihrem Wert erhalten. Die bisherigen
Entgeltpunkte Ost und West werden in einheitliche Entgeltpunkte umgerech-
net. Dabei behalten die Bestandsrentner und Beitragszahler in den neuen
Ländern für bereits erworbene Entgeltpunkte die Vorteile, die ihnen aus der
Lohnhochwertung zugewachsen sind.

3. Der ausstehende künftige Prozess einer Angleichung des Rentenwerts Ost an
den Rentenwert West und die Hoffnung auf damit verbundene Rentensteige-
rungen wird in die Gegenwart vorgezogen und abgefunden. Künftig zu
erwartende Rentensteigerungen werden dabei versicherungsmathematisch
korrekt mit 5 Prozent jährlich abgezinst. Versicherte und Rentner mit Entgelt-
punkten Ost erhalten im Rahmen der Angleichung der Rechenwerte eine Ein-
malzahlung. Diese orientiert sich an der Zahl der persönlichen Entgeltpunkte
und der weiteren Lebenserwartung am Stichtag der Umstellung.

4. Die berechtigten Versicherten und Bestandsrentner erhalten bezüglich der
Einmalzahlung ein Wahlrecht. Bestandsrentner und Versicherte, die am
Stichtag 60 Jahre alt sind, haben dieses Wahlrecht zum Stichtag auszuüben.
Versicherte, die am Stichtag jünger als 60 Jahre sind üben das Wahlrecht
jeweils mit Vollendung des 60. Lebensjahres aus. Bei fehlender expliziter Er-
klärung findet das einheitliche Rentenrecht Anwendung. Für Bestandsrentner
und Versicherte, die gegen die Einmalzahlung optieren, wird die Rente für
ihre Entgeltpunkte Ost nach der bis zum Stichtag geltenden Methode berech-
net.

Berlin, den 4. Juni 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

Begründung

1. Die Ausgangslage und Erfordernis, die Rechenwerte anzugleichen

Nach der Wiedervereinigung wurden in den neuen Bundesländern andere Re-
chenwerte – Rentenwert Ost, Entgeltpunkte Ost – in der Rentenversicherung
eingeführt als in den alten Bundesländern. Wäre das westdeutsche Renten-
system sofort auf die neuen Länder übertragen worden, hätte es dort Anfang
der neunziger Jahre nicht die starken jährlichen Rentensteigerungen von bis
zu 30 Prozent pro Jahr geben können. Seit 2004 aber sind die Angleichung
der Rentensysteme und insbesondere der Aufholprozess des Rentenwerts Ost
zum Stillstand gekommen, in absoluten Zahlen wächst die Differenz zwi-
schen den Rentenwerten sogar wieder.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9482

Die Unzufriedenheit bei den Versicherten über das nach Ost und West ge-
trennte Rentenrecht entzündet sich an zwei zentralen Berechnungsfaktoren
der persönlichen Rente: der unterschiedlichen Ermittlung der Rentenwerte
Ost/West und der Entgeltpunkte Ost/West. Bis heute werden bei der Renten-
berechnung für die Ermittlung der persönlichen Entgeltpunkte in den neuen
Bundesländern die Löhne deutlich, im Jahr 2007 um 16 Prozent, hochgewer-
tet (§ 256a des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch – SGB VI). Dieser Vorteil
geht dann bei der Rentenberechnung zum Teil wieder verloren, weil der
zweite Berechnungsfaktor der Rente, der Rentenwert Ost, 12,1 Prozent
(2007) unter dem Rentenwert West liegt.

Aus dem bestehenden System heraus ist eine zeitnahe Angleichung der
Rechenwerte nicht zu erwarten. Der seit 2003 bis heute unveränderte prozen-
tuale Abstand der Rentenwerte von 12,1 Prozent verringert sich in Zukunft
laut Rentenversicherungsbericht 2007 (Prognose für vier Jahre) um nur etwa
0,1 Prozent pro Jahr. 2007 und 2008 wäre der Rentenwert Ost sogar wieder
weiter hinter den Rentenwert West zurückgefallen, wenn nicht eine Schutz-
klausel in der Rentenformel dies verhindert hätte. Für einen Durchschnitts-
rentner in den neuen Ländern (2007 ca. 910 Euro monatlich) ergibt sich nach
dem vom Rentenversicherungsbericht 2007 prognostizierten Aufholprozess
Jahr für Jahr eine Erhöhung der Rente um ca. 0,90 Euro pro Monat bzw.
ca. 10,80 Euro pro Jahr. Dies ist noch eine positive Prognose, wenn man
bedenkt, dass in den letzten vier Jahren gar kein Aufholprozess stattfand. Es
ist wahrscheinlich, dass sich die Durchschnittsverdienste in neuen und alten
Ländern nie genau aneinander angleichen werden. Die Unterscheidung der
Rentenberechnung in Ost und West wird damit zunehmend willkürlich. So-
wohl in den neuen als auch den alten Ländern existieren heute prosperierende
und weniger prosperierende Regionen mit entsprechenden Einkommens-
strukturen. Diesem differenzierten Lohngefüge wird die Unterteilung in Ren-
tenberechnung Ost und West nicht gerecht.

2. Die Einmalzahlung

Die Einmalzahlung für Versicherte und Bestandsrentner mit Entgeltpunkten
Ost zieht einen möglichen künftigen Aufholprozess des Lohngefüges in den
neuen Ländern und damit des Rentenwertes Ost auf den Stichtag der Um-
stellung vor. Davon profitieren Beitragszahler und Bestandsrentner, die statt
einer unsicheren Erwartung auf eine künftige wirtschaftliche Entwicklung
eine konkrete Geldzahlung erhalten. Durch eine versicherungsmathematisch
korrekte Abzinsung wird sichergestellt, dass diese Einmalzahlung nicht auf
Kosten der künftigen Generationen geht.

Die Gesamtsumme der vorgezogenen Einmalzahlung wird berechnet, indem
eine Aufholung des Rentenwerts Ost von 0,1 Prozent jährlich angesetzt wird,
entsprechend der Prognose im Rentenversicherungsbericht 2007, ein durch-
schnittlich weiterer Anstieg des Rentenwerts West von 1 Prozent jährlich,
sowie ein Abzinsungsfaktor von 5 Prozent p. a. Dabei werden alle zum Zeit-
punkt der Umstellung erworbenen Entgeltpunkte Ost, bei Beitragszahlern
und Rentnern, berücksichtigt.

Die Versicherten und Bestandrentner nehmen an der Einmalzahlung ent-
sprechend der von ihnen erworbenen Entgeltpunkte Ost und ihrer weiteren
Lebenserwartung teil.

Das Wahlrecht stellt sicher, dass Bestandsrentner und Versicherte nicht gegen
ihren Willen in das einheitliche System gezwungen werden. Es ist jedoch zu
erwarten, dass in der Abwägung sich die allermeisten Bestandsrentner und
Versicherten für das einheitliche System entscheiden werden.

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