BT-Drucksache 16/9054

Entwurf eines Achtundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Abgeordnetengesetzes

Vom 6. Mai 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/9054
16. Wahlperiode 06. 05. 2008

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Jörg van Essen, Dr. Max Stadler, Jens Ackermann, Dr. Karl
Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Ulrike Flach, Otto Fricke,
Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen,
Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel
Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner
Hoyer, Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina
Lenke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Markus Löning, Horst Meierhofer,
Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhard Müller-Sönksen, Dirk Niebel,
Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg
Rohde, Frank Schäffler, Dr. Konrad Schily, Marina Schuster, Dr. Rainer Stinner,
Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Volker Wissing, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Entwurf eines Achtundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des
Abgeordnetengesetzes

A. Problem

Die Entschädigung der Mitglieder des Deutschen Bundestages und die damit zu-
sammenhängenden Entscheidungen des Deutschen Bundestages stehen immer
wieder im Mittelpunkt öffentlicher Kritik. Regelmäßig wird der Vorwurf der
Selbstbedienung erhoben, denn kein anderer Berufsstand kann über den Umfang
und die Struktur seiner Bezüge selbst entscheiden. Dabei wird übersehen, dass
dies nicht dem Willen der Abgeordneten entspricht, sondern verfassungsrecht-
lich vorgegeben ist.

B. Lösung

Berufung einer unabhängigen Sachverständigenkommission durch den Bundes-
präsidenten, die die angemessene Abgeordnetenentschädigung gemäß Artikel
48 Abs. 3 des Grundgesetzes ermittelt und festgelegt.

C. Alternativen

Beibehaltung der geltenden Rechtslage.

D. Kosten

Kosten für die Arbeit der Kommission.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 2 – Drucksache 16/9054

Entwurf eines Achtundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des
Abgeordnetengesetzes

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Abgeordnetengesetzes

Das Abgeordnetengesetz in der Fassung der Bekannt-
machung vom 21. Februar 1996 (BGBl. I S. 326), zuletzt
geändert durch …, wird wie folgt geändert:

§ 30 wird wie folgt gefasst:

㤠30
Anpassungsverfahren

(1) Der Bundespräsident beruft nach Inkrafttreten dieses
Gesetzes eine Kommission unabhängiger Sachverständiger.
Unter Beachtung des verfassungsrechtlichen Angemessen-
heitsgebotes und unter Berücksichtigung der allgemeinen
Einkommens- und Preisentwicklung setzt die Kommission
jährlich zum 1. März die die Unabhängigkeit des Mandats
sichernde Abgeordnetenentschädigung fest. Hierüber be-
richtet sie dem Präsidenten des Deutschen Bundestages, der
den Bericht veröffentlicht.

(2) Bis zum 1. Februar 2009 überprüft die Kommission
die rechtliche Angemessenheit der Altersversorgung und un-
terbreitet dem Deutschen Bundestag einen Vorschlag, wie
das bestehende Altersversorgungsrecht insbesondere unter
dem Gesichtspunkt einer stärkeren Eigenverantwortung der
Mitglieder des Bundestages geändert werden kann.

(3) Die Kommission wird jeweils für die Amtszeit des
Bundespräsidenten berufen.“

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in
Kraft.

Berlin, den 6. Mai 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/9054

Begründung

Zu Artikel 1

Nach Artikel 48 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) haben die
Abgeordneten Anspruch auf eine angemessene, ihre Un-
abhängigkeit sichernde Entschädigung. Das ist eine zwin-
gende Konsequenz des Artikels 38 GG, der Wesen und Auf-
trag des Mandats bestimmt und den Abgeordneten von
Weisungen und Aufträgen freistellt. Allgemeine, freie und
gleiche Wahlen als Grundvoraussetzung eines demokra-
tischen Staates erfordern zudem zwingend, dass jeder Wahl-
berechtigte sich rechtlich und tatsächlich auch um ein Man-
dat bemühen darf und kann und dass nach der Wahl auch die
unabhängige, von Aufträgen und Weisungen freie Wahrneh-
mung des Mandats gewährleistet ist.

Die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages und die
damit zusammenhängenden Entscheidungen des Deutschen
Bundestages stehen immer wieder im Mittelpunkt öffent-
licher Kritik. Regelmäßig wird der Vorwurf der Selbstbedie-
nung erhoben, denn kein anderer Berufsstand kann über den
Umfang und die Struktur seiner Bezüge selbst entscheiden.
Dabei wird übersehen, dass dies nicht dem Willen der Abge-
ordneten entspricht, sondern verfassungsrechtlich vorgege-
ben ist. Der Gesetzgeber hat über die Rechtsstellung der Ab-
geordneten – hierzu gehört nicht nur die rechtliche, sondern
auch die materielle Ausgestaltung des Mandats – durch Ge-
setz zu befinden.

Der Deutsche Bundestag hat immer wieder versucht, unab-
hängigen Sachverstand zumindest in den Vorbereitungspro-
zess parlamentarischer Entscheidungen über die Abgeordne-
tenentschädigung einzubeziehen, um den Vorwurf der
Selbstbegünstigung zu entkräften. So berief er etwa 1974 zur
Frage der Besteuerung der Diäten den Beirat für Entschädi-
gungsfragen, 1990 ein Gremium unabhängiger Persönlich-
keiten zur Beratung der Bundestagspräsidentin bei der Über-
prüfung der für die Mitglieder des Bundestages bestehenden
materiellen Regelungen und Bestimmungen und zuletzt
1992 die Unabhängige Kommission zur Überprüfung des
Abgeordnetenrechts. Auswirkungen auf Form und Ausmaß
der öffentlichen Kritik hat die Einschaltung dieser Gremien
aber kaum gehabt. Die Berichterstatter in der Gemeinsamen
Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat ha-
ben erwogen, durch eine Änderung des Artikels 48 Abs. 3
GG die Entscheidung über die Höhe der Diäten einer vom
Bundespräsidenten einzusetzenden unabhängigen Kommis-
sion zu übertragen. Die Beratungen wurden allerdings nicht
zu Ende geführt.

