BT-Drucksache 16/8413

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/6519, 16/6967, 16/7053 Nr. 7, 16/8256- Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten

Vom 5. März 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8413
16. Wahlperiode 05. 03. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Elke Reinke, Klaus Ernst, Dr. Martina Bunge, Diana Golze, Katja
Kipping, Dr. Ilja Seifert, Frank Spieth, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/6519, 16/6967, 16/7053 Nr. 7, 16/8256 –

Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Jugendfreiwilligendiensten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Unter der Voraussetzung von Mitbestimmungsrechten und ausreichender sozia-
ler Absicherung haben Jugendfreiwilligendienste eine wichtige gesellschaft-
liche und individuelle Funktion. Sie tragen bei zur Förderung eigener Fähig-
keiten, zu Selbstständigkeit und Selbstbewusstsein, zur Unterstützung bei der
Suche nach persönlicher, gesellschaftlicher und beruflicher Orientierung und er-
muntern zu Partizipation in der Gesellschaft. Durch die Förderung von sozialen,
ökologischen, (inter-)kulturellen, persönlichen und praktischen Kompetenzen
sowie durch die Erschließung neuer Horizonte und die Entwicklung von Sensi-
bilität für gesellschaftliche Probleme können Jugendfreiwilligendienste wich-
tige bildungspolitische Ziele erfüllen und als Lernorte zwischen Schule und Be-
ruf dienen. Die im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Neuregelungen sind nicht
geeignet, den genannten Zielen zu entsprechen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

den bisherigen Gesetzentwurf dahin gehend zu ändern, dass die bildungs- und
sozialpolitischen Ziele bei den Jugendfreiwilligendiensten nicht gegeneinander
ausgespielt werden.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung des Weiteren auf,

1. dafür Sorge zu tragen, dass das gesellschaftliche Engagement Jugendlicher
angemessen bezahlt wird. Ferner muss die maximal mögliche Taschengeld-

höhe in Ost- wie Westdeutschland gleich hoch sein;

2. in Richtung öffentlich geförderter Beschäftigung aktiv zu werden, damit
bürgerschaftliches Engagement und Jugendfreiwilligendienste kein Ersatz
für Leistungen werden, die Kommunen, Länder und Bund nicht mehr erbrin-
gen können oder teilweise nicht erbringen wollen;

Drucksache 16/8413 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

3. betriebsverfassungsrechtliche Mitbestimmungsrechte für die Jugendfreiwil-
ligendienste einzuführen;

4. Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsprinzipien in das Jugendfreiwilli-
gendienstgesetz explizit einzufügen. Migrantinnen und Migranten sowie
sozial benachteiligte Jugendliche sind als Zielgruppen stärker zu berücksich-
tigen;

5. einheitliche soziale Absicherung für alle Jugendfreiwilligendienste durch
Sozialversicherungspflicht zu schaffen;

6. jegliche Prekarisierung und Verdrängung betrieblicher Ausbildungsplätze
und regulärer Beschäftigung durch Jugendfreiwilligendienste zu vermeiden;

7. die Zwangsdienste abzuschaffen. Zivildienstplätze sollen in sozialversiche-
rungspflichtige, regulär bezahlte Arbeitsplätze/Beschäftigungsverhältnisse
umgewandelt werden.

Berlin, den 4. März 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Der Deutsche Bundestag unterstützt grundsätzlich die Stärkung und den Aus-
bau von Jugendfreiwilligendiensten und hebt den Bildungscharakter dieser
Dienste hervor. Das freiwillige soziale oder ökologische Jahr besitzt einen ho-
hen gesellschaftlichen Stellenwert. Auch ihre Zusammenlegung in einem ge-
meinsamen Gesetz ist verwaltungstechnisch von Vorteil. Die Strukturbedingun-
gen und Grundsätze für weitere geplante Freiwilligendienste in verschiedenen
Ressorts (Freiwilliges technisches Jahr etc.) sollten besser koordiniert und
ebenfalls unter ein einheitliches gesetzliches Dach gebracht werden.

Das gesellschaftliche Engagement von Jugendlichen im Rahmen eines freiwil-
ligen sozialen oder ökologischen Jahres bzw. Dienstes muss gefördert und
angemessen bezahlt werden. Es ist nicht einzusehen, dass bei der Festlegung
der maximalen Taschengeldhöhe in § 2 Abs. 1 Nr. 3 des Gesetzentwurfs
(Bundestagsdrucksache 16/6519, S. 5) nach wie vor zwischen Ost- und West-
deutschland unterschieden wird (6 Prozent der in der allgemeinen Rentenver-
sicherung geltenden Beitragsbemessungsgrenze – das sind derzeit 270 Euro Ost
und 318 Euro West). Die im Evaluationsbericht der Bundesregierung zum FSJ/
FÖJ (Bundestagsdrucksache 16/2191, S. 19) genannten Kritiken vieler Freiwil-
liger hinsichtlich des zu niedrigen Taschengeldes finden im Gesetzentwurf
keine Berücksichtigung.

Jugendfreiwilligendienste dürfen nicht zu einer Warteschleife für fehlende be-
triebliche Ausbildungsplätze missbraucht werden. Es muss immer besonders
darauf geachtet werden, dass durch freiwilliges bürgerschaftliches Engagement
keine Prekarisierung und Verdrängung regulärer Beschäftigung befördert wird.
Diese Gefahr besteht bei der zeitlichen Flexibilisierung, insbesondere wenn in
§ 10 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung von „keinem Arbeitsverhältnis
im engeren Sinne“ (Bundestagsdrucksache 16/6519, S. 15) ausgegangen wird
und damit keine Mitbestimmungsrechte des Betriebsverfassungsgesetzes gel-
ten.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/8413

Bürgerschaftliches Engagement darf nicht ein Ersatz für Leistungen sein, die
Kommunen, Länder und Staat nicht mehr erbringen können oder teilweise nicht
erbringen wollen. Deshalb ist die Bundesregierung aufgefordert, in Richtung
öffentlich geförderter Beschäftigung aktiv zu werden.

Ziel sollte kein dienendes und ersetzendes Engagement sein, sondern Partizipa-
tion und Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger in ihrem alltäglichen
Lebensumfeld, was sozialversicherte Tätigkeit beinhaltet, von der man leben
kann. Sozialabbau unter dem Deckmantel des bürgerschaftlichen freiwilligen
Engagements Jugendlicher ist abzulehnen und zu verhindern.

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