BT-Drucksache 16/8221

Wissenschaftssystem öffnen - Mehr Qualität durch mehr verantwortliche Selbststeuerung und Kooperation

Vom 20. Februar 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/8221
16. Wahlperiode 20. 02. 2008

Antrag
der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Kai Gehring, Grietje Bettin, Ekin Deligöz,
Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, Krista Sager, Monika Lazar, Wolfgang
Wieland, Irmingard Schewe-Gerigk und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wissenschaftssystem öffnen – Mehr Qualität durch mehr verantwortliche
Selbststeuerung und Kooperation

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Bundesregierung hat auf ihrer Klausur in Meseberg Überlegungen zu einem
Wissenschaftsfreiheitsgesetz in die Öffentlichkeit getragen. Es ist klar, dass mit
einem einzigen Bundesgesetz nicht die Grundlagen für mehr Selbstbestimmung
für Wissenschaftseinrichtungen gelegt werden können. Auch ist es irreführend,
die notwendigen Verbesserungen im Wissenschaftssystem allein unter dem Be-
griff der „Freiheit“ zusammenzufassen. Eine gute Forschungsinfrastruktur, gute
Arbeitsbedingungen für Forscherinnen und Forscher, mehr Freiheit und mehr
Eigenverantwortung und Transparenz der Wissenschaft sind die Faktoren, die
die Qualität der Forschung erhalten und stärken.

Ziel von Reformen muss sein, das Wissenschaftssystem attraktiver zu machen.
Das heißt, es kooperativer, offener und leistungsfähiger zu gestalten. Dies kann
nur gelingen, wenn auch die Forschungseinrichtungen ihren Teil zur Dynamisie-
rung beitragen und ihre Verantwortung als öffentliche Einrichtungen ernst neh-
men. Sie müssen ihre Arbeit und deren Ergebnisse so transparent wie möglich
machen, die Mittel so effizient wie möglich einsetzen, miteinander kommunizie-
ren und kooperieren, ihre Nachwuchsförderung und Gleichstellungspolitik ver-
bessern und sich den gesellschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Her-
ausforderungen stellen. Aufgabe der öffentlichen Hand ist es, das Erfüllen dieser
Kriterien einzufordern und zu überprüfen.

Das Wissenschaftssystem in Deutschland ist besser als sein Ruf, weist aber
einige Schwächen auf, die exzellente Forschung und Lehre in Deutschland
erschweren. Zwar gelingt es durchaus, exzellente Forscherinnen und Forscher
an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu halten. Jedoch ge-
hen zahlreiche Talente ins Ausland oder verlassen die Wissenschaft, weil sie an
Hochschulen und Forschungseinrichtungen keine ausreichend attraktiven Ar-
beitsbedingungen vorfinden. Dazu gehört in vielen Forschungsbereichen auch
eine international nicht wettbewerbsfähige Entlohnung. Besoldungsstrukturen
sind verkrustet und Versorgungsregelungen nur unzureichend auf mobile
Lebensverläufe ausgerichtet. Die überproportional hohen Verlustraten von
Nachwuchswissenschaftlerinnen sind auf ungünstige Aufstiegs- und Arbeitsbe-
dingungen für Frauen im Wissenschaftssystem zurückzuführen und bedeuten
erhebliche Innovations- und Effizienzeinbußen. Auch viele der rückkehrwilli-
gen deutschen Forscherinnen und Forscher machen verbesserte Arbeitsbedin-

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gungen zu einer Grundvoraussetzung für den Wiedereinstieg in Deutschland.
Zu solchen Rahmenbedingungen gehören neben einer verbesserten Vereinbar-
keit von Erwerbs- und Familienleben ebenso mehr Durchlässigkeit, Chancen-
gerechtigkeit, tatsächlich offener Wettbewerb im System sowie eine veränderte
Arbeitskultur, die sich nicht am realitätsuntauglichen Mythos des allzeit verfüg-
baren und nur seiner Arbeit verpflichteten Wissenschaftlers orientiert. Damit
Deutschland ein attraktiverer Forschungsstandort und für alle Talente offen
werden kann, ist eine grundsätzliche politische Umgestaltung der Bedingungen
für wissenschaftliche Laufbahnen notwendig. Wissenschaft als Beruf muss so-
wohl in der Professur als auch unterhalb derselben eine attraktive und langfris-
tige Karriereoption sein.

