BT-Drucksache 16/7176

Medizinische Versorgung der Bundeswehr an die Einsatzrealitäten anpassen - Kompetenzzentrum für posttraumatische Belastungsstörungen einrichten

Vom 14. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7176
16. Wahlperiode 14. 11. 2007

Antrag
der Abgeordneten Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Rainer Stinner, Jens
Ackermann, Christian Ahrendt, Rainer Brüderle, Ernst Burgbacher, Patrick
Döring, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff, Horst
Friedrich (Bayreuth), Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim Günther
(Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Michael Kauch,
Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin,
Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Michael Link
(Heilbronn), Markus Löning, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke,
Burkhardt Müller-Sönksen, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia
Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina Schuster, Dr. Hermann
Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia
Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff (Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido
Westerwelle und der Fraktion der FDP

Medizinische Versorgung der Bundeswehr an die Einsatzrealitäten anpassen –
Kompetenzzentrum für posttraumatische Belastungsstörungen einrichten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das neue Weißbuch definiert als primäre und wahrscheinlichste Aufgabe der
Bundeswehr die internationale Konfliktverhütung und Krisenbewältigung. Ent-
sprechend dieser neuen Aufgabenstellung ist die Zahl der Auslandseinsätze der
Bundeswehr angestiegen. Immer mehr Soldatinnen und Soldaten haben in den
vergangenen Jahren ihren Dienst fern ab von Familie und Freunden verrichtet
und die Zahl derer, die in Zukunft im Ausland eingesetzt werden, wird sich
weiter erhöhen.

Ein Auslandseinsatz stellt die Soldatinnen und Soldaten vor Ort vor neue
Herausforderungen und birgt besondere Belastungen in sich. Generalleutnant
Karlheinz Viereck, Befehlshaber des Einsatzführungskommandos, konstatierte,
dass insbesondere der Bundeswehreinsatz in Afghanistan die Truppe stark ver-
ändert habe. Dies ist auch auf den physischen wie psychischen Druck zurück-
zuführen, denen die Soldatinnen und Soldaten im Einsatzgebiet ausgesetzt sind.
Allein 200 Soldaten müssen jährlich aufgrund des psychischen Drucks, vor

allem durch die andauernde Terrorgefahr, vorzeitig nach Hause geschickt wer-
den.

Die mittel- und langfristigen Folgen solcher Extremsituationen, mit denen die
Soldatinnen und Soldaten im Nachhinein zu kämpfen haben, sind Depressio-
nen, Gereiztheit und Suchtprobleme. Bei besonders belastenden Vorfällen, wie
beispielsweise einer Geiselnahme oder dem Tod von Kameraden, können post-
traumatische Belastungsstörungen (PTBS) auftreten. PTBS entstehen als eine

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verzögerte Reaktion auf ein außergewöhnlich belastendes Ereignis oder eine
Situation kürzerer bis längerer Dauer von außergewöhnlicher Bedrohung oder
katastrophenartigem Ausmaß. Sie werden auch als „Rückkehrer-Trauma“ be-
zeichnet. Die Zahl der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die an PTBS
in der Folge eines Auslandseinsatzes erkranken, hat in den vergangenen Jahren
stetig zugenommen. In den Jahren 2004/2005 hat sich die Zahl der PTBS-
betroffenen Soldaten gegenüber den Vorjahren nahezu verdreifacht. Besonders
bei Soldatinnen und Soldaten aus dem ISAF-Kontingent treten vermehrt PTBS-
Erkrankungen auf. Die aktuellen Zahlen für die Jahre 2006 und 2007 wurden
bislang noch nicht veröffentlicht. Es ist aber aufgrund der sich verschärfenden
Sicherheitslage in Afghanistan anzunehmen, dass die Zahl der PTBS-Erkran-
kungen weiter steigen wird.

An PTBS erkrankte Soldatinnen und Soldaten werden schwerpunktmäßig im
Bundeswehrkrankenhaus Hamburg behandelt. Dort stehen für die ca. 7 600 Sol-
daten, die sich derzeit im Auslandseinsatz befinden, lediglich 33 Betten in der
Abteilung Psychiatrie zur Verfügung. Dieses Kontingent muss sowohl für eine
stationäre Behandlung von PTBS als auch anderer stressbedingter psychischer
Erkrankungen ausreichen. Ergänzend hierzu stehen im Bundeswehrzentral-
krankenhaus Koblenz noch einmal 27 Betten und in den Bundeswehrkranken-
häusern Ulm und Berlin 25 bzw. 30 Betten bereit. Die Zahl der stationären
Behandlungskapazitäten für psychische Erkrankungen darf nicht länger auf
Basis des Streitkräfteumfangs geplant werden. Es müssen der wirkliche Bedarf
an Behandlungskapazitäten erhoben und die Kapazitäten dementsprechend an-
gepasst werden.

