BT-Drucksache 16/8879

Das Ratifizierungsverfahren zum Vertrag von Lissabon aussetzen - Ein Sozialprotokoll vereinbaren

Vom 23. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8879
16. Wahlperiode 23. 04. 2008

Antrag
der Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin,
Dr. Lothar Bisky, Sevim Dag˘delen, Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Inge Höger,
Dr. Hakki Keskin, Michael Leutert, Ulla Lötzer, Dr. Norman Paech, Paul Schäfer
(Köln), Alexander Ulrich und der Fraktion DIE LINKE.

Das Ratifizierungsverfahren zum Vertrag von Lissabon aussetzen –
Ein Sozialprotokoll vereinbaren

Der Bundestag wolle beschließen:

Das weitere Ratifizierungsverfahren zum Vertrag von Lissabon wird ausgesetzt.
Die Bundesregierung wird beauftragt, dass Ratifikationsverfahren nicht fortzu-
führen, insbesondere eine Ratifikationsurkunde nicht zu hinterlegen.

Die Bundesregierung wird ferner beauftragt, Initiativen mit dem Ziel zu ergrei-
fen, ein weiteres Protokoll zum Vertrag von Lissabon zu verhandeln und zu ver-
einbaren, das eine sog. soziale Fortschrittsklausel beinhaltet und den Vorrang
der Grundrechte und Grundwerte vor den Grundfreiheiten des Kapitals (Nieder-
lassungsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit, Kapitalsverkehrsfreiheit) primärrecht-
lich gewährleistet.

Berlin, den 22. April 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Die jüngsten Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in den Fällen
Rüffert, Laval und Viking Line hebeln das Streikrecht und nationale Regelungen
zur Sicherung von Mindest- und Tariflöhnen aus. Nach Aussagen des Europäi-
schen Gewerkschaftsbundes sowie der deutschen und schwedischen Gewerk-
schaften haben diese Urteile die Idee eines sozialen Europa schwer beschädigt.
Die schwedischen und deutschen Gewerkschaften fordern zudem die Staats-
und Regierungschefs der EU sowie die Europäische Kommission in Brüssel ein-

dringlich auf, „sofort Regelungen zu erlassen, mit denen alle Mitgliedstaaten
wirksam gegen Lohndumping vorgehen können“.

Drucksache 16/8879 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Um Wiederholungen solcher arbeitnehmer- und gewerkschaftsfeindlicher
Urteile zu vermeiden, fordert der Europäische Gewerkschaftsbund die Auf-
nahme einer sog. sozialen Fortschrittsklausel in die europäischen Verträge. In
einem solchen Protokoll soll verbindlich festlegt werden, dass die Verträge und
insbesondere die in ihnen rechtlich fixierten Grundfreiheiten des Binnenmarkts
so interpretiert werden müssen, dass die Grundrechte und vor allem Arbeits-
kampfmaßnahmen nicht beeinträchtigt werden können.

Die Besorgnis der europäischen Gewerkschaften ist berechtigt. Angesichts der
Urteile des EuGH besteht dringender Handlungsbedarf. Mit der sog. sozialen
Fortschrittsklausel muss klargestellt werden, dass Grundrechte Vorrang vor
freiem Kapital- und Warenverkehr, Dienstleistungsfreiheit und Freizügigkeit
haben. Nationalstaatliche Regelungen zum Schutz von Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern dürfen nicht weiter den Grundfreiheiten des Binnenmarkts un-
tergeordnet werden. Die jüngsten Urteile des EuGH zeigen, dass hier nur wirk-
same Abhilfe über eine primärrechtliche Veränderung der EU-Verträge zu schaf-
fen ist. Lohnunterbietungswettbewerb und Dumpinglöhne müssen in allen Mit-
gliedstaaten verhindert werden können. Es kann nicht angehen, dass der EuGH
zentrale soziale Standards in den Mitgliedstaaten vom Tisch fegt, die nationalen
Tarifsysteme aushöhlt und die Tarifautonomie gefährdet.

Der Ratifizierungsprozess des Vertrags von Lissabon, der nach übereinstimmen-
der Auffassung Urteile des EuGH, die den Vorrang der Grundfreiheiten des Bin-
nenmarkts vor Grundrechten und nationalstaatlichen Schutzregelungen postu-
lieren, weiterhin ermöglicht, sollte deshalb solange ausgesetzt werden, bis der
Europäische Rat eine Einigung über die Einfügung einer sog. sozialen Fort-
schrittsklausel in die EU-Verträge erreicht hat. Nur damit kann wirksam gewähr-
leistet werden, dass das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes nicht noch weiter
durch europarechtliche Regelungen und EU-Rechtsetzung ausgehöhlt wird.

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