BT-Drucksache 16/7133

Zukunft der Flugsicherung verfassungskonform gestalten

Vom 14. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7133
16. Wahlperiode 14. 11. 2007

Antrag
der Abgeordneten Jan Mücke, Horst Friedrich (Bayreuth), Patrick Döring, Joachim
Günther (Plauen), Jens Ackermann, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster),
Rainer Brüderle, Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Paul K. Friedhoff,
Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter
Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Michael Kauch, Hellmut Königshaus,
Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle
Laurischk, Harald Leibrecht, Ina Lenke, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Michael Link (Heilbronn), Markus Löning, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt,
Burkhardt Müller-Sönksen, Hans-Joachim Otto (Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia
Pieper, Jörg Rohde, Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms, Carl-Ludwig Thiele,
Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Martin Zeil, Dr. Guido
Westerwelle und der Fraktion der FDP

Zukunft der Flugsicherung verfassungskonform gestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf zur Änderung des Grundgesetzes vorzulegen, der

– die Erbringung von Flugsicherungsdiensten innerhalb des deutschen
Hoheitsgebietes auch durch zertifizierte ausländische Flugsicherungs-
organisationen verfassungsrechtlich erlaubt,

– die Kapitalprivatisierung der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH auch
über 49,9 Prozent der Geschäftsanteile hinaus verfassungsrechtlich er-
möglicht,

– bestimmt, dass es sich bei Flugsicherungsdiensten nicht um hoheitlich
wahrzunehmende Aufgaben handelt, sondern um privatwirtschaftliche
Tätigkeiten zertifizierter Flugsicherungsorganisationen,

2. einen Gesetzentwurf vorzulegen, in dem

– der durch die Single-European-Sky-Verordnungen gesetzte Rechtsrahmen
in Bezug auf die Rechte und Pflichten der Flugsicherungsorganisationen,
die Anforderungen an deren Personal, die Ausbildung von Flugsiche-

rungspersonal sowie die Art, Beschaffenheit und Überwachung der zu
Flugsicherungszwecken genutzten Anlagen näher ausgestaltet wird; dabei
kann die Bundesregierung ermächtigt werden, entsprechende Rechtsver-
ordnungen zu erlassen,

– die Art und Durchführung der Flugsicherung geregelt ist, insbesondere die
nähere Ausgestaltung der privatrechtlichen Beziehungen zwischen der

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tätigen Flugsicherungsorganisation und den Luftverkehrsteilnehmern ein-
schließlich der Grundlagen der Vergütung,

– einfachgesetzliche Vorschriften, die einer Kapitalprivatisierung der DFS
und einem Verkauf von bis zu 100 Prozent der Geschäftsanteile entgegen-
stehen, angepasst oder aufgehoben werden,

– die Frage der Haftung für die Flugsicherungstätigkeit der privaten Flug-
sicherungsorganisationen rechtssicher geregelt wird,

– die Trennung von regulativen und operativen Aufgaben in der Flugsiche-
rung rechtssicher durch die Schaffung eines Bundesaufsichtsamts für
Flugsicherung vollzogen wird, wobei sicherzustellen ist, dass die Behörde
finanziell und personell genügend ausgestattet wird.

Berlin, den 14. November 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

Begründung

Die DFS Deutsche Flugsicherung GmbH wurde 1993 gegründet. Sie löste die
Bundesanstalt für Flugsicherung ab. Die DFS steht derzeit im Alleineigentum
des Bundes. Das Unternehmen bewältigte den enormen Anstieg des Flugver-
kehrs seit seiner Gründung von durchschnittlich fünf Prozent jährlich beispiel-
haft. Trotz dieses Wachstums konnte die Pünktlichkeitsrate von 90 Prozent im
Jahr 2000 auf über 97 Prozent in 2006 erhöht werden.

Die weiterhin erwarteten Verkehrssteigerungen machten eine deutliche Effi-
zienzsteigerung bei der Nutzung des zur Verfügung stehenden Luftraums not-
wendig, die nur durch europaweite Regelungen zu erzielen ist. Mit Verabschie-
dung der SES-Verordnungen im Jahr 2004 wurde der rechtliche Rahmen zur
Verwirklichung eines einheitlichen europäischen Luftraums (Single European
Sky – SES) geschaffen. Im Mittelpunkt der Vorschriften steht eine Liberalisie-
rung der Flugsicherungsdienste. Jede zertifizierte Flugsicherungsorganisation
kann Flugsicherungsdienste europaweit anbieten, zusätzlich wird die Ausbil-
dung des Personals gegenseitig anerkannt. Bei Zustimmung der betroffenen
Mitgliedstaaten können im oberen Luftraum funktionale Luftraumblöcke errich-
tet werden, die sich statt an den Staatsgrenzen an den Verkehrsströmen orientie-
ren. Darüber hinaus werden Bedingungen festgelegt, mit denen die Interopera-
bilität zwischen den verschiedenen europäischen Managementsystemen ge-
währleistet wird. Überdies sehen die SES-Verordnungen eine Trennung von
operativen und regulativen Aufgaben der Flugsicherung vor.

