BT-Drucksache 16/834

Nuklearen Dammbruch verhindern - Indien an das Regime zur nuklearen Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtweiterverbreitung heranführen

Vom 7. März 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/834
16. Wahlperiode 07. 03. 2006

Antrag
der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Volker Beck (Köln), Alexander
Bonde, Thilo Hoppe, Ute Koczy, Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock,
Renate Künast, Fritz Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Nuklearen Dammbruch verhindern – Indien an das Regime zur nuklearen
Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtweiterverbreitung heranführen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Deutsche Bundestag teilt die Sorge, dass das nukleare Nichtweiterver-
breitungsregime durch das am 2. März 2006 von Indien und den USA unter-
zeichnete Abkommen über die Zusammenarbeit im zivilen Nuklearsektor
fundamental geschwächt wird. Das Abkommen hat eine Aufhebung der seit
rund 30 Jahren bestehenden nuklearen Lieferbeschränkungen gegen Indien
zum Ziel. Mit diesem Präzedenzfall droht die Gefahr eines nuklearen Damm-
bruchs. Die Umsetzung des Abkommens setzt nicht nur eine Änderung der
amerikanischen Rechtsgrundlagen, sondern auch das Einvernehmen aller 45
Teilnehmer an der Nuclear Suppliers Group (NSG) voraus. Damit sind auch
die Bundesregierung und die Mitgliedstaaten der EU in der Mitverantwor-
tung.

2. Es ist zu begrüßen, dass sich Indien grundsätzlich bereit erklärt, sein Atom-
programm weiteren Kontrollen zu unterwerfen und sich dem Nichtverbrei-
tungsvertrag (NVV) und anderen Rüstungskontrollabkommen anzunähern.
Es ist im fundamentalen internationalen Interesse, Indien, Israel und Pakistan,
die als einzige Staaten bisher dem Vertrag über die Nichtverbreitung von
Kernwaffen nicht beigetreten sind, näher an das globale Nichtverbreitungs-
regime heranzuführen.

Der Deutsche Bundestag hat wiederholt an die Nichtmitglieder des NVV
appelliert, sich diesem und anderen Rüstungskontrollabkommen anzuschlie-
ßen. Der NVV sieht nicht vor, dass Staaten, denen es unter Umgehung oder
Verletzung der NVV-Verpflichtungen nach dem 1. Januar 1967 gelungen ist,
sich Atomwaffen zuzulegen, dem NVV als Atommächte beitreten können.
Eine Vertragsänderung kann nur im Konsens erfolgen und ist daher auf
absehbare Zeit unwahrscheinlich.
Das US-indische Abkommen über die Zusammenarbeit im zivilen Nuklear-
sektor sollte zum Anlass genommen werden, nach multilateralen und univer-
sellen Lösungen zu suchen, die das gegenwärtige Nichtverbreitungsregime
stärken und nicht schwächen.

3. Das geplante Abkommen zwischen den USA und Indien beinhaltet die fak-
tische Anerkennung des indischen Atomwaffenstatus. Indien wird eine bevor-
zugte Regelung bei nuklearen Kontrollen der Internationalen Atomenergie-

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Organisation (IAEO) eingeräumt. Nach dem Willen der indischen Regierung
sollen alle Anlagen, die tatsächlich oder potenziell militärischen Zwecken
dienen, für internationale Inspektoren unzugänglich bleiben. Bisher stehen
solche Vorrechte nur den vom Nichtverbreitungsvertrag anerkannten Atom-
waffenstaaten China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA zu.

Trotzdem soll Indien unbegrenzten Zugang zu Atomtechnologie erhalten, wie
er bisher nur NVV-Staaten zusteht, die auf Atomwaffen verzichtet haben und
ihre Atomprogramme umfassend durch die IAEO kontrollieren lassen. Diese
Privilegierung Indiens, das bisher allen nuklearen Kontrollabkommen fern-
geblieben ist, unterminiert einen zentralen Pfeiler des NVV und belastet den
ohnehin in der Krise befindlichen Nichtverbreitungsvertrag schwer.

