BT-Drucksache 16/7734

Für eine verbesserte Zusammenarbeit deutscher Behörden bei der Verfolgung von Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch

Vom 16. Januar 2008


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7734
16. Wahlperiode 16. 01. 2008

Antrag
der Abgeordneten Florian Toncar, Burkhardt Müller-Sönksen, Dr. Karl Addicks,
Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle, Ernst
Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Ulrike Flach,
Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael
Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan,
Heinz-Peter Haustein, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch,
Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz
Lanfermann, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Markus Löning, Horst Meierhofer, Hans-
Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde,
Frank Schäffler, Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Rainer Stinner,
Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil,
Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Für eine verbesserte Zusammenarbeit deutscher Behörden bei der Verfolgung von
Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 30. Juni 2002 wurde zeitgleich zum Inkrafttreten des Römischen Statuts des
Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) mit dem deutschen Völkerstrafgesetz-
buch (VStGB) die Idee des Weltrechtsprinzips für die Verfolgung schwerster,
gegen internationales Recht verstoßender Straftaten in der Bundesrepublik
Deutschland umgesetzt. Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und
Kriegsverbrechen können seither unabhängig vom Tatort und der Staatsangehö-
rigkeit von Tätern und Opfern auch in der Bundesrepublik Deutschland vor
Gericht gebracht und bestraft werden. Zuständig für die Verfolgung solcher
Straftaten ist der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof.

Fünf Jahre nach Inkrafttreten des VStGB muss eine erste Bilanz gezogen wer-
den. Dabei ist festzustellen, dass die rechtliche Substanz des deutschen VStGB
nicht zu beanstanden ist. Jedoch sind bei der Umsetzung bzw. Durchsetzung des
VStGB noch Defizite zu verzeichnen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung deshalb auf,

1. sicherzustellen, dass der Generalbundesanwalt von anderen staatlichen Stel-
len frühzeitig über Tatsachen informiert wird, aus denen sich ein Anfangsver-
dacht für das Vorliegen einer Straftat nach dem Völkerstrafgesetzbuch ergibt.
Dies schließt insbesondere die Schaffung einer Informationspflicht für das
Auswärtige Amt und seine Auslandsvertretungen ein, wenn ihnen im Hin-
blick auf Personen, bei denen ein Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutsch-

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land zu erwarten ist, Tatsachen bekannt sind, die den Anfangsverdacht einer
Straftat nach dem Völkerstrafgesetzbuch begründen. Das ist in der Regel der
Fall, wenn Ausnahmen von Einreiseverboten gewährt werden, die von der
EU oder einer anderen internationalen Organisation verhängt worden sind;

2. sich auf EU-Ebene für die Erweiterung der Zuständigkeit der europäischen
Justizbehörde EUROJUST („Europäische Einheit zur justiziellen Zusam-
menarbeit“) um den Informationsaustausch und die Koordinierung europäi-
scher Justizbehörden in Fällen internationaler Völkerstraftaten einzusetzen;

3. sicherzustellen, dass der Generalbundesanwalt und das Bundeskriminalamt
mit den nötigen finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet sind,
um eine effektive Verfolgung von Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch
in der Bundesrepublik Deutschland in jedem Einzelfall zu gewährleisten.

Berlin, den 15. Januar 2008

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

Begründung

1. Zur Umsetzung der Verfolgbarkeit von Völkerstraftaten in der Bundesrepu-
blik Deutschland nimmt das deutsche VStGB einerseits in § 1 VStGB welt-
weite Geltung in Anspruch. Anderseits fällt die Verantwortung zur tatsäch-
lichen Verfolgung von Völkerstraftaten grundsätzlich der Staatengemein-
schaft als Ganzes zu. Zur Verfolgung weltweit begangener Völkerstraftaten
sind daher nicht die Einzelstaaten jeweils für sich allein, sondern alle Staaten
jeweils für ihren Hoheitsbereich und im Übrigen in gemeinschaftlicher Zu-
sammenarbeit untereinander und mit dem IStGH in Den Haag berufen.

Mit dem weltweiten Anwendungsbereich des deutschen VStGB ist daher für
die Bundesrepublik Deutschland keine Rolle als Weltrichter verbunden.
Diese Rolle fällt grundsätzlich dem IStGH zu. Das deutsche VStGB zielt
dagegen darauf ab, dass die Bundesrepublik Deutschland ihren Beitrag zur
Verfolgung von Völkerstraftaten leisten kann, wenn hierfür Anknüpfungs-
punkte in der Bundesrepublik Deutschland und die Aussicht auf ein erfolg-
reiches Verfahren in der Bundesrepublik Deutschland bestehen. Die Bundes-
republik Deutschland soll damit für Völkerstraftäter von vornherein als
sicherer Rückzugsort ausgeschlossen werden. Der wichtigste Anknüpfungs-
punkt deutscher Strafverfolgung ist daher – von einer in der Bundesrepublik
Deutschland oder durch bzw. gegen einen Deutschen begangene Straftat ab-
gesehen –, dass sich der Täter in der Bundesrepublik Deutschland aufhält
oder ein Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland zu erwarten ist.

