BT-Drucksache 16/8528

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/7439, 16/7486, 16/8525- Entwurf eines Gesetzes zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz)

Vom 12. März 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8528
16. Wahlperiode 12. 03. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Heinz Lanfermann, Daniel Bahr (Münster), Dr. Konrad Schily,
Dr. Heinrich L. Kolb, Jens Ackermann, Michael Kauch, Detlef Parr, Dr. Karl
Addicks, Christian Ahrendt, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst
Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Paul K. Friedhoff, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-
Michael Goldmann, Miriam Gruß, Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter
Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Hellmut Königshaus,
Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Sibylle Laurischk, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Michael Link (Heilbronn), Patrick Meinhardt, Jan Mücke,
Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina Schuster, Dr. Max Stadler,
Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle
und der Fraktion der FDP

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/7439, 16/7486, 16/8525 –

Entwurf eines Gesetzes zur strukturellen Weiterentwicklung der
Pflegeversicherung (Pflege-Weiterentwicklungsgesetz)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Bei dem Entwurf zum Pflege-Weiterentwicklungsgesetz handelt es sich nicht
um die „grundlegende“ oder gar „große“ Reform, wie sie von der CDU/CSU
und SPD angekündigt wurde. Der wichtigste und dringendste Teil, nämlich eine
Finanzreform, die die gesetzliche Pflegeversicherung (GPV) generationenge-
recht auf eine alternde und schrumpfende Gesellschaft vorbereitet, fehlt voll-
ständig.
Bleibt es in der GPV beim Umlageverfahren, werden massive Beitragssatzerhö-
hungen und empfindliche Leistungskürzungen allein schon auf Grund des de-
mografischen Wandels unvermeidbar sein. Experten rechnen bis ins Jahr 2050
mit einer bis zu Verdreifachung der Zahl der Pflegebedürftigen bei gleichzeiti-
gem Rückgang der Zahl der Beitragszahler um ein Drittel. Allein demografisch
bedingt wird deshalb der Beitragssatz im selben Zeitraum auf über 4 Prozent des
beitragspflichtigen Einkommens steigen müssen. Eine höhere Nachfrage nach

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der teureren professionellen Pflege sowie der auf Grund der demografischen
Entwicklung auch in der Pflege absehbare Fachkräftemangel, der die Aufwen-
dungen für die Pflege auf Grund tendenziell steigender Löhne weiter erhöht,
werden den Beitragssatz noch über dieses Niveau hinaus steigen lassen.

Um einerseits die im Gesetzentwurf enthaltenen Leistungsverbesserungen kurz-
fristig finanzieren zu können und sich andererseits in der Finanzierungsfrage bis
spätestens 2014/2015 Luft zu verschaffen, hebt die Bundesregierung den Bei-
trag zur GPV ab dem 1. Juli 2008 von 1,7 auf 1,95 Prozent bzw. von 1,95 auf
2,2 Prozent für kinderlose Mitglieder an. Nach dem durch das Kinder-Berück-
sichtigungsgesetz eingeführten „Kinderlosenstrafbeitrag“ in Höhe von 0,25 Pro-
zent ab dem Jahr 2005 und dem aus dem Vorziehen der Fälligkeit der Gesamt-
sozialversicherungsbeiträge resultierenden 13. Beitrag zur GPV im Jahr 2006
handelt es sich hierbei schon um die dritte Beitragserhöhung in den letzten vier
Jahren.

Die jeweils jüngeren Generationen werden künftig immer mehr für die jeweils
älteren Generationen aufwenden müssen, ohne davon ausgehen zu können, dass
sie im Falle ihrer eigenen Pflegebedürftigkeit mit demselben Leistungsumfang
rechnen können wie ihre Großeltern- oder Elterngeneration. Zusätzliche Leis-
tungen erhöhen in der umlagefinanzierten GPV die auf die jüngere und nach-
folgende Generation ohnehin schon verschobenen Finanzierungslasten. Die
schwarz-rote Koalition hat zu Lasten der jungen Generation die Chance eines
Wechsels hin zu einem zukunftsfesten und generationengerechten Versiche-
rungssystem leichtfertig vertan.

