BT-Drucksache 16/9074

Zum EU-Lateinamerika-Gipfel in Lima - Impulse für solidarische und gleichberechtigte Beziehungen zwischen der EU und Lateinamerika

Vom 7. Mai 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9074
16. Wahlperiode 07. 05. 2008

Antrag
der Abgeordneten Heike Hänsel, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Monika
Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin, Dr. Lothar Bisky, Sevim Dag˘delen, Inge Höger,
Dr. Hakki Keskin, Michael Leutert, Dr. Norman Paech, Paul Schäfer (Köln),
Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Zum EU-Lateinamerika-Gipfel in Lima – Impulse für solidarische und
gleichberechtigte Beziehungen zwischen der EU und Lateinamerika

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Mit der Schlusserklärung des IV. Gipfels der Staats- und Regierungschefs
der Europäischen Union und Lateinamerikas und der Karibik vom 12. Mai
2006 in Wien waren wesentliche Voraussetzungen dafür geschaffen worden,
die Beziehungen zwischen den Regionen auf einer neuen zukunftsträchtigen
Basis von wechselseitigem Respekt und von Gleichberechtigung zwischen
allen Beteiligten weiterzuentwickeln:

● Der Versuch, in Wien ein Freihandelsabkommen nach den neoliberalen
Prinzipien der rigorosen wechselseitigen Marktöffnung wie zuvor mit
Mexico 1997 und Chile 2002 zwischen der EU und dem Gemeinsamen
Markt Südamerikas (Mercosur) durchzusetzen, scheiterte am Widerstand
seiner Mitgliedstaaten.

● Entgegen früherer Vereinnahmung durch Berufung auf angeblich ge-
meinsame Werte, wurde in der Schlusserklärung des Wiener Gipfels
unmissverständlich klar gestellt, dass es „kein einheitliches Demokratie-
modell gibt und dass Demokratie nicht einem Land oder einer Region ge-
hört“.

● Besonders betont wurde hinsichtlich aller beteiligten Staaten die Notwen-
digkeit, „die Souveränität, die territoriale Integrität und das Recht auf
Selbstbestimmung gebührend zu achten“. Auch stellte die Schlusserklä-
rung unmissverständlich fest: „Wir erkennen das souveräne Recht der
Staaten an, ihre natürlichen Ressourcen zu verwalten und deren Nutzung
zu regeln.“

● Schließlich wurden „die souveräne Gleichheit aller Staaten“, „ihre terri-
toriale Integrität und politische Unabhängigkeit“ und im Rahmen interna-

tionaler Beziehungen der Verzicht „auf die Androhung bzw. Anwendung
von Gewalt“ unterstrichen. Konsequent enthielt die Schlusserklärung
auch eine Distanzierung von den „exterritorialen Bestimmungen des
Helms-Burton-Act“, mit denen die USA Kubas Wirtschaft existenziell
blockieren wollen.

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2. Die Aufnahme dieser prinzipiellen Festlegungen in die „Erklärung von
Wien“ war den politischen Veränderungen geschuldet, die sich ab Ende der
90er Jahre in Lateinamerika vollzogen hatten:

● Die neoliberale Wirtschafts- und Handelspolitik der 80er und 90er Jahre
hatte wirtschaftliche und soziale Krisenprozesse in den Ländern Latein-
amerikas weiter verstärkt. Als Reaktion darauf kam es seit Ende der 90er
Jahre in vielen lateinamerikanischen Ländern zu einschneidenden Verän-
derungen der politischen Kräfteverhältnisse, getragen durch erstarkte so-
ziale Bewegungen und neue politische Zusammenschlüsse. In kurzer
Folge traten in Venezuela (1999: Chavez), Brasilien (2003: Lula), Argen-
tinien (2003: Kirchner), Uruguay (2004: Vázquez) und Bolivien (2005:
Morales), durch Wahlen demokratisch legitimiert, Präsidenten ihr Amt
an, die bei aller Unterschiedlichkeit im Einzelnen für eine neue eigen-
ständige Politik stehen.

