BT-Drucksache 16/8537

Von der Abfallpolitik zur Ressourcenpolitik - Von der Verpackungsverordnung zur Wertstoffverordnung

Vom 12. März 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8537
16. Wahlperiode 12. 03. 2008

Antrag
der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell, Bärbel Höhn, Cornelia
Behm, Britta Haßelmann, Bettina Herlitzius, Winfried Hermann, Peter Hettlich,
Ulrike Höfken, Dr. Anton Hofreiter, Undine Kurth (Quedlinburg), Nicole Maisch,
Dr. Gerhard Schick, Josef Philip Winkler, Renate Künast, Fritz Kuhn und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Von der Abfallpolitik zur Ressourcenpolitik –
Von der Verpackungsverordnung zur Wertstoffverordnung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Verpackungsverordnung hat seit ihrer Verabschiedung im Jahr 1991 unbe-
stritten einiges erreicht. Deutschland war damit Anfang der 90er Jahre einer der
Pioniere, die sich auf den Weg von der Wegwerf- zur Kreislaufwirtschaft ge-
macht haben. Durch das von den Bürgerinnen und Bürgern vorgenommene
Sortieren von Abfällen entstand das notwendige Bewusstsein, dass Abfälle
wertvolle Rohstoffe sind, die wiedergewonnen werden müssen. Die Einführung
von Lizenzgebühren führte dazu, dass der Materialverbrauch für Verpackungen
reduziert wurde. Durch die Vorgabe zur Sammlung und Verwertung von Ver-
packungsabfällen wurde letztlich auch eine technische Entwicklung angestoßen,
die es heute ermöglicht, mit vollautomatischen Sortieranlagen sehr sortenreine
Materialien aus beliebigen Abfallgemischen zurückzugewinnen.

Das System der Verpackungssammlung und Verwertung ist jedoch von Anfang
an auch durch Schwächen gekennzeichnet gewesen. Vor allem die Tatsache,
dass hier nicht nach Materialien gesammelt und erfasst wird, sondern nach der
Herkunft als Verpackung, hat sich in der Praxis als wenig logische Unterschei-
dung erwiesen. Bürgerinnen und Bürgern erschließt sich nicht immer, was in
die gelbe Tonne oder den gelben Sack gehört und was nicht. So trägt zwar bis-
lang eine Verpackung aus Papier einen Grünen Punkt, darf aber meist nicht in
die gelbe Tonne, die Sammlung von Papier erfolgt stattdessen über die kommu-
nale Wertstoffsammlung. Doch auch die Kunststoffsammlung folgt nicht dem
„gesunden Menschenverstand“. Eine Kunststoffflasche, die als Verpackung
diente, trägt den Grünen Punkt und wird erfasst, eine Schüssel aus demselben
Material unterliegt dagegen nicht der Produktverantwortung und muss als
„stoffgleiche Nichtverpackung“ im Restmüll entsorgt werden. Die 5. Novelle

der Verpackungsverordnung überlässt nun den Kommunen, die stoffgleichen
Nichtverpackungen in der gelben Tonne mitzusammeln. Die entsprechenden
Kosten dafür muss aber die Kommune übernehmen und Gebühren an die Dua-
len Systeme entrichten. Das ist besser als der bisherige Zustand, aber ökolo-
gisch halbherzig. Produktverantwortung wird so nicht an die Produzenten über-
tragen. Eine ökologische Lenkungswirkung entsteht schon gar nicht.

Drucksache 16/8537 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Echte Kreislaufwirtschaft wird mit der Praxis der Verpackungsverordnung nicht
erreicht. Es gibt keine Anreize, Abfälle zu vermeiden und Rohstoffe in echte
Kreisläufe zu führen. Aus Verpackungsabfällen werden keine neuen Verpackun-
gen produziert. Nicht Recycling, sondern Downcycling ist tatsächlich die Regel
und aus gesammelten Wertstoffen werden meist minderwertigere Materialien
produziert. Eine Kreislaufwirtschaft findet so – wenn überhaupt – nur auf Zeit
statt. Früher oder später landen die Kunststoffprodukte in der Verbrennung mit
der Freisetzung von klimaschädlichem CO2.

Seit der Verabschiedung der Verpackungsverordnung sind inzwischen über
15 Jahre vergangen. Eine Lenkungswirkung der Lizenzgebühren ist nicht mehr
feststellbar. Im Gegenteil, Verpackungen werden wieder aufwändiger gestaltet
und unter Produktverantwortung wird nicht die Verantwortung für die Produk-
tion eines ressourcen- und umweltschonenden Produktes verstanden, sondern
lediglich die Entrichtung einer Entsorgungsgebühr. Der Grüne Punkt ist damit
zur Bremse einer ökologischen Weitentwicklung der Ressourcen- und Abfall-
politik geworden.

