BT-Drucksache 16/7791

zu der Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung -16/5211- Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale (Jahresabrüstungsbericht 2006)

Vom 16. Januar 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7791
16. Wahlperiode 16. 01. 2008

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin,
Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Inge Höger, Dr. Hakki Keskin,
Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Norman Paech, Alexander Ulrich,
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

zu der Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung
– Drucksache 16/5211 –

Bericht der Bundesregierung zum Stand der Bemühungen um
Rüstungskontrolle, Abrüstung und Nichtverbreitung sowie
über die Entwicklung der Streitkräftepotenziale (Jahresabrüstungsbericht 2006)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Effektive Rüstungskontrolle und Abrüstung sind zwei zentrale Grundpfeiler
für eine friedliche und vertrauensvolle Zusammenarbeit im internationalen
Rahmen. Entsprechende Regelwerke und internationale Verträge haben in
der Vergangenheit einen wichtigen Beitrag für die völkerrechtliche Regulie-
rung der internationalen Beziehungen geleistet.

Durch eine konsequente Abrüstungspolitik können die Mittel freigesetzt
werden, die heute weltweit für eine nachhaltige Entwicklungs-, Klima- und
Energiepolitik benötigt werden. Aufrüstung und Rüstungsmodernisierung
bedeuten eine beispiellose Verschwendung volkswirtschaftlicher und gesell-
schaftlicher Ressourcen, die dringend beendet werden muss.

2. Die Suspendierung des Vertrages über konventionelle Rüstung in Europa
(KSE-Vertrag) durch Russland, nachdem die NATO-Staaten weiterhin nicht
bereit waren, den KSE-Anpassungsvertrag zu ratifizieren, ist nur ein weiteres
Zeichen für die tiefe Krise, in der sich die Rüstungskontroll- und Abrüstungs-
politik insgesamt befindet. Hier – wie die Bundesregierung im Jahresabrüs-
tungsbericht 2006 – nur von einer „gemischten Bilanz“ zu schreiben, bedeu-
tet, die Tragweite der Krise zu unterschätzen. Weitere Verträge wie das Ab-

kommen zur Ächtung von nuklearen Mittelstreckenwaffen (Null-Lösung)
sind gefährdet, andere, wie der Vertrag über die Nichtverbreitung von Atom-
waffen, erodieren beständig. Das Risiko, dass wachsende politische Span-
nungen nicht zuletzt zwischen USA/NATO und Russland auch in militärische
Konkurrenz umschlagen, wächst. Ein Umsteuern ist daher notwendig, um
diese Gefahren abzuwenden und um zugleich neue Möglichkeiten der Ent-
spannung und der internationalen Kooperation zu eröffnen.

Drucksache 16/7791 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

3. Gerade die Staaten der NATO bzw. der Europäischen Union, die sowohl hin-
sichtlich der Massenvernichtungswaffen als auch im konventionellen Be-
reich über das modernste und größte Arsenal verfügen, bestimmen durch ihr
Verhalten den zukünftigen Stellenwert von Rüstungskontrolle und Abrüstung
in den internationalen Beziehungen. Doch die Staaten der NATO und der EU
kommen der sich daraus ergebenden Verantwortung nicht nach, im Gegen-
teil: Mit Rüstungsausgaben in 2006 in Höhe von etwa 825 Mrd. US-Dollar
zeichneten die NATO-Staaten laut Stockholm International Peace Research
Institute (SIPRI) für etwa 68,5 Prozent der auf 1,2 Bill. US-Dollar geschätz-
ten weltweiten Rüstungsausgaben verantwortlich.

NATO- und EU-Mitgliedstaaten sind seit geraumer Zeit dabei, ihr Streitkräf-
tepotenzial auf globale militärische Interventionsfähigkeiten um- und auf-
zurüsten. Die Atomwaffenstaaten Frankreich, Großbritannien und die USA
verfolgen – wie auch Russland – entgegen dem Geist des Nichtverbreitungs-
vertrages eine Modernisierung ihrer Atomwaffenarsenale; die NATO insge-
samt hält an der Legalität und Legitimität des Einsatzes von Atomwaffen fest.