Die Aufhebung internationaler Lieferbeschränkungen gegen Indien droht zu
neuen Rüstungswettläufen in Asien zu führen, weil es Indien ermöglicht, wie-
der Uran zur Energiegewinnung zu importieren. Dann könnte Indien die
eigenen, knappen Uranreserven ausschließlich für militärische Zwecke ver-
wenden und so, gemeinsam mit seinem Raketenprogramm, sein geplantes
nukleares Aufrüstungsprogramm beschleunigen und ausbauen. Die regiona-
len Gegenspieler China und Pakistan würden dann wahrscheinlich ebenfalls
nuklear nachziehen.

Schon jetzt erschwert das Abkommen internationale Bemühungen, den Iran
von einer freiwilligen Beschränkung seiner Nuklearaktivitäten zu überzeu-
gen. Indien, das außerhalb des NVV steht, werden Sonderrechte bei der Nut-
zung der Kernenergie und damit de facto dem Ausbau des Atomwaffenarse-
nals eingeräumt; gleichzeitig erwartet die internationale Gemeinschaft vom
Iran, das seit mehr als 30 Jahren Mitglied im NVV ist, wegen des Verstoßes
gegen Safeguard-Auflagen den Verzicht auf den rechtlich zulässigen ge-
schlossenen Brennstoffkreislauf.

4. Strategische Gründe und der Verweis auf Indien als Demokratie, die in der
Vergangenheit mit ihren Atomwaffen und Atomanlagen verantwortlich um-
gegangen sei und keine Bedrohung darstelle, werden als Hauptgründe für den
Kurswechsel angeführt. Damit werden doppelte Standards eingeführt, die den
NVV aushöhlen. Auch Demokratien haben kein Recht auf Atomwaffen oder
einen Rabatt auf Verstöße gegen deren Nichtweiterverbreitung. Strategische
Partner von heute können zu Gegnern von morgen werden. Rüstungs- und
Atomtechnologieexporte an vermeintlich stabile, strategisch wichtige Partner
sind in der Vergangenheit oft in falschen Händen gelandet und/oder wurden
missbraucht. Der Iran und der Irak sind typische Beispiele für die Kurzsich-
tigkeit einer solchen Politik.

Der durch die amerikanische Regierung eingeschlagene Weg, Indien eine
Sonderstellung einzuräumen, und damit die Statik eines der erfolgreichsten
und auf Universalität angelegten Rüstungskontrollregime zu erschüttern, ist
in vielfacher Hinsicht falsch und gefährlich.

● Indien wäre nicht verpflichtet, auf den weiteren Bau von Atomwaffen zu
verzichten, die bestehenden Bestände abzubauen und zentralen Rüstungs-
kontrollabkommen beizutreten. Es könnte mit Hilfe der zivilen Zuliefe-
rungen sein Atomwaffenarsenal weiter ungehindert ausbauen.

● Indien würde für seine Umgehung des NVV und Verletzung der Zusagen
zur friedlichen Nutzung der Atomenergie nachträglich belohnt. Alle ande-
ren Staaten, die sich – z. T. unter erheblichem Druck der internationalen
Staatengemeinschaft – zum Verzicht auf bzw. zur Einstellung ihrer Atom-
waffenprogramme bereit erklärt haben und dem NVV auf dieser Vertrags-
grundlage beigetreten sind, würden für ihre Vertragstreue bestraft. Eine

rasche Lösung im Atomstreit mit dem Iran und Nordkorea würde ange-
sichts doppelter Standards erheblich erschwert.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/834

● Die indische „Sonderregelung“ würde zum Referenzmodell für Israel,
Pakistan und alle Staaten, denen es gelingt, in den Besitz von Atomwaffen
zu gelangen. Andere NVV-Mitglieder könnten in der Folge des Abkom-
mens Atomtechnologie an Staaten liefern, die außerhalb der globalen
Nichtverbreitungsnorm stehen. Multilaterale Ausfuhrkontrollen, wie sie
in der NSG vereinbart sind, würden dann zunehmend irrelevant.