Auch die 1995 und 2007 beschlossene Orientierung der Ab-
geordnetenentschädigung an den Bezügen eines Richters bei
einem obersten Gerichtshof des Bundes oder eines kommu-
nalen Wahlbeamten auf Zeit hat nicht dazu beigetragen, dem
Vorwurf der Selbstbedienung die Grundlage zu entziehen.
Dieser Vorwurf wird so lange erhoben werden, wie die Ent-
scheidung über die Höhe der Diäten in den Händen des Deut-
schen Bundestages selbst liegt. Sie sollte daher stattdessen
von einer unabhängigen, vom Bundespräsidenten einzuset-
zenden Sachverständigenkommission getroffen werden. Nur
so kann das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in eine an
objektiven Maßstäben orientierte Entscheidung über die An-

passung der Abgeordnetenentschädigung wiedergewonnen
und somit das Ansehen des Deutschen Bundestages insge-
samt gestärkt werden. Das Vertrauen der Bevölkerung in die
Entscheidungen der Politik ist eine wesentliche Vorausset-
zung für das Funktionieren der parlamentarischen Demokra-
tie. Eine grundlegende strukturelle Reform der Abgeordne-
tenentschädigung ist dafür unerlässlich.

Die Kommission unabhängiger Sachverständiger wird be-
auftragt,

a) zu Beginn ihrer Tätigkeit eine für die Angemessenheit
der Abgeordnetenentschädigung maßgebliche Bezugs-
größe festzusetzen,

b) nach eigener Abwägung unter Berücksichtigung der Ein-
kommens- und Preisentwicklung die Abgeordnetenent-
schädigung festzusetzen und

c) dem Präsidenten des Deutschen Bundestages hierüber
Bericht zu erstatten.

Bei der Festsetzung der Abgeordnetenentschädigung sind
die vom Bundesverfassungsgericht formulierten Grundsätze
(E 40, 296, 315 f.) zu beachten. Danach muss die Entschädi-
gung

– für die Abgeordneten und Familien während der Dauer
des Mandats eine ausreichende Existenzgrundlage abge-
ben können;

– der Bedeutung des Amtes unter Berücksichtigung der da-
mit verbundenen Verantwortung und Belastung und des
diesem Amt im Verfassungsgefüge zukommenden Ran-
ges gerecht werden;

– die Abgeordneten in die Lage setzen, sich ihrer parlamen-
tarischen Tätigkeit auch um den Preis eines völligen oder
teilweisen Verzichts auf berufliches Einkommen zu wid-
men.

Auch bei der Altersvorsorge der Abgeordneten wird die
Orientierung an beamtenrechtlichen Regelungen dem beson-
deren Status der Abgeordneten nicht gerecht. 1977 wurden
die eigenständige beitragsgebundene Alterssicherung für
Abgeordnete aufgegeben und ein beamtenrechtlicher Pen-
sionsanspruch eingeführt. Nach dem Grundgesetz und den
Länderverfassungen sind Abgeordnete jedoch weder Be-
amte noch Angestellte. Sie sollten daher weder die bisher ge-
währten beamtenähnlichen Pensionen erhalten noch in die
Rentenkasse einzahlen. Es ist ganz allein Sache des Abge-
ordneten, Vorsorge für den Fall der Arbeitsunfähigkeit und
des Alters zu treffen. Ein privatwirtschaftliches Versiche-
rungsmodell, das den Abgeordneten größtmögliche Ent-
scheidungsfreiheit belässt, sich im Rahmen der gesetzlichen
Möglichkeiten auch in solchen Altersversorgungssystemen
abzusichern, denen sie aufgrund vorausgegangener beruf-
licher Tätigkeit bereits angehören, würde dem verfassungs-
rechtlichen Status der Mitglieder des Bundestages besser
entsprechen. Das Europaparlament hat dies für seine Mit-
glieder beispielhaft geregelt. Deshalb wird der Auftrag der
Kommission unabhängiger Sachverständiger erweitert, bis
1. Februar 2009 die rechtliche Ausgestaltung der Altersver-
sorgung ebenfalls unter Vorgabe des verfassungsrechtlichen

Drucksache 16/9054 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Angemessenheitsgebotes zu überprüfen und dem Deutschen
Bundestag einen Vorschlag zu unterbreiten, wie das beste-
hende Altersversorgungsrecht für die Abgeordneten so geän-
dert werden kann, dass

a) einer stärkeren Eigenverantwortung der Abgeordneten
Rechnung getragen wird,

b) die Abgeordneten sich mit Eigenbeiträgen selbst an der
Finanzierung beteiligen können,

c) die Kompatibilität mit anderen Altersversorgungssyste-
men gewährleistet bleibt,

d) der formalisierte Gleichheitssatz im Blick auf identische
Versorgungsanwartschaften für gleiche Mandatszeiten
gewahrt wird und

e) die Gleichwertigkeit von mandatsbedingtem Nachteils-
ausgleich einerseits und Vermeidung einer das Verblei-
ben im Parlament beeinflussenden Überversorgung ande-
rerseits Beachtung findet.

Zu Artikel 2

Artikel 2 regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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