Auch der EU-Forschungsraum braucht die Stärkung der deutschen Forschungs-
landschaft, um qualifizierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für Spit-
zenforschung anzulocken. Im Rahmen der Weiterentwicklung des Europäischen
Forschungsraumes soll ein vielfältiger, offener europäischer Arbeitsmarkt für
Forscherinnen und Forscher entstehen, der eine die notwendige Mobilität von
Spitzenforscherinnen und -forschern („brain circulation“) innerhalb Europas
und darüber hinaus sichert.

Viele deutsche Hochschulen haben in den vergangenen Jahren größere Auto-
nomie erhalten – nicht zuletzt auch im Umgang mit den ihnen zur Verfügung ste-
henden Haushaltsmitteln. Der Staat beschränkt sich in diesen Fällen weitgehend
auf die Steuerung durch Zielvereinbarungen und kriteriengebundene Mittelver-
gabe. So ermöglicht er den Hochschulen eine eigene Profilbildung und Schwer-
punktsetzung. Autonomie darf dabei kein Selbstzweck sein, sondern wirkt dann
als Mittel zur Qualitätssteigerung, wenn sie vor Ort gezielt für eine Verbesse-
rung der Forschungs- und Lehrbedingungen genutzt werden kann. Dazu muss
steigende Autonomie verknüpft werden mit einer verstärkten partizipativen und
transparenten Innensteuerung der Hochschulen. An den Hochschulen hat sie
teilweise zu einer stärkeren Profilbildung beigetragen und zu mehr Attraktivität
und Wettbewerbsfähigkeit geführt. Hier müssen die Forschungseinrichtungen
gleichgestellt werden. Auch sie brauchen mehr Autonomie zur eigenverantwort-
lichen Vergabe und Einsatz von Personal- und Sachmitteln. Die Vergabe öffent-
licher Mittel muss allerdings einhergehen mit klar definierten Zielen und Über-
prüfbarkeit der Ergebnisse und wirksame Konsequenzen bei Nichterreichung
der Ziele.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

dem Deutschen Bundestag folgende Neuregelungen für das Deutsche Wissen-
schaftssystem vorzulegen:

1. Autonomie und Selbstständigkeit der Forschungseinrichtungen weiter stärken

Die Einführung von Globalhaushalten ist eine Grundlage für die notwendige
Selbststeuerung der Forschungseinrichtungen. Um unternehmerisches Denken,
Eigenverantwortung und Managementfähigkeiten zu stärken, muss die Ent-
scheidungsgewalt darüber, wie die vorgesehenen Mittel zwischen Sach- und
Personalkosten aufgeteilt werden, in der Einrichtung selbst liegen.

Den Forschungseinrichtungen müssen außerdem überjährige Budgets zugewie-
sen werden. Nur so können sie eine mittelfristige Planungssicherheit gewinnen,
Rückstellungen machen und durch die Übertragbarkeit der Mittel ihre strate-
gische Planung etwa durch Fonds stärken. Der Zugriff auf eigene Immobilien
oder Grundstücke sollte genau wie die Entscheidungshoheit über Baumaßnah-
men abhängig von der Größe und rechtlichen Selbständigkeit der Institute inner-
halb ihrer Organisationen erleichtert werden.

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Die Bundesregierung sollte daher die rechtlichen Grundlagen dafür schaffen,
dass jede Wissenschaftseinrichtung ihren eigenen Haushalt autonom bewirt-
schaftet und wichtige Bereiche wie die Vergabe finanzieller Mittel, aber auch
Personalangelegenheiten eigenständig verwalten kann. Dazu zählt der flexiblere
Einsatz der Forschungsgelder innerhalb von Projekten wie auch eine flexiblere
Stellenvergabe auf der Basis des Wissenschaftstarifvertrages. Dabei muss
sichergestellt sein, dass die leistungsorientierte Vergabe von Drittmitteln durch
die Sicherung einer ausreichenden Grundausstattung und Mechanismen der
Selbstkontrolle und Evaluation an den Hochschulen begleitet wird.

