BT-Drucksache 16/7469

Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und Interimsabkommen zwischen EU und AKP-Staaten entwicklungsfreundlich gestalten

Vom 12. Dezember 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7469
16. Wahlperiode 12. 12. 2007

Antrag
der Abgeordneten Thilo Hoppe, Ute Koczy, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck
(Köln), Alexander Bonde, Kerstin Müller (Köln), Winfried Nachtwei, Omid
Nouripour, Claudia Roth (Augsburg), Rainder Steenblock, Jürgen Trittin und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und Interimsabkommen zwischen EU
und AKP-Staaten entwicklungsfreundlich gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die EU-Afrikastrategie, die auf dem EU-Afrikagipfel am 7./8. Dezember in Lis-
sabon verabschiedet wurde, soll die Beziehungen zwischen den Kontinenten auf
eine neue Grundlage stellen. Sie stellt explizit auch eine vertiefte Zusammenar-
beit im Handelsbereich in Aussicht, die für beide Seiten vorteilhaft sein soll. In
diesem Kontext kommt den umstrittenen Wirtschaftspartnerschaftsabkommen
zwischen EU und AKP-Staaten ((Economic Partnership Agreements, EPAs)
eine besondere Bedeutung zu.

Der EU-Afrikagipfel hat gezeigt, dass eine Reihe afrikanischer Staaten die Wirt-
schaftspartnerschaftsabkommen zum jetzigen Zeitpunkt ablehnt. Der senegale-
sische Präsident Abdoulaye Wade sah gar die Mehrheit der AU in dieser Frage
hinter sich. Der AU-Kommissionspräsident Alpha Oumar Konare warf der EU
eine spaltende Handelspolitik vor. Widersprüchliche Aussagen und Druck sei-
tens der EU-Kommission haben dazu geführt, dass viele AKP-Staaten die zu
verhandelnden Wirtschaftspartnerschaftsabkommen nicht als Chance sondern
als Gefahr ansehen.

Um verlorengegangenes Vertrauen wiederherzustellen und doch noch zu Verein-
barungen zu kommen, die entwicklungsfreundlich und für alle Seiten akzeptabel
sind, ist seitens der EU jetzt eine Kurskorrektur notwendig. Gefordert ist eine
flexiblere Haltung beim weiteren Vorgehen und die Bereitschaft, allen Partnern
mehr Zeit einzuräumen.

Das Bekenntnis, dass die geplanten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPAs)
zwischen der EU und den AKP-Staaten im Sinne von Entwicklungspartnerschaf-
ten gestaltet werden sollen, muss konsequent in die Tat umgesetzt werden. Das
heißt, die EPAs müssen zweifelsfrei zur Armuts- und Hungerbekämpfung bei-

tragen und eine weitgehende, dem Entwicklungsstand angepasste Flexibilität
erlauben. Die Abkommen müssen ebenso dazu beitragen, regionale afrikanische
Integrationsbemühungen zu stärken und sie nicht zu konterkarieren.

Gemäß dem Cotonou-Abkommen sollen die Wirtschaftspartnerschaftsabkom-
men zur Armutsbekämpfung und zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung
beitragen. Seit 2003 verhandelt die EU-Kommission auf der Grundlage eines
EU-Ministerrat-Mandats Wirtschaftspartnerschaftsabkommen mit sechs AKP-

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Regionalgruppen: Südöstliches Afrika (ESA), Südliches Afrika (SADC), West-
afrika (ECOWAS), Zentralafrika (CEMAC), Karibische Region (CARIFORUM)
und Pazifische Region.

Ein Abschluss der Verhandlungen war ursprünglich für Ende 2007 vorgesehen.
Zur Begründung des Zeitpunkts für den Abschluss der Verhandlungen wird an-
geführt, dass eine Abkehr vom System einseitiger Marktöffnung bis Ende des
Jahres 2007 zu erfolgen habe, um die Beziehungen zwischen den AKP-Staaten
und der EU WTO-konform zu gestalten.

Denn die Ausnahmeregelung (waiver) der WTO, die bisher die Vorzugsbehand-
lung der AKP-Länder gegenüber anderen Entwicklungsländern erlaubte, läuft
zum 1. Januar 2008 aus.

In einer Mitteilung der Europäischen Kommission vom 23. Oktober 2007 stellt
die Kommission jedoch fest, dass mit Ausnahme der Karibikregion kaum eine
AKP-Region bereit ist, ein umfassendes Abkommen zu unterzeichnen. Aktuell
ist auch für die Karibikregion nicht bekannt, ob eine Unterzeichnung erfolgen
wird. Die Kommission schlägt nun vor, bis Ende des Jahres so genannte
Interimsabkommen abzuschließen, die sich auf den Marktzugang von Gütern
konzentrieren. Diese sollen ggf. auch mit Unterregionen abgeschlossen werden,
aber zukünftig auch für andere Länder der sechs erwähnten Regionen offenste-
hen. Die Kommission hält auch den Abschluss von bilateralen Abkommen bis
Ende des Jahres für denkbar.

