BT-Drucksache 16/9055

Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 48 Abs. 3)

Vom 6. Mai 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9055
16. Wahlperiode 06. 05. 2008

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Jörg van Essen, Dr. Max Stadler, Jens Ackermann, Christian
Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Patrick Döring,
Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Miriam Gruß,
Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein,
Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Hellmut
Königshaus, Gudrun Kopp, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald
Leibrecht, Ina Lenke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Markus Löning,
Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhard Müller-Sönksen,
Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper,
Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Dr. Konrad Schily, Marina Schuster,
Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Dr. Guido Westerwelle
und der Fraktion der FDP

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 48 Abs. 3)

A. Problem

Die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages und die damit zusammen-
hängenden Entscheidungen des Deutschen Bundestages stehen immer wieder
im Mittelpunkt öffentlicher Kritik. Regelmäßig wird der Vorwurf der Selbst-
bedienung erhoben, denn kein anderer Berufsstand kann über den Umfang und
die Struktur seiner Bezüge selbst entscheiden. Dabei wird übersehen, dass dies
nicht dem Willen der Abgeordneten entspricht, sondern verfassungsrechtlich
vorgegeben ist.

B. Lösung

Mit der Ergänzung des Artikels 48 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) wird die
rechtliche Grundlage für eine vom Bundespräsidenten zu berufende, unabhän-
gige Sachverständigenkommission zur Ermittlung und Festsetzung der ange-
messenen Abgeordnetenentschädigung geschaffen.

C. Alternativen

Beibehaltung der geltenden Rechtslage.

D. Kosten

Kosten für die Arbeit der Kommission.

Drucksache 16/9055 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 48 Abs. 3)

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das
folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Grundgesetzes

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
vom 23. Mai 1949 (BGBl. I S. 1), zuletzt geändert durch …,
wird wie folgt geändert:

In Artikel 48 Abs. 3 wird nach Satz 1 folgender neuer Satz 2
eingefügt:

„Die Höhe der Entschädigung wird von einer unabhängigen,
vom Bundespräsidenten einzusetzenden Sachverständigen-
kommission festgelegt.“

Die bisherigen Sätze 2 und 3 werden die Sätze 3 und 4.

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in
Kraft.

Berlin, den 6. Mai 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9055

Begründung

Zu Artikel 1

Nach Artikel 48 Abs. 3 GG haben die Abgeordneten An-
spruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichern-
de Entschädigung. Das ist eine zwingende Konsequenz des
Artikels 38 GG, der Wesen und Auftrag des Mandats be-
stimmt und den Abgeordneten von Weisungen und Auf-
trägen freistellt. Allgemeine, freie und gleiche Wahlen als
Grundvoraussetzung eines demokratischen Staates erfordern
zudem zwingend, dass jeder Wahlberechtigte sich rechtlich
und tatsächlich auch um ein Mandat bemühen darf und kann
und dass nach der Wahl auch die unabhängige, von Aufträ-
gen und Weisungen freie Wahrnehmung des Mandats ge-
währleistet ist.

Die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages und die
damit zusammenhängenden Entscheidungen des Deutschen
Bundestages stehen immer wieder im Mittelpunkt öffentli-
cher Kritik. Regelmäßig wird der Vorwurf der Selbstbedie-
nung erhoben, denn kein anderer Berufsstand kann über den
Umfang und die Struktur seiner Bezüge selbst entscheiden.
Dabei wird übersehen, dass dies nicht dem Willen der Abge-
ordneten entspricht, sondern verfassungsrechtlich vorgege-
ben ist. Der Gesetzgeber hat über die Rechtsstellung der Ab-
geordneten – hierzu gehört nicht nur die rechtliche, sondern
auch die materielle Ausgestaltung des Mandats – durch
Gesetz zu befinden.

Der Deutsche Bundestag hat immer wieder versucht, unab-
hängigen Sachverstand zumindest in den Vorbereitungspro-
zess parlamentarischer Entscheidungen über die Abgeordne-
tenentschädigung einzubeziehen, um den Vorwurf der
Selbstbegünstigung zu entkräften. So berief er etwa 1974 zur
Frage der Besteuerung der Diäten den Beirat für Entschädi-
gungsfragen, 1990 ein Gremium unabhängiger Persönlich-
keiten zur Beratung der Bundestagspräsidentin bei der Über-
prüfung der für die Mitglieder des Bundestages bestehenden
materiellen Regelungen und Bestimmungen und zuletzt
1992 die Unabhängige Kommission zur Überprüfung des
Abgeordnetenrechts. Auswirkungen auf Form und Ausmaß
der öffentlichen Kritik hat die Einschaltung dieser Gremien
aber kaum gehabt. Auch die Berichterstatter in der gemein-
samen Verfassungskommission von Bundestag und Bundes-
rat haben erwogen, durch eine Änderung des Artikels 48
Abs. 3 GG die Entscheidung über die Höhe der Diäten einer
vom Bundespräsidenten einzusetzenden unabhängigen
Kommission zu übertragen. Die Beratungen wurden aller-
dings nicht zu Ende geführt.