Statt die Wahlfreiheit und Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen sowie die
unternehmerische Freiheit der Leistungsanbieter zu stärken, wird mit dem
Gesetzentwurf der Weg in mehr Staat(s-Pflege) im Sinne immer stärkerer staat-
licher Reglementierung und staatlicher bzw. quasi-staatlicher Institutionen ein-
geschlagen. Viele der Vorhaben des Gesetzentwurfs, einschließlich der vorgese-
henen Leistungsverbesserungen, bieten weiteren Anlass zu Kritik. Eine ent-
scheidende Verbesserung der Lebensqualität von Pflegebedürftigen bzw. ihrer
Angehörigen wird so kaum erreicht:

– Die Einrichtung von Pflegestützpunkten mit dort angesiedelten, bei den Pfle-
gekassen angestellten Pflegeberatern ist ein großer Schritt in Richtung einer
staatlich gelenkten Pflege.

Auch wenn die einzurichtende Zahl der Pflegestützpunkte von den ursprüng-
lich von der Bundesministerin für Gesundheit und der SPD gewollten und im
Kabinettsbeschluss zugestandenen 4 100 auf nur noch 1 200 reduziert wurde,
bleibt es dabei, dass durch die Einrichtung der Pflegestützpunkte bereits be-
stehende, durch Pflegebedürftige und ihre Angehörige genutzte Beratungsan-
gebote verdrängt werden. Für Pflege- und Krankenkassen ist für den Betrieb
der Pflegestützpunkte nach wie vor mit Mehrkosten in dreistelliger Millionen-
höhe zu rechnen. Diese Mittel der Pflegeversicherung, die für die Einrichtung
neuer bürokratischer und vielfach überflüssiger Strukturen verausgabt wer-
den, fehlen jedoch an den Pflegebetten.

Im Gesetzgebungsverfahren ist zudem völlig unklar geblieben, welche (Be-
ratungs-)Angebote vor Ort bereits bestehen. Weder enthält die Gesetzesbe-
gründung hierzu verlässliche Aussagen noch legte die Bundesregierung auf
parlamentarische Anfragen hin entsprechende Zahlen und Informationen vor.
Zwar bleibt es nun den Ländern überlassen, ob sie Pflegestützpunkte einrich-
ten wollen. Die Ungenauigkeiten des Gesetzentwurfs lassen aber zu, dass
hier bereits bestehende Einrichtungen umgewidmet oder nur leicht verändert
werden, um in den Genuss der Anschubfinanzierung zu kommen. Mit den
zwischen den Regierungsfraktionen ausgehandelten Änderungen ist somit

nichts gewonnen: Die Kosten des Betriebs der Pflegestützpunkte werden

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weiterhin durch Mehrausgaben der Pflege- und Krankenkassen finanziert
werden müssen. Dieses Geld steht für die Verbesserung der Versorgung Pfle-
gebedürftiger nicht zur Verfügung. Im Übrigen hat die Bundesministerin für
Gesundheit schon für Verwirrung beim Koalitionspartner gesorgt und die
Weichen vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens in Richtung Pflege-
stützpunkte gestellt, indem sie diese bereits per Modellprojekt „Werkstatt
Pflegestützpunkte und Pflegeberater“ erproben lässt. Erste Ergebnisse sollen
schon vor Inkrafttreten der Reform vorliegen und in die Errichtung der Pfle-
gestützpunkte einfließen.

Auch wenn mittlerweile im Gesetzestext klargestellt wurde, dass die Ent-
scheidungskompetenz für den durch den Pflegeberater aufgestellten Versor-
gungsplan bei dem zuständigen Leistungsträger liegen muss, hat der Pflege-
berater über die Umsetzung des Versorgungsplans großen Einfluss auf die
Anbieterstrukturen vor Ort. Dies kann das Aus für viele etablierte und be-
währte Angebote und Anbieter bedeuten. Die ursprünglich beabsichtigte,
rechtlich und praktisch nicht realisierbare Leistungsgewährung aus einer
Hand wurde von den Regierungsfraktionen mit Blick auf die Ergebnisse der
Anhörung fallen gelassen. Damit bietet die durch den Pflegeberater durchzu-
führende Pflegeberatung allerdings keinen Mehrwert mehr für die Pflege-
bedürftigen und ihre Angehörigen. Die noch verbleibenden Aufgaben der
Pflegeberater und -stützpunkte werden bereits heute durch andere Stellen
ausgeführt und könnten, wie die Koordination und Vernetzung bestehender
Hilfe- und Unterstützungsangebote, auch virtuell umgesetzt werden.

