BT-Drucksache 16/8583

Auswirkungen und Kosten der geplanten Unfallversicherungsreform 2008

Vom 12. März 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8583
16. Wahlperiode 12. 03. 2008

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Heinz-Peter Haustein, Dr. Heinrich L. Kolb, Birgit Homburger,
Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika
Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van
Essen, Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen,
Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Dr. Christel Happach-Kasan, Elke Hoff,
Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle
Laurischk, Ina Lenke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Michael Link
(Heilbronn), Patrick Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk
Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Jörg Rohde,
Frank Schäffler, Marina Schuster, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Florian
Toncar, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr),
Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Auswirkungen und Kosten der geplanten Unfallversicherungsreform 2008

Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf für eine Reform der
Unfallversicherung löst bei den betroffenen Unternehmen und der Selbstver-
waltung der Unfallversicherung erhebliche Kritik aus. Unternehmer und Selbst-
verwaltung befürchten, durch zusätzlichen Bürokratieaufwand belastet zu wer-
den. Unternehmen fürchten teilweise höhere Beitragskosten.

Die Bundesregierung gibt in dem vom Kabinett verabschiedeten Gesetzentwurf
die Bürokratiekosten für Unternehmen mit 3,4 Mio. Euro einmalig und ca.
156 500 Euro jährlich an. Betreffend die bei der Verwaltung anfallenden Büro-
kratiekosten werden im Gesetzentwurf keine Angaben gemacht. Unternehmen
und Selbstverwaltung fürchten aber weitergehende steigende Bürokratiekosten,
unter anderem, weil die bisher von der Unfallversicherung durchgeführten Be-
triebsprüfungen betreffend die Entrichtung der Unfallversicherungsbeiträge ab
2010 (Zweites Mittelstandentlastungsgesetz) vorwiegend, aber nicht vollum-
fänglich, durch den Prüfdienst der Rentenversicherung erfolgen sollen (§ 166
Abs. 2 SGB VII – Neu) und die Unfallversicherung der Rentenversicherung die
dafür anfallenden Kosten erstatten muss (§ 166 Abs. 3 SGB VII – Neu). Unklar
ist, wie der Prüfdienst der Rentenversicherung die richtige Einordnung der Ent-
gelte in die Gefahrtarifstellen bewerkstelligen soll, was aber den wichtigsten
Bestandteil der Betriebsprüfung der Unfallversicherungsbeiträge ausmacht.
Viele Unternehmen fürchten steigende Belastungen durch das neue Lastenaus-
gleichsverfahren. Erstens führt das im Gesetzentwurf vorgesehene Modell des
Lastenausgleichs gegenüber der gegenwärtigen Rechtslage zu einer Auswei-
tung des finanziellen Umfangs des Lastenausgleichs. Zweitens kommt es zu
Veränderungen bei der Verteilung der Lasten zwischen den einzelnen Bran-
chen. Drittens führt das neue Lastenausgleichsverfahren auch zu neuen Belas-
tungen und Entlastungen von Unternehmen je nach Unternehmensgröße. Nach

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§ 180 SGB VII werden kleinere Unternehmen mit einer Jahresentgeltsumme
unterhalb 176 500 Euro vom Lastenausgleichsverfahren zum Teil ausgenom-
men und durch die Reform tendenziell entlastet. Viertens wird das Lastenaus-
gleichsverfahren künftig nicht mehr von der Unfallversicherung, sondern dem
Bundesversicherungsamt durchgeführt (§ 181 SGB VII – Neu), wofür die Un-
fallversicherung dem Bundesversicherungsamt die entstehenden Kosten erstat-
ten soll.

Die Selbstverwaltung befürchtet schließlich, dass es durch die neu geregelte
Rechts- und Fachaufsicht (§ 87 Abs. 3 SGB IV – Neu) zu politisch motivierten
Einflussnahmen auf ihre sachbezogene Arbeit durch das Bundesministerium
für Arbeit und Soziales kommt. Der Dachverband der Deutschen Gesetzlichen
Unfallversicherung (bzw. vorher der Hauptverband der Berufsgenossenschaf-
ten) und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales waren in der Vergan-
genheit immer wieder uneinig beim Bestimmen von Maßnahmenschwerpunk-
ten, beispielsweise im Bereich der Prävention und Aufklärung. Der Dachver-
band der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung fürchtet nun, dass das
Ministerium über die Fachaufsicht künftig die Präventions- aber auch die Reha-
bilitationsarbeit unter einem politischen Blickwinkel beeinflusst und eine Kon-
zentration auf Bereiche fordert, die in der Öffentlichkeit stärker wahrgenom-
men werden.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die geplante Reform der
Unfallversicherung, insbesondere durch die Übertragung der Betriebsprü-
fungen von der Unfall- auf die Rentenversicherung, zu erhöhten Bürokratie-
kosten für Unternehmen und Selbstverwaltung führen wird und dass das
Ziel von Reformen eigentlich die Senkung von Bürokratiekosten ist?

2. Welche bürokratischen Kosten entstehen mit der Umsetzung des Gesetzent-
wurfs nach Einschätzung des Normenkontrollrats bei Unternehmen, bei der
Selbstverwaltung und dem Bundesversicherungsamt?

3. Wie hoch sind jeweils die Bürokratiekosten, die durch die neun neuen Infor-
mationspflichten und die eingeführte Ergänzung einer Informationspflicht
für die Verwaltung entstehen?

4. Welchem Ziel dient die teilweise Übertragung des Prüfdienstes im Bereich
Unfallversicherung an die Rentenversicherung (§ 166 Abs. 2 SGB VII), und
gab es in der Vergangenheit konkrete Gründe dafür, die eine solche Übertra-
gung für sinnvoll erscheinen lassen?

5. Führt die Einführung der doppelten Meldepflichten für Unternehmen, ein-
mal über § 28a SGB IV – Neu (Meldung zum Gesamtsozialversicherungs-
beitrag, DEÜV, an die Einzugstellen des Gesamtsozialversicherungsbei-
trags) und zweitens mit der wie bisher anfallenden Meldung der Gesamt-
lohnsumme an die Unfallversicherung, zu steigenden Bürokratiekosten bei
den Unternehmen und der Verwaltung, und wie hoch sind diese, unterteilt
nach Personal- und Sachkosten?

6. Welche Einsparungen bei Bürokratiekosten durch die Übertragung des Prüf-
dienstes und der Meldepflichten in § 28a SGB IV – Neu stehen diesen
Mehraufwendungen gegenüber?

7. Liegt nach Kenntnis der Bundesregierung der wichtigste Bereich bei der Be-
triebsprüfung bezüglich der Entrichtung von Unfallversicherungsbeiträgen
im Bereich der nicht vollständig gemeldeten Entgelte oder bei der Frage der
richtigen Zuordnung der Entgelte zu den Gefahrtarifstellen, und wie vertei-

len sich die Prüfergebnisse (Untererfassung von Entgelt/falsche Zuordnung)
in absoluten Zahlen in den Jahren 2003 bis 2007?

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8. Kann der Prüfdienst der Rentenversicherung die richtige Zuordnung der
Entgelte zu den Gefahrtarifstellen alleine bewerkstelligen oder benötigt er
dafür doch wieder die Mitarbeit des Prüfdienstes der Unfallversicherung?

9. Wird die Übertragung des Prüfdienstes im Bereich Unfallversicherung an
die Rentenversicherung zu einem Aufbau an Personal bei der Deutschen
Rentenversicherung führen, und wenn ja, wie viele Stellen werden, über
einen möglichen Personaltransfer von der Unfallversicherung hinaus,
geschaffen?

10. Wie viel Personal ist heute bei der Gesetzlichen Unfallversicherung im
Prüfdienst tätig, und wie viel davon muss erhalten bleiben, da die Unfall-
versicherung weiterhin Prüfaufgaben wahrnimmt?

11. Wie viele Unternehmen wurden 2002 bis 2007 jährlich von der Unfall-
versicherung im Rahmen einer Betriebsprüfung untersucht, und wie viele
werden es sein, wenn die Aufgabe von der Rentenversicherung wahrge-
nommen wird, und wurde diese Veränderung auch bei den Bürokratie-
kostenmessungen berücksichtigt?

