BT-Drucksache 16/7284

Präventionsgesetz auf den Weg bringen - Primärprävention umfassend stärken

Vom 27. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7284
16. Wahlperiode 27. 11. 2007

Antrag
der Abgeordneten Birgitt Bender, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Harald Terpe,
Kerstin Andreae, Hans-Josef Fell, Britta Haßelmann, Ulrike Höfken, Markus Kurth,
Christine Scheel, Irmingard Schewe-Gerigk, Rainder Steenblock und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Präventionsgesetz auf den Weg bringen – Primärprävention umfassend stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

In ihrer Koalitionsvereinbarung haben CDU, CSU und SPD angekündigt, ein
in der letzten Legislaturperiode am Votum der unionsregierten Bundesländer
gescheitertes Präventionsgesetz zu verabschieden. Prävention soll zu einer
eigenständigen Säule im Gesundheitsweisen ausgebaut, die Koordination und
Kooperation im Bereich der Prävention intensiviert sowie die Qualität der
Maßnahmen der Sozialversicherungsträger und -zweige übergreifend und un-
bürokratisch verbessert werden. Präventionsmaßnahmen sollen an Präventions-
zielen ausgerichtet sein. Ergänzend zu den Sozialversicherungsträgern sollen
Bund und Länder auch weiterhin ihrer Verantwortung gerecht werden.

Ein Präventionsgesetz wurde trotz mehrfacher Ankündigung der Bundesregie-
rung bislang weder in den Bundestag eingebracht noch verabschiedet. Der Pri-
märprävention wird weiterhin kein zentraler Stellenwert in der Gesundheits-
politik und in anderen Politikfeldern beigemessen. Primärprävention bleibt un-
terfinanziert und beschränkt sich auf Einzelregelungen insbesondere im Fünften
Buch Sozialgesetzbuch – SGB V. Damit können zentrale Ziele der Primär-
prävention – Verringerung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheits-
chancen, Stärkung der Gesundheitskompetenzen der Bürgerinnen und Bürger,
Senkung der Eintrittswahrscheinlichkeit von chronischen Erkrankungen – nicht
umgesetzt werden. Eine nachhaltige und von der Bundesregierung angekündigte
Präventionspolitik findet nicht statt.

Der von den Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in der ver-
gangenen Legislaturperiode vorgelegte Gesetzentwurf für ein Präventionsgesetz
war und ist ein guter Ausgangspunkt, um die Primärprävention umfassend zu
stärken. Der Gesetzentwurf sah vor, sowohl die Verhaltens- wie vor allem auch
die Verhältnisprävention in den Lebenswelten (Settings) der Menschen zu ver-
ankern. Damit wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass Gesundheit und

Krankheit im alltäglichen Lebensumfeld, in Stadtteilen, Schulen, Kindergärten
oder Betrieben entstehen. Maßnahmen zu gesunder Ernährung, Bewegung und
psychischer Gesundheit sollten besonders berücksichtigt werden. Investitionen
in Gesundheit müssen aber auch in der Bildungs-, Arbeitsmarkt-, Umwelt-,
Städtebau-, Kinder- und Jugendpolitik sowie in weiteren Politikfeldern getätigt
werden. Die Bundesregierung hat versäumt, notwendige Schritte einzuleiten
und ein seit langem überfälliges Präventionsgesetz zu verabschieden.

Drucksache 16/7284 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

ein Präventionsgesetz vorzulegen, dass folgenden Anforderungen gerecht
wird:

1. Das Präventionsgesetz regelt die Primärprävention. Zu den zentralen Zielen
primärpräventiver Maßnahmen gehören die Eröffnung von Teilhabemöglich-
keiten für Bürgerinnen und Bürger durch Aktivierung sozialer Netzwerke so-
wie die Verringerung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen.
Im Gesetz werden die Verhältnisprävention, insbesondere nach dem Setting-
Ansatz, sowie die Verhaltensprävention, insbesondere in den Lebenswelten,
verankert. Maßnahmen zur gesunden Ernährung, Bewegung und psychischer
Gesundheit sollten besonders berücksichtigt werden. Zudem wird das Instru-
ment der Kampagne als zulässiger und umfassender Interventionstyp im
Gesetz festgeschrieben.

2. Das Gesetz berücksichtigt den Ansatz des Gender Mainstreaming. Damit
wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Frauen und Männer unterschied-
liche Gesundheitsbedarfe haben.

3. Es wird ein Entscheidungsgremium auf Bundesebene errichtet. Das Gre-
mium entwickelt nationale Präventionsziele und -strategien, setzt Präven-
tionsschwerpunkte, insbesondere bei sozial benachteiligten Gruppen. Be-
stehende Strukturen der Primärprävention werden zudem besser als bislang
vernetzt und dort, wo es notwendig ist, erweitert.