● Die neuen Regierungen legten, gestützt von einer breiten Mobilisierung
in der Bevölkerung, Grundlagen für eine gerechtere Verteilung von politi-
scher Macht und Wohlfahrt – durch mehr regionale Integration und eine
stärker auf die Binnenwirtschaft und breitere Teilhabe orientierte Wirt-
schafts- und Sozialpolitik.

● Übereinstimmend widerstanden sie den Versuchen, ein Freihandelsab-
kommen für den gesamten amerikanischen Kontinent (ALCA) unter neo-
liberalem Vorzeichen und dominiert von den USA durchzusetzen. Dass
sie ein vergleichbares Abkommen auch nicht mit der EU abschließen
würden, war schon vor dem Wiener Gipfel zu erkennen.

● Kuba, Venezuela und Bolivien schlossen unmittelbar vor dem Wiener
Gipfel eine „Vereinbarung zur Anwendung der Bolivarianischen Alterna-
tive für die Völker unseres Amerikas und des Handelsvertrags der Völker
(ALBA)“ ab. Dieser Vertrag beschränkt sich nicht abstrakt auf den Aus-
tausch von Waren und Dienstleistungen, sondern setzt, basierend auf dem
Grundsatz der Komplementarität, konkret an den jeweiligen Bedürfnis-
sen der Bevölkerungen und an dem Leistungsvermögen der Vertragspart-
ner an.

3. Die politischen und sozialen Veränderungen in immer mehr Ländern Latein-
amerikas und die regionale Integration haben sich nach dem Wiener Gipfel
gefestigt und sind weiter vorangeschritten. Allerdings ist diese Entwicklung
nicht einheitlich und nicht widerspruchsfrei:

● In weiteren Ländern Lateinamerikas kamen Staatsoberhäupter ins Amt,
die ihre Position außerhalb eines neoliberalen Grundkonsens definieren:
Ecuador (2007: Correa), Nicaragua (2007: Ortega), Argentinien (2007:
Cristina Fernández) und Guatemala (2008: Colom).

● Die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen münden in einer
Reihe von Ländern in demokratisch organisierte Verfassungsprozesse. In
deren Rahmen werden auch neue Formen der demokratischen Partizipa-
tion verankert. In Venezuela war eine neue Verfassung bereits 1999 ge-
schaffen worden. Mit den Referenden von 1999 und 2007 vollzieht sich
der Verfassungsprozess in Venezuela trotz der ständig drohenden Gefahr
eines von außen gestützten gewaltsamen Umsturzes (Militärputschver-
such 2002) auf demokratische Weise und steht damit ganz im Gegensatz
zur manipulativen Vermeidung von Referenden im Ratifizierungsprozess
des EU-Reformvertrags.

● In Bolivien und Ecuador vollziehen sich gegenwärtig verfassungsge-
bende Prozesse. Bereits jetzt lässt sich in hohem Maße die Einbeziehung

bislang ausgeschlossener sozialer Schichten und ethnischer Gruppen in

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die politische Willensbildung dieser Länder beobachten. Der am 10. De-
zember von der Verfassungsgebenden Versammlung Boliviens verab-
schiedete Verfassungsentwurf soll den Bolivianerinnen und Bolivianern
im Laufe des Jahres 2008 in einem Volksentscheid zur Abstimmung vor-
gelegt werden. Der Widerstand von Großgrundbesitzern und oppositio-
nellen Gouverneuren der Ostprovinzen Boliviens gegen die im Verfas-
sungsentwurf vorgesehene Neuverteilung politischer und wirtschaftlicher
Macht und ihre unverhohlenen Sezessionsbestrebungen zeigen jedoch,
dass die politische Entwicklung nicht gradlinig verläuft, sondern geprägt
ist von auch potenziell gewaltträchtigen Widersprüchen.

● In den Ländern des Mercosur (Brasilien, Argentinien, Paraguay,
Uruguay, Venezuela) ist eine Tendenz zum Abschluss eines Freihandels-
abkommens mit der EU weiterhin nicht erkennbar. Daran ändert auch die
im Juli 2007 proklamierte „Umfassende Strategische Partnerschaft“ zwi-
schen der EU und Brasilien nichts. Die in Wien angekündigten Verhand-
lungen der EU mit der Andengemeinschaft (CAN) und mit Zentralame-
rika (SIECA) sind ebenfalls nicht substantiell vorangekommen. Die
Bolivianische Regierung hat mit ihrem Vorschlag für ein „Partnerschafts-
abkommen zwischen der Andengemeinschaft und der EU zum Wohle der
Völker“ eine Alternative zum neoliberalen Verhandlungsmandat der
Europäischen Kommission vorgelegt, in der die Einwicklungsbelange der
Andenstaaten berücksichtigt und die Asymmetrien zwischen den Ver-
handlungspartnern in Rechnung gestellt werden.

