BT-Drucksache 16/7735

Privatisierung öffentlicher Aufgaben zur Stärkung der sozialen Marktwirtschaft

Vom 16. Januar 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7735
16. Wahlperiode 16. 01. 2008

Antrag
der Abgeordneten Rainer Brüderle, Martin Zeil, Dr. Karl Addicks, Christian
Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Angelika Brunkhorst, Ernst
Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Otto Fricke, Paul K. Friedhoff , Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter
Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen),
Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Birgit Homburger, Dr. Werner
Hoyer, Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp,
Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Markus Löning,
Horst Meierhofer, Burkhardt Müller-Sönksen, Hans-Joachim Otto (Frankfurt),
Detlef Parr, Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina Schuster,
Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Rainer Stinner, Florian Toncar, Dr. Claudia
Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Dr. Guido Westerwelle
und der Fraktion der FDP

Privatisierung öffentlicher Aufgaben zur Stärkung der sozialen Marktwirtschaft

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Staat dient der Bevölkerung und ist kein Selbstzweck. Er darf deshalb nur
Leistungen erbringen, die kleine gesellschaftliche Einheiten wie Unternehmen,
Verbände, Vereine, Initiativen oder Privatpersonen nicht übernehmen können.
Grundsätzlich gilt dabei, dass staatliche Institutionen Private bei deren Erle-
digung unterstützen sollten, bevor eine öffentliche Aufgabe wahrgenommen
wird. Ausgenommen von dieser Subsidiarität sind lediglich nicht auf Vertrag
beruhende Eingriffsrechte und die Ausübung hoheitlicher Befugnisse nach
Artikel 33 Abs. 4 des Grundgesetzes.

Vor diesem Hintergrund ist die Privatisierung öffentlicher Aufgaben eine ord-
nungspolitische Daueraufgabe. Nach dem Grundsatz „Privat vor Staat“ müssen
gesellschaftliche, technologische und ökonomische Entwicklungen für eine
stärkere privatwirtschaftliche Gestaltung vormals staatlicher Aufgaben genutzt
werden. Sich daraus ergebende Privatisierungspotentiale müssen auf bundes-,
landes- und kommunaler Ebene konsequent genutzt werden. Dabei sichert der
Staat im Rahmen einer wirkungsvollen Ordnungspolitik die Einhaltung diskri-
minierungsfreier Regeln, innerhalb derer der Wirtschaftsprozess abläuft. Das
Fundament dieser Privatisierungspolitik bildet ein freier und unverfälschter
Wettbewerb, der auf ein ergebnisoffenes Wettbewerbskonzept zum Schutz der
Handlungsfreiheit der Marktteilnehmer setzt. Die Ersetzung staatlicher durch
private Monopole kann nicht das Ziel der sozialen Marktwirtschaft sein. Gege-
benenfalls bedarf es deshalb einer konsequenten Regulierung.

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Privatisierungen erweitern die Wettbewerbsfreiheit insbesondere kleiner und
mittlerer Unternehmen. Nur vergleichbare Rahmenbedingungen mit fairen Spiel-
regeln ermöglichen die Aufnahme eines Qualitäts- und Leistungswettbewerbs.
Wettbewerbsverzerrend wirken vor allem die für öffentliche Aufgaben geltende
garantierte Finanzausstattung, die günstigen Finanzierungsmöglichkeiten, der
faktische Wegfall des Insolvenzrisikos sowie die fehlende Mehrwertsteuer-
pflicht. Privatisierung ist deshalb ein wichtiges Element einer mittelstands-
orientierten Wirtschaftspolitik.

Privatisierungen sind das wirkungsvollste Instrument zur Vermeidung von
Staatsversagen, das sich beispielsweise durch eine mangelhafte Güterallokation
und Instabilität zeigt. Die wirtschaftlichen Schieflagen staatlicher Banken wie
der SachsenLB und der Bankgesellschaft Berlin verdeutlichen den dringenden
Bedarf, durch eine stärkere Gewichtung privatwirtschaftlichen Engagements der
Sozialisierung öffentlichen Missmanagements zu begegnen. Privatisierung ist
deshalb ein wichtiges Element einer gerechten Sozialpolitik.