4. An der Finanzierung einer gesamtgesellschaftlichen Primärprävention und
deren Qualitätsentwicklung beteiligen sich Bund, Länder und Kommunen
sowie alle Sozialversicherungszweige und die private Kranken- und Pflege-
versicherung. Im Rahmen des Präventionsgesetzes werden in der Startphase
jährlich 500 Mio. Euro verausgabt. Die Verteilung der Gelder erfolgt über
Ausschreibungen durch das bundesweite Gremium. Das Finanzvolumen die-
ser gesamtgesellschaftlich orientierten Primärprävention wird in den Folge-
jahren jeweils um 10 Prozent angehoben.

5. Im Rahmen des Präventionsgesetzes wird die Qualitätsentwicklung und
Evaluation der Primärprävention abgestimmt und weiterentwickelt. Es wer-
den einige wenige Ansätze der Qualitätsentwicklung und Evaluation aus-
gewählt und kontinuierlich fortentwickelt.

Berlin, den 27. November 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Zu Abschnitt II

Zu Nummer 1

Die Fachwelt bestätigt, dass ein Präventionsgesetz längst überfällig ist. Das
bundesdeutsche Gesundheitssystem ist durch eine starke akutmedizinische Aus-
richtung geprägt. Cirka 70 bis 80 Prozent der Krankheits- und Sterbefälle sowie
der Versorgungskosten sind auf einige wenige chronische Erkrankungen zurück-
zuführen, vor allem Herz-Kreislauf- und Muskel-Skelett-Erkrankungen sowie
Diabetes Mellitus. Diese Erkrankungen führen nicht nur zum vorzeitigen Tod,
sondern schränken auch die Lebensqualität von Patientinnen und Patienten ein.

Durch geeignete Präventionsmaßnahmen kann die Wahrscheinlichkeit einer
chronischen Erkrankung gesenkt werden.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/7284

Wie gesund oder krank jemand ist, hängt oft von der jeweiligen Lebenslage ab.
Gesundheit und Krankheit entstehen vor allem im Lebensalltag der Menschen,
weniger durch den direkten Einfluss des Gesundheitswesens. Der Gesundheits-
zustand von Menschen ist auch davon abhängig, in welchem Stadtteil sie leben,
auf welche Schule sie gehen, wie sich ihre Arbeitsbedingungen gestalten oder
wie sie in das Gemeinwesen integriert sind.

Die bestehenden Präventionsangebote der Krankenkassen richten sich überwie-
gend an Angehörige der Mittelschicht. Damit wird das gesundheitspolitische
Ziel der Primärprävention – Verminderung sozial bedingter Ungleichheit von
Gesundheitschancen – noch nicht ausreichend umgesetzt. Sozial benachteiligte
Menschen sterben früher und sind häufiger von Unfällen sowie überdurch-
schnittlich stark von chronischen Krankheiten betroffen. Frauen aus dem unte-
ren Einkommensviertel leben im Durchschnitt fünf Jahre weniger als Frauen aus
dem oberen Einkommensviertel. Bei Männern beträgt diese Differenz sogar
10 Jahre. Die Gesundheit von sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppen kann
nicht nur durch Aufklärung, Information, Beratung oder aufsuchende Arbeit ge-
fördert werden. Es geht darum, Menschen die Möglichkeit zu eröffnen, mitzu-
gestalten, damit sie erfahren, dass sie selbst etwas bewirken und verändern kön-
nen. Nicht sinnvoll ist es, sie als Schuldige ihres eigenen Gesundheitszustandes
zu stigmatisieren und sie einer oft gut gemeinten, jedoch schlecht praktizierten
staatlichen Fürsorgepolitik unterzuordnen. Primärprävention bei sozial Benach-
teiligten heißt also zuallererst, sie auch in die Entwicklung miteinzubinden.
Dies kann vor allem durch die Schaffung und Stärkung sozialer Netzwerke
erfolgen, auch wenn diese zunächst einmal keinen direkten Gesundheitsbezug
aufweisen.

Primärprävention hat zum Ziel, einerseits gesundheitliche Ressourcen zu stär-
ken (Gesundheitsförderung) und andererseits gesundheitliche Risiken und Be-
lastungen zu reduzieren. Ressourcen können zum Beispiel sein: umfassende
Bildung, ein gesichertes Einkommen, Gesundheitskompetenz (Fähigkeit, im
täglichen Leben Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf die Gesundheit
auswirken), ein kinder- oder seniorenfreundliches Wohnumfeld. Belastungen
können zum Beispiel sein: Armut und soziale Benachteiligung, mangelnde
Bildungsmöglichkeiten, fehlende soziale Netzwerke, Umweltbelastungen.