● Die Bolivarianische Alternative für Amerika (ALBA – Alternativa Boli-
variana) hat sich neben dem Mercosur als wichtige und teilweise neue
Form der Süd-Süd-Kooperation weiter entwickelt. Inzwischen sind ihr
Nicaragua und Dominica beigetreten, weitere Staaten in der Karibik und
Ecuador kooperieren mit ihr. Mit der Banco del ALBA wurde die institu-
tionelle Verankerung des Projektes auf den Weg gebracht. Ergänzt wird
ALBA durch Energiepartnerschaften, in deren Rahmen eine regionale
Autonomie in der Energieversorgung angestrebt wird und von denen vor
allem wirtschaftlich schwächere und ressourcenarme Staaten Lateiname-
rikas profitieren.

● Über ALBA hinaus ist Venezuela als neuer bedeutender Geber von Ent-
wicklungshilfe in Lateinamerika aufgetreten. Venezuela leistet mittels der
Initiierung der Entwicklungsbank des Südens (Banco del Sur), über
multilaterale Kooperationsabkommen wie PetroCaribe oder in der bilate-
ralen Zusammenarbeit mit ärmeren lateinamerikanischen Staaten, einen
wesentlichen Entwicklungsbeitrag in Lateinamerika. Eine wichtige Rolle
bei der regionalen Integration kommt auch Kuba zu: Tausende kubani-
sche Ärzte arbeiten nicht nur in Venezuela, sondern auch in den ärmsten
Staaten Lateinamerikas (vor allem Haiti, Bolivien, Nicaragua), um dort
die Gesundheitsversorgung zu verbessern.

● Die Isolierung Kubas mit Blockade und Sanktionen wird zunehmend
durchbrochen; durch die aktive humanitäre Zusammenarbeit und durch
die ökonomische Kooperation im Rahmen von ALBA. Die Überwindung
des Jahrzehnte währenden Ausnahmezustands schafft neue Bedingungen
für wirtschaftliche und politische Reformen.

● Die politische Situation in Kolumbien ist demgegenüber weiterhin durch
tief in der Gesellschaft verwurzelte soziale Konflikte geprägt, die in
erheblichem Maße gewaltsam ausgetragen werden. Auch unter der
Regierung des konservativen Präsidenten Àlvaro Uribe wird der Einsatz
zivilgesellschaftlicher Organisationen und der Friedens- und Wider-

standsgemeinden für friedliche Konfliktlösungen unter Terrorismusver-
dacht gestellt, so dass diesbezügliches Engagement lebensgefährlich sein

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kann. Die Uribe-Regierung verfolgt keine Politik des sozialen und politi-
schen Ausgleichs und der Versöhnung. Stattdessen hält die Regierung an
einer hauptsächlich repressiven Strategie fest und setzt gegenüber der
FARC (Fuerzas Armada Revolucionarias de Colombia), die zur Durch-
setzung ihrer Ziele auf den Einsatz illegaler und gewaltförmiger Mittel
orientiert ist, vorwiegend auf militärische Lösungen. Dabei wird sie von
den USA im Rahmen des von der EU mitgetragenen „Plan Colombia“ in
erheblichem Maße finanziell und politisch unterstützt.

● Im März 2008 drang die kolumbianische Armee bei einem Schlag gegen
die FARC völkerrechtswidrig auf ecuadorianisches Staatsgebiet vor. Die
Regierung unterminierte damit hoffnungsvolle Versuche, über den Weg
von vermittelten Geiselfreilassungen durch die FARC eine politische
Lösung der Konflikte einzuleiten, gefährdete das Leben der Geiseln zu-
sätzlich und dehnte die kolumbianische Krise zur „Andenkrise“ aus.