● Staaten, die beabsichtigen, sich unter vertragswidriger Ausnutzung der
Schwächen des NVV Atomwaffen zuzulegen, können darauf hoffen, hier-
für langfristig belohnt zu werden. Die gegenwärtige Kontrolle des Brenn-
stoffkreislaufs, die Kündigungsregelungen und das Sanktionsregime des
NVV sind, wie das Beispiel Nordkorea zeigt, kein unüberwindbares Hin-
dernis.

5. Der Deutsche Bundestag ist der Auffassung, dass eine Lockerung der Liefer-
beschränkungen unter den gegebenen Bedingungen nicht erfolgen darf und
von der Bundesregierung abgelehnt werden muss. Eine Zustimmung zur Auf-
hebung internationaler nuklearer Lieferbeschränkungen gegen Indien kann
erst dann im deutschen und europäischen Interesse liegen, wenn Indien im
Gegenzug überprüfbare, weitreichende, irreversible Verpflichtungen zu
nuklearer Transparenz sowie zur Abrüstung eingeht und sich verbindlich
globalen Nichtverbreitungsregeln und nuklearen Rüstungskontrollbeschrän-
kungen unterwirft. Darüber hinaus müssen unverzüglich die Brennstoffkreis-
lauf-, Kündigungs- und Sanktionslücken des NVV geschlossen werden.

Der Deutsche Bundestag sieht sich damit in Übereinstimmung mit der lang-
jährigen Politik der USA, wie sie u. a. der amerikanische Vizeaußenminister,
Strobe Talbott, zum Ausdruck gebracht hat (Rheinischer Merkur, 25. Juni
1999):

„Amerika kann nicht zulassen, dass Indien und Pakistan sich selbst als Atom-
mächte etablieren, quasi als natürliche Folge ihrer Atomtests. Damit dürfen
sie sich nicht einfach die Rechte und Privilegien verschaffen, die die regulären
Vertragspartner besitzen – wie zum Beispiel die volle internationale Hilfe bei
der friedlichen Nutzung der Kernenergie. Hierbei weich zu werden würde ei-
nen Vertrauensbruch gegenüber denjenigen Ländern bedeuten, die freiwillig
auf den Besitz von Atomwaffen verzichtet haben.

Was noch schlimmer wäre: Damit könnte für andere Länder ein gefährlicher
Anreiz geschaffen werden, sich selbst ohne Rücksicht auf Verluste in die
Reihe der Atommächte einzureihen. Deshalb gilt: Solange Indien und Pakis-
tan nicht von ihren Atomwaffen abrücken und im Blick auf all ihre atomaren
Aktivitäten eine internationale Sicherheitsklausel akzeptieren, werden sie
auch nicht in den Genuss der Anerkennung und der Privilegierung gelangen,
der den Unterzeichnerstaaten vorbehalten ist.“

6. Die teure und risikoreiche Atomenergie wird auch für Indien keinen nennens-
werten Beitrag zur Lösung der Energieprobleme liefern. Indien ist sehr reich
an ungenutzten erneuerbaren Energien. Die Bundesregierung sollte daher die
Aktivitäten der deutsch-indischen Zusammenarbeit in den Bereichen erneu-
erbare Energien, Energieeffizienz und Energieeinsparung deutlich verstärken.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. gegenüber den USA und Indien die ernste Besorgnis des Deutschen Bundes-
tages nachdrücklich zum Ausdruck zu bringen;

2. innerhalb der EU für ein gemeinsames und einheitliches Vorgehen in der
Nuclear Suppliers Group zu werben, mit dem Ziel, das Regime der nuklearen

Nichtverbreitung unter Einbeziehung von Indien, Israel und Pakistan spürbar
zu stärken;

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3. weiterhin darauf zu drängen, dass Indien, Pakistan und Israel dem NVV als
Nichtatomwaffenstaaten beitreten;

4. im Rahmen der Diskussion um eine mögliche Lockerung nuklearer Lieferbe-
schränkungen gegen Indien strengste Maßstäbe anzulegen und dafür zu sor-
gen, dass parallel dazu tragbare Lösungen für eine Internationalisierung des
Brennstoffkreislaufs, die Erschwerung des Kündigungsrechts und der Sank-
tionierung von Verletzungen des NVV-Vertrages gefunden werden;