4. Die derzeitige Bundesregierung hat es, wie ihre Vorgängerregierung, ver-
säumt, der Rüstungskontrolle und Abrüstung qualitativ wie quantitativ einen
neuen Schub zu geben. Zwar haben Bundesminister dieser Bundesregierung
wiederholt betont, dass die Bundesregierung gerade hier neue Impulse für
wichtig hält. In der Praxis – und dies wird auch in der Bilanz des Jahresab-
rüstungsberichts 2006 deutlich – widerspricht die Politik der Bundesregie-
rung jedoch dieser Maßgabe:

● Die Bundesregierung hält nach wie vor bedingungslos an der nuklearen
Teilhabe im NATO-Bündnis fest und duldet die Lagerung US-amerika-
nischer Atomwaffen auf deutschem Staatsgebiet.

● Die Bundesregierung hat es hingenommen, dass der 1999 im Rahmen der
OSZE vereinbarte Anpassungsvertrag über konventionelle Rüstung in
Europa (A-KSE-Vertrag) durch die NATO-Mitgliedstaaten nicht ratifiziert
wurde. Erst als die russische Regierung damit drohte, ihre Umsetzung des
Vertrags zu suspendieren, hat die Bundesregierung Schritte zur Rettung
dieses Vertragswerks unternommen. Aber weiterführende Vorschläge
über neue Schritte konventioneller Abrüstung bleiben Fehlanzeige.

● Die Bundesregierung hat den US-amerikanischen Plänen zur Aufstellung
eines neuen Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien nicht un-
missverständlich widersprochen, sondern lediglich die bessere Einbezie-
hung Russlands angemahnt. Sie hat es auch versäumt, dieses Thema im
Rahmen der Europäischen Union auf die Tagesordnung zu setzen.

● Die Bundesregierung ist im Bereich des Verbots von Kleinwaffenexporten
oder des Verbots von Streumunition zwar aktiv geworden – nachdem
andere Staaten und Nichtregierungsorganisationen (NROs) die Initiative
ergriffen hatten –, lässt aber auch hier Konsequenz vermissen. Nach wie
vor hält die Bundesregierung z. B. daran fest, gewisse Streumunitions-
typen doch im Arsenal der Bundeswehr zu belassen und will sogar neue
Munitionstypen entwickeln.

● Die Bundesregierung hat es bisher versäumt, Überlegungen anzustellen
und Vorschläge zu präsentieren, wie neuen bedrohlichen und destabilisie-
renden Entwicklungen durch neue Rüstungstechnologien bzw. die ständi-
gen Evolutionssprünge in der Informations- und Kommunikationstechno-
logie wirkungsvoll zu begegnen ist. Diese Entwicklungen stellen den
bisher erreichten Stand der Rüstungskontrolle ständig in Frage und verlan-
gen nach neuen Schritten einer vorbeugenden Rüstungskontrolle.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7791

5. Die Bundesrepublik Deutschland ist gefordert, alle ihre Möglichkeiten aus-
zuschöpfen, um eine friedenspolitische Wende in Europa und weltweit durch-
zusetzen. Das erfordert neue Initiativen auf internationalem Parkett ebenso
wie die Wahrnehmung einer eigenen abrüstungspolitischen Vorbildfunktion.
Tatsächlich praktizierte Rüstungskontrolle und Abrüstung in Deutschland
verliehe der Bundesregierung internationale Glaubwürdigkeit und Durchset-
zungsfähigkeit. Nur eine solche unilaterale Reduzierung deutscher Rüstungs-
aufwendungen ist sicherheitspolitisch zu vertreten – Deutschland wird auf
absehbare Zeit von niemandem militärisch bedroht – und sie wäre ein drin-
gend gebotenes Signal, dass die gegenwärtige Stagnation des internationalen
Abrüstungs- und Rüstungskontrollprozesses überwunden werden kann. Ein
solcher Schritt darf sich nicht nur auf die Minderung deutscher Militäraus-
gaben und die strikte Beschränkung der großen Rüstungsbeschaffungspro-
gramme beziehen, sondern sollte auch den Ausstieg aus den aufrüstungsför-
dernden Instrumenten globaler Machtprojektion (NATO Response Force, EU
Battle Groups) einschließen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. unverzüglich die Ratifizierung des Anpassungsabkommens zum KSE-Ver-
trag einzuleiten;