Privatisierungen versprechen zudem erhebliche Effizienzgewinne. Die Renta-
bilitätsorientierung und das tendenziell stärkere Verlustrisiko (keine Sozialisie-
rung der Verluste) bewegen Eigentümer und Angestellte privater Unternehmen
zu einem wirtschaftlicheren Umgang mit betrieblichen Ressourcen. Auf diesem
Wege wird der Verschwendung von Steuergeldern am Wirkungsvollsten begeg-
net. Gleichzeitig versprechen Privatisierungen vormals öffentlicher Aufgaben
eine dauerhafte Verbreitung der steuerlichen Bezugsgruppe und ermöglichen
damit die Erzielung zusätzlicher Steuereinnahmen. Der öffentliche Haushalt
profitiert zudem von den Veräußerungserlösen im Umfang von zuletzt 6,6 Mrd.
Euro 2006 und 9,2 Mrd. Euro 2007. Privatisierung ist deshalb ein wichtiges Ele-
ment einer entlastenden Steuer- und Haushaltspolitik.

Privatisierungen bergen Potential zur Senkung der realen Preise für Produkte
und Dienstleistungen, zur schnelleren Verbreitung von Innovationen, zur Ver-
breiterung des Leistungsangebots und zur Optimierung der Servicekultur. So
sind beispielsweise die Tarife für Telefonbasisdienstleistungen in den letzten
zehn Jahren um bis zu 97 Prozent gesunken. Das mediale Angebot an Informa-
tion und Unterhaltung hat sich seit Einführung des Privatfernsehens 1984 so
stark differenziert, dass vielfältige Interessen mit einem entsprechenden Spar-
tenprogramm bedient werden. Privatisierung ist deshalb ein wichtiges Element
einer marktnahen Verbraucherschutzpolitik.

Zur Stärkung der sozialen Marktwirtschaft ist der Staat deshalb aufgerufen, ge-
nerell eine formelle Privatisierung (Umwandlung öffentlich-rechtlicher Rechts-
form in eine privatrechtliche Rechtsform) gewerblicher Tätigkeiten zu vollzie-
hen. Vorrang vor einer reinen Rechtsformänderung haben zudem funktionale
(Übertragung staatlicher Aufgaben auf privatwirtschaftliche Unternehmen) und
materielle Privatisierungen (Verkauf eines staatlichen Unternehmens), welche
konsequenter genutzt werden sollten. Hierfür gilt der Grundsatz: Wo Private im
In- oder Ausland bereits vergleichbare Leistungen erbringen, muss der Staat
stärker auf privatwirtschaftliche Strukturen vertrauen. Die Wahrnehmung so-
zialstaatlicher Schutzinteressen wie beispielsweise einer gewollten Universal-
versorgung mit Produkten und Dienstleistungen muss über alternative Rege-
lungsmechanismen wie Ausgleichsfonds oder Subvention der Leistungsbezie-
her sichergestellt werden.

Darüber hinaus muss der Staat Privatisierungen durch eine verantwortungsvolle
Wirtschaftspolitik flankieren. Nur auf diese Weise können positive Effekte voll-
umfänglich erschlossen werden. Negative Erfahrungen mit Privatisierungen
(Beispiel „Bürgerbefragung öffentlicher Dienst 2007“, forsa Gesellschaft für
Sozialforschung und statistische Analysen mbH) entstehen in der Regel durch
das genaue Gegenteil. Die Wettbewerbsentwicklung im Bereich des Postwesens
2007 ist hierfür ein Paradebeispiel. „Monopolkampf mit allen Mitteln“ bezeich-

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net die Monopolkommission die Politik der Bundesregierung. Das weiterhin
bestehende Mehrwertsteuerprivileg der Deutsche Post AG und wettbewerbs-
schädliche Mindestlöhne verhindern das Entstehen eines dynamischen Wett-
bewerbs. Verbrauchern und Öffentlichkeit sind die Vorteile privatwirtschaft-
licher Strukturen bei einer derartigen Monopolpolitik nicht zu erklären. Der
Erfolg von Privatisierungen hängt wesentlich von der Förderung wettbewerb-
licher Strukturen ab.