Primärprävention ist vor allem Verhältnisprävention. Verhältnisprävention zielt
auf die gesundheitsgerechte Gestaltung der Lebens- und Arbeitsbedingungen.
Hier gibt es beispielgebende Ansätze wie das Gesunde Städte-Netzwerk, das
Deutsche Netzwerk für Betriebliche Gesundheitsförderung oder Projekte zur
Gesunden Schule.

Der Setting-Ansatz gilt als Schlüsselstrategie der Verhältnisprävention. Er be-
zeichnet ein in den 1980er Jahren von der Weltgesundheitsorganisation ent-
wickeltes sozialräumliches Konzept der Gesundheitsförderung. Ihm liegt die
Annahme zugrunde, dass Gesundheit vor allem durch die Schaffung gesund-
heitsförderlicher Lebenswelten (Settings) positiv beeinflusst wird.

Primärprävention soll auch individuelles Verhalten beeinflussen. Maßnahmen
der Verhaltensprävention sollten in Verbindung mit verhältnispräventiven An-
sätzen durchgeführt werden. Sie stellen eine sinnvolle Ergänzung settingorien-
tierter Primärprävention dar. So sollten beispielsweise Kochkurse immer auch
die kulturell oder religiös begründeten Gewohnheiten ihrer Teilnehmerinnen
und Teilnehmer aufgreifen.

Angesichts von laut Bundesregierung knapp 40 Millionen Bundesbürgerinnen
und -bürgern mit Übergewichtsproblemen, wird die Verantwortung des Staates
für dieses Ernährungsproblem, anders als noch vor wenigen Jahren, nicht mehr
ernsthaft bestritten. Das Problem von Übergewicht und Adipositas (starkes

Übergewicht) hat sich seit dem Zeitraum von 1985/1999 dramatisch verschärft.

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So gibt es 50 Prozent mehr übergewichtige und doppelt so viele adipöse Kinder
wie noch vor 20 Jahren. In absoluten Zahlen ausgedrückt: 1,9 Millionen über-
gewichtige (15 Prozent) und 800 000 (6,3 Prozent) adipöse Kinder und Jugend-
liche stellt die Kindergesundheitsstudie KIGGS des Robert Koch-Instituts im
Jahr 2006 fest. Besonders häufig betroffen sind Kinder aus Familien mit niedri-
gem Sozialstatus, mit Migrationshintergrund oder mit Eltern, die übergewichtig
oder adipös sind. Die KIGGS Studie belegt auch: Es findet eine Verschiebung
von den somatischen zu den psychischen Störungen statt. Dazu zählen beispiels-
weise Entwicklungs-, Lern- und Verhaltensstörungen, Gewaltbereitschaft, emo-
tionale Auffälligkeiten sowie Alkohol- und Drogenkonsum. Die Förderung der
psychischen Gesundheit, insbesondere von Kindern und Jugendlichen, gewinnt
in diesem Zusammenhang eine zunehmende Bedeutung.

Die Gesundheit von größeren Teilen der Bevölkerung kann durch Kampagnen
gefördert werden. Eine Kampagne ist in diesem Zusammenhang jedoch keine
kurzfristige Maßnahme und darf nicht auf Öffentlichkeitsarbeit reduziert wer-
den. Sie stellt ein Bündel aufeinander abgestimmter Maßnahmen der Primär-
prävention dar (Arbeit vor Ort, Gesundheitskommunikation über die Medien,
Beeinflussung des Lebensumfeldes, Zusammenarbeit vieler Ebenen und
Akteure). Erfolgreiche Beispiele sind die Kampagne „Gib AIDS keine Chance“
der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung oder die „Trimm-Dich-
Kampagne“ des Deutschen Sportbundes.

Das Präventionsgesetz regelt den Bereich der nichtmedizinischen Primär-
prävention. Medizinische Leistungen der Primärprävention – dazu zählen zum
Beispiel Schutzimpfungen – sind nicht Regelungsgegenstand des Präventions-
gesetzes.