– Die kurzzeitige Arbeitsverhinderung („Pflegeurlaub“) und die bis zu sechs-
monatige Pflegezeit werden zu einer größeren Planungsunsicherheit für die
Unternehmen führen. Beide Maßnahmen werden sich als zusätzliche Einstel-
lungs- bzw. Beschäftigungshemmnisse für die immer noch in der Mehrzahl
pflegenden Frauen herausstellen. Flexible, individuelle Regelungen zwi-
schen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind pauschalen gesetzlichen Ansprü-
chen vorzuziehen. Nach sechsmonatiger Pflege wird der pflegende Angehö-
rige zudem kaum in den Beruf zurückkehren können, da der Pflegebedarf im
Zeitablauf eher steigt als abnimmt.

– Eine konsequente Entbürokratisierung der Pflege wird nicht vollzogen. Sie
hätte den Pflegenden wieder mehr Zeit für die Pflege am Menschen gegeben.
Eine von der Bewertung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen
(MDK) unabhängige Transparenz über die (Ergebnis-)Qualität der Pflege
wird nicht hergestellt.

Die Bundesregierung versäumt, mit dem Gesetzentwurf Regelungen konse-
quent abzubauen, die die Situation der Pflegebedürftigen nicht entscheidend
verbessert haben. Eine solche Entbürokratisierung wäre aber dringend not-
wendig, da die Umsetzung dieser Regelungen die Pflegenden Zeit kostet, die
dann nicht mehr für die eigentliche Pflege am Menschen zur Verfügung steht.
Ein gutes Beispiel ist hier die Abschaffung der Leistungs- und Qualitätsver-
einbarungen (LQV), die dem Inhalt nach an anderer Stelle, bei den Entgelt-
vereinbarungen, gleich wieder eingeführt werden.

Die Fokussierung auf die Ergebnisqualität ist wünschenswert und wird be-
grüßt. Bei der Entwicklung der dafür notwendigen Indikatoren und Instru-
mente muss gewährleistet sein, dass die Beurteilung nachvollziehbar und
transparent ist. Im vorliegenden Gesetzentwurf bleibt der MDK jedoch die
zentrale Kontrollinstanz. Seine Beratungs-, Kontroll- und Begutachtungs-
aufgaben werden noch, mit entsprechend höherem Personalbedarf und zu-
sätzlichen Kosten, ausgeweitet. Der Misstrauensvorbehalt gegen die Eigen-
initiative und Eigenverantwortung der Pflegeeinrichtung im Bemühen um

eine gute Qualität der Pflege besteht fort. Es bleibt bei dem untauglichen Ver-
such, Qualität in die Einrichtung hineinregulieren und -prüfen zu wollen. Ge-

Drucksache 16/8528 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

gen die Veröffentlichung fehlerhafter Prüfberichte kann die Einrichtung nur
über die Beantragung einer kostenpflichtigen Wiederholungsprüfung vorge-
hen. Die unverzügliche Umsetzung verbindlicher Expertenstandards wird für
viele Einrichtungen mit Problemen verbunden sein.

– Vor dem Hintergrund der für November 2008 zu erwartenden Ergebnisse des
Beirats zur Überarbeitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs werden mit der
Erhöhung der Leistungen für ambulant betreute Versicherte, nun auch der
sog. Pflegestufe Null, mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf und
der Einführung von Vergütungszuschlägen für stationär betreute Pflege-
bedürftige mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf teure Übergangs-
lösungen geschaffen. Konsequenter- und logischerweise hätte die Bundes-
regierung den Beirat so früh einsetzen müssen, dass seine Ergebnisse vor der
Erarbeitung und Verabschiedung eines Pflegereformgesetzes vorgelegen hät-
ten.

Die Erhöhung des zusätzlichen Betreuungsbetrags für ambulant betreute Ver-
sicherte mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf wird zudem für viele
Anspruchsberechtigte geringer ausfallen als erhofft. Wer genau welchen Be-
trag bekommen soll, lässt der Gesetzentwurf offen. In den Anhörungen hatten
die Pflegekassen schon angedeutet, dass die Unklarheit über die genaue Leis-
tungshöhe zu bürokratischem Mehraufwand führen wird.

– Markt und Wettbewerb in der Pflege werden durch den Gesetzentwurf weiter
reduziert. Die Folgen müssen nicht nur die Pflegeeinrichtungen tragen. Die
Mehrkosten aus der Verpflichtung der Pflegeeinrichtung auf Zahlung einer
„ortüblichen“ Arbeitsvergütung an die Beschäftigten als Voraussetzung für
den Abschluss eines Versorgungsvertrages bzw. die Festlegung auf einen
mittleren Tariflohn, belasten die Einrichtungen und erhöhen die Selbstbetei-
ligung der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen an den Pflegekosten.
Die Regelung wird ohnehin wenig praktikabel sein und zu erheblichem büro-
kratischen Mehraufwand führen.

