BT-Drucksache 16/8728

Probleme bei der Ausführung des Anti-D-Hilfegesetzes

Vom 4. April 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8728
16. Wahlperiode 04. 04. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Frank Spieth, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, Diana Golze,
Katja Kipping, Dr. Ilja Seifert und der Fraktion DIE LINKE.

Probleme bei der Ausführung des Anti-D-Hilfegesetzes

Schon seit langem wenden sich Frauen, die Ende der 70er Jahre in der DDR im
Rahmen der Anti-D-Prophylaxe mit Hepatitis-C-Viren (HCV) infiziert wurden,
an die Ministerien für Arbeit und Soziales und für Gesundheit, sowie an Abge-
ordnete des Deutschen Bundestages und andere Entscheidungsträger, um auf
Mängel bei der Ausführung des Anti-D-Hilfegesetzes hinzuweisen.

Die Angelegenheit beschäftigt mittlerweile auch den Ausschuss für Gesundheit
im Deutschen Bundestag.

Es fand am 20. November 2007 eine Besprechung im Bundesministerium für
Gesundheit statt, zu dem die Betroffenenverbände sowie Vertreter der Länder,
die das Gesetz ausführen, geladen waren. In dieser Besprechung wurde – einem
Brief des Rechtsanwaltes der Betroffenenverbände folgend – in einigen strittigen
Punkten Einigkeit erzielt.

Leider hat sich an der Situation der Betroffenen seither nichts Substantielles ge-
ändert. Den Fragestellern wird seitens der Betroffenenverbände über aktuelle
Anti-D-Hilfegesetz-Bescheide berichtet. Aus diesen geht hervor, dass den
Frauen weiterhin von der Versorgungsverwaltung auf der Basis nicht mehr
messbarer Viruslast, die als Ausheilung angesehen wird, die bindende Aner-
kennung von Gesundheitsstörungen abgesprochen und die Entschädigungs-
rente entzogen wird. Dies könnte unter anderem auch daran liegen, dass mögli-
che Ergebnisse der Besprechung nicht öffentlich kommuniziert werden.

Einige Positionen der Bundesregierung zu dem Gesetz sollten daher nach Auf-
fassung der Fragesteller konkretisiert werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Obliegt der Versorgungsverwaltung für ihr Ergebnis, ein von ihr anerkannter
Gesundheitszustand habe sich verbessert, so dass die anerkannte Minderung
der Erwerbsfähigkeit (MdE) nach ihrer Ansicht herabgestuft werden müsse,
die Darlegungs- und Beweislast?
2. Falls die Versorgungsverwaltungen der Länder die Beweislast tragen: Wur-
den die Länder darüber informiert und gebeten, die Versorgungsämter darauf
hinzuweisen?

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3. Hat die Bundesregierung die Versorgungsämter noch einmal aktualisiert zu
den Besonderheiten der „wesentlichen Änderung der Verhältnisse bei chro-
nischen Leiden“ auf den Inhalt des Rundschreibens des Bundesministe-
riums für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 31. Juli 2001 (Bundesarbeits-
blatt 9/2001, – Gz.: IV c 5 (neu) -65430-10/65463-5/1-) hingewiesen, was
nach Auffassung der Betroffenenverbände in dem oben genannten Ge-
spräch allseits unterstützt wurde?

Falls nicht, ist dies beabsichtigt, und wann?

4. Wenn es keinen Anlass für eine Nachuntersuchung außer der Fürsorge-
pflicht des Staates gibt, soll es dann den Betroffenen nach Vorankündigung
freigestellt werden, sich einer solchen Nachuntersuchung zu unterziehen?

5. Soll sowohl vor, als auch nach erfolgreicher virusreduzierender Therapie
von schematischen, turnusmäßigen Nachuntersuchungen abgesehen wer-
den?

Welche Zeitspannen für Nachprüfungen nach dem Anti-D-Hilfegesetz er-
scheinen der Bundesregierung nach dem Vorhandensein von 30 Jahren
chronischer Folgekrankheiten heute realistisch notwendig?

Welche genauen Kriterien müssen bei fehlendem Verschlimmerungsantrag
vorliegen und erfüllt sein, um für die Versorgungsverwaltung heute einen
Anlass für eine Nachprüfung zu rechtfertigen?

6. Bestätigt die Bundesregierung die Auffassung, dass eine langjährige
chronische Hepatitis-C-Virusinfektion samt Folgen erfahrungsgemäß rela-
tiv konstant verläuft, so dass es ohne konkreten Anlass keiner Nachunter-
suchung bedarf?

7. Ist der Bundesregierung bekannt, dass auch langfristig negative HCV-RNA-
Befunde nach einer chronischen Hepatitis-C-Virusinfektion in keiner Weise
beweisen, dass das Erkrankungsgeschehen der chronischen Folgeerkran-
kungen, insbesondere der extrahepatischen Komplikationen, erloschen bzw.
beendet ist?

8. Ist der Bundesregierung bekannt, dass viele außerhalb der Leber liegende
Folgeerkrankungen der chronischen Hepatitis-C-Virusinfektion, wie z. B.
Gelenk- und Muskelschmerzen, Minderung der mentalen/psychischen
Lebensqualität, Depressionen, abnorme Müdigkeit, kognitive Störungen,
Leistungsschwäche, HCV-Enzephalopathie, nicht mit dem Befund der
HCV-RNA korrelieren?