Auch die 1995 beschlossene Orientierung der Abgeordne-
tenentschädigung an den Bezügen eines Richters bei einem
obersten Gerichtshof des Bundes oder eines kommunalen
Wahlbeamten auf Zeit hat nicht dazu beigetragen, dem Vor-
wurf der Selbstbedienung die Grundlage zu entziehen. Die-
ser Vorwurf wird so lange erhoben werden, wie die Entschei-
dung über die Höhe der Diäten in den Händen des Deutschen
Bundestages selbst liegt.

Zudem ist zu beachten, dass das Festhalten an der geltenden
Rechtslage weiter dazu beitragen würde, das Ansehen des
Deutschen Bundestages bei den Bürgern immer wieder zu

beeinträchtigen und das Vertrauen in das Parlament und sei-
ne Tätigkeit zu schwächen. Das Vertrauen der Bevölkerung
in die Entscheidungen der Politik zählt zu den wesentlichen
Voraussetzungen für das Funktionieren der parlamentari-
schen Demokratie.

Deshalb ist Artikel 48 Abs. 3 GG zu ergänzen, um die recht-
liche Grundlage für eine unabhängige, vom Bundespräsiden-
ten zu berufende Sachverständigenkommission zu schaffen.
Die Verlagerung von Entscheidungen aus dem Parlament
heraus, sei es auf das Bundesverfassungsgericht, sei es auf
die Bundesbank, ist der Verfassung nicht fremd.

Die Kommission wird vom Bundespräsidenten, der zu über-
parteilicher Amtsführung verpflichtet ist und der hohes An-
sehen genießt, berufen. Auf diesem Weg können das Ver-
trauen der Bürgerinnen und Bürger in eine an objektiven
Maßstäben orientierte Entscheidung über die Höhe und An-
passung der Abgeordnetenentschädigung wiedergewonnen
und das Ansehen des Deutschen Bundestages gestärkt wer-
den. Hierzu ist eine grundlegende strukturelle Reform uner-
lässlich.

Die gegen eine Änderung des Grundgesetzes vorgebrachte
Argumentation stützt sich auf eine Ausführung des Bundes-
verfassungsgerichts aus dem Jahr 1975 (E 40, 296, 316 f.).
Dieses hatte dargelegt, auch Artikel 48 Abs. 3 GG zähle zu
den „Essentialien des demokratischen Prinzips“ und sei
dementsprechend für den Gesetzgeber unantastbar. Diese
Formulierung ist jedoch missverständlich, da der durch
Artikel 79 Abs. 3 GG geschützte unabänderliche Kern des
Grundgesetzes bei verfassungssystematischer Betrachtung
nicht berührt wird.

Ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip (Artikel 20 Abs. 2
GG) liegt nicht vor, weil die Kompetenz zur Festsetzung der
Abgeordnetenentschädigung durch eine souveräne Entschei-
dung des Gesetzgebers in einem Einzelfall und in eigener
Sache auf die Kommission übertragen wird. Nur die Ent-
scheidung über die Anpassung der Leistungen wird vom
Parlament auf die Kommission verlagert. Dem Parlament
verbleibt die Kompetenz, Grundentscheidungen durch ent-
sprechende Vorgaben im Abgeordnetengesetz selbst zu
schaffen. Im Abgeordnetengesetz müssen die materiellen
Vorgaben getroffen werden, welche Bestandteile aufgrund
der verfassungsrechtlichen Stellung des Abgeordneten zwin-
gend zur Abgeordnetenentschädigung gehören. Das sich aus
Artikel 38 Abs. 1 GG i. V. m. Artikel 77 Abs. 1 und Artikel
110 Abs. 2 Satz 1 GG ergebende Recht des Parlaments über
die auf einer Grundentscheidung des Parlaments aufbauende
Anpassung der Entschädigungsleistung zu entscheiden, kann
nicht dem verfassungsänderungsfesten Kernbereich gemäß
Artikel 79 Abs. 3 GG des Demokratieprinzips zugerechnet
werden. Dies entspricht auch der sehr restriktiven Interpreta-
tion von Artikel 79 Abs. 3 GG durch das Bundesverfas-
sungsgericht.

Zu Artikel 2

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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