BT-Drucksache 16/927

Ein einheitliches Umweltrecht schaffen - Kompetenzwirrwarr vermeiden

Vom 9. März 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/927
16. Wahlperiode 09. 03. 2006

Antrag
der Abgeordneten Lutz Heilmann, Eva Bulling-Schröter, Hans-Kurt Hill,
Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, Heidrun Bluhm, Roland Claus,
Katrin Kunert, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Dorothee Menzner,
Dr. Ilja Seifert und der Fraktion DIE LINKE.

Ein einheitliches Umweltrecht schaffen – Kompetenzwirrwarr vermeiden

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Eine grundgesetzliche Neuordnung der Kompetenzen zwischen Bund und Län-
dern ist im Umweltrecht dringend erforderlich. Die derzeitige Zersplitterung des
Umweltrechts hat alle bisherigen Ansätze zur Zusammenfassung des Umwelt-
rechts in einem Umweltgesetzbuch verhindert. Ein einheitliches Umweltrecht
ist für eine nachhaltige Entwicklung und hohe Umweltstandards von großer Be-
deutung. Durch die rechtliche Zuständigkeit des Bundes einerseits und die Län-
der andererseits ist ein bundesweit einheitliches Verfahren für die zunehmend
integriert, also umweltmedienübergreifend erfolgende Genehmigung von Vor-
haben der Unternehmen nicht wirklich möglich. Besonders für kleinere Unter-
nehmen bedeutet es einen erheblichen Aufwand, bis zu 16 verschiedene Landes-
gesetze prüfen zu müssen.

Bei der Umsetzung von Vorgaben der Europäischen Union in deutsches Recht
stößt die föderale Kompetenzzuweisung an seine Grenzen. Dies zeigen die er-
heblichen zeitlichen Verzögerungen bei der Umsetzung von EU-Richtlinien in
deutsches Recht. Liegt beim Bund nur die Rahmengesetzgebungskompetenz,
muss nicht nur der Bund, sondern müssen auch alle 16 Bundesländer entspre-
chende Landesgesetze erlassen. Die zeitlich erheblich verspätete Umsetzung in
den Ländern führte bereits zu einigen Vertragsverletzungsverfahren gegen
Deutschland. Der Bund ist einerseits gegenüber Brüssel verantwortlich, anderer-
seits hat er keine Möglichkeit, die Länder entsprechend zu verpflichten und zu-
dem keine echten Regressmöglichkeiten. Die Rahmengesetzgebung ist deswe-
gen für das Umweltrecht nicht geeignet.

Die europarechtlichen Vorgaben sehen einen integrierten Umweltschutz vor,
der die Umwelt in ihrem Gesamtzusammenhang und mit den verschiedenen
Wechselwirkungen betrachtet. Eine Umsetzung der europarechtlichen Vorga-
ben in deutsches Recht ist deshalb wie bei der EG-Richtlinie über die integrierte

Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IVU-Richtlinie)
zur Genehmigung industrieller Anlagen zunehmend darauf angewiesen, dass
im Umweltrecht ein medienübergreifender Ansatz verfolgt wird. Dies ist nur
dann möglich, wenn im Umweltrecht eine einheitliche Kompetenzzuweisung
herrscht.

Drucksache 16/927 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Eine einheitliche Kompetenzzuweisung des Umweltrechts im Grundgesetz wird
von Sachverständigen seit langem angemahnt. Ein vehementer Fürsprecher ist
der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) der Bundesregierung. Dieser
bewertet in seiner Stellungnahme vom Februar 2006 die im Anhang zur Koali-
tionsvereinbarung dargelegte Absicht einer umfassenden Neuverteilung der
Kompetenzen zwischen Bund und Ländern. Er kommt dabei zu dem Schluss,
dass diese Neuverteilung im Umweltrecht unsystematisch, lückenhaft und in er-
heblichem Maße für Bund-Länder-Konflikte anfällig ist. Sie führe nicht zu einer
Vereinheitlichung, sondern habe im Gegenteil eine weitere Aufsplitterung des
Umweltrechts in insgesamt fünf verschiedene Kompetenztitel zur Folge.

Der Sachverständigenrat geht insbesondere davon aus, dass das Anliegen der
Regierung, die Vorhabengenehmigung betreffende Bereiche nicht der abwei-
chenden Gesetzgebungskompetenz der Länder zu übertragen, nicht erreicht
werden kann. Zudem befürchtet der Sachverständigenrat, dass die abweichende
Gesetzgebung eine Abwärtsspirale der Umweltstandards zur Folge haben
könne. Insbesondere bestehe die Gefahr, dass die seit Jahrzehnten bewährte Ein-
griffs- und Ausgleichsregelung im Naturschutz durch die Länder abgeschafft
werden könne.

Seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zu Juniorprofessuren vom
Juli 2004 unterliegt die Erforderlichkeitsklausel nach Artikel 72 Abs. 2 Grund-
gesetz einer sehr strengen Auslegung. Die erforderliche Begründung des Bundes
für die Inanspruchnahme dieser Erforderlichkeit ist nach dem zitierten Urteil nur
möglich, wenn sich die Lebensbedingungen in den Ländern „in erheblicher, das
Sozialstaatsgefüge beeinträchtigender Weise auseinander entwickelt haben“.
Diese Voraussetzung ist sehr vage und mit hohen Darlegungslasten verbunden,
weswegen die weitere Gültigkeit der Erforderlichkeitsklausel im Umweltrecht
zu jahrelangen Kompetenzstreitigkeiten führen würde.

Die im Anhang zum Koalitionsvertrag bekundete Absicht der Neuordnung der
föderalen Beziehung wird dem Anspruch von effektivem Umweltschutz und
unbürokratischen Gesetzen für die Wirtschaft nicht gerecht. Statt einer Verein-
fachung, führt die Neuverteilung der Kompetenzen zu einer weiteren Zersplitte-
rung im Umweltrecht. Statt durch eine Grundgesetzreform einen Beitrag zum
Bürokratieabbau zu leisten, müssten bei Umsetzung der Koalitionsvereinbarung
zur Föderalismusreform sowohl Unternehmen als auch Bundesländer neue
Bürokratien aufbauen. Zudem ist die sichere und fristgerechte Umsetzung euro-
parechtlicher Vorgaben mit dieser Reform nicht gewährleistet.

Dass die Möglichkeit der abweichenden Gesetzgebung der Länder nach einer
Vereinbarung der großen Koalition vom 16. Februar 2006 erst nach einer Über-
gangsfrist von drei Jahren gelten soll, ist lediglich ein zeitlicher Aufschub. Dass
nun zunächst ein Umweltgesetzbuch vorgelegt werden und dann erst die abwei-
chende Gesetzgebung in Kraft treten soll, bietet eine große Chance dafür, in den
nächsten Jahren in aller gebotenen Ruhe und Ernsthaftigkeit über den Sinn der
abweichenden Gesetzgebung im Umweltrecht nachzudenken.

Das Vorhaben, das Umweltrecht in einem einheitlichen Umweltgesetzbuch zu-
sammenzufassen, ließe sich bei einer Umsetzung der geplanten Kompetenzneu-
ordnung nicht mehr sinnvoll durchführen. Insbesondere ist die auch von Wirt-
schaftsverbänden geforderte einheitliche, integrierte Vorhabengenehmigung
nicht möglich. Zudem drohen über die Auslegung der abweichenden Gesetz-
gebungskompetenz der Länder wie die Erforderlichkeitsklausel langjährige
Rechtstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern sowie Verfahren vor dem Bun-
desverfassungsgericht. Der Umweltschutz in Deutschland würde über Jahre hin-
weg gelähmt.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/927

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung dazu auf,

– das Umweltrecht im Grundgesetz unter einem eigenen Kompetenztitel „Recht
der Umwelt“ innerhalb der konkurrierenden Gesetzgebung zusammenzufas-
sen. Darunter werden neben dem derzeit der konkurrierenden Gesetzgebung
unterliegenden Abfallwirtschaft, die Luftreinhaltung und die Lärmbekämp-
fung sowie dem der Rahmengesetzgebung unterliegenden Naturschutz, die
Landschaftspflege, der Wasserhaushalt und die Raumordnung auch der Kli-
maschutz, die nichtionisierende Strahlung, die Chemikaliensicherheit und der
Bodenschutz gefasst;

– die Erforderlichkeitsklausel nicht nur für die Luftreinhaltung und die Lärm-
bekämpfung, sondern auch für die Abfallwirtschaft aufzuheben;

– die Rahmengesetzgebung für den Naturschutz, die Landschaftspflege, den
Wasserhaushalt und die Raumordnung in die konkurrierende Gesetzgebung
ohne Erforderlichkeitsklausel zu überführen;

– ein generelles Abweichungsrecht der Länder im Umweltrecht nicht vorzuse-
hen. Abweichungsrechte sollten nur in klar definierten, einzeln aufgezählten
Bereichen festgelegt werden;

– auf der Grundlage dieser klaren Kompetenzzuweisung spätestens 2008 den
Entwurf eines Umweltgesetzbuches vorzulegen, in dem das Umweltrecht zu-
sammengefasst wird.

Berlin, den 6. März 2006

Lutz Heilmann
Eva Bulling-Schröter
Hans-Kurt Hill
Dr. Kirsten Tackmann
Dr. Dietmar Bartsch
Heidrun Bluhm
Roland Claus
Katrin Kunert
Michael Leutert
Dr. Gesine Lötzsch
Dorothee Menzner
Dr. Ilja Seifert
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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