Zu Nummer 2

Frauen und Männer sind unterschiedlichen gesundheitlichen Risiken ausgesetzt.
Es gibt frauen- und männerspezifische Krankheits- und Gesundheitsmuster. So
weisen Jungen in der Kindheit, Mädchen hingegen im Jugendalter häufiger
medizinisch relevante Befunde auf. Männer nehmen seltener als Frauen Präven-
tionsangebote in Anspruch. Frauen werden häufiger als Männern Arzneimittel
verschrieben (zum Beispiel Hormontherapie oder Psychopharmaka). Mädchen
sind fast doppelt so häufig von Essstörungen betroffen wie Jungen. Jungen sind
körperlicher Gewalt häufiger ausgesetzt als Mädchen. Bei der Konzeption ge-
schlechtsspezifischer Präventionsmaßnahmen müssen diese Tatsachen berück-
sichtigt werden.

Der Ansatz des Gender Mainstreamings kann helfen, gesundheitliche Chancen-
gleichheit für und zwischen Frauen und Männern herzustellen. Seit dem Amster-
damer Vertrag von 1997 ist Gender Mainstreaming eine rechtsverbindliche
Handlungsgrundlage für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Gender
Mainstreaming meint die feste Verankerung einer geschlechterbezogenen Hand-
lungs- und Sichtweise in allen politischen Konzepten, auf allen Ebenen und in
allen Phasen politischer Prozesse. Konkret bedeutet dies: Wo Frauen und Män-
ner die gleichen gesundheitlichen Bedürfnisse haben, müssen die Voraussetzun-
gen dafür geschaffen werden, dass sie auch die gleichen Angebote in Anspruch
nehmen können. Unterscheiden sich die gesundheitlichen Bedarfe, müssen
geschlechtsspezifische Angebote geschaffen werden.

Zu Nummer 3

Primärprävention ist ein Feld, auf dem sich vielfältige kleine und große Anbieter
in den unterschiedlichsten Kontexten und Aktionsformen bewegen, wie zum

Beispiel Betriebliche Gesundheitsförderung, stadtteilbezogene Sozialarbeit,
Bewegungsförderung in Kindergärten oder bei Rückenschulen.

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/7284

Neben isolierten Ansätzen existieren auch integrierte Konzepte sowie (Modell- )
Projekte ohne direkten Gesundheitsbezug, wie zum Beispiel die aus dem euro-
päischen Sozialfonds geförderte Gemeinschaftsinitiative EQUAL oder das
Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“.

Dieses Neben- und zum Teil Gegeneinander zu einem Miteinander zu verändern,
ist das Motiv der unterschiedlichen Gremien, in denen sich Akteure der Primär-
prävention zusammenfinden (Bundesvereinigung Prävention und Gesundheits-
förderung e. V., gesundheitsziele.de oder Kooperationsverbund Gesundheitsför-
derung bei sozial Benachteiligten). Ziel ist es, sich zu vernetzen, gemeinsame
Schwerpunkte zu setzen und abgestimmte Strategien zu entwickeln. Diese frei-
willigen Zusammenschlüsse sind wichtig und sinnvoll.

Gleichzeitig reichen die Strukturen nicht aus, um aus einer gesamtgesellschaft-
lichen Sicht heraus eine einheitliche Präventionspolitik zu gestalten. Die jewei-
ligen – teilweise berechtigten – Eigeninteressen der Träger verhindern eine klare
Steuerung und Prioritätensetzung. Primärpräventive Ansätze bleiben oft in ein-
zelnen Sozialgesetzbüchern verhaftete Einzelstrategien. Dies ist auch ein Grund
dafür, dass die Primärprävention den von ihr verlangten Beitrag zur Verringe-
rung sozial bedingter gesundheitlicher Ungleichheit kaum leisten kann.

Eine effiziente und effektive Steuerung der im Rahmen des Präventionsgesetzes
zur Verfügung gestellten Finanzmittel muss verbindlich über ein zentrales Gre-
mium erfolgen. Das Gremium kann, aber muss nicht eine Stiftung sein. Betei-
ligte sollten sein: Vertreterinnen aller Finanzierungsträger, Patientinnenorgani-
sationen/Patientenorganisationen sowie der Wissenschaft. Das Gremium ent-
wickelt nationale Präventionsstrategien, setzt Präventionsschwerpunkte, fördert
die Qualitätsentwicklung und befördert Strukturen, die die Partizipation der
Bürgerinnen und Bürger in den Vordergrund stellen. Ein besonderer Schwer-
punkt wird auf die Primärprävention bei sozial benachteiligten Gruppen gelegt.
In diesem Gremium sind gemeinsam durch alle Beteiligten zentrale Präventions-
ziele zu verabschieden, die dann die Grundlage für die Prioritätensetzung bei der
Förderung von Präventionsmaßnahmen auf Bundesebene sowie in Ländern und
Kommunen bilden. Es sollen hier Rahmenziele beschlossen werden, die not-
wendigerweise auf den unterschiedlichen Ebenen nach spezifischem Bedarf an-
gepasst werden können (Teilziele) und eigenverantwortlich umgesetzt werden
sollen. Dieses Vorgehen hat nichts mit Zentralismus zu tun.