12. Welche Einrichtungen müssen bei der Unfallversicherung und der Renten-
versicherung geschaffen werden, um Daten, die in den Betriebsprüfungen
gewonnen wurden, zwischen diesen Institutionen abzugleichen und zu
transferieren, und welche Kosten fallen dafür einmalig bei der Einrichtung
und dann jährlich an?

13. Wie hoch sind die Kosten, die die Deutsche Gesetzliche Unfallversiche-
rung dem Bundesversicherungsamt für die Durchführung des Lastenaus-
gleichs überweisen soll?

14. Wie hoch sind die Kosten heute, die bei der Unfallversicherung für die
Durchführung des Lastenausgleichsverfahrens anfallen, und wie viele Per-
sonen sind damit beschäftigt?

15. Wie hoch ist die Gesamtsumme im Lastenausgleichsverfahren bei Vertei-
lung der Überaltlasten nach 70 Prozent Entgelten und 30 Prozent Gefahr-
tarifen, bei Verteilung der Überaltlasten nach 50 Prozent Entgelten und
50 Prozent Gefahrtarifen und bei Verteilung der Überaltlasten nach 30 Pro-
zent Entgelten und 70 Prozent Gefahrtarifen?

16. In welchen Branchen wird die Freibetragsregelung des § 180 SGB VII im
Rahmen des Lastenausgleichsverfahrens die größten Auswirkungen haben?

17. Werden Unternehmen, die von der Freigrenze des § 180 SGB VII profi-
tieren, finanziell beim neuen Lastenausgleichsverfahren gegenüber der
Rechtslage heute entlastet, wenn man einen Verteilungsschlüssel der Über-
altlasten wie im Gesetzentwurf vorgesehen von 70 Prozent Entgeltsumme
und 30 Prozent Gefahrtarif zu Grunde legt, und wie hoch ist diese Entlas-
tung gegebenenfalls?

18. Wie stellt sich die Situation dar, wenn man den Verteilungsschlüssel zu
50 Prozent Entgeltsumme und 50 Prozent Gefahrtarif bzw. 30 Prozent Ent-
geltsumme und 70 Prozent Gefahrtarif abändert?

19. Welche Gründe sprechen nach Auffassung der Bundesregierung dafür, dass
kleinere Unternehmen, deren Jahresentgeltsumme unterhalb des Freibe-
trags in § 180 SGB VII liegen, durch die Reform bei den Unfallversiche-
rungsbeiträgen entlastet werden sollen?

20. Welche Gründe sprechen nach Auffassung der Bundesregierung dafür, den
Spitzenverband der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung gemäß § 87
SGB IV – Neu einer Fachaufsicht zu unterstellen, und welche Ziele verfolgt

die Bundesregierung mit der Einführung der Fachaufsicht insbesondere?

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21. Sieht die Bundesregierung all die in den Verweisungen des § 87 SGB IV
genannten Bereiche – bspw. Abschluss von Verträgen mit kassenärztlichen
Bundesvereinigungen, Erlass von Richtlinien für die Erbringung von Heil-
behandlungen und zur Teilhabe sowie die Festlegung verbindlicher Aufga-
ben bei grundsätzlichen Angelegenheiten der Prävention – als Aufgabenbe-
reiche an, in denen die Selbstverwaltung hoheitliche Aufgaben im Wege
der Beleihung wahrnimmt, und können diese Bereiche nicht auch als Auf-
gaben der Selbstverwaltung gesehen werden?

22. Kam es in der Vergangenheit zu unterschiedlichen Auffassungen zwischen
dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der Selbstverwaltung
darüber, was für Forschungsschwerpunkte und welche Schwerpunkte bei
der Präventions- und Aufklärungsarbeit von der Unfallversicherung zu set-
zen seien, und werden diese Bereiche in Zukunft von den Aufsichtsrechten
des Ministeriums als übertragene hoheitliche Aufgaben erfasst?

23. Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Selbstverwaltung, dass die
Fachaufsicht über die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung dazu füh-
ren kann, dass es zu Einschränkungen der Handlungsfreiheit der Selbstver-
waltung kommen kann, und damit das sachnahe Wissen der Selbstverwal-
tung durch politisch motivierte Entscheidungen ersetzt wird?

Berlin, den 12. März 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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