5. gegenüber den USA, Indien und anderen Partnerstaaten deutlich zu machen,
dass vor einer Lockerung der internationalen Exportrestriktionen von Seiten
Indiens folgende Grundvoraussetzungen erfüllt sein müssen:

● alle Nuklearanlagen, die ganz oder teilweise nichtmilitärischen Zwecken
dienen, und alle künftigen Atomanlagen dauerhaften und irreversiblen Si-
cherungsmaßnahmen („perpetual safeguards“) der IAEO zu unterwerfen,

● dauerhaft, verbindlich und nachprüfbar die Produktion waffenfähiger
Spaltmaterialien einzustellen,

● dem Vertrag über das umfassende Verbot von Nuklearversuchen (CTBT)
beizutreten,

● sich glaubwürdig zu einem Stopp der weiteren Atomwaffenproduktion
und zu der in Artikel VI des NVV festgeschriebenen nuklearen Abrüstung
zu verpflichten;

6. sich national zu verpflichten, die NSG-Richtlinien in ihrer jetzigen Fassung
weiter anzuwenden, an der restriktiven Linie bei der nationalen Exportkont-
rolle gegenüber Indien festzuhalten und das im Mai 2006 zur Verlängerung
anstehende deutsch-indische Nuklearkooperationsabkommen weiterhin nicht
zu implementieren;

7. die deutsch-indische Zusammenarbeit im Bereich regenerativer Energien,
Energieeffizienz und Energieeinsparung zu intensivieren;

8. den Deutschen Bundestag regelmäßig über den Fortgang zu informieren und
zu konsultieren.

Berlin, den 7. März 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Die meisten nuklearen Lieferländer haben nukleare Lieferbeschränkungen ge-
gen Indien nach dessen erstem Atomtest 1974 verhängt. Das Spaltmaterial für
den damaligen Test gewann Indien teilweise, indem es von Kanada und den
USA gelieferte zivile Atomreaktoren entgegen den Zusagen für militärische
Zwecke missbrauchte. Indien hat damals bewusst bilaterale Abkommen gebro-
chen um nuklear aufzurüsten.

In der Folge einigten sich die wichtigsten nuklearen Lieferländer auf nukleare
Ausfuhrbeschränkungen. Diese wurden in der 1975 gegründeten Nuclear
Suppliers Group kodifiziert, der mittlerweile die 45 führenden nuklearen Liefer-
länder angehören. Die politisch bindenden Regeln der NSG verbieten Exporte
von nuklearen Gütern in Staaten, die keine umfassenden Sicherungsmaßnahmen

der IAEO („full scope safeguards“) zulassen. Die NSG ist eines der wichtigsten
Instrumente zur Verhinderung der Verbreitung von Atomwaffen. Sie leistet

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/834

einen unverzichtbaren Beitrag dazu, dass friedliche Atomprogramme nicht für
den Griff nach der Atombombe missbraucht werden.

Indien führte im Mai 1998 erneut Atomtests durch und wurde dafür durch den
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einmütig verurteilt (S/PRST/1998/12,
14. Mai 1998). Der Sicherheitsrat forderte Indien damals auf, dem NVV als
Nichtkernwaffenstaat beizutreten.

Indien ist bisher keinem nuklearen Kontrollabkommen beigetreten und ist nicht
bereit, die gleichen Rüstungskontrollverpflichtungen einzugehen, wie die aner-
kannten Atomwaffenstaaten. Die indische Regierung lehnt den NVV und Atom-
teststopp-Vertrag ebenso ab wie ein Moratorium der Produktion waffenfähigen
Spaltmaterials. Die anerkannten Atomwaffenstaaten China, Frankreich, Groß-
britannien, Russland und die USA haben den CTBT gezeichnet (Frankreich,
Großbritannien und Russland auch ratifiziert) und haben erklärt, keine spalt-
baren Materialien für Kernwaffen mehr herzustellen.