Ferner liegt die Zahl der gemeldeten und statistisch erfassten PTBS-Erkrankun-
gen in den deutschen Streitkräften bei ca. einem Prozent und damit auffällig
niedrig. Mit ca. 4 bis 5 Prozent liegt dieser Wert in den Streitkräfteverbänden
anderer Staaten weitaus höher, wie Studien aus den USA, den Niederlanden
und den skandinavischen Ländern belegen. Daher kann von einer hohen Dun-
kelziffer an PTBS-Betroffenen unter den Bundeswehrsoldaten ausgegangen
werden. Gründe für ein Verschweigen der Erkrankung können u. a. die Furcht
der betroffenen Soldaten vor Stigmatisierung und Laufbahnnachteilen sein.
Daher ist es in Zukunft wichtig, Verfahren zu etablieren, durch die den Betrof-
fenen auch rasche anonyme Hilfe gewährleistet werden kann. Dies kann bei-
spielsweise durch die Einrichtung einer anonymen Notfall-Hotline geschehen.

Die Vermeidung und Behandlung von PTBS-Erkrankungen wird zukünftig
einen wichtigen Bereich der militärisch-medizinischen Versorgung unserer Sol-
datinnen und Soldaten im Auslandseinsatz darstellen. Daher sollte ein „Kompe-
tenzzentrum“ für PTBS an einem der Bundeswehrkrankenhäuser eingerichtet
werden, in dem sowohl Aufklärungs- als auch Forschungsarbeit zusammen-
laufen können. Dies könnte auch den Wissenstransfer und Erfahrungsaustausch
zwischen deutschen Bundeswehrärzten und Medizinern aus anderen internatio-
nalen Streitkräfteverbänden verbessern. Ferner besteht so die Möglichkeit, dass
dort Ausbildungs- und Fortbildungsmaßnahmen für Kommandeure, Einheits-
führer und Betriebsärzte besser gebündelt und veranstaltet werden können.

Die medizinisch-psychische Versorgung für die Soldatinnen und Soldaten muss
den neuen Einsatzrealitäten angepasst werden. Die Erfüllung der Fürsorge-
pflicht erfordert ein umfassendes Gesamtkonzept hinsichtlich der Vorsorge, Be-
handlung und Nachsorge von posttraumatischen Belastungsstörungen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

– die Zahl der stationären Behandlungsplätze zur Versorgung von PTBS an
den Bundeswehrkrankenhäusern gemäß dem jeweils aktuell zu ermittelnden

Bedarf regelmäßig anzupassen. Die Zahl der stationären Behandlungskapa-

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zitäten für psychische Erkrankungen darf nicht länger auf Basis des Streit-
kräfteumfangs, sondern muss aufgrund des tatsächlichen Bedarfs geplant
werden;

– Beratungsangebote einzurichten, die von PTBS-Betroffenen anonym in An-
spruch genommen werden können. Dazu sollten eine anonyme 24-Stunden-
Hotline und ein anonymer 24-stündiger psychologischer Bereitschaftsdienst
für die Soldatinnen und Soldaten gehören;

– ein Kompetenz- und Forschungszentrum zur Behandlung von PTBS an
einem der Bundeswehrkrankenhäuser einzurichten,

– die Zusammenarbeit und den Wissenstransfer von Bundeswehrkranken-
häusern und zivilen Spezial-Kliniken sowie alliierten Sanitätsdiensten zu
intensivieren,

– für Soldatinnen und Soldaten, die während ihres Auslandseinsatzes beson-
deren Belastungen – beispielsweise als Spezialkräfte oder als Augenzeugen
eines Selbstmordattentats – ausgesetzt waren, im Anschluss an den Aus-
landseinsatz eine spezielle mehrtägige Erholungsphase außerhalb des Ein-
satzgebietes und des heimatlichen Standorts anzubieten,

– den militärärztlichen Befragungs- und Bewertungsbogen – Rückkehrer-
begutachtung – um ein Kapitel „psychische Belastungen“ zu erweitern,

– dem Deutschen Bundestag zeitnah ein Maßnahmenkonzept für die Betreu-
ung und Behandlung von PTBS bei Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten
vorzulegen.

Berlin, den 13. November 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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