BT-Drucksache 16/855

Für die Verurteilung des Systems der Laogai-Lager in China

Vom 8. März 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/855
16. Wahlperiode 08. 03. 2006

Antrag
der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Werner Hoyer,
Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster),
Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring,
Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund
Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Heinz-Peter Haustein, Elke
Hoff, Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz
Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Horst Meierhofer, Patrick
Meinhardt, Jan Mücke, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Jörg Rohde,
Dr. Konrad Schily, Marina Schuster, Dr. Max Stadler, Christoph Waitz, Dr. Claudia
Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil,
Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Für die Verurteilung des Systems der Laogai-Lager in China

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Eines der berüchtigtsten Unterdrückungsinstrumente eines totalitären Staates
gegen seine eigene Bevölkerung in der Geschichte war das sowjetische Gulag-
System von Straf- und Verbannungslagern, welches in der Stalinzeit seinen
schrecklichen Höhepunkt erreichte. Im Westen erlangten die Gräuel, die in
diesen Lagern begangen wurden, insbesondere durch das Werk „Der Archipel
Gulag“ des Literatur-Nobelpreisträgers Alexander Solschenizyn Bekanntheit.

Während das sowjetische Gulag-System der Vergangenheit angehört, besteht in
der Volksrepublik China ein ähnliches Unterdrückungsinstrument fort. Dort
werden politische Dissidenten, Angehörige ethnischer Minderheiten wie Tibe-
ter, Mongolen und Uighuren sowie Angehörige anderer Religionen mit
Ausnahme der Staatsreligion – insbesondere auch Falun-Gong-Anhänger – mit
dem so genannten Laogai-System drangsaliert. In über 1 000 Gefängnissen,
Arbeitslagern und angeblichen psychiatrischen Kliniken, die ihren Ursprung in
der Mao-Zeit haben, werden Andersdenkende ohne rechtsstaatliches Verfahren
inhaftiert und „politisch umerzogen“, um sie mit den Ansichten des Pekinger
Regimes auf eine Linie zu bringen. Neben dieser politischen Gehirnwäsche
werden die Gefangenen zu harter unentgeltlicher Zwangsarbeit gezwungen, bis
zu 16 Stunden täglich, 7 Tage die Woche, bei nur 3 bis 4 Feiertagen im Jahr. Die
Arbeit wird von den rund 3 Millionen Häftlingen, zu denen auch Minderjährige

zählen, in Fabriken, Landwirtschaftsbetrieben und Minen verrichtet. Neben dem
Verstoß gegen das Verbot der Zwangsarbeit kommt es dabei auch systematisch
zum Verstoß gegen das Verbot der Kinderarbeit. Die Haft- und Arbeitsbedingun-
gen sind dramatisch. Häftlinge werden zum Umgang mit toxischen Chemikalien
ohne Schutzbekleidung oder zur Arbeit in mit Asbest verseuchten Minen ge-
zwungen, in denen die Sicherheitsvorkehrungen unzureichend sind. In den La-
gern existiert keinerlei Arbeitsschutz.

Drucksache 16/855 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Ferner wird den Häftlingen durch Folter unterschiedlichster Art zugesetzt. Der
Tod von Häftlingen infolge von Unterernährung, Überarbeitung, Erschöpfung
und Folter wird billigend in Kauf genommen. Zudem herrscht eine hohe Selbst-
mordrate unter den Häftlingen.

Zahlreiche im Ausland lebende ehemalige Laogai-Häftlinge versuchen immer
wieder, im Westen über die Zustände in diesen Lagern aufzuklären (z. B. Laogai
Research Foundation: www.laogai.org). Auch der UN-Sonderberichterstatter
für die Folter, Prof. Manfred Nowak, wies nach seiner China-Reise in seinem
Bericht vom Dezember 2005 auf die menschenunwürdigen Haftbedingungen in
chinesischen Gefängnissen hin.

Die in den Laogai-Lagern begangenen Repressalien sind so gut dokumentiert,
dass der US-Kongress am 16. Dezember 2005 mit 413 zu 1 Stimmen eine Reso-
lution (H. Con. Res. 294) verabschiedete, die die unmenschlichen Lager-Zu-
stände verurteilt. Auch wenn Deutschland an konstruktiven Beziehungen mit
der Volksrepublik China interessiert ist, darf die Bundesregierung zu den Zu-
ständen in den Laogai-Lagern nicht schweigen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

1. die Zustände in den Laogai-Lagern öffentlich zu verurteilen, die Volksrepu-
blik China zur Schließung der Einrichtungen aufzufordern und das Laogai-
System im Rahmen des deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialogs zur
Sprache zu bringen;

2. sich auch auf europäischer Ebene für eine Verurteilung des Laogai-Systems
einzusetzen;

3. die Regierung der Volksrepublik China um die Freigabe von Informationen
über das Laogai-System zu ersuchen einschließlich der Zahl der Lager, deren
genauer Lage und der Zahl der dort inhaftierten Personen;

4. die Regierung der Volksrepublik China um Informationen über die in den
Laogai-Lagern hergestellten Produkte, die zugehörigen Produktbezeichnun-
gen sowie über deren Exportländer zu ersuchen;

5. in Zusammenarbeit mit geeigneten Multiplikatoren (beispielsweise den
Außenhandelskammern) deutsche Unternehmen, die in China tätig sind, auf
die Möglichkeit hinzuweisen, dass sie mit chinesischen Geschäftspartnern
zusammenarbeiten, hinter denen sich Laogai-Einrichtungen verbergen;

6. sich in Zusammenarbeit mit geeigneten Einrichtungen der Privatwirtschaft
für die Schaffung eines freiwilligen Gütesiegels für jene chinesischen Pro-
dukte einzusetzen, welche keine in Laogai-Lagern hergestellten Komponen-
ten enthalten;

7. die Regierung der Volksrepublik China um die Freigabe von Informationen
über die Zahl der Todesfälle in den Laogai-Lagern zu ersuchen;

8. die Regierung der Volksrepublik China dazu zu drängen, uneingeschränkt
Besuche von internationalen Menschenrechtsinspektoren einschließlich
Inspektoren der Vereinten Nationen und Mitarbeitern des Internationalen
Komitees des Roten Kreuzes in allen Laogai-Lagern zuzulassen.

Berlin, den 7. März 2006

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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