9. Besteht Einigkeit darüber, dass nach chronischer HCV-Infektion auch
anhaltend negative HCV-Laborbefunde das Fortbestehen der in Frage 8
benannten Folgeerkrankungen nicht ausschließen und dies auch von den
Versorgungsverwaltungen der Länder zu berücksichtigen ist?

10. Ist die Versorgungsverwaltung somit auch aufgefordert, die außerhalb der
Leber liegenden Folgeerkrankungen der HCV-Infektion bei ihrer Beurtei-
lung auch unter Beachtung eines eventuellen autoimmunologischen Pro-
zesses, zu berücksichtigen?

11. Ist der Bundesregierung bekannt, dass nach einer erfolgreichen virusredu-
zierenden Therapie mit dem Ergebnis der nicht mehr messbaren Viruslast
(HCV-RNA-Befund negativ) und ALAT/GPT-Werten im Referenzbereich,
bei Nachprüfungen die Frauen nur noch über einen risikobehafteten und
schmerzhaften operativen Eingriff – die Leberbiopsie – nachweisen kön-
nen, dass die zuvor anerkannte chronische Leberkrankheit „Hepatitis C“
auch weiterhin fortbesteht?

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12. Bestätigt die Bundesregierung die Auffassung, dass bei der Leberkrankheit
„chronische Hepatitis C“, bei der separaten Beurteilung des Lebergewebes
(Histologiebefund) zu den üblichen klinischen Auswirkungen der GdB/
MdE-Bewertung der Tabelle „Histologischer Befund, Seite 83“ in den „An-
haltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädi-
gungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht 2008“, nur diejenigen
gehören, die nur unmittelbar in der Leber wirken (entzündliche Reaktio-
nen) und die sich hieraus ergeben (Umbauprozesse)?

13. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass wenn die üblichen Befind-
lichkeitsstörungen (klinische Symptome) der Leberkrankheit „chronische
Hepatitis C“ gemäß der (klinisch-)entzündlichen Aktivität in den oben ge-
nannten Anhaltspunkten der Tabelle, Seite 82, wenn sie mit einer MdE von
über 10 Prozent hinaus zu bewerten sind, zusätzlich, d. h. MdE-erhöhend
zu berücksichtigen sind?

14. Wurde der in den Fragen 12 und 13 erfragte Sachverhalt so an die Landes-
ministerien/-behörden in einem Rundschreiben der Bundesregierung klar-
gestellt, so wie es laut den Betroffenenverbänden seitens der Bundesregie-
rung freundlicherweise zugesagt wurde?

15. Gehören nach Auffassung der Bundesregierung die extrahepatischen Kom-
plikationen der chronischen Hepatitis-C-Virusinfektion, wie z. B. Gelenk-
schmerzen, Muskelschmerzen, fibromyalgieforme Beschwerden, Arthritis,
Hepatitis-C-Virus-Enzephalopathie, abnorme Müdigkeit, kognitive Störun-
gen, Leistungsschwäche, Antriebslosigkeit, Depressionen, Ängste, Minde-
rung der mentalen/psychischen Lebensqualität, Schilddrüsenerkrankungen,
bei der Beurteilung gemäß den oben genannten Anhaltspunkten zu den übli-
chen Befindlichkeitsstörungen der Leberkrankheit „chronische Hepatitis C“?

16. Sind die extrahepatischen Komplikationen der HCV-Infektion unter Be-
rücksichtigung der oben genannten Anhaltspunkte mit einem weiteren
Grad der MdE gesondert anzugeben und gegebenenfalls erhöhend zu be-
werten?

17. Nach welchen in den oben genannten Anhaltspunkten aufgeführten einzel-
nen Funktionssystemen sind die folgenden mit der HCV-Infektion assoziier-
ten Gesundheitsstörungen jeweilig zu beurteilen: 1. Gelenkschmerzen, Mus-
kelschmerzen, fibromyalgieforme Beschwerden, 2. Arthritis, 3. abnorme
Müdigkeit, kognitive Störungen (Konzentrations- und Gedächtnisstörun-
gen, schnelle Erschöpfung, Schlafstörungen), Leistungsschwäche, Antriebs-
losigkeit, 4. Hepatitis-C-Virus-Enzephalopathie, 5. Vasculitis, 6. Kryoglo-
bulinämie, 7. Depressionen, Ängste, Minderung der mentalen/psychischen
Lebensqualität, 8. Schilddrüsenerkrankungen?

18. Ist die Aufzählung der extrahepatischen Manifestationen unter Rand-
nummer 108 (S. 228) der oben genannten Anhaltspunkte abschließend oder
nur exemplarisch?

Falls sie nur exemplarisch ist, welche extrahepatischen Manifestationen
kommen z. B. noch in Betracht?

19. Gelten die Regelungen der Kannversorgung (oben genannten Anhalts-
punkte, Randnummer 39, S. 153 f.) auch für das Anti-D-Hilfegesetz?

Berlin, den 31. März 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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