– Obwohl die private Pflege-Pflichtversicherung (PPV) die gleichen Aufgaben
zu erfüllen hat wie die GPV, wird ihr die gleichberechtigte Mitarbeit, etwa bei
den Begutachtungsrichtlinien, den Expertenstandards und der neu zu schaf-
fenden Schiedsstelle Qualitätssicherung verweigert. Bei den Pflegestütz-
punkten wird sie auf die reine Zahlerfunktion reduziert, statt ihr die Möglich-
keit zu geben, für ihre Versicherten eine eigenständige und gute Beratung auf
die Beine zu stellen und so den künftigen Rechtsanspruch auf Pflegeberatung
umzusetzen. Die Übertragung der Regelungen zur Bezahlbarkeit des Basis-
tarifs auf die PPV wirft erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken auf.

– Die finanziellen Folgen des Gesetzentwurfs sind nicht überschaubar. Ins-
besondere die Kosten des Betriebs der Pflegestützpunkte bleiben weiterhin
im Dunklen. Die Mehrkosten der zusätzlichen Leistungen für Personen mit
erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf sind nicht einmal im Groben de-
finiert. An die im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages vorge-
legten Änderungsanträge wurde das Finanztableau erst gar nicht mehr ange-
passt.

Neben den Regelungen zur Pflege sind einige problematische Änderungen auf-
genommen worden, die den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV) betreffen:

– Die Ärzte sollen unter Umgehung der ärztlichen Schweigepflicht Daten über
Patienten an die Krankenkassen übermitteln, wenn Anhaltspunkte dafür vor-
liegen, dass Versicherte sich eine Krankheit durch eine medizinisch nicht
indizierte Maßnahme wie z. B. eine Tätowierung oder ein Piercing zuge-

zogen haben. Diese Regelung geht deutlich zu weit. Ärztinnen und Ärzte dür-
fen nicht ohne Einwilligung ihrer Patienten zu Informanten der Krankenkas-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/8528

sen gemacht werden. Eine Weiterleitung der Daten ohne Zustimmung stellt
einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Arzt-Patienten-Verhältnis dar. Das
Problem, dass die Gemeinschaft der GKV-Versicherten nicht ungerechtfer-
tigterweise in Anspruch genommen werden soll, lässt sich ohne einen so gra-
vierenden Eingriff in das Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient lösen.

– Die im Gesetzentwurf vorgesehene Möglichkeit, dass Krankenkassen ohne
Beteiligung der Ärzte Modellvorhaben vorsehen können, die eine inhaltliche
Ausgestaltung der häuslichen Krankenpflege einschließlich deren Dauer be-
treffen, ist im Hinblick darauf, dass nur einvernehmliche Lösungen, die für
den Patienten notwendige Versorgungsqualität gewährleisten können, kon-
traproduktiv. Wenn hier keine Konsensbildung stattfindet, geht das zu Lasten
der Patienten und schafft neue Schnittstellenprobleme. Darüber trägt die Ver-
engung der Modellvorhaben auf Angehörige der im Krankenpflegegesetz ge-
regelten Berufe sowie der Physiotherapeuten den sich abzeichnenden Ent-
wicklungen nicht in ausreichendem Maße Rechnung. Vielmehr müssen die
Verhandlungspartner unter Berücksichtigung der notwendigen Qualifika-
tionsanforderungen Vereinbarungen auch im Hinblick auf andere Berufs-
gruppen, wie z. B. medizinische Fachangestellte treffen können.

II. Der Deutsche Bundestag hält es für erforderlich, sich im Rahmen der Reform
der GPV an folgenden Leitlinien zu orientieren:

– Mit einem gleitenden Übergang in ein kapitalgedecktes und prämienfinan-
ziertes Versicherungssystem muss unverzüglich begonnen werden, um die
Umverteilung zu Lasten der jungen und nachfolgenden Generationen zu
reduzieren. Jede Generation trägt dann letztlich die Lasten, die sie selbst ver-
ursacht. Um Reserven zu schaffen für Zeiten, in denen höhere Pflegeausgaben
erwartet werden, und damit die Prämie im Zeitablauf zu glätten, werden
eigentumsrechtlich geschützte Altersrückstellungen gebildet. Der Übergang
in ein zukunftssicheres System muss mit einem steuerfinanzierten sozialen
Ausgleich verbunden werden, um eine Überforderung zu verhindern. Ein
demografiefestes Finanzierungssystem schafft die Voraussetzungen dafür,
die notwendigen Verbesserungen wie eine Dynamisierung der Pflegeleistun-
gen und spezielle Leistungen für Demenzkranke generationengerecht zu
finanzieren.