Artikel I des NVV verpflichtet die Kernwaffenstaaten unter anderem „einen
Nichtkernwaffenstaat weder zu unterstützen noch zu ermutigen noch zu veran-
lassen, Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper herzustellen oder sonstwie
zu erwerben“. Indien ist nach der Definition des NVV ein Nichtkernwaffenstaat.
Die geplante Lieferung von ziviler Nukleartechnologie kommt zumindest indi-
rekt dem indischen Atomwaffenprogramm zugute. Die geplanten Abkommen
der USA und Frankreichs stehen daher im Widerspruch zu Geist und Buchsta-
ben des NVV.

Indien ist Mitglied der IAEO. Vier Leichtwasserreaktoren, die ausschließlich der
Energiegewinnung dienen, werden bisher durch die IAEO überwacht. Weiterge-
hende Überwachungsmöglichkeiten hat Indien abgelehnt. Die indische Regie-
rung hat mehrfach klar gemacht, dass ein Ausbau der IAEO-Kontrollen in der
Folge des geplanten Nuklearabkommens zu keinerlei Beeinträchtigung des
indischen Nuklearwaffenprogramms führen dürfe.

Nukleare Sicherungsabkommen haben das Ziel, einen möglichen militärischen
Missbrauch ziviler Kernanlagen und von spaltbarem Material rechtzeitig aufzu-
decken. Das Zusatzprotokoll zu Sicherungsabkommen soll die IAEO in die
Lage versetzen, mögliche geheime Anlagen zu identifizieren. Sicherungsab-
kommen in Staaten wie Indien, die über Kernwaffen verfügen, und die ihre
militärischen Anlagen nicht kontrollieren lassen müssen, haben daher allenfalls
symbolischen Wert. Zu einer Kontrolle der militärischen Programme in diesen
Staaten tragen sie nichts bei.

Am 18. Juli 2005 unterschrieben der indische Ministerpräsident Manmohan
Singh und der amerikanische Präsident George W. Bush eine Absichtserklärung
über die Kooperation im zivilen Nuklearsektor, in der Indien als „verantwor-
tungsvoller“ Staat bezeichnet wird. Die amerikanische Regierung erklärte darin
den Willen, sich im amerikanischen Kongress sowie in der NSG für eine Aufhe-
bung bestehender Lieferbeschränkungen gegenüber Indien einzusetzen. Indien
verpflichtet sich zum ersten Mal, zivile und militärische Nuklearanlagen zu tren-
nen und alle zivilen Anlagen freiwillig der Kontrolle der IAEO zu unterwerfen,
ein Zusatzprotokoll zu den bestehenden Sicherungsabkommen zu zeichnen, ein
unilaterales Nukleartestmoratorium beizubehalten, sich gemeinsam mit den
USA für ein Abkommen über die Beendigung der Produktion waffenfähigen
Spaltmaterials einzusetzen sowie internationale Regeln über die Nichtweiter-
gabe von Nukleartechnologie zu befolgen und diese Regeln in nationales Recht
umzusetzen.

Am 2. März 2006 unterschrieben Manmohan Singh und George W. Bush ein
Übereinkommen über die Kooperation im zivilen Nuklearsektor. Danach wird

Indien bis 2014 zumindest 14 seiner gegenwärtig 22 Nuklearreaktoren dauerhaft
Kontrollen der IAEO unterwerfen. Reaktoren, die ganz oder teilweise militäri-

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schen Zwecken dienen, werden nicht kontrolliert. Indien weigert sich insbeson-
dere, wie von den USA zuvor gefordert, zwei sog. schnelle Brüter, die sowohl
der Energiegewinnung als auch der Produktion von Waffenplutonium dienen,
der IAEO zu öffnen. Die indische Regierung hat sich nicht verpflichtet, neue Re-
aktoren für internationale Kontrollen zu öffnen.

Am 20. Februar 2006, während des Staatsbesuchs von Präsident Jacques Chirac
in Neu Delhi, haben Frankreich und Indien eine gemeinsame Erklärung über die
Entwicklung von Nuklearenergie für friedliche Zwecke abgegeben. Die Erklä-
rung enthält ähnliche Ziele wie die US-indische Absichtserklärung vom 18. Juli
2005.