Das deutsche Vergaberecht muss so reformiert werden, dass die Beschaffung un-
bürokratischer wird, ohne die Sorgfaltspflicht bei der Vergabe öffentlicher Mit-
tel zu vernachlässigen. Dazu muss der Grenzbetrag für die Genehmigungspflicht
von bisher 8 000 Euro deutlich erhöht werden. Gleichzeitig muss die Bundes-
regierung gemeinsam mit den Ländern im Rahmen der Gemeinsamen Wissen-
schaftskommission (GWK) einen Vorschlag erarbeiten, wie ein bundeseinheit-
liches Prüfverfahren auf Stichprobenbasis eingeführt werden kann, dass Korrup-
tion im Vergabebereich zuverlässig verhindert.

Auf europäischer Ebene muss die Bundesregierung dafür eintreten, dass die Ver-
gaberichtlinie so überarbeitet wird, dass die besonderen Bedürfnisse von For-
schungseinrichtungen bei der Beschaffung berücksichtigt werden können. Die
Genehmigungspflicht ist generell erst ab einem deutlich höheren Betrag als bis-
her festzusetzen.

2. Wissenschaft als Beruf attraktiver machen

Die Fokussierung auf die beiden Extreme der wissenschaftlichen Arbeitsver-
hältnisse – einerseits die lebenslange Unkündbarkeit durch Verbeamtung für
wenige, andererseits die Kette von kurzen, jeweils auf wenige Jahre befristeten
Arbeitsverträgen für die Mehrheit – machen Deutschland als Arbeitsort oft un-
interessant. Um das Arbeitsrecht in der Wissenschaft zukunftsfähig zu gestalten,
muss es so weiterentwickelt werden, dass es von einem unbefristeten Arbeits-
verhältnis als Regelfall ausgeht und klare Regelungen für ein wissenschaftsspe-
zifisches Befristungs- und Kündigungsrecht enthält. Nur so können die nötige
Flexibilität, Sicherheit und Rechtsklarheit sowohl für Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftler als auch für die Institutionen gleichermaßen geschaffen werden.

Der wissenschaftliche Nachwuchs braucht einen klaren Orientierungsrahmen.
Um auch im Wissenschaftsbereich endlich Planbarkeit für Arbeitgeber- wie
Arbeitnehmerseite zu schaffen, muss die Bundesregierung sich nachdrücklich
für einen Wissenschaftstarif einsetzen. Nur so kann die Einheitlichkeit und
damit sowohl Wettbewerbsfähigkeit als auch Mobilität innerhalb Deutschlands
gewährleistet werden. Auch für einen funktionierenden Europäischen For-
schungsraum ist es zentral, dass Deutschland bei der Weiterentwicklung der
Arbeitsbedingungen für Forscherinnen und Forscher mit einer klaren Stimme
spricht.

Angesichts der sehr unterschiedlichen Wirtschaftskraft von Bundesländern bzw.
Regionen ist es daher für die schlechtere Lösung, den Forschungseinrichtungen
wie den Hochschulen die Arbeitgebereigenschaft zuzuerkennen, um eigene
Tarifvereinbarungen abzuschließen.

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung zudem auf, in ihren For-
schungseinrichtungen zukünftig auf die Verbeamtung zu verzichten und den
Einrichtungen generell die Möglichkeit zu eigenständigen Verträgen im Rahmen
des Wissenschaftstarifvertrages zu geben. Nur so können Beschäftigungstarife
und Stellenpläne geöffnet und Berufungen flexibler geregelt werden.

