BT-Drucksache 16/895

Situation von deutschen Gefangenen im Ausland

Vom 8. März 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/895
16. Wahlperiode 08. 03. 2006

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Werner Hoyer,
Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster),
Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring,
Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth),
Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Michael Kauch,
Hellmut Königshaus, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann,
Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt,
Jan Mücke, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Gisela Piltz, Jörg Rohde,
Dr. Konrad Schily, Marina Schuster, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Christoph
Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr),
Martin Zeil, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Situation von deutschen Gefangenen im Ausland

Die aktuellen Berichte über angebliche Verhöre von im Ausland festgehaltenen
deutschen Staatsbürgern durch deutsche Ermittler rücken das generelle Schick-
sal Deutscher in ausländischen Gefängnissen in den Vordergrund der politischen
Debatte. Es sind jedoch nicht nur die Haftbedingungen der Deutschen von Be-
lang, die im Zusammenhang mit dem Kampf gegen den Terror im Ausland in-
haftiert sind. Die Mehrzahl der im Ausland inhaftierten Deutschen ist aufgrund
von Vorwürfen wegen krimineller Delikte ohne politischen Hintergrund inhaf-
tiert. Entweder befinden sie sich in Untersuchungshaft oder sind rechtskräftig
verurteilt. Häufig sind die Umstände der Inhaftierung ungewiss.

Nach § 7 KonsulG ist es Aufgabe der deutschen Konsulate, deutsche Untersu-
chungs- und Strafgefangene auf deren Verlangen hin zu betreuen und ihnen ins-
besondere Rechtsschutz zu vermitteln. Das Wiener Übereinkommen über kon-
sularische Beziehungen (WÜK) vom 24. April 1963 bestimmt in Artikel 36
Abs. 1 lit b.), dass auf Verlangen des Betroffenen die konsularische Vertretung
des Entsendestaats (in diesem Fall Deutschlands) zu unterrichten ist. Darüber
hinaus bestehen mit zahlreichen Staaten Abkommen, wonach eine Unterrich-
tung der konsularischen Vertretung in jedem Fall und unabhängig vom Willen
des Betroffenen – also von Amts wegen – stattfinden muss. Die Fälle El-Masri
oder der Gebrüder LaGrand haben jedoch gezeigt, dass diese Unterrichtung der

Bundesregierung nicht immer erfolgt. Es ergibt sich also eine Dunkelziffer von
Personen, die wahrscheinlich von anderen Staaten festgehalten werden, deren
Inhaftierung der Bundesrepublik jedoch nicht gemeldet wurde. Dadurch können
sowohl die Rechte der Strafgefangene als auch die Rechte der Bundesrepublik
Deutschland verletzt werden.

Drucksache 16/895 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die aktuelle Diskussion über die mögliche Verletzung von Menschenrechten
von Deutschen in ausländischen Haftanstalten hat die Sorge um das Wohl dieser
Bürger verstärkt. Der Deutsche Bundestag muss bemüht sein, ein aktuelles Bild
über die Haftbedingungen von im Ausland gefangenen Deutschen zu erhalten
und zu erfahren, wie die Bundesregierung ihrem Schutzauftrag diesen Bürgern
gegenüber nachkommt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. a) Wie viele deutsche Staatsangehörige befinden sich derzeit im Gewahrsam
anderer Staaten?

b) Treten dabei bestimmte Staaten und Regionen besonders hervor?

c) Wie viele deutsche Staatsangehörige befinden sich in Untersuchungshaft,
und wie viele sitzen rechtskräftig verurteilt eine Haftstrafe ab?

d) Wie hoch schätzt die Bundesregierung die Dunkelziffer von inhaftierten
deutschen Staatsbürgern ein, über deren Festsetzung die Bundesrepublik
nicht rechtzeitig oder überhaupt nicht informiert wurde?

e) Gibt es Staaten, bei denen es im Zeitraum von 2000 bis 2005 vorkam, dass
sie die Inhaftierung von deutschen Staatsbürgern nicht rechtzeitig oder
ordnungsgemäß den deutschen Behörden gemeldet haben?

Wenn ja, welches sind diese Staaten, was waren die Gründe dafür?

f) Gibt es Staaten, in denen deutsche Staatsbürger ohne Anklage in Haft
sitzen?

Falls ja, welche Staaten sind dies, und seit wann sind dort deutsche Staats-
bürger inhaftiert?

g) Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen deutsche Staatsbürger
einem „Verschwindenlassen“ zum Opfer gefallen sind bzw. gibt es Fälle,
in denen dies vermutet wird?

Falls ja, welches sind die verantwortlichen Staaten und welche Maßnah-
men wurden zur Aufklärung dieser Fälle ergriffen?

h) Gibt es Staaten, in denen die Dauer der Untersuchungshaft regelmäßig un-
verhältnismäßig lang ist, und steht die Bundesregierung ggf. mit diesen
Staaten in Verhandlungen, um für deutsche Untersuchungsgefangene Ab-
hilfe zu schaffen?

