BT-Drucksache 16/8383

Adäquate Behandlungs- und Betreuungskapazitäten für an posttraumatischen Belastungsstörungen erkrankte Angehörige der Bundeswehr

Vom 5. März 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8383
16. Wahlperiode 05. 03. 2008

Antrag
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Inge Höger, Monika Knoche, Hüseyin-
Kenan Aydin, Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Dr. Hakki
Keskin, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Norman Paech, Alexander Ulrich
und der Fraktion DIE LINKE.

Adäquate Behandlungs- und Betreuungskapazitäten für an posttraumatischen
Belastungsstörungen erkrankte Angehörige der Bundeswehr

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Die Bundesrepublik Deutschland und ihre Verbündeten in der NATO und der
EU betrachten seit dem Ende des Kalten Krieges den Krieg bzw. die Anwen-
dung militärischer Gewalt wieder als legitimes Mittel der Politik. Als Kon-
sequenz dieser auch im Weißbuch von 2006 formulierten Zäsur in der deut-
schen Sicherheitspolitik werden deutsche Soldatinnen und Soldaten immer
häufiger im Ausland und unter immer gefährlicheren Bedingungen einge-
setzt.

2. Die neue Qualität der militärischen Aufträge spiegelt sich wider im verstärk-
ten Auftreten von psychischen Verletzungen von Bundeswehrsoldatinnen und
-soldaten nach Auslandseinsätzen seit Mitte der 90er Jahre, vor allem in Form
posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS). Obwohl das Bundesministe-
rium der Verteidigung bereits bei den Auslandseinsätzen auf dem Balkan mit
diesen Folgeschäden konfrontiert wurde, unterblieb die Entwicklung eines
umfassenden Betreuungs- und Rehabilitationskonzepts für einsatzbedingte
psychische Erkrankungen. Die seelischen Verletzungen und psychologischen
Erkrankungen bei Soldaten und Soldatinnen als Folge ihres Auslandseinsat-
zes wurden nicht in ausreichendem Maße ernst genommen, sondern nur inso-
weit, als sie die Erfüllung des militärischen Auftrags gefährden.

3. Solange die Bundesregierung an der gegenwärtigen sicherheitspolitischen
Strategie festhält und sich an militärischen Interventionen beteiligt, wird es
trotz aller Präventionsmaßnahmen weiter zu PTBS bei Soldatinnen und Sol-
daten der Bundeswehr kommen. So hat sich die Zahl derer, die an PTBS lei-
den, im Zeitraum 2004/2005 gegenüber den Vorjahren nahezu verdreifacht.
Aktuelle Zahlen für den Zeitraum 2006 bis 2007 liegen noch nicht vor. Die
Zahl der statistisch erfassten PTBS-Erkrankten liegt bei etwa einem Prozent
der auslandsverwendeten Soldaten und Soldatinnen. Vergleichbare Zahlen in
Armeen anderer Staaten, die in denselben Auslandseinsätzen operieren, sind
signifikant höher. Dies ist ein Hinweis dafür, dass die Dunkelziffer der an
PTBS Erkrankten wesentlich über den offiziellen Zahlen liegen dürfte. Oft-
mals geben sich Soldatinnen und Soldaten, die unter PTBS leiden, nicht zu
erkennen, da sie fürchten, von ihrem Berufsumfeld nicht mehr als „echte“
Männer bzw. Frauen wahrgenommen zu werden. Auch fürchten sie, dass sich

Drucksache 16/8383 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
dies nachteilig auf die berufliche Laufbahn auswirken könnte. Häufig dürften
den Erkrankten das Krankheitsbild und die Symptome auch gar nicht bekannt
sein, da die PTBS in der öffentlichen Wahrnehmung noch unzureichend sind.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den realen Bedarf an Betreuungs- und Behandlungskapazitäten zu ermitteln
und bereitzustellen;

2. eine kostenlose Hotline zur anonymen Beratung und Betreuung von Betrof-
fenen und Familienangehörigen (vergleichbar den niederländischen Streit-
kräften) einzurichten. Im Bedarfsfall muss eine direkte Weitervermittlung zur
Betreuung bzw. Behandlung gewährleistet werden;

3. ausreichend Bundeswehrsoldaten und -soldatinnen als so genannte Peers aus-
zubilden und diese in jeder im Auslandseinsatz befindlichen Einheit einzuset-
zen, damit diese als Ansprechpartner zeitnah zur Verfügung stehen;

4. alle Bundeswehrmediziner und -medizinerinnen in der Psychotraumatologie
auszubilden, damit diese auch PTBS-Symptome frühzeitig erkennen und be-
handeln können;

5. alle Soldaten und Soldatinnen vor dem Auslandseinsatz im Rahmen der ein-
satzvorbereitenden Ausbildung auch über Stressbewältigungsmethoden
durch einen Psychologen zu unterrichten;

6. sicherzustellen, dass auch ausscheidende bzw. ausgeschiedene freiwillig
Wehrdienstleistende, Soldaten auf Zeit und Berufssoldaten in die Rückkeh-
rerbegutachtung einbezogen werden;

7. sicherzustellen, dass Nachbereitungsseminare innerhalb der ersten vier
Wochen nach der Einsatzrückkehr durchgeführt werden;

8. in allen Bundeswehrkrankenhäusern ein Psychotraumazentrum zur statio-
nären Behandlung mit ausreichender Bettenzahl einzurichten;

9. die psychiatrischen Abteilungen der Bundeswehrkrankenhäuser auch für
gesetzlich Krankenversicherte zu öffnen.

Berlin, den 4. März 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.