Aus diesen Gründen steht dem weltweiten Anwendungsbereich des § 1
VStGB die Vorschrift des § 153f der Strafprozessordnung (StPO) gegenüber.
Nach dieser Vorschrift steht es im pflichtgemäßen Ermessen der Staatsan-
waltschaft, ein Verfahren einzuleiten oder davon abzusehen, wenn ein An-
knüpfungspunkt in der Bundesrepublik Deutschland fehlt und eine Verfol-
gung in der Bundesrepublik Deutschland deshalb keinen Erfolg verspricht.
Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein Täter, der nicht deutscher
Staatsangehöriger ist, sich nicht in der Bundesrepublik Deutschland aufhält.
Unter diesen Gesichtspunkten ist es erfreulich, dass es bisher zu keiner An-
klage nach dem VStGB in der Bundesrepublik Deutschland gekommen ist,
das VStGB seine generalpräventive Wirkung entfaltet haben dürfte und die

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Bundesrepublik Deutschland nicht als geeigneter Aufenthaltsort für Völker-
straftäter angesehen wird.

2. Nachdem bisher zwei Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden, haben zu-
mindest in einem weiteren Fall seit Bestehen des VStGB die Voraussetzun-
gen für eine deutsche Strafverfolgung dem Grunde nach vorgelegen.

Im Mai 2005 wurden in der usbekischen Stadt Andijan hunderte friedlicher
Demonstranten von usbekischen Sicherheitskräften erschossen. Als einer der
Hauptverantwortlichen für dieses Massaker gilt der frühere usbekische
Innenminister Zakirjon Almatow. Im November 2005 beschloss der Rat der
Europäischen Union deshalb in einem Gemeinsamen Standpunkt, Zakirjon
Almatow und elf weiteren usbekischen Amtsträgern wegen ihrer unmittel-
baren Verantwortlichkeit für die unterschiedslose und unverhältnismäßige
Anwendung von schwerster Gewalt in Andijan die Einreise in die Europäi-
sche Union zu verweigern. Zakirjon Almatow hatte jedoch bereits am 14. Ok-
tober 2005 von der deutschen Botschaft in Moskau ausschließlich aus huma-
nitären Gründen aufgrund einer lebensbedrohlichen Erkrankung ein zur
Einreise in die Bundesrepublik Deutschland berechtigendes Visum erhalten.
Zakirjon Almatow reiste daraufhin in die Bundesrepublik Deutschland ein
und ließ sich in einem Krankenhaus in Hannover behandeln.

Menschenrechtsorganisationen erstatteten am 5. Dezember 2005 Strafanzeige
gegen Zakirjon Almatow beim Generalbundesanwalt. Der Generalbundes-
anwalt prüfte daraufhin die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen
Zakirjon Almatow, sah jedoch unter Anwendung des § 153f StPO von einer
Strafverfolgung ab, weil Zakirjon Almatow zum Zeitpunkt der Anzeigeerstat-
tung die Bundesrepublik Deutschland bereits wieder verlassen hatte.

Die Entscheidung des Generalbundesanwalts im Fall Zakirjon Almatow ist
unter den damals gegebenen Umständen unter korrekter Anwendung des
§ 153f StPO zustande gekommen. Gleichwohl hat dieser Fall aufgezeigt,
dass sich die Strukturen der Strafverfolgung nach dem VStGB in der Bundes-
republik Deutschland jedenfalls in einer Hinsicht noch verbessern lassen.
Wenn schon die Anknüpfungspunkte für eine Verfolgung von Völkerstrafta-
ten in der Bundesrepublik Deutschland relativ eng begrenzt sind, so muss
doch sichergestellt sein, dass jedenfalls dann, wenn ein solcher Anknüp-
fungspunkt gegeben ist, auch eine konsequente Strafverfolgung erfolgt. Die
Bundesrepublik Deutschland als Vorreiter in der internationalen Verfolgung
völkerstrafrechtlicher Verbrechen sollte bemüht sein, eine effektive Anwen-
dung des VStGB in jedem Einzelfall zu gewährleisten.

Der Anknüpfungspunkt deutscher Strafverfolgung im Fall Zakirjon Almatow
war dessen – wenn auch nur kurzer – Aufenthalt in der Bundesrepublik
Deutschland. Hätte eine bessere Verzahnung und Zusammenarbeit zwischen
den deutschen Behörden, insbesondere der visumerteilenden Behörde und
dem Generalbundesanwalt bestanden, wäre eine unbehelligte Ein- und Aus-
reise Almatows kaum denkbar gewesen. Es hat sich an diesem Fall gezeigt,
dass der Informationsaustausch zwischen den Behörden verbessert werden
muss. Eine besondere Rolle spielen dabei das Auswärtige Amt seine
Auslandsvertretungen, die in der Regel als erste Informationen über einen zu
erwartenden Aufenthalt von mutmaßlichen Völkerstraftätern in der Bundes-
republik Deutschland erhalten.

3. Der Generalbundesanwalt hat hinsichtlich zahlreicher Anzeigen entschieden,
nach Vorschrift des § 153f StPO von einer Verfolgung einer Tat nach dem
VStGB abzusehen. Es ist bisher kein Fall aufgetreten, in dem auch nur in Be-
tracht zu ziehen wäre, dass dem Generalbundesanwalt bei der Anwendung
dieser Vorschrift ein Fehler unterlaufen wäre. Daher ist eine gerichtliche
Überprüfung der Entscheidungen des Generalbundesanwalts, nach Vorschrift

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des § 153f StPO von der Verfolgung einer Tat nach dem VStGB abzusehen,
nach der bisherigen Erfahrung in der Praxis nicht notwendig, um die Verfol-
gung von Völkerstraftaten zu verbessern. Eine entsprechende Gesetzesände-
rung hätte in keinem einzigen Fall zu einem anderen Ergebnis geführt. Eine
Änderung des § 153f StPO ist daher nicht angezeigt.

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