Im Jahr 2006 verabschiedete der Deutsche Bundestag ein Gesetz zur Neurege-
lung der Flugsicherung (Bundestagsdrucksache 16/240). Im Wesentlichen sah
es Anpassungen des deutschen Rechts an die sich ändernden Rahmenbedin-
gungen auf europäischer Ebene (einschließlich der Gründung des Bundes-
aufsichtsamts für Flugsicherung BAF) sowie die Schaffung der Voraussetzun-
gen für eine Kapitalprivatisierung der DFS bei Verkauf von 74,9 Prozent der
Geschäftsanteile vor.

Bundespräsident Horst Köhler verweigerte wegen evidenter Verfassungswidrig-
keit die Ausfertigung des Gesetzes. Er begründete dies damit, dass die Flug-
sicherung nach derzeitiger Verfassungslage eine hoheitlich wahrzunehmende,

sonderpolizeiliche Aufgabe darstelle. Dies setze aber dauerhafte verwaltungs-
rechtliche und gesellschaftsrechtliche Einflussmöglichkeiten des Bundes vo-

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raus. Das Gesetz werde dem nicht gerecht. Mit der verbleibenden 25,1-Prozent-
Beteiligung könne der Bund zwar Satzungsänderungen verhindern, jedoch nicht
mehr wie von Verfassungs wegen gefordert aktiv auf die operative Geschäfts-
führung Einfluss nehmen. Zudem könne sich die DFS spätestens nach 20 Jahren
durch Verlagerung des Unternehmenssitzes ins Ausland den Ingerenzrechten
des Bundes entziehen.

Die Nichtausfertigung des Gesetzes rechtfertigt keinen Aufschub. Es ist drin-
gender denn je geboten, die nationalen Vorschriften dem europäischen Rechts-
rahmen anzupassen. Momentan besteht auf diesem Gebiet erhebliche Rechts-
unsicherheit. Gleichzeitig sind die rechtlichen Voraussetzungen für eine Kapital-
privatisierung der DSF unter Veräußerung von bis zu 100 Prozent der Geschäfts-
anteile zu schaffen. Anderenfalls besteht die begründete Gefahr, dass das
bisherige „Vorzeigeunternehmen“ DFS nicht den Herausforderungen der zu er-
wartenden Umorganisation der europäischen Luftraumstruktur erfolgreich be-
gegnen kann. Mit den SES-Verordnungen wurden die rechtlichen Voraussetzun-
gen für die Bildung von funktionalen Luftraumblöcken geschaffen. Diese grenz-
überschreitenden Räume leiten eine Abkehr vom bisherigen System ein, dass je-
der Staat seine eigene Flugsicherung unterhält. Längerfristig führt dies dazu,
dass anstelle der bisherigen Vielzahl von nationalen Flugsicherungen nur noch
wenige Organisationen Flugsicherungsaufgaben übernehmen werden. Flug-
sicherungen werden stark kooperieren und sich letztlich zusammenschließen.
Nicht so die DFS: Ein derartiges Engagement bleibt ihr derzeit aufgrund der
Vorschriften der Bundeshaushaltsordnung faktisch verwehrt (vgl. § 65 Abs. 3
der Bundeshaushaltsordnung). Durch die mehrheitliche Beteiligung von Priva-
ten an der DFS kann man sie hingegen den Beschränkungen der Bundeshaus-
haltsordnung entziehen. Darüber hinaus wird so auch in finanzieller Hinsicht
eine grenzüberschreitende Betätigung der DFS ermöglicht. Dies zeigt, dass die
Kapitalprivatisierung unabdingbare Voraussetzung für die Konkurrenzfähigkeit
der DFS im liberalisierten, wettbewerbsorientierten Markt der Flugsicherungs-
dienstleister ist.

Eine Änderung des Grundgesetzes ist auch bei Beibehaltung des derzeitigen Zu-
standes zwingend erforderlich. Bereits heute werden einzeln beliehene Ange-
stellte von Regionalflughäfen (z. B. Sylt, Lübeck, Hof-Plauen, Zweibrücken)
mit der Erbringung von Flugverkehrskontrolldiensten in Deutschland betraut.
Die Lotsen sind durch Arbeitnehmerüberlassung für die österreichische Flug-
sicherung Austrocontrol tätig. Dieses Verfahren wird jedoch den verfassungs-
rechtlichen Anforderungen nicht gerecht, denn es ist nicht sichergestellt, dass
der Bundeswille jederzeit durchgesetzt werden kann. Die Voraussetzungen, von
einer bundeseigenen Verwaltung im Sinne des Artikels 87d des Grundgesetzes
sprechen zu können, sind vorliegend nicht gegeben. Auch die Übernahme von
Flugsicherungsaufgaben in grenznahen Lufträumen durch ausländische Organi-
sationen (z. B. das schweizer Unternehmen Sky-guide in Südbaden, die nieder-
ländische Flugsicherung LVNL am Niederrhein, die dänische Flugsicherung in
Schleswig) ist verfassungsrechtlich äußerst bedenklich. Das in diesem Rahmen
diskutierte Konstrukt eines Servituts, eine Art hoheitsbeschränkendes Nut-
zungsrecht, ist in Bezug auf die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz nicht ziel-
führend. Ungeachtet dessen fehlt es hinsichtlich der von Sky-guide in Südbaden
ausgeübten Flugverkehrskontrolle nach Ansicht verschiedener Rechtsgutachter
sowie des Landgerichts Konstanz (Urteil vom 11. Mai 2006, Az. 4 O 234/05 H)
bereits an den Voraussetzungen eines Servituts. Die Übernahme durch auslän-
dische Organisationen in grