BT-Drucksache 16/8542

Flexibler Eintritt in die Rente bei Wegfall der Zuverdienstgrenzen

Vom 12. März 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8542
16. Wahlperiode 12. 03. 2008

Antrag
der Abgeordneten Dr. Heinrich L. Kolb, Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt,
Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst
Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-
Michael Goldmann, Miriam Gruß, Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter
Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch,
Hellmut Königshaus, Gudrun Kopp, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Michael Link (Heilbronn), Patrick Meinhardt,
Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Detlef Parr, Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Dr. Konrad Schily, Marina
Schuster, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil,
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Flexibler Eintritt in die Rente bei Wegfall der Zuverdienstgrenzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit der Möglichkeit eines flexibleren Rentenzugangs ab dem 60. Lebensjahr bei
Wegfall aller Zuverdienstgrenzen und unmittelbarer Berücksichtigung der stei-
genden Lebenserwartung in der Rentenberechnung werden die Voraussetzungen
dafür geschaffen, dass ältere Menschen länger am Erwerbsleben teilnehmen
wollen und können. Ein solches Rentenrecht wird den Bedürfnissen der Ver-
sicherten nach individueller und abgesicherter Lebensgestaltung im Alter einer-
seits und den Finanzierungsproblemen der Deutschen Rentenversicherung auf-
grund steigender Lebenserwartung andererseits gerecht. Ein solches System des
flexiblen Übergangs in die Rente kann mit folgenden Maßnahmen erreicht wer-
den:

Die Versicherten in der Rentenversicherung sollen – ab dem 60. Lebensjahr –
den Zeitpunkt ihres Renteneintritts selbst bestimmen können.

Die steigende Lebenserwartung und die damit einhergehende längere Renten-
bezugsdauer werden direkter als bisher bei der Rentenberechnung berücksich-

tigt. Das ermöglicht mehr Generationengerechtigkeit.

Ein individueller Zugangsfaktor verdeutlicht den Versicherten den Zusammen-
hang zwischen dem Zeitpunkt des Renteneintritts und der Rentenhöhe. Wir
brauchen einen Paradigmenwechsel: Nicht mehr die möglichst frühe Verren-
tung, sondern eine möglichst lange Teilhabe am Erwerbsleben muss zum Leit-
bild werden.

Drucksache 16/8542 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Durch die Aufhebung aller Zuverdienstgrenzen werden Anreize geschaffen,
auch bei Rentenbezug weiter tätig zu sein. Mit dem Zuverdienst kann der eigene
Lebensstandard verbessert werden. Die Verbeitragung der Zuverdienste schafft
zusätzliche Einnahmen für die Sozialversicherung.

Durch eine Veränderung der Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt werden
bestehende Beschäftigungshindernisse für ältere Arbeitnehmer beseitigt und de-
ren Chancen auf einen Arbeitsplatz verbessert.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der folgende Regelungen beinhaltet:

1. Für alle Versicherten wird die Möglichkeit eines flexiblen Rentenzugangs ab
dem 60. Lebensjahr geschaffen. Voraussetzung für den flexiblen Rentenzu-
gang ist, dass die Summe der gesetzlichen, betrieblichen und privaten Alters-
versorgungsansprüche des Versicherten ab dem Zeitpunkt des Renteneintritts
über dem Grundsicherungsniveau liegt (dabei wird auf die Bedarfsgemein-
schaft abgestellt). Für einen Renteneintritt ab dem 65. Lebensjahr entfällt die
Prüfung der Grundsicherungsfreiheit. Die Versicherten können wählen, ob
sie eine Rente ab dem 60. Lebensjahr als Vollrente oder als Teilrente bezie-
hen wollen. Die Möglichkeit, wegen Erwerbsminderung bereits vor dem
60. Lebensjahr in Rente zu gehen, bleibt bestehen.

2. Die Grenzen für Zuverdienst neben dem Rentenbezug ab 60 Jahren werden
aufgehoben. Die Versicherten entscheiden selbst, ob sie neben dem Renten-
bezug noch erwerbstätig sein wollen. Allerdings wird die Möglichkeit eines
Zuverdienstes in Zukunft auch deswegen immer wichtiger, weil das gesetz-
liche Rentenniveau von heute 67 Prozent auf 52 Prozent (Nettorentenniveau
nach Steuern) im Jahr 2030 absinken wird.