4. Die prinzipiellen Festlegungen in der Erklärung von Wien und die weiteren
Entwicklungen in Lateinamerika haben bis heute keinen Eingang in die
praktische Politik der EU-Kommission und der Mitgliedstaaten der EU ge-
genüber Lateinamerika gefunden:

● Die Bundesregierung reagiert allenfalls halbherzig und ambivalent auf
die Chancen, die sich mit der neuen Qualität der Süd-Süd-Kooperation in
Lateinamerika auch für die deutsche und europäische Zusammenarbeit
mit Lateinamerika bieten. In ihrem „Konzept für die entwicklungspoliti-
sche Zusammenarbeit mit den Ländern Lateinamerikas und der Karibik“
kündigt sie zwar an, „Formen der Zusammenarbeit anpassen“, „Süd-Süd-
Kooperation fördern“ und über eine „Dreieckskooperation“ die Weiter-
gabe von Entwicklungserfahrungen zwischen lateinamerikanischen Staa-
ten unterstützen zu wollen. In ihrer Konzeption der künftigen Zusammen-
arbeit knüpft sie jedoch weder an den bestehenden Prozessen (ALBA) an,
in denen eine solche Weitergabe bereits heute stattfindet, noch bezieht sie
sich auf deren wichtigste Akteure.

● Die Europäische Kommission hält derweil an ihrem Ziel fest, mit Staaten
und Staatengruppen Lateinamerikas Assoziierungsabkommen zu schlie-
ßen, die nicht nur die weitgehende Liberalisierung des Güterhandels
umfassen. Die Vorschläge zur Liberalisierung der öffentlichen Beschaf-
fungsmärkte und für das Wettbewerbsrecht sowie für den Investitions-
und Patentschutz zielen auf fundamentale Eingriffe in die ordnungspoliti-
schen Handlungsspielräume der Partner. Ihre Realisierung würde nicht
nur den regionalen Integrationsprozess im Rahmen von ALBA unterlau-
fen, sondern auch wesentlichen Inhalten der Verfassungsprozesse in den
Partnerländern entgegenstehen. Mit dem Abschluss des Wirtschaftspart-
nerschaftsabkommens (EPA) der EU mit den Staaten des Cariforum
(Karibische Staaten) Ende 2007 gelang es der EU erstmals und unter
Anwendung erheblichen politischen und wirtschaftlichen Drucks, ein
solches Abkommen mit einem sich entwickelnden Wirtschaftsraum
durchzusetzen.

● Mit den wirtschaftlichen Fortschritten und möglichen politischen Refor-
men in Kuba wächst in den Ländern der EU das Interesse an Wirtschafts-
beziehungen zu dem Land und verstärkt sich die politische Debatte über
das Verhältnis der EU zu Kuba. Positiv in diesem Zusammenhang sind
der Besuch des EU-Kommissars Louis Michel Anfang März 2008 und
seine Ankündigung, für die Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Kuba
einzutreten. Die Bundesregierung hat bisher nicht eindeutig signalisiert,
ob und in welcher Weise sie sich für eine Normalisierung der Beziehun-

gen zu Kuba einsetzen will. Sie hält an den, in ihrer Wirkung zwar aus-
gesetzten, aber nicht aufgehobenen diplomatischen Sanktionen der EU

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/9074

gegen Kuba fest. Zugleich bleibt der Anspruch des „Gemeinsamen
Standpunkts der Europäischen Union“ von 1996, in Kuba auf einen
„friedlichen Wandel“ hinwirken zu wollen, ein Angriff auf die Souverä-
nität Kubas und ein Hindernis für die Normalisierung der Beziehungen.

● Im Zusammenhang mit der „Andenkrise“ war weder von der Bundesre-
gierung, noch von der EU Kritik an der kolumbianischen Regierung zu
vernehmen. Trotz der Verstrickung der Regierung Uribe mit paramilitäri-
schen Strukturen, trotz der in internen Sitzungen der EU beklagten
Menschenrechtsverletzungen und der Militarisierung im Rahmen der
Aufstandsbekämpfung ordnet die EU bis heute ihre Entwicklungszusam-
menarbeit vielerorts als zivile Flanke in eine insgesamt repressive und
militärgestützte Politik ein.