2. die Initiative für einen neuen Vertrag über konventionelle Abrüstung in
Europa (KSE III) zu ergreifen. Ein solches Abkommen könnte zunächst
regeln, die bestehenden tatsächlichen Bestände an Waffensystemen und Sol-
daten als neue Höchstgrenzen festzulegen. Als nächster Schritt sollte eine
Reduzierung der Waffenarsenale und Streitkräfte um ein Drittel zwischen den
Vertragsstaaten vereinbart werden;

3. neue politische Initiativen zu entwickeln, um die Rolle der OSZE als Instru-
ment der Rüstungskontrolle und Abrüstung in Europa zu stärken. Damit
würde zugleich die OSZE als zentrales Forum des Ost-West-Dialogs und der
internationalen Kooperation aufgewertet werden;

4. das Abrüstungsthema auf dem nächsten NATO-Gipfel in Bukarest einzubrin-
gen und auf konkrete Schritte der Allianz zur Senkung der Rüstungslasten in
allen Mitgliedstaaten zu drängen;

5. die deutsche Beteiligung an der nuklearen Teilhabe zu beenden und keine
Flugzeuge und Piloten der Bundeswehr für Einsätze mit Atomwaffen bereit-
zustellen sowie die entsprechende Vorbereitung auf solche Einsätze zu be-
enden;

6. der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika mitzuteilen, dass künftig
jegliche Stationierung von Atomwaffen auf deutschem Staatsgebiet untersagt
wird und die derzeit in Deutschland stationierten Atomwaffen unverzüglich
abzuziehen sind;

7. sich bilateral und innerhalb der NATO gegen die Stationierung eines US-
Raketenabwehrsystems in Europa zu verwenden und sich weder bilateral
noch innerhalb der NATO an der Entwicklung und dem Aufbau eines Sys-
tems zur Abwehr interkontinentaler ballistischer Raketen zu beteiligen;

8. den deutschen Verteidigungsetat ab 2009 um 10 Prozent abzusenken und frei
werdende Gelder in Konversionsinitiativen und Abrüstungsmaßnahmen so-
wie in die Stärkung der Kapazitäten der zivilen Konfliktbearbeitung zu inves-
tieren;

9. sich für eine internationale Ächtung sämtlicher Typen von Streumunition und
Landminen einzusetzen und diese unverzüglich aus den Waffenbeständen der

Bundeswehr zu entfernen;

Drucksache 16/7791 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
10. alles gegen eine weitere Militarisierung des Weltraums zu tun und sich für
ein Zusatzprotokoll einzusetzen, welches auch den temporären Aufenthalt
von Waffensystemen im Weltraum untersagt, sowie sich noch stärker dafür
einzusetzen, dass im Rahmen der Genfer Abrüstungskonferenz Verhandlun-
gen über ein Abkommen zur Verhinderung der Stationierung von Waffen im
Weltraum aufgenommen werden;

11. durch die rechtsverbindliche Umsetzung der bislang nur politisch verbind-
lichen Entscheidungskriterien und Maßstäbe des EU-Verhaltenskodex für
konventionelle Waffenausfuhren und einen unverzüglichen Stopp der Ge-
währung von Staatsbürgschaften für Rüstungsexportgeschäfte die weltweite
Verbreitung deutscher Rüstungstechnologie drastisch zu erschweren;

12. eine unabhängige Expertengruppe zu berufen, die für die Bundesregierung
und den Deutschen Bundestag die gegenwärtigen und zukünftigen Heraus-
forderungen für die Rüstungskontrolle und Rüstungsminderung systema-
tisch untersucht und die Vorschläge unterbreitet, wie durch präventive Maß-
nahmen der Abrüstungsprozess gestärkt werden kann.

Berlin, den 8. Januar 2008

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.