3. Beiträge zur Sozialversicherung sind für den Zuverdienst neben Rentenbezug
nach folgender Maßgabe zu zahlen:

a) Rentenversicherung: Für den Zuverdienst werden sowohl vom Arbeitneh-
mer als auch vom Arbeitgeber Rentenbeiträge gezahlt. Arbeitnehmer- und
Arbeitgeberbeitrag führen zum Erwerb zusätzlicher Entgeltpunkte. Sie
können vom versicherten Arbeitnehmer zu einem von ihm wählbaren
Zeitpunkt – unter Verwendung des für diesen Zeitpunkt geltenden Zu-
gangsfaktors – zur Erhöhung der eigenen Rente eingesetzt werden.

b) Kranken- und Pflegeversicherung: Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlen
für den Zuverdienst ihren jeweiligen Anteil zur Kranken- und Pflegever-
sicherung.

c) Arbeitslosenversicherung: Der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung ent-
fällt. Da die Einkünfte des Versicherten über der Grundsicherung liegen,
besteht keine Notwendigkeit, durch Beiträge zur Arbeitslosenversiche-
rung einen Anspruch auf Arbeitslosengeld zu begründen. Der Wegfall des
Arbeitslosenversicherungsbeitrages bedeutet aus Sicht der Unternehmen
einen Kostenvorteil und erhöht für Rentenempfänger, die zuverdienen
wollen, die Chancen am Arbeitsmarkt. Aus Sicht der Arbeitnehmer erhöht
sich das verfügbare Einkommen.

4. Die Rentenhöhe der Versicherten errechnet sich aus den erworbenen Entgelt-
punkten, dem aktuellen Rentenwert und einem individuellen Zugangsfaktor.
Bei der Umstellung auf die neue Berechnungsweise bleiben die Zahlbeträge
zunächst gleich. Veränderungen ergeben sich dann für die Zukunft aufgrund
der folgenden Maßgaben: Im aktuellen Rentenwert wird für jede Alters-
kohorte die zu erwartende durchschnittliche Rentenbezugsdauer aufgrund

ihrer durchschnittlichen Lebenserwartung berücksichtigt. Steigt die durch-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8542

schnittliche Lebenserwartung stärker als das durchschnittliche Rentenein-
trittsalter, führt das zu einer Dämpfung des Anstiegs des Rentenwertes. In-
soweit wird eine gerechte Verteilung der Lasten der Alterung auf die ver-
schiedenen Jahrgänge erreicht. Über den individuellen Zugangsfaktor wird
der Zeitpunkt des individuellen Rentenzugangs berücksichtigt. Je länger der
Versicherte arbeitet, desto höher ist der Zugangsfaktor. Durch eine progres-
sive Ausgestaltung besteht ein zusätzlicher Anreiz für die Versicherten nach
Möglichkeit über das 60. Lebensjahr hinaus zu arbeiten und nach eigenen
Vorstellungen später in Rente zu gehen.

Berlin, den 12. März 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

Begründung

Die Rentenbezugsdauer nimmt mit der steigenden Lebenserwartung zu. Diese
aus Sicht der Rentenbezieher positive Entwicklung belastet die Rentenversiche-
rung finanziell schwer und führt zu steigenden Beiträgen.

Eine Anhebung des starren gesetzlichen Renteneintrittsalters auf 67 Jahre, wie
von den Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und SPD vorgeschlagen, verkürzt
zwar die Rentenbezugsdauer, führt aber in der von der Bundesregierung vorge-
sehenen Art und Weise zu unterschiedlichen Jahrgangsbelastungen (belastet
werden besonders die Jahrgänge 1959 bis 1974) und ist von daher nicht genera-
tionengerecht.

Viele Menschen können oder wollen derzeit nicht bis zum 67. Lebensjahr arbei-
ten. Aktuell sind überhaupt nur noch 45 Prozent der über 55-Jährigen und 28 Pro-
zent der über 60-Jährigen erwerbstätig. Der Rentenzugang aus einem Arbeits-
verhältnis bei Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze ist somit von der Regel
zur Ausnahme geworden. Vor diesem Hintergrund empfinden viele Menschen
die Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters als verkappte Rentenkür-
zung.

Verkrustete Strukturen schränken die Chancen älterer Menschen am Arbeits-
markt ein. Bei einem Verlust des Arbeitsplatzes – etwa als Folge der Insolvenz
des Arbeitgebers – droht älteren Arbeitnehmern eine lange finanzielle Durst-
strecke bis zum Renteneintritt.

Viele Versicherte haben sich vor diesem Hintergrund in den scheinbar sicheren
Hafen der Altersteilzeit und verschiedener anderer Frühverrentungstatbestände
– allerdings mit engen Zuverdienstgrenzen – geflüchtet. Im Ergebnis haben diese
Lösungsansätze aber zu einer Verdrängung älterer Arbeitnehmer aus dem Er-
werbsleben bei einer gleichzeitigen zusätzlichen Belastung der sozialen Siche-
rungssysteme geführt.

Diese Probleme können nur mit dem vorgeschlagenen Modell eines flexiblen
Renteneintritts bei gleichzeitigem Wegfall der Zuverdienstgrenzen beseitigt
werden.

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