BT-Drucksache 16/821

Rechtsschutzlücken bei der Terrorbekäpfung schließen

Vom 7. März 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/821
16. Wahlperiode 07. 03. 2006

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Volker Beck (Köln), Thilo Hoppe,
Ute Koczy, Monika Lazar, Winfried Nachtwei, Claudia Roth (Augsburg),
Rainder Steenblock, Silke Stokar von Neuforn, Jürgen Trittin und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rechtsschutzlücken bei der Terrorbekämpfung schließen

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, ihre Bemühungen
auf internationaler Ebene für die Einführung eines Rechtsschutzes und die Fest-
legung menschenrechtlicher und rechtsstaatlicher Standards in den Resolutio-
nen 1267, 1333, 1390, 1526 sowie in der Resolution 1373 des UN-Sicherheits-
rates sowie bei deren Umsetzungsakten durch Europäische Union vor allem in
der EG-Verordnung 2589/2001 zu intensivieren und dem Deutschen Bundestag
über das Ergebnis ihrer Bemühungen halbjährlich zu berichten.

Insbesondere fordert der Deutsche Bundestag die Bundesregierung auf,

1. sich für die Aufstellung bestimmter und überprüfbarer Kriterien für die
Listung von Personen und Personengruppen einzusetzen;

2. die Betroffenen so weit als möglich vor einer Listung anzuhören, damit
diese sich gegen Verwechslungen oder unbegründete Vorwürfe zur Wehr
setzen können;

3. den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Menschenwürde zu wahren;

4. dem Existenzminimum der betroffenen Personen einen absoluten Schutz zu
gewähren;

5. sich auf UN-Ebene und EU-Ebene für angemessenen Rechtsschutz, z. B.
beim Gericht für die Bediensteten des Generalsekretariats einzusetzen;

6. für unrechtmäßig erlittene Schäden eine Entschädigung zu leisten;

7. die Effizienz des Instrumentariums zu überprüfen;

8. bis zum Erreichen eines wirksamen Rechtsschutzverfahrens auf die Weiter-
gabe von Namen für die Listung zu verzichten.
Berlin, den 7. März 2006

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Drucksache 16/821 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
Begründung

Seit dem 11. September 2001 ist auf internationaler Ebene ein Sanktionsregime
wegen Terrorverdachts eingeführt worden. Das Ziel der internationalen Gemein-
schaft, die Finanzströme des Terrorismus auszutrocknen, verdient ungeteilte
Unterstützung. Das zur Umsetzung dieses Anliegens geschaffene Sanktions-
regime geht jedoch über diesen Zweck deutlich hinaus. Es ist in Teilen ineffi-
zient, greift tief in Bürgerrechte ein und genügt dabei rechtsstaatlichen Anforde-
rungen in keiner Weise. Diese Defizite des eigentlich sinnvollen Mittels schwä-
chen letztlich den Anti-Terrorkampf.

Die Listung von terrorverdächtigten Personen und Vereinigungen auf Grund
bloßer Vermutungen führt dazu, dass die Betroffenen fast vollständig vom
Wirtschaftsleben ausgeschlossen werden und Reisebeschränkungen unterlie-
gen. Damit werden sie in ihrem wirtschaftlichen und sozialen Handeln emp-
findlich betroffen. So können sie zwar arbeiten, der Arbeitgeber darf aber kei-
nen Lohn auszahlen. Allerdings enthalten die Rechtsakte im Ansatz Regeln
zum Schutz des Existenzminimums; selbst diese werfen jedoch in der Anwen-
dung Probleme auf. Die Bundesrepublik Deutschland ist zwar verpflichtet,
diese völkerrechtlichen und europarechtlichen Verpflichtungen zu vollziehen.
Sie muss aber beim Vollzug die Anforderungen des Grundgesetzes, namentlich
die Grundrechte und die Rechtsschutzgarantie wahren. Im Grundgesetz und im
EU-Recht verbürgte rechtsstaatliche Mindeststandards wie der Anspruch auf
rechtliches Gehör und auf effektiven Rechtsschutz finden dabei wegen des ab-
soluten Vorrangs der Beschlüsse des Sanktionsausschusses vor den Grundrech-
ten der Gemeinschaften und der nationalen Verfassungen keine Beachtung
(wie jüngst vom Gericht Erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften in
einem grundlegenden Urteil vom 21. September 2005 bestätigt, Rs. T-306/01,
Yusuf u. a./Rat und Kommission). Diese Maßnahmen sind unter dem Eindruck
der Ereignisse des Jahres 2001 getroffen worden. Ihre Effizienz muss überprüft
werden. Eine Weiterentwicklung der Beschlüsse unter menschenrechtlichen
und rechtsstaatlichen Gesichtspunkten, wie sie von der Bundesregierung schon
in ihrem 7. Menschenrechtsbericht vom Juni 2005 für erforderliche gehalten
wurde, ist überfällig.

Der Terrorverdacht gründet sich häufig auf nicht überprüfbare Angaben eines
Geheimdienstes. Das Verfahren im UN-Sanktionsausschuss ist sogar für die
beteiligten Regierungen intransparent, gerichtlich nicht überprüfbar und darü-
ber hinaus fehleranfällig. Es hat in der Vergangenheit Namensverwechslungen
gegeben. Staaten, in denen systematisch gefoltert wird, können Personen bei
der UN melden. Dementsprechend befinden sich auf den vom UN-Sanktions-
ausschuss beschlossenen und von der EU umgesetzten „Terrorlisten“ auch Per-
sonen oder Personengruppen, die zwar politisch missliebig sind, denen aber
keinerlei Unterstützung des Terrorismus nachgewiesen werden konnte. Die
Betroffenen werden in den allerseltensten Fällen darüber informiert, dass Maß-
nahmen gegen sie verhängt worden sind. Die Maßnahme wird nur in ganz selte-
nen Fällen korrigiert und ist grundsätzlich unbefristet. Eine Entschädigung der
Betroffenen für die ihnen ungerechtfertigt zugefügten Nachteile ist nicht vor-
gesehen und deshalb von der Rechtsprechung bislang nicht anerkannt worden.
Der daraus drohende Justizkonflikt zwischen dem internationalen und dem eu-
ropäischen Recht einerseits und den an das Grundgesetz gebundenen deutschen
Gerichten andererseits ist weder im Interesse eines effektiven Sanktionsregimes
noch im Interesse der Bundesrepublik Deutschland.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.