Die Sammlung und Verwertung von Verpackungen durch die Verpackungsver-
ordnung ist jedoch nicht nur ökologisch kritisch zu hinterfragen, sondern auch
ökonomisch. Das System zur Sammlung und Verwertung von Verpackungen ist
in Deutschland auf der Monopolstruktur des DSD (Duales System Deutschland)
aufgebaut worden. Diese ursprüngliche Konstruktion lässt sich nicht ohne eine
grundlegende Änderung der Strukturen in einen Wettbewerb überführen.
Deutschland leistet sich mit der Verpackungsverordnung und den Dualen Sys-
temen eines der teuersten Systeme zur Sammlung und zum Recycling von Ver-
kaufsverpackungen in ganz Europa, ohne dass dabei am Ende im selben Ver-
hältnis bessere Ergebnisse stünden. Die durch das DSD verursachten Kosten
beliefen sich im Jahr 2004 auf insgesamt rd. 1,58 Mrd. Euro. Damit wurden
gerade einmal 5 Prozent des in Deutschland relevanten Abfallaufkommens ent-
sorgt.

Der Deutsche Bundestag bedauert, dass die Bundesregierung vor diesem Hin-
tergrund die Verpackungsverordnung nicht weiterentwickelt. Stattdessen wur-
den mit der 5. Novelle die ökonomischen Interessen Dualer Systeme gesichert
und bestehende ökologisch und marktwirtschaftlich fragwürdige Strukturen
weiter gefestigt. Auch mit der 5. Novellierung sorgt die Verpackungsverord-
nung nicht für Wettbewerb um Innovation und Wirtschaftlichkeit, sondern
behindert ihn. Sie bringt keinen ökologischen Fortschritt, wird zukünftigen
Herausforderungen der Rohstoffsicherung nicht gerecht und verspielt die Vor-
reiterrolle Deutschlands für eine nachhaltige Ressourcenpolitik. Noch während
der Debatte um die 5. Novelle stand die 6. bereits im Raum.

Statt ständiger Reparaturen an einem nicht mehr zukunftsfähigen System for-
dert der Deutsche Bundestag einen mutigen Neuanfang. Es ist ein System not-
wendig, das verhindert, dass Wertstoffe – sei es aus versehentlichen Fehlwürfen
oder in korrekter Ausführung der Vorgaben – überhaupt als Restmüll entsorgt
werden. Die Verpackungsverordnung muss in eine Werststoffverordnung über-
führt werden, die perspektivisch alle Produkte erfasst.

Die Frage des Ressourcenschutzes hat sich gegenüber 1991 deutlich verschärft.
Die Welt verändert sich – die bevölkerungsreichsten Volkswirtschaften unserer
Erde legen ein rasantes Wirtschaftswachstum an den Tag mit entsprechendem
Energie- und Ressourcenhunger, Ressourcen werden weltweit knapper. Der
Weg zu einer echten Kreislaufwirtschaft und zur Ressourcenschonung geht
nicht über Lizenzgebühren ohne Lenkungswirkung. Deshalb braucht es eine
Ressourcenabgabe, die nach ökologischen Kriterien erhoben wird und den Her-
stellern ökonomische Vorteile für die Produktion langlebiger und kreislauffähi-

ger Produkte gewährt.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8537

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf:

Statt der bereits eingeforderten 6. Novelle zur Verpackungsverordnung den an-
stehenden Neuanfang zu wagen, die überholte Verpackungsverordnung abzu-
schaffen und durch eine ökologisch orientierte Wertstoffverordnung zu ersetzen,
die

● Wertstoffe definiert und die zu erfüllenden Recyclingquoten für diese Wert-
stoffe festlegt;

● die bisher auf Verpackungen beschränkte Produktverantwortung perspekti-
visch auf alle Produkte ausweitet;

● die Produktverantwortung tatsächlich als Verantwortung der Hersteller für
ihr Produkt versteht und daher anstelle von Lizenzgebühren eine Ressourcen-
abgabe einführt, die ökonomische Anreize setzt Rohstoffe einzusparen und
zu einem Wettbewerb um ökologische Innovationen bei der Herstellung von
Produkten führt;

● die Höhe einer Ressourcenabgabe nicht nur an der Art und Menge der ver-
wendeten Rohstoffe festmacht, sondern so ausgestaltet, dass sich ein ökolo-
gisch nachteiliges Produkt von kurzer Haltbarkeit gegenüber einem haltbaren
aus gut recyclebarem Material deutlich verteuert und sich deshalb an folgen-
den ökologischen Kriterien orientiert:

– hohes Vorkommen im Abfall führt zu einer hohen Abgabe,

– die Verwendung von Primärrohstoffen erhöht die Abgabe, die Verwen-
dung von Sekundärrohstoffen verringert sie,

– schlechte Recyclingfähigkeit, die die Umwelt belastet, führt zu einer hö-
heren Abgabe und verteuert so z. B. ein Produkt, welches aus mehreren
unterschiedlichen Materialien oder Kunststoffarten zusammengesetzt ist,

– der Marktwert eines aus einem entsorgten Produkt gewonnenen Sekundär-
rohstoffs verringert die Ressourcenabgabe entsprechend;

● mit einer öffentlich-rechtlichen Ressourcenagentur eine unabhängige Institu-
tion schafft, die die Höhe der Ressourcenabgabe ermittelt, diese erhebt und
die Ausschreibungen für Sammlung und Verwertung von Wertstoffen nach
ökologischen und sozialen Standards durchführt;

● die Ressourcenabgabe bei Produzenten und Importeuren erhebt, um Wettbe-
werbsnachteile auszuschließen;

● den Kommunen vor Ort grundsätzlich die Entscheidung überlässt, wie die
Art der Wertstoffsammlung erfolgen soll.

Berlin, den 12. März 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.