● Ende 2007 fror die Bundesregierung 7 Mio. Euro Budgethilfe für Nicara-
gua ein. Diese Maßnahme wird in Nicaragua auch von solchen zivil-
gesellschaftlichen Gruppen, die mit Teilen der politischen Entwicklung in
ihrem Land unzufrieden sind, abgelehnt und ist umso weniger nachvoll-
ziehbar, als sie unter anderem mit einer fehlenden haushalterischen
Transparenz bei den Hilfeleistungen durch Venezuela für Nicaragua be-
gründet wurde und sich damit auch direkt gegen die regionale Integration
im Rahmen von ALBA richtet.

5. Die EU-Kommission hat im Gegensatz zu den Vorbereitungen des Wiener
Gipfels keine Positionsbestimmung für den EU-Lateinamerika-Gipfel von
Lima Mitte Mai 2008 vorgelegt. Die Vorbereitung erfolgt in „vertraulich“
tagenden Ratsarbeitsgruppen. Weder die Parlamente der Mitgliedstaaten
noch die zivilgesellschaftlichen Akteure in den verschiedenen Ländern wer-
den informiert und in den vorbereitenden Willensbildungsprozess einbezo-
gen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. in ihrer wirtschaftlichen und Entwicklungszusammenarbeit mit Lateiname-
rika die Potenziale, die durch die Prozesse der regionalen Integration dort er-
wachsen sind, konstruktiv aufzugreifen und zu fördern und in diesem Sinne

● sich dafür einzusetzen, dass in Abkommen der EU mit den Staaten
Zentralamerikas, der Andengemeinschaft und des Mercosur keine Bestim-
mungen getroffen werden, die den regionalen Integrationsprozessen ent-
gegen wirken, die sich in der ALBA und in weiteren regionalen
Zusammenschlüssen und Vereinbarungen in Lateinamerika, wie der Union
der südamerikanischen Nationen (UNASAR), vollziehen;

● darauf hinzuwirken, dass die Abkommen dem Anspruch auf entwick-
lungspolitische Kohärenz gerecht werden und verbindlich festgelegt
wird, dass Zivilgesellschaften, soziale Organisationen und die Parlamente
der beteiligten Staaten umfassend über den Verhandlungsverlauf infor-
miert und in alle wichtigen Entscheidungen einbezogen werden;

● die wirtschaftliche Zusammenarbeit darauf auszurichten, dass die Partner
in Lateinamerika mittels Transfers von Technologie und Know-how sowie
durch die Akzeptanz von Schutzmaßnahmen für die lokale Wirtschaft, in
die Lage versetzt werden, ihre jeweiligen Ökonomien zu diversifizieren
und deren Wertschöpfungstiefe zu vergrößern;

● Energiepartnerschaften, die den Handel von Energieträgern mit Perspek-
tiven für eine internationale Sozialpolitik verknüpfen, und die Weiterent-
wicklung solcher Partnerschaften in Richtung einer ökologischen Ener-

giewende durch Technologie- und Wissenstransfer zu unterstützen;

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● den von der ecuadorianischen Regierung eingerichteten Fonds zur Kom-
pensierung von Einnahmeausfällen, die durch den Verzicht auf die Er-
schließung und Ausbeutung von Öllagerstätten in Regenwaldregionen zu
erwarten sind, politisch zu unterstützen und substantiell aufzufüllen;

● in der Neuausrichtung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit
Lateinamerika die Koordinierung mit neuen bilateralen Gebern wie
Venezuela und multilateralen Institutionen wie die Banco del Sur anzu-
streben;

● Angebote für eine trilaterale Zusammenarbeit mit Kuba und Venezuela
zu entwickeln, die die Nutzbarmachung der natürlichen und der Human-
ressourcen beider Länder für die Armen in dritten lateinamerikanischen
Staaten unterstützen;

● die Ende 2007 eingefrorene Budgethilfe für Nicaragua wieder freizuge-
ben;