Zu Nummer 4

Primärprävention erfüllt einen gesamtgesellschaftlichen Anspruch. Daher sollte
sie zum Teil durch Steuermittel finanziert werden. Bund-, Länder- und Kommu-
nen stehen hier ebenso in der Finanzverantwortung wie alle Sozialversiche-
rungszweige und die private Kranken- und Pflegeversicherung, da insbesondere
sie von den Ergebnissen der Primärprävention profitieren.

500 Mio. Euro sind ein guter Ausgangspunkt für die Finanzierung der Primär-
prävention. Dies entspricht ca. 0,2 Prozent aller Ausgaben für das Gesundheits-
wesen. Dieses Finanzvolumen wird zusätzlich zu den bereits für den allgemei-
nen Gesundheitsschutz verausgabten Mitteln zur Verfügung gestellt. Die Mittel
sollten in einem Fonds auf Bundesebene verwaltet werden. Über die Verteilung
der Gelder entscheiden alle Institutionen, die sich sowohl an der Finanzierung
beteiligen als auch in dem bundesweiten Gremium vertreten sind. Weitere
Akteure können über die Verteilung der Mittel mitberaten nicht aber mit-
entscheiden. Zur nachhaltigen Sicherung und zum Ausbau der Finanzierungs-
grundlagen der Prävention sollte die Summe pro Jahr um jeweils 10 Prozent
angehoben werden.
Ein effizienter Mitteleinsatz soll durch Ausschreibungen des bundesweiten Ent-
scheidungsgremiums gewährleistet werden. Damit wird auch die notwendige

Drucksache 16/7284 – 6 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Transparenz über die Vergabe der Fördermittel gewährleistet. Ziel ist ein Wett-
bewerb um mehr Zweckmäßigkeit, Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit in der
Primärprävention. Dabei sind die zentralen Ziele des Präventionsgesetzes zu be-
achten: die Verringerung sozial bedingter Ungleichheit von Gesundheitschancen
und lebensweltorientierte Ansätze der Primärprävention. Finanzmittel können
für Projektträger zur Verfügung gestellt werden, die sich an den auf Bundes-
ebene beschlossenen Schwerpunktsetzungen orientieren und Maßnahmen der
Qualitätsentwicklung vorsehen. Die zur Verfügung gestellten Summen stellen
eine befristete Teilfinanzierung dar. Projektträger müssen zusätzlich einen
Eigenanteil aufbringen oder sich um eine Kofinanzierung bemühen. Ziel ist,
dass die Träger mittel- und langfristig eigenständig Primärpräventionsprojekte
durchführen oder koordinieren und die notwendigen Gelder akquirieren. Aus-
schreibungen setzen faire Wettbewerbsbedingungen voraus. Projektträger kön-
nen über einen bestimmten Zeitraum mit Zusatzfördermitteln (z. B. Verzicht auf
den Eigenanteil, Weiterqualifizierung) gefördert werden.

Zu Nummer 5

Im Bereich der Primärprävention gibt es bislang noch keine der klinischen
Medizin vergleichbare Kultur der Qualitätsentwicklung. Die nichtmedizinische
Primärprävention braucht eigene Verfahren der Qualitätsentwicklung.

Es existieren zahlreiche Ansätze der Qualitätsentwicklung, die unterschiedliche
Wertevorstellungen repräsentieren und teilweise nicht oder nur bedingt mitein-
ander vereinbar sind (Best Practice und Good Practice Ansätze, partizipative
Qualitätsentwicklung, Verfahren zur Evaluation des § 20 des Fünften Buches
Sozialgesetzbuch – SGB V). Ziel muss es sein, bestehende Ansätze aufeinander
abzustimmen. Das bedeutet nicht, dass ein einheitliches Qualitätsentwicklungs-
verfahren notwendig ist. Notwendig ist aber ein Konsens in der Qualitätsent-
wicklung und Evaluation. Sinnvoll scheint die Konzentration auf einige wenige
ausgewählte Ansätze, die kontinuierlich weiterentwickelt werden und im Wett-
bewerb miteinander stehen müssen. Dabei müssen neben harten Faktoren, wie
einem effizienten Mitteleinsatz, auch „weiche“ Indikatoren, wie beispielsweise
Partizipation, Empowerment, Geschlechtergerechtigkeit, Bedeutung von Multi-
plikatorinnen und Multiplikatoren, berücksichtigt werden.

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