Auch die Steuerpolitik muss Privatisierungsaspekte mit berücksichtigen. Werden
ineffiziente und teils defizitäre Betriebe privatisiert, so müssen die sich daraus
ergebenden Haushaltsentlastungen als Steuerersparnis an die Bürgerinnen und
Bürger weitergegeben werden. Gleichzeitig dürfen Produkte und Dienstleistun-
gen privatisierter Unternehmen nicht durch stetig steigende indirekte Besteue-
rung am Markt für die Verbraucher verteuert werden. Ein solcher Effekt lässt sich
im deutschen Energiemarkt beobachten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf,

1. sich unmissverständlich für eine stetige Privatisierungspolitik einzusetzen,
die den ordnungspolitisch gebotenen Weg der Privatisierung konsequent wei-
terführt, die Arbeitsteilung zwischen Staat und Wirtschaft effizient gestaltet
und den Staat weiter verschlankt;

2. auch 2008 an der Praxis eines jährlichen Berichts „Verringerung von Beteili-
gungen des Bundes – Fortschreibung 2008“ durch das Bundesministerium
der Finanzen festzuhalten;

3. eine gesetzliche Regelung vorzulegen, die es Bundesinstitutionen untersagt,
Haushaltsmittel für den Erwerb von Anteilen an privatwirtschaftlichen
Unternehmen einzusetzen, um Verstaatlichungstendenzen wirkungsvoll ent-
gegenzuwirken;

4. bei zukünftigen Privatisierungen durch geeignete gesetzgeberische Maßnah-
men Rahmenbedingungen zu schaffen, die einen dynamischen Qualitäts-,
Kosten- und Leistungswettbewerb mit dem privatisierten Unternehmen
ermöglichen, damit Verbraucher und Öffentlichkeit von den positiven Priva-
tisierungseffekten auch profitieren;

5. dabei den Forderungen des Antrags „Erwerbswirtschaftliche Betätigung der
Kommunen durch eine Klarstellung im Gesetz gegen den unlauteren Wett-
bewerb eindämmen“ (Bundestagsdrucksache 16/5963) nachzukommen, um
dem Subsidiaritätsprinzip im Sinne der Förderung des Mittelstands und des
Handwerks gerechter zu werden;

6. dabei den Forderungen des Antrags „Gegen Geheimniskrämerei – Entschei-
dungen kommunaler Gesellschaften transparent gestalten“ (Bundestags-
drucksache 16/395) nachzukommen;

7. dabei insbesondere zur der Vermeidung von Interessenkonflikten nicht die
politische Regelungskompetenz für eine Industriepolitik zu missbrauchen,
die darauf ausgerichtet ist, den Wert von Restbeteiligungen staatlicher Insti-
tutionen an privatisierten Unternehmen zu steigern, wie die Bundesregierung
dies durch die Ausweitung des Arbeitnehmerentsendegesetzes auf die Brief-
dienstleister vollzogen hat;

8. dabei den Forderungen des Antrags „Eine Chance für den Wettbewerb – Kein
Monopolschutz für die Post AG“ (Bundestagsdrucksache 16/6432) nachzu-
kommen;

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9. eine geeignete Form zur weiteren Veräußerung der sich noch im Bundes-
oder KfW-Besitz befindlichen Unternehmensanteile der Deutsche Telekom
AG und der Deutsche Post AG zu definieren;

10. die Privatisierung der Deutsche Bahn AG bis zum Ende der Legislatur-
periode nach den Forderungen des Antrags „Verfassungskonformität der
Bahnprivatisierung sicherstellen“ (Bundestagsdrucksache 16/4413) sowie
nach Maßgabe der Empfehlungen der Monopolkommission im Sondergut-
achten gemäß § 44 Abs. 1 GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkun-
gen) von September 2006 abzuschließen;

11. die Privatisierung aller noch ausstehenden Flughafenbeteiligungen voran-
zutreiben;

12. die Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung abzuschließen mit dem
Ziel der Übertragung der Gewährleistungsaufgaben an Private, wo dies
wirtschaftlicher ist.

Berlin, den 16. Januar 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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