2. ihre Zusammenarbeit mit Lateinamerika im Rahmen bilateraler Beziehun-
gen und innerhalb der EU an den Grundsätzen der Gleichberechtigung, der
Demokratie und der internationalen Solidarität auszurichten und zugleich
von der Politik der USA, insbesondere im Verhältnis zu Kuba einerseits und
zu Kolumbien andererseits, zu emanzipieren, und in diesem Sinne

● die Neufassung des Gemeinsamen Standpunkts der EU zu Kuba zu unter-
stützen, die auf die Absicht, zu einem Systemwandel beitragen zu wollen,
verzichtet und damit den Weg für die Entwicklungszusammenarbeit zwi-
schen der EU und Kuba und Deutschland und Kuba freimacht;

● sich innerhalb der EU für die endgültige Aufhebung der 2003 verhängten
Sanktionen gegen Kuba einzusetzen;

● gegenüber der Regierung der USA aktiv für eine Beendigung der Wirt-
schafts-, Handels- und Finanzblockade gegen Kuba einzutreten;

● die Stärkung und politische Unterstützung ziviler Friedensinitiativen wie
der Friedens- und Widerstandsgemeinden zum Schwerpunkt der deut-
schen Entwicklungszusammenarbeit und mit Kolumbien zu machen;

● zur Entmilitarisierung der Konflikte im Inneren Kolumbiens und nach
außen dadurch beizutragen, dass sie die Initiativen für die Verhandlung
eines humanitären Gefangenenaustauschs als Einstieg in Friedensver-
handlungen aufgreift und unterstützt;

● darauf zu drängen, dass die durch die USA finanzierte militärische
Drogen- und Aufstandsbekämpfung in Kolumbien im Rahmen des „Plan
Colombia“ umgehend beendet wird;

● die US-Strategie, die auf Einmischung in die inneren Angelegenheiten
Venezuelas und auf den Sturz der demokratisch gewählten Regierung
setzt, zurückzuweisen und sich in der EU für eine Politik gegenüber
Venezuela einzusetzen, die das Recht der venezolanischen Bevölkerung
auf politische Selbstbestimmung respektiert;

● die demokratische und progressive Sozialpolitik der venezolanischen
Regierung unter Präsident Hugo Chavez, die das Leben von Millionen
Venezolanerinnen und Venezolanern positiv beeinflusst hat, anzuerken-
nen und obstruktive Aktivitäten der alten Oberschichten weder materiell
noch ideologisch zu unterstützen;

● die bolivianische Regierung bei der Verteidigung der territorialen Integri-
tät ihres Landes mit friedlichen Mitteln zu unterstützen und die Drohun-

gen der Provinzgouverneure, ihre Provinzen aus der verfassungsmäßigen
Hoheit der Zentralregierung zu lösen, scharf zurückzuweisen;

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3. die demokratischen Verfassungsprozesse in Lateinamerika politisch zu un-
terstützen und für einen politischen Dialog auf der Ebene der europäischen
und lateinamerikanischen Zivilgesellschaften nutzbar zu machen, und in
diesem Sinne

● vom bolivianischen Verfassungsentwurf und möglichen weiteren Verfas-
sungsentwürfen bzw. Änderungsentwürfen, die im Kontext der sozialen
und demokratischen Veränderungen in Lateinamerika entstehen, eine
deutsche Übersetzung anfertigen zu lassen und diese über die Bundeszen-
trale für Politische Bildung der interessierten Öffentlichkeit zugängig zu
machen;

● jede politische Einmischung in die Verfassungsprozesse zu vermeiden
und Versuchen der manipulativen Einflussnahme durch Nichtregierungs-
organisationen, etwa in Richtung auf eine „ferngesteuerte“ Parteigrün-
dung in Bolivien, die materielle Grundlage öffentlicher Finanzierung zu
entziehen;

4. den Deutschen Bundestag kurzfristig schriftlich über die Vorbereitungen des
Gipfels von Lima und über die Zielvorstellungen der Bundesregierung, der
EU-Kommission und der anderen Mitgliedstaaten der EU sowie die der Län-
der Lateinamerikas und der Karibik und ihrer regionalen Zusammenschlüsse
zu informieren und die politischen Ziele der Bundesregierung für den Gipfel
in einer Regierungserklärung darzulegen und zu begründen.

Berlin, den 6. Mai 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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