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3. Wissenschaftlichen Nachwuchs stärker fördern

Die Doktorandenausbildung muss in Deutschland qualitativ verbessert werden.
Dazu muss eine stärkere Umstellung auf reguläre Stellen erfolgen und das deut-
sche Stipendiensystem ausgebaut werden. Das Promotionsrecht muss weiterhin
bei den Universitäten bleiben.

Zudem müssen deutsche Hochschulen schon nach der Promotion unbefristete
Laufbahnmöglichkeiten bieten. Der Bundestag fordert die Bundesregierung da-
her auf, sich bei der Weiterentwicklung des Hochschulpaktes dafür einzusetzen,
die Juniorprofessur durch „tenure track“-Positionen zu stärken und auch die Pro-
gramme zur Nachwuchsgruppenleitung auszubauen.

Planbare Karrieren für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler brau-
chen außerdem Rahmenbedingungen, die Familie und Beruf besser vereinbar
machen. Dazu müssen an den Forschungseinrichtungen Infrastrukturen geschaf-
fen werden, die gerade Frauen die Möglichkeit geben, ihre berufliche Karriere
weiter zu verfolgen, und Vätern, sich mehr um ihre Kinder zu kümmern. Hoch-
schulen und Forschungseinrichtungen muss es möglich sein, u. a. mit einer fle-
xiblen, familienfreundlichen Zeitpolitik (z. B. Arbeitszeitkorridor und damit
verbundene Arbeitszeitkonten), bedarfsgerechten Kinderbetreuungseinrichtun-
gen vor Ort und passgenauen Angeboten für Partner bzw. Partnerin und Kinder
(„dual career couples“) familiengerechtere Arbeitsbedingungen zu schaffen.

Angesichts des demografischen Wandels sollte die Bundesregierung alle Alters-
begrenzungen aufheben, die den Zugang zur wissenschaftlichen Karriere be-
schränken. Die notwendige Offenheit zwischen der Wirtschaft und der Wissen-
schaft wird nur erreicht, wenn der Staat mit gutem Beispiel vorangeht und auf-
grund der Qualifikation seine Stellen vergibt.

Der Bundestag hat im Wissenschaftszeitvertragsgesetz einen Rechtsanspruch
auf Verlängerung der Vertragslaufzeit wegen Kinderbetreuung verankert. Dies
gilt jedoch nur für befristet beschäftigte Angestellte, nicht jedoch für die auf Zeit
verbeamteten Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler an den Ein-
richtungen der Länder. Ein familienfreundliches Wissenschaftssystem kann aber
nur entstehen, wenn auch die Länder entsprechende Regelungen treffen. Wir
fordern daher die Bundesregierung auf, sich im Rahmen der GWK nachdrück-
lich dafür einzusetzen.

4. Gleichstellung in der Wissenschaft voranbringen

Ziel muss sein, den Anteil der Frauen an sämtlichen Qualifikations- und Karri-
erestufen in Forschung und Wissenschaft nachweislich zu steigern. Gleichstel-
lungspolitische Kriterien müssen durchsetzungsstark in Ziel- und Leistungsver-
einbarungen zwischen Forschungseinrichtungen und Bund und ggf. Ländern
verankert und in die leistungsbezogene Mittelvergabe implementiert werden.
Dies muss auf der Grundlage verbindlicher und überprüfbarer Kennzahlen erfol-
gen, deren Erreichung über positive Anreizmechanismen und Controlling zu
steuern sind. Werden die Ziele so nicht erreicht, müssen Konsequenzen in der
Mittelvergabe folgen. Die Leitungsebene der Forschungseinrichtungen muss
Gleichstellung endlich als Teil ihrer zentralen Personalpolitik und damit als eine
genuine Steuerungsaufgabe begreifen, die es nach dem top-down-Prinzip durch-
gesetzt wird. Ziel ist die Verwirklichung einer gleichberechtigten Vertretung von
Männern und Frauen bis zur höchsten Leitungsebene (mindestens 40 Prozent
jeder Geschlechtergruppe).