Eine Aufhebung der gegen Indien bestehenden nuklearen Handelsbeschränkun-
gen erfordert eine Änderung amerikanischer Ausfuhrgesetze sowie eine Revision
der NSG-Regeln. Da in der NSG im Konsens entschieden wird, ist eine Aufhe-
bung der Nuklearsanktionen von einer expliziten Zustimmung Deutschlands ab-
hängig. Die USA haben in der NSG vorgeschlagen, für Indien eine Ausnahme-
genehmigung in der NSG sowie im Rahmen des Atomic Energy Act von 1954
herbeizuführen. Sowohl im US-Kongress als auch in der NSG gibt es erhebliche
Vorbehalte gegenüber einer Aufhebung des Nuklearembargos.

Ein solcher Schritt könnte Ansprüche anderer Staaten legitimieren, atomare
Technologie an Israel und Pakistan oder Nordkorea zu liefern, die ebenfalls
außerhalb des NVV stehen. China hat beispielsweise bereits angekündigt, die
Lieferung von Atomtechnologie an Pakistan wieder aufzunehmen, sollten die
Handelsbeschränkungen gegen Indien aufgehoben werden. Pakistan hat ähn-
liche Privilegien in Bezug auf den Zugang zu Nukleartechnologie gefordert, wie
sie Indien jetzt zugestanden werden sollen.

Die indische Absichtserklärung, nur eine minimale Kapazität zur nuklearen Ab-
schreckung aufrechterhalten zu wollen, ist nicht glaubwürdig und nicht nach-
prüfbar. Indien will sein Nukleararsenal von gegenwärtig ca. 100 Atomwaffen
auf 300 bis 400 Waffen ausbauen. Indien modernisiert zudem Trägersysteme
und Sprengköpfe für Atomwaffen und will seine Atomwaffen künftig auf land-,
see- und luftgestützten Systemen stationieren. In einigen Jahren werden diese
Trägersysteme auch Staaten in Europa und die USA erreichen können.

Die indischen Uranreserven und -vorkommen reichen nicht aus, um gleichzeitig
das ambitionierte zivile und militärische Atomprogramm zu betreiben. Experten
glauben, dass die indischen Uranreserven bei ungebremstem Ausbau des Atom-
programms bereits Ende 2006 erschöpft sein könnten. Uranimporte sind not-
wendig, wenn Indien den gegenwärtigen Aufrüstungskurs beibehalten will und
gleichzeitig die zivile Nutzung der Kernenergie ausbaut.

Die Lieferung von Uranbrennstoff für zivile Kernreaktoren an Indien kommt mit-
telbar dem indischen Nuklearwaffenprogramm zu Gute. Deshalb haben einige
indische Experten der eigenen Regierung geraten, möglichst viele Reaktoren der
internationalen Kontrolle zu unterwerfen, damit die eigenen Uranreserven aus-
schließlich für militärische Zwecke verwendet werden können.

Deutschland hat an nukleare Ausfuhren nach Indien bisher restriktive und teil-
weise über die NSG-Richtlinien hinausgehende Maßstäbe angelegt. So wurden
Lieferungen von NSG-ungelisteten Gütern, die dem indischen Nuklearpro-
gramm dienen können, nur erlaubt, wenn sie überprüfbar in jenen vier indischen
Leichtwasserreaktoren verwendet wurden, die schon bisher unter der Kontrolle
der IAEO stehen. Das 1971 geschlossene deutsch-indische Nuklearabkommen
wird seit Mitte der 70er Jahre nicht mehr implementiert. Die nächste automa-
tische Verlängerung erfolgt Mitte Mai 2006.

Gleichzeitig setzt sich Deutschland für eine Stärkung der NSG und eine Straf-

fung internationaler Ausfuhrkontrollen ein. Eine Aufhebung oder Lockerung
der Lieferrestriktionen für Indien würde diese Bemühungen konterkarieren.

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