BT-Drucksache 16/732

Ermäßigung des Mehrwertsteuersatzes für apothekenpflichtige Arzneimittel auf 7 Prozent

Vom 16. Februar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/732
16. Wahlperiode 16. 02. 2006

Antrag
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Frank Spieth, Dr. Ilja Seifert,
Monika Knoche, Inge Höger-Neuling, Dr. Martina Bunge, Oskar Lafontaine,
Dr. Gregor Gysi und der Fraktion DIE LINKE.

Ermäßigung des Mehrwertsteuersatzes für apothekenpflichtige Arzneimittel
auf 7 Prozent

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, durch die Änderung
des § 12 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes den Katalog der Lieferungen und
Leistungen, die mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz belegt werden, auf
apothekenpflichtige Arzneimittel zu erweitern.

Berlin, den 15. Februar 2006

Dr. Barbara Höll
Frank Spieth
Dr. Ilja Seifert
Monika Knoche
Inge Höger-Neuling
Dr. Martina Bunge
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Die Gesundheitspolitik der Bundesregierung der vergangenen Jahre war davon
geprägt, aufgrund der Doktrin der „Beitragssatzstabilität“ und angeblich zu
hohen „Lohnnebenkosten“ der Arbeitgeber zunehmend Risiken einseitig zu
Lasten der Kranken auszugliedern. Die Bürgerinnen und Bürger werden
dadurch mit stetig steigenden Gesundheitsausgaben belastet: So wurden durch
das Gesetz zur Modernisierung der Krankenversicherung von 2003 unter ande-
rem die Praxisgebühr eingeführt, die generelle Befreiung der Bezieherinnen und
Bezieher unterer Einkommen von Zuzahlungen und die Erstattung der Kosten

für nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel und Krankentransporte abge-
schafft. Die Kosten für Sehhilfen werden nunmehr ausschließlich für Kinder und
Jugendliche bis zu 18 Jahren ersetzt. Darüber hinaus müssen sich Versicherte bis
in Höhe von 2 Prozent ihres jährlichen Bruttoeinkommens an der Zuzahlung für
Arzneimittel beteiligen. Damit hatten die Versicherten die Überschüsse in Höhe
von 4 Mrd. Euro in 2004 sowie 880 Mio. Euro in den ersten 9 Monaten von 2005
im Wesentlichen selbst aufgebracht. Weitergehende Belastungen erfahren die

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Krankenversicherten durch die Ausgrenzung von Leistungen beziehungsweise
die Streichung des Arbeitgeberanteils in der Beitragsberechnung wie beim
Zahnersatz und dem Krankengeld. Diese Maßnahmen widersprechen dem
Grundgedanken der solidarischen und sozial gerechten Krankenversicherung.

Demgegenüber kann die Senkung des Mehrwertsteuersatzes auf 7 Prozent für
apothekenpflichtige Arzneimittel Bürgerinnen und Bürger sowie Kranken-
kassen sofort um 1,8 Mrd. Euro (2007: 2,6 Mrd. Euro) wirksam entlasten.

Dabei ist sicherzustellen, dass die eingesparten Mittel in voller Höhe an die
Kranken weitergegeben werden, um die durch einseitige Gesundheitsreformen
entstandene Schieflage wenigstens zum Teil zu beheben. Dazu müssen die je-
weiligen Zuzahlungspauschalen um den durch die Mehrwertsteuersenkung er-
zielten Einsparbetrag reduziert werden.

In der Bundesrepublik Deutschland waren Arznei-, Heil- und Hilfsmittel bereits
im Katalog der von der Mehrwertsteuer befreiten Umsätze enthalten. Gemäß
dem Umsatzsteuergesetz in der Fassung von 1951 waren „die ärztlichen und
ähnlichen Hilfeleistungen, die Umsätze von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln …“
steuerbefreit. Im weiteren Verlauf wurde dieser Befreiungstatbestand jedoch auf
ärztliche Leistungen eingeschränkt. Begründet wurde die Streichung damit, dass
eine Befreiung der Umsätze von der Steuer dem wettbewerbsneutralen Charak-
ter der Umsatzsteuer widerspräche. Eine Entlastung der Sozialversicherungs-
träger solle, wenn notwendig, vielmehr durch offene Subventionen herbei-
geführt werden.

Der Besteuerung apothekenpflichtiger Arzneimittel mit dem ermäßigten
Mehrwertsteuersatz steht europäisches Recht nicht entgegen: Gemäß Artikel 13
Teil A Abs. 1 der 6. Umsatzsteuerrichtlinie können dem Gemeinwohl dienende
Umsätze von der Steuer befreit werden. Dazu gehören z. B. bestimmte Kranken-
haus- und ärztliche Heilbehandlungen sowie damit eng verbundene Umsätze
und Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin. Den Katalog der Liefe-
rungen und Leistungen, auf die ermäßigte Mehrwertsteuersätze angewendet
werden können, enthält Anhang H zu Artikel 12 der 6. Umsatzsteuerrichtlinie.
Danach können Arzneimittel, die üblicherweise für die Gesundheitsvorsorge,
die Verhütung von Krankheiten und für ärztliche Behandlungen verwendet wer-
den sowie medizinische Geräte bzw. Hilfsmittel und sonstige Vorrichtungen, die
für die Linderung und die Behandlung von Behinderungen verwendet werden,
mit einem ermäßigten Satz besteuert werden. Entsprechend werden apotheken-
pflichtige Arzneimittel in der Mehrzahl der europäischen Länder entweder mit
einem ermäßigten Steuersatz belegt oder gänzlich von der Mehrwertsteuer be-
freit. So wird in Frankreich eine Steuer in Höhe von 2,1 Prozent, Spanien von
4 Prozent sowie Belgien und den Niederlanden in Höhe von 6 Prozent erhoben.
In Großbritannien und Schweden sind apothekenpflichtige Arzneimittel gänz-
lich von der Mehrwertsteuer befreit.

Mittels der ermäßigten Umsatzbesteuerung von apothekenpflichtigen Arznei-
mitteln würde eine überfällige sozialpolitische Komponente in das Umsatz-
steuerrecht übernommen. Dies enthebt die Bundesregierung jedoch nicht von
der Verantwortung, eine Reform umzusetzen, mit der die grundsätzlichen struk-
turellen und finanziellen Probleme des Gesundheitswesens dauerhaft gelöst
werden. Kern einer solchen Reform der gesetzlichen Krankenversicherung
müssen die Stärkung der Gesundheitsförderung, der Ausbau von Patientenbetei-
ligungsrechten, die Verbesserung der Versorgungsqualität, die Vernetzung un-
terschiedlicher Versorgungsbereiche und – als finanzielle Grundlage – der Erhalt
und die Stärkung des Solidarprinzips sein. Diese umfassende Strukturreform
kann nur im Rahmen der Einführung einer Bürgerversicherung verwirklicht
werden.

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