BT-Drucksache 16/8749

Auswirkungen von Studiengebühren evaluieren - Monitoringsystem umgehend aufbauen

Vom 9. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8749
16. Wahlperiode 09. 04. 2008

Antrag
der Abgeordneten Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn), Krista Sager, Ekin Deligöz,
Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, Grietje Staffelt, Josef Philip Winkler
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Auswirkungen von Studiengebühren evaluieren – Monitoringsystem umgehend
aufbauen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Januar 2005 hob das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) das Verbot all-
gemeiner Studiengebühren auf, das in der damaligen Fassung des Hochschul-
rahmengesetzes festgeschrieben war. Seitdem haben sieben Bundesländer allge-
meine Studiengebühren eingeführt. Dies war, ist und bleibt eine tief greifende
Fehlentwicklung mit schwerwiegenden Konsequenzen für Studienberechtigte,
Studierende und Hochschulen.

Schon jetzt zeigen sich erste klare Belege, dass Studiengebühren die befürchte-
ten negativen Auswirkungen haben. Allgemeine Studiengebühren schrecken vor
allem junge Menschen aus einkommensarmen und hochschulfernen Elternhäu-
sern vom Studium ab und verschärfen damit die soziale Selektivität des Hoch-
schulzugangs. Zudem senken Studiengebühren die Attraktivität des Studiums
für alle Studienberechtigten und wirken damit der dringend benötigten Steige-
rung der Akademikerquote entgegen. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes
von Ende 2007 zeigten zuletzt einen deutlichen Trend. Die Steigerung der Stu-
dienanfängerzahl um 3,8 Prozent im Jahr 2007 ging fast ausschließlich auf die
neun Bundesländer zurück, in denen keine allgemeinen Studiengebühren erho-
ben werden. Ungeachtet dieser ersten klaren Anzeichen verweigert die Bundes-
regierung trotz ihrer gesamtstaatlichen Verantwortung bislang systematische
und regelmäßige Untersuchungen zu den fatalen Folgen der Studiengebühren.

Aufgrund der Auflagen des BVerfG ist eine differenzierte Beobachtung der Aus-
wirkungen von Studiengebühren erforderlich. In seinem Urteil vom 26. Januar
2005 hat das Gericht klargestellt, dass es Aufgabe der Länder sei, dafür zu
sorgen, dass die Einführung von Studiengebühren die Chancengleichheit nicht
verletzt. Dabei äußerte das Gericht die ausdrückliche Erwartung an die Länder,
dass die Belange einkommensschwacher Bevölkerungsteile nicht verletzt wer-
den. Daher muss ein Studiengebühren-Monitoring umgehend aufgebaut werden,

das besonders die Folgen für Studienberechtigte und Studierende aus einkom-
mensschwachen und sozialen Minderheiten in den Blick nimmt.

In seiner Urteilsbegründung hat das BVerfG zudem festgestellt, dass nicht aus-
geschlossen werden könne, dass Einzelne durch Studiengebühren für sie unaus-
weichlich und in einem überdurchschnittlichen Maße belastet werden. Das Ge-
richt hat im Folgenden ausdrücklich festgestellt, dass „zumindest derzeit“ kein
Eingreifen des Bundesgesetzgebers zur Herstellung gleichwertiger Lebensver-

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hältnisse erforderlich sei, weil zum Zeitpunkt der Urteilssprechung die Möglich-
keit derartiger Fälle nicht näher quantifiziert werden konnte. Wenn sich jedoch
gegenteilige Entwicklungen konkret abzeichnen, sei ein Eingreifen des Bundes
gerechtfertigt (vgl. Urteil, u. a. Randziffer 72, 81).

Damit hat das BVerfG klare Vorgaben formuliert, denen Studiengebühren bei
einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten müssen. Die Beurteilung,
wann ein Eingreifen des Bundesgesetzgebers zur Korrektur von Studiengebüh-
ren zur Wahrung der Chancengleichheit gerechtfertigt oder gar notwendig ist,
hängt dabei von den empirisch beobachteten Auswirkungen von Studiengebüh-
ren ab. Deshalb kommt einem regelmäßigen und konsequenten Monitoring ent-
scheidende Bedeutung zu. Es stellt die erforderlichen Daten zur Verfügung, auf
denen eine entsprechende Entscheidung basieren kann. Die Frage, ob diese
Daten erhoben werden, ist also von verfassungsrechtlicher Relevanz.

Die klaren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts schienen zunächst auf
offene Ohren zu stoßen. Im Oktober 2005 beauftragte die Minister-Arbeits-
gruppe „Hochschulfinanzierung“ die zuständigen Gremien der Kultusminister-
konferenz damit, ein detailliertes Monitoring zu den Auswirkungen der Einfüh-
rung von Studiengebühren bis Ende 2006 vorzulegen. Seitdem ist nichts
geschehen. Nach Aussage ihrer Präsidentin befasst sich die Kultusministerkon-
ferenz auch im Jahr 2008 nicht mit der Einrichtung eines Monitoringsystems.

Auch die Bundesregierung weigert sich, den notwendigen Schritt zur Umset-
zung der Auflagen des Bundesverfassungsgerichts zu tun. Im November 2007
lehnte sie in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Bundestagsdrucksache 16/6922) eigene Aktivi-
täten mit dem Verweis darauf ab, dass „ein umfassendes Monitoring hierzu bei
der Kultusministerkonferenz der Länder angesiedelt“ sei. Ein zentraler Bestand-
teil der Bundeskompetenz Bildungsforschung wird damit brachliegen gelassen
und ignoriert.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● die Wirkung von Studiengebühren im Rahmen der empirischen Bildungsfor-
schung zu untersuchen. Dazu muss in die dort vorgesehene „Analyse von Bil-
dungsentscheidungen und Bildungsprozessen bei kritischen Übergängen“ ein
verbindliches, detailliertes und regelmäßiges Studiengebühren-Monitoring
einbezogen werden. Die Ergebnisse sind als regelmäßiger Teil der Bildungs-
berichterstattung „Bildung im Lebensverlauf“ zu veröffentlichen;

gemeinsam mit den Ländern

– schnellstmöglich ein zielgerichtetes Monitoring der Studiengebühren zu
beginnen. Dieses Monitoring muss eine regelmäßige, systematische und
umfassende repräsentative und genderspezifische Untersuchung in Bezug
auf Studienberechtigte, Studienanfänger/Studienanfängerinnen, Studien-
abbrecher/Studienabbrecherinnen und Absolventen/Absolventinnen um-
fassen. Dabei muss besonderes Augenmerk gerichtet werden auf Angehö-
rige bildungsferner Schichten, aus einkommensarmen Familien und
Familien mit Migrationshintergrund;

– auf die Abschaffung allgemeiner Studiengebühren für das Erststudium
hinzuwirken.

Berlin, den 9. April 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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