5. Versäulung verringern, Kooperationen und Ausgründungen stärken

Um die ökonomischen Potenziale der Forschung auszuschöpfen, ist eine engere
Kooperation von Forschungseinrichtungen und Unternehmen wichtig. Die For-
schungsprämie ist dafür kein guter Weg. Neben der Kooperation zwischen Wirt-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/8221

schaft und Wissenschaft muss auch die Kooperation innerhalb des Wissen-
schaftssystems verbessert werden. Die Versäulung der deutschen Forschungs-
landschaft zwischen universitären und außeruniversitären Einrichtungen muss
endlich aufgebrochen werden.

Dazu fordert der Bundestag die Bundesregierung auf, in der Fortführung des
Paktes für Forschung und Innovation einen Teil des jährlichen Aufwuchses für
Projektmittel zur Verfügung zu stellen, um die sich sowohl Forschungseinrich-
tungen als auch Hochschulen einzeln, aber auch gemeinsam bewerben können.
Als weitere Maßnahme zur „Entsäulung“ sollten gemeinsame Berufungen von
Professorinnen und Professoren an Hochschulen und Forschungseinrichtungen
noch stärker gefördert werden.

Die Möglichkeiten der Forschungseinrichtungen, sich an Ausgründungen auch
langfristig zu beteiligen, sollten verbessert werden. Allerdings darf dies nicht zu
einem steigenden Haftungsaufwand der öffentlichen Hand führen, sondern müs-
sen die Haftungsfragen innerhalb der Organisationen oder Institute zufrieden-
stellend geregelt werden.

6. Forschungsergebnisse zugänglich und verwertbar machen

Ausgründungen aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen nehmen zu.
Dies ist dringend notwendig, um die Umsetzung und Vermarktung von Innova-
tionen voranzubringen. Der Prozess ist allerdings zu hohen bürokratischen und
finanziellen Anforderungen ausgesetzt. Die Bundesregierung muss endlich ein
überarbeitetes Wagniskapitalgesetz vorlegen, um zu verhindern, dass Deutsch-
land im internationalen Innovationswettbewerb abgehängt wird.

Aus den Ausgründungen aus Forschungseinrichtungen sollte im Rahmen des
Paktes für Forschung und Innovation die Kooperation zwischen Wissenschaft
und Wirtschaft so weiterentwickelt werden, dass sie von vorneherein neben dem
ursprünglichen engen Projektbezug auch mittel- und langfristige institutionelle
Kooperationen ermöglicht.

7. Wissenschaftsfreundliches und zukunftsfähiges Urheberrecht einführen

Ziel ist es, öffentlich finanzierte Forschung der Öffentlichkeit stärker zur Verfü-
gung zu stellen. Dem Prinzip des Open Access entsprechend sollten daher wis-
senschaftliche Erkenntnisse, die mit öffentlicher Förderung zustande gekommen
sind, nach Ablauf einer angemessenen Frist frei verfügbar sein. Da eine solche
Regelung von der maßgeblichen EU-Richtlinie gedeckt wird, sollte sie umge-
hend im Rahmen eines „Dritten Korbs“ zur Regelung des Urheberrechtes in der
Informationsgesellschaft umgesetzt werden. Außerdem müssen die wissen-
schaftsfeindlichen Änderungen im Rahmen des „Zweiten Korbs“, insbesondere
die Regelungen zu elektronischen Leseplätzen und dem elektronischen Kopien-
versand, rückgängig gemacht werden. Andernfalls ist die internationale Wettbe-
werbsfähigkeit des deutschen Wissenschaftsstandorts gefährdet. Der Wunsch
nach ungehindertem Zugang zu aktuellen Forschungsergebnissen und wissen-
schaftlichen Informationen kollidiert häufig mit dem Vermarktungsinteresse
von Verlagen sowie ggf. Forscherinnen und Forschern. Die Vermittlung dieser
Interessen darf nicht zu Lasten des wissenschaftlichen Fortschritts und des All-
gemeinwohls gehen.