2. a) Wie detailliert ist die Bundesregierung über die Haftbedingungen von
deutschen Staatsbürgen im Ausland informiert?

b) In welchen Staaten wurde den deutschen Behörden in welchen Einzel-
fällen im Zeitraum von 2000 bis 2005 der Zugang zu inhaftierten deut-
schen Staatsbürgern verwehrt, sodass sich die deutschen Konsularbeam-
ten kein Bild von den Haftbedingungen machen können?

c) Für welche Länder schätzt die Bundesregierung die Haftbedingungen dort
inhaftierter Deutscher als schlecht oder sogar als prekär ein?

d) Ist der Bundesregierung bekannt, ob deutsche Staatsbürger im Ausland in
staatlicher Haft/Verwahrung gefoltert wurden?

Falls ja, wo und unter welchen Umständen?

e) Was unternimmt die Bundesregierung, um das Los von im Ausland inhaf-
tierten Landsleuten zu erleichtern?

f) Gibt es Ressourcendefizite, mit denen die deutschen Konsularbehörden
bei der Unterstützung von im Ausland inhaftierten Deutschen zu kämpfen

haben?

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/895

3. a) Wie vielen Deutschen droht in welchen Staaten derzeit die Todesstrafe?

Wie viele davon sind bereits rechtskräftig verurteilt, und wie viele Verfah-
ren laufen noch?

b) Für welche Vergehen wurden diese inhaftierten Deutschen zum Tode bzw.
zu körperlichen Strafen verurteilt?

c) Wie viele Todes- oder körperliche Strafen wurden im Zeitraum von 2000
bis 2005 im Ausland gegen Deutsche vollstreckt?

4. Wie geht die Bundesregierung in Fällen vor, in denen ein deutscher Staats-
bürger darüber hinaus noch eine weitere oder mehrere andere Staatsbürger-
schaften besitzt?

5. a) Genießen Deutsche, die im Rahmen offizieller Missionen oder mit einem
Auftrag im öffentlichen Interesse ins Ausland reisen, ohne Diplomaten zu
sein (z. B. THW-Mitarbeiter bei Bergungsarbeiten nach Erdbeben, Ent-
wicklungshelfer oder Helfer von NROs), besondere Schutzmechanismen,
die ihnen einen besseren Schutz vor eventueller strafrechtlicher Verfol-
gung gewähren?

b) Gibt es für diese Personen Vereinbarungen, die etwa mit den Truppen-
stationierungsabkommen vergleichbar sind?

Falls ja, mit welchen Staaten, für welche Personen und mit welchem Inhalt
bestehen diese Vereinbarungen?

Falls nein, was sind die Gründe für das Fehlen solcher Vereinbarungen?

c) Wie werden diese Personen im Hinblick auf eine mögliche Strafverfol-
gung auf ihren Auslandsaufenthalt vorbereitet?

6. a) Wie viele Deutsche sind im Ausland zu Strafen verurteilt worden bzw.
warten auf ein Urteil auf der Grundlage von Straftatbeständen, die es in
Deutschland nicht gibt (Beispiel Ehebruch)?

b) Welche Staaten, welche Straftatbestände, welche Sanktionen und welches
Strafmaß betrifft dies?

c) In welchen Ländern gibt es für gleiche Tatbestände eklatante Abweichun-
gen des Strafmaßes im Verhältnis zum deutschen Strafrecht (beispiels-
weise Todesstrafe oder extrem hohe Haftstrafen selbst für geringe Mengen
Drogenbesitzes in einigen Ländern Südostasiens)?

d) Wie steht die Bundesregierung zu dem Vorschlag, dass Reiseveranstalter
verpflichtet werden sollten, ihre Kunden auf das unterschiedliche Risiko
durch drastische Strafen bei Vergehen in einigen Ländern hinzuweisen?

7. a) Wie viele im Ausland verurteilte Deutsche wurden bis heute nach dem so
genannten Transferabkommen (Übereinkommen über die Überstellung
verurteilter Personen vom 21. März 1983) nach Deutschland überführt,
um hier ihre Strafe zu verbüßen?

b) In welchem Verhältnis stehen die in Deutschland verbüßten Reststrafen zu
den ursprünglich ausgesprochenen?

8. Falls der Bundesregierung in Bezug auf die vorangegangenen Fragen keine
konkreten Zahlen vorliegen, was ist der Grund dafür, und wie würde die Bun-
desregierung die entsprechenden Angaben schätzen?

Berlin, den 7. März 2006
Florian Toncar
Burkhardt Müller-Sönksen

Drucksache 16/895 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Dr. Werner Hoyer
Jens Ackermann
Dr. Karl Addicks
Christian Ahrendt
Daniel Bahr (Münster)
Rainer Brüderle
Angelika Brunkhorst
Ernst Burgbacher
Patrick Döring
Mechthild Dyckmans
Jörg van Essen
Paul K. Friedhoff
Horst Friedrich (Bayreuth)
Hans-Michael Goldmann
Miriam Gruß
Joachim Günther (Plauen)
Dr. Christel Happach-Kasan
Heinz-Peter Haustein
Elke Hoff
Michael Kauch
Hellmut Königshaus
Gudrun Kopp
Jürgen Koppelin
Heinz Lanfermann
Sibylle Laurischk
Harald Leibrecht
Ina Lenke
Horst Meierhofer
Patrick Meinhardt
Jan Mücke
Dirk Niebel
Hans-Joachim Otto (Frankfurt)
Gisela Piltz
Jörg Rohde
Dr. Konrad Schily
Marina Schuster
Dr. Max Stadler
Dr. Rainer Stinner
Christoph Waitz
Dr. Claudia Winterstein
Dr. Volker Wissing
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Martin Zeil
Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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