Die Interimsabkommen enthalten eine Klausel, die weitere Verhandlungen zum
Ziel hat. Diese sollen bis Ende 2008 abgeschlossen werden. Die Kommission
scheint davon auszugehen, dass für 49 AKP-Staaten der freie Marktzugang zu
dem europäischen Markt ab dem 1. Januar 2008 gewährleistet sein wird – sei es
über ein Interimsabkommen oder die Initiative „alles außer Waffen“, die den
ärmsten Entwicklungsländern zollfreien Marktzugang zur EU gewährt. Sie sieht
nach verschiedenen Quellen Probleme bei denjenigen Staaten, die nicht zur
Gruppe der ärmsten Entwicklungsländer gehören (Least Developed Countries).
Dies wird beispielsweise eine Reihe karibischer Staaten betreffen sowie vermut-
lich ebenfalls Namibia, Ghana, die Elfenbeinküste, Kamerun oder Gabun.

Über den genauen Inhalt dieser Interimsabkommen liegen den Parlamenten und
der Zivilgesellschaft nur lückenhafte bzw. widersprüchliche Informationen vor.

Der Verhandlungsprozess zeigt, dass viele Staaten weder in der Lage noch wil-
lens sind, die Verhandlungen im beabsichtigten Tempo durchzuführen. Einige
AKP-Staaten sehen für sich auch keine relevanten wirtschaftlichen Vorteile
eines Vertragsabschlusses. Andere Staaten versuchen nun bilaterale Abkommen
mit der EU zu vereinbaren, die langfristig für die regionalen Integrationsbemü-
hungen einzelner AKP-Regionen nicht förderlich sind. Eine eindeutig entwick-
lungspolitische Ausrichtung ist im bisherigen Verhandlungsprozess nicht konse-
quent und kohärent umgesetzt worden.

Das Recht der AKP-Länder auf Entwicklung zu gewährleisten heißt auch, ihnen
entsprechende politische Spielräume zur Förderung einer sozialen und umwelt-
verträglichen wirtschaftlichen Entwicklung einzuräumen. Den AKP-Staaten
muss es nach wie vor erlaubt sein, sich vor Dumping zu schützen. Auch beim
Abschluss von Interimsabkommen muss das Prinzip gelten: „Qualität geht vor
Tempo“.

Die Bundesregierung ist aufgefordert, dazu beizutragen, dass die Interims-
abkommen der Förderung der nachhaltigen Entwicklung dienen. Wenn es nicht
gelingt, sich bis zum Jahresende auf Abkommen mit allen AKP-Staaten zu eini-
gen, müssen politische und administrative Zwischenlösungen angeboten wer-
den, die von Seiten der EU einen dem Cotonou-Abkommen äquivalenten Markt-

zugang über das Jahresende hinaus gewährleisten. Es muss sichergestellt wer-

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den, dass AKP-Staaten, die nicht zu den ärmsten Entwicklungsländern gehören,
nicht auf das Allgemeine Präferenzsystem (APS) der EU zurückfallen und damit
erhebliche Nachteile erleiden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, sich in der EU
dafür einzusetzen,

1. dass den AKP-Staaten mehr Zeit eingeräumt wird, um entwicklungsförder-
liche Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zu vereinbaren;

2. sicherzustellen, dass AKP-Staaten, die bis Ende 2007 kein (Interims-)Ab-
kommen unterzeichnet haben, nicht auf das Allgemeine Präferenzabkom-
men zurückfallen und damit durch höhere Zölle erhebliche finanzielle Ein-
bußen erleiden;

3. dass allen AKP-Staaten auch nach dem 1. Januar 2008 mindestens genauso
gute Marktzugangsmöglichkeiten eingeräumt werden wie heute;

4. dass die regionalen Integrationsbemühungen, wie sie besonders durch die
Afrikanische Union (AU) befördert werden, nicht durch den Abschluss von
Abkommen erschwert werden, die sich im Einzelfall auf andere Regional-
gruppen beziehen, als die, in deren Rahmen die AU die regionale Integra-
tion auf den Weg zu bringen gedenkt;

5. dass der Abschluss bilateraler Abkommen zwischen der EU und einzelnen
AKP-Staaten die regionale Zusammenarbeit nicht erschwert;

6. dass die Interimsabkommen für den Güterhandel flexibel gestaltet werden
und der Umfang der von der Liberalisierung ausgenommenen Güter dann
angepasst und erweitert werden kann, wenn weitere AKP-Länder dem
jeweiligen Abkommen beitreten. Der von der EU vorgegebene Wert von
mindestens 80 Prozent Liberalisierung in den AKP-Staaten darf nicht sakro-
sankt sein;

7. dass für alle Güter ein effektiver Schutzmechanismus eingerichtet wird, der
die zeitweise Anhebung bzw. Wiedereinführung von Zöllen erlaubt, wenn
durch EU-Importe Ziele der Ernährungssicherung, der ländlichen Entwick-
lung und der Armutsbekämpfung gefährdet werden;

8. dass der in den Interimsabkommen festgelegte Zugang zum EU-Markt auch
dann dauerhaft bestehen bleibt, wenn weitere Verhandlungen in den Be-
reichen Dienstleistungen, Investitionen, öffentliches Beschaffungswesen,
Wettbewerbsrecht und geistiges Eigentum ergebnislos bleiben sollten;

9. dass die Frage des Abschlusses oder Nichtabschlusses eines Wirtschafts-
partnerschaftsabkommens sich nicht nachteilig auf die Programmierung
und Auszahlung von Mitteln aus dem Europäischen Entwicklungsfonds
auswirkt;

10. sich dafür einzusetzen, dass nicht andere entwicklungspolitisch relevante
Programme, die für die Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele un-
erlässlich sind, durch die Tatsache, das regionale Integration und Handel
Schwerpunkte bilden, unterfinanziert sind.

Berlin, den 12. Dezember 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

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