8. Forschungsqualität erhöhen durch bundesweite Koordination

Die GWK hat den Auftrag, die verfassungsrechtlichen Koordinierungsaufgaben
zwischen Bund und Ländern zu regeln. Der Wissenschaftsrat berät die Bundes-
und Landesregierungen bei der Entwicklung des Wissenschaftssystems. Deswe-
gen fordert der Bundestag von der Bundesregierung mit dem Forum für For-
schungsförderung zusätzlich einen Ort, an dem die angestrebte Ausrichtung der
Forschung zwischen den großen Akteuren analysiert, diskutiert und bewertet

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wird. Nur so kann die Versäulung verringert, die Kooperation zwischen den For-
schungsakteuren verbessert und die Effizienz der eingesetzten öffentlichen Mit-
tel erhöht werden. Außerdem wird im begleitenden öffentlichen Prozess die
Transparenz in der Forschungsförderung erhöht, die inhaltliche Kommunikation
zwischen den politischen und den wissenschaftlichen Akteuren erhöht und da-
durch die Entscheidungsprozesse verbessert.

9. Europäischen Forschungsraum voranbringen

Kernaufgabe bei der Stärkung des Europäischen Forschungsraumes ist es, die
Mobilität der Forscherinnen und Forscher zu erhöhen. Für Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftler aus Deutschland bedeutet dies, dass das Arbeits- und
Sozialrecht ihnen den Wechsel zwischen unterschiedlichen Ländern genauso er-
leichtern muss wie den Wechsel zwischen einer Beschäftigung in der Privatwirt-
schaft und in der öffentlichen Forschung. Die Bundesregierung muss daran mit-
wirken, die Portabilität von Sozialversicherungsleistungen voranzubringen.
Diese Portabilitätsfrage gilt es auch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
ler aus der EU zu lösen, die nach Deutschland kommen wollen.

Für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Drittstaaten, die in Deutsch-
land arbeiten wollen, muss die Bundesregierung die Zuwanderungsregelungen
vereinfachen. Der internationale Austausch auch über die EU hinaus ist ein Ge-
winn für alle Beteiligten und steigert die Forschungsqualität insgesamt. Statt
neue Einschränkungen und bürokratische Regelungen zu kreieren, wie das
Akkreditierungsverfahren für Forschungseinrichtungen beim Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge (BAMF) oder die Bescheinigung der Kostenüber-
nahme im Falle einer Abschiebung, muss die Bundesregierung sowohl für eine
erleichterte Visumvergabe sorgen, als auch die Arbeitserlaubnis für Ehe- und
Lebenspartner besser regeln.

Die Bundesregierung muss dafür Sorge tragen, dass die Anfang 2008 erstmalig
vergebenen European Research Council-Forschungszuschüsse für Forschung in
Deutschland nutzbar gemacht werden können. Fragen, die sich in diesem Pro-
zess auftun, müssen gerade in der ersten Runde schnell und unbürokratisch ge-
löst werden.

10. Mit der Föderalismusreform II die Forschung stärken

Die Föderalismusreform I hat dem Bund wichtige Handlungsmöglichkeiten ge-
nommen, die Forschungsstrukturen und -bedingungen an deutschen Hochschu-
len und Forschungseinrichtungen mit zu bestimmen. Dennoch gibt es durch die
letztendliche Fassung des Artikels 91b des Grundgesetzes Möglichkeiten, ge-
meinsame Regelungen neu festzusetzen. Die müssen im Rahmen der GWK und
des Forums für Forschungsförderung genutzt werden.

Im zweiten Schritt der Föderalismusreform muss es nun darum gehen, wirksame
Anreize für verstärkte Investitionen in Bildung und Forschung auf Bundes- und
Länderebene zu setzen. Durch die Abschaffung der Gemeinschaftsaufgabe
Hochschulbau ist mit der Föderalismusreform I ein wichtiges Instrument zur
Priorisierung von Bildungs- und Forschungsausgaben verloren gegangen. Die
Bundesregierung soll sich in der Föderalismusreform II dafür einsetzen, Bil-
dungs- und Forschungsausgaben in der deutschen Finanzverfassung aufzuwer-
ten.

Berlin, den 20. Februar 2008

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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