– Pflegebedürftige sollen grundsätzlich die Pflege nach ihren eigenen Wün-
schen gestalten können. Dies beinhaltet die Auswahl und Zusammenstellung
von Pflegeleistungen gemäß den individuellen Bedürfnissen. Wer dies nur
eingeschränkt oder gar nicht mehr kann, soll hierbei unbürokratisch Hilfe er-
halten. Ziel muss es sein, Pflegebedürftigen so lange wie möglich das ge-
wünschte Verbleiben in der häuslichen Umgebung zu ermöglichen.

– Die Transparenz bezüglich der existierenden Pflegeangebote, ihrer Preise
und vor allem ihrer Qualität muss verbessert werden. Statt die Kompetenzen
des MDK im Rahmen der Qualitätssicherung und -prüfungen immer stärker
auszuweiten, muss sichergestellt werden, dass die Unternehmen für die
Sicherung der Qualität ihrer Einrichtung verantwortlich sind und auch über
ein möglichst nah an der Ergebnisqualität orientiertes Benchmarking nach
bundeseinheitlichen Kriterien für die nötige Transparenz zu sorgen haben.
Pflegebedürftige und ihre Angehörigen können dann eine Einrichtung besser
nach Qualitätsaspekten auswählen.

– Pflegenden muss wieder mehr Zeit für die Pflege und soziale Betreuung der
Pflegebedürftigen verbleiben. Dafür müssen die Leistungsanbieter konse-
quent von bürokratischen Hemmnissen entlastet werden, die einen großen
Teil der Arbeitszeit der Pflegenden binden, aber zu keiner Verbesserung der

Lebensqualität der Pflegebedürftigen beigetragen.

Drucksache 16/8528 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

– Forderungen nach einem gesetzlichen Mindestlohn für die Pflege ist eine
klare Absage zu erteilen.

– In der Pflege braucht es nicht mehr Staat(s-Pflege) im Sinne neuer staatlicher
Reglementierung und staatlicher bzw. quasi-staatlicher Institutionen, sondern
mehr individuelle Freiheit sowohl der Pflegebedürftigen als auch der Anbie-
ter von Pflege, um auf die demografischen und gesellschaftlichen Verände-
rungen flexibel und bestmöglich reagieren zu können.

– Es muss sichergestellt werden, dass die ärztliche Schweigepflicht auch bei
Leistungen, die sich als Folge einer ästhetischen Operation, einer Tätowie-
rung oder eines Piercings ergeben, nicht unterlaufen wird. Voraussetzung für
die Weitergabe entsprechender Daten an die Krankenkassen ist deshalb die
Einwilligung des Patienten. In Fällen, in denen der Versicherte der Weiter-
gabe der Informationen an die Krankenkasse widerspricht, soll die Behand-
lung zu Lasten der Krankenkasse verweigert werden dürfen mit der Konse-
quenz, dass der Patient die Rechnung für die entsprechenden Leistungen
privat bezahlen muss. So wird die Gemeinschaft der GKV-Versicherten vor
ungerechtfertigter Inanspruchnahme geschützt, ohne den Arzt zum Infor-
manten der Krankenkasse zu machen. Gleichzeitig wird die im Rahmen eines
Krankheitsgeschehens notwendige Flexibilität erhalten, eine Leistung im
Ausnahmefall dennoch über die Krankenversicherung abzurechnen, wenn
der behandelnde Arzt z. B. feststellt, dass die vorangegangene ästhetische
Operation auf eine psychische Erkrankung zurückzuführen war.

– Bei Modellvorhaben, die die Übertragung ärztlicher Aufgaben auf Vertreter
anderer Gesundheitsberufe vorsehen, sind die Ärzte zwingend zu beteiligen
und es muss sichergestellt werden, dass die Gesamtverantwortung beim Arzt
verbleibt.

Berlin, den 12. März 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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