BT-Drucksache 16/9113

Verfahren vereinfachen, Bürger entlasten, Rechtssicherheit schaffen - Notwendige Bedingungen für die Sinnhaftigkeit eines Projekts "Umweltgesetzbuch"

Vom 7. Mai 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9113
16. Wahlperiode 07. 05. 2008

Antrag
der Abgeordneten Horst Meierhofer, Michael Kauch, Angelika Brunkhorst,
Birgit Homburger, Jens Ackermann, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer
Brüderle, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen,
Ulrike Flach, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth),
Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim
Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff,
Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht,
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Markus Löning, Jan Mücke, Burkhardt
Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr,
Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina Schuster, Dr. Max Stadler,
Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Verfahren vereinfachen, Bürger entlasten, Rechtssicherheit schaffen –
Notwendige Bedingungen für die Sinnhaftigkeit eines Projekts
„Umweltgesetzbuch“

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das derzeit geltende deutsche Umweltrecht ist historisch gewachsen. Es ist
deshalb zwischen den verschiedenen Fachgebieten und zwischen Bund und
Ländern stark zersplittert. Hinzu kommt: Während das europäische Umwelt-
recht vom Leitgedanken getragen ist, dass eine Bewertung der Auswirkung
eines umweltschädlichen Vorhabens nicht lediglich isoliert auf einzelne Um-
weltaspekte, wie die Reinhaltung der Luft oder des Wassers, abstellen, sondern
auch die Wechselwirkungen der einzelnen Medien berücksichtigen soll, steht im
deutschen Recht der Schutz einzelner Umweltgüter im Vordergrund. Die Um-
setzung europäischer Richtlinien gestaltet sich deshalb oft schwierig.

Infolgedessen gab es bereits in den letzten Jahrzehnten intensive Bemühungen
(Professorenentwurf 1990/1994, Referentenentwurf 1999), ein einheitliches
Umweltgesetzbuch (UGB) zu schaffen. Diese sind jedoch vor allem wegen der

unzureichenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes in den Bereichen Ge-
wässer- und Naturschutz gescheitert.

Infolge der Föderalismusreform I hat der Bund für die Bereiche Gewässer- und
Naturschutz erstmals eine umfassende Regelungskompetenz erhalten. Wie be-
reits im Koalitionsvertrag vereinbart, möchte die schwarz-rote Bundesregierung
diese Chance nutzen und noch in dieser Legislaturperiode ein Umweltgesetz-

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buch schaffen. Schwerpunkte dieses Gesetzbuchs sollen die Vereinheitlichung,
Entbürokratisierung und Europatauglichkeit des deutschen Umweltrechts sein.

Grundsätzlich befürwortet wird ein solches Projekt auch von Naturschutzver-
bänden, Industrie und Landwirtschaft. Während für die Umweltverbände wich-
tig ist, dass ein solches Regelwerk einen „Mehrwert“ für die Umwelt bringt,
stehen für Industrie und Landwirtschaft vor allem der Bürokratieabbau, eine
Beibehaltung der derzeit geltenden Umweltstandards sowie eine adäquate Um-
setzung europarechtlicher Vorgaben im Fokus.

Darüber hinaus haben sich – soweit erkennbar – alle Fraktionen im Deutschen
Bundestag für die Schaffung eines UGB ausgesprochen. Ein UGB ist jedoch nur
dann sinnvoll, wenn es tatsächlich zu Verbesserungen beiträgt. Dazu muss das
zu schaffende UGB zumindest folgenden Anforderungen genügen:

1. Das UGB muss die Potentiale zur Vereinfachung und Entbürokratisierung
umfassend ausschöpfen.

Anderenfalls droht der eigentlich begrüßenswerte Ansatz der Bundesregie-
rung, das Umweltrecht mit dem Ziel der Vereinfachung und des Bürokratie-
abbaus in einem UGB zusammenzuführen, zu verpuffen. Ein Beispiel hierfür
ist die verfehlte Prioritätensetzung des jetzigen Referentenentwurfs bei der
Auswahl der Regelungsbereiche. Vor allem das Gesetz für den Vorrang
Erneuerbarer Energien (EEG) hat mit den Regelungsmotiven und dem sons-
tigen Inhalt des UGB wenig gemein und ist deshalb fehlplatziert. Stattdessen
sollte insbesondere das Immissionsschutzrecht – anders als von der Bundes-
regierung derzeit beabsichtigt – bereits in dieser Legislaturperiode komplett
in das UGB aufgenommen werden. Ansonsten wird das UGB in diesem
Bereich eher zu einer Rechtszersplitterung als zu einer Vereinfachung führen
und läuft damit seiner eigentlichen Zielsetzung zuwider.

Darüber hinaus stellt der Deutsche Bundestag fest, dass der Referentenent-
wurf zur integrierten Vorhabengenehmigung das Anlagenzulassungsrecht
nicht immer einfacher und unbürokratischer macht. Ein Beispiel hierfür ist die
vorgesehene Regelung über die Pflicht zur Umweltverträglichkeitsprüfung
bei kumulierenden Vorhaben, durch die Genehmigungsverfahren vor allem
für den Mittelstand komplizierter werden.

Das Gleiche gilt für die Abkehr von der bisherigen Regelung des Erörterungs-
termins. Schließlich wurde diese Regelung erst im Sommer letzten Jahres mit
der Begründung, unnötigen Verwaltungsaufwand zu vermeiden, eingeführt
(Bundestagsdrucksache 16/5737).

2. Die bestehenden materiellen Umweltstandards müssen erhalten bleiben.

Die mit dem UGB-Projekt angestrebten Ziele des Bürokratieabbaus, der Ver-
einfachung und Vereinheitlichung der Vollzugspraxis und der Verbesserung
der Europatauglichkeit des deutschen Umweltrechts sind als Begründung für
dieses Vorhaben hinreichend. Um das Verfahren nicht zu überfrachten und
dem Kräftespiel widerstreitender Partikularinteressen auszusetzen, dürfen
weder Verschärfungen noch Absenkungen materieller Umweltstandards vor-
genommen werden. Vielmehr gilt es, bei den materiellen Umweltstandards
den Status quo strikt beizubehalten. Aus diesem Grund sind zum jetzigen
Zeitpunkt Änderungen materieller Standards im Naturschutzrecht genauso
abzulehnen wie eine Veränderung der Liste genehmigungspflichtiger Vorha-
ben. Hier muss sowohl die Einführung der Genehmigungspflichtigkeit klei-
ner Biogasanlagen als auch die teilweise geforderte Beschränkung des An-
wendungsbereichs der integrierten Vorhabengenehmigung auf die in der
IVU-Richtlinie (IVU: integrierte Vermeidung und Verminderung der Um-
weltverschmutzung) genannten Anlagen unterbleiben. Entsprechendes gilt

für die Wärmenutzung: Sowohl die erweiterte Grundpflicht des Referenten-

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entwurfs (§ 52 Abs. 1 Nr. 5 UGB I) als auch die teilweise von Umweltver-
bänden geforderte Pflicht zur Kraft-Wärme-Kopplung als Genehmigungsvo-
raussetzung für neue fossile Kraftwerke sind der erfolgreichen Schaffung
eines UGB aus den genannten Gründen abträglich und deshalb abzulehnen.

3. Das UGB muss Planungssicherheit für Investitionsentscheidungen sowie
Bestandsschutz gewährleisten.

Aus diesem Grund ist die im Referentenentwurf vorgesehene freie Widerruf-
lichkeit jeglicher Gewässerbenutzung im Rahmen der integrierten Vorhaben-
genehmigung strikt abzulehnen. Das Gleiche gilt für die Einschränkung
bestehender Eigentumsrechte. Genau dies sieht der Referentenentwurf vor,
wenn er den Bestandsschutz für alte Rechte und alte Befugnisse generell auf
die Dauer von maximal 15 Jahre beschränken will.

4. Das UGB muss Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für die Rechtsanwender
schaffen.

Das UGB ist demzufolge nicht der geeignete Ort, um ein politisches Grund-
satzprogramm zu formulieren. Vielmehr soll das deutsche Umweltrecht an
diesem Ort langfristig, zuverlässig und stabil geregelt, mithin der unmittel-
baren politischen Auseinandersetzung enthoben werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

ein Umweltgesetzbuch zu schaffen, das

1. im o. g. Sinn tatsächlich zu Bürokratieabbau und Vereinfachung beiträgt und
dabei insbesondere gewährleistet,

– dass das Anlagenzulassungsrecht mittels der integrierten Vorhabengeneh-
migung einfacher und weniger bürokratisch gestaltet wird und den dazu
genannten Kritikpunkten im Gesetzentwurf angemessen Rechnung getra-
gen wird,

– dass bei der Auswahl der Regelungsbereiche von der sachlich nicht be-
gründeten Integration des EEG abgesehen und stattdessen das Immis-
sionsschutzrecht von Anbeginn komplett in den Gesetzentwurf aufge-
nommen wird;

2. mehr Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für die Rechtsanwender bringt. In
diesem Zusammenhang ist die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe auf
ein Minimum zu reduzieren;

3. die derzeit geltenden materiellen Umweltstandards erhält und weder eine
Verschärfung noch eine Absenkung dieser Standards vornimmt;

4. Investitionssicherheit und Bestandsschutz gewährleistet und dabei insbeson-
dere von einer freien Widerruflichkeit der Gewässerbenutzungen im Rahmen
der integrierten Vorhabengenehmigung sowie einer beschränkten Fortgel-
tung alter Rechte und Befugnisse absieht;

5. die Europatauglichkeit des deutschen Umweltrechts gewährleistet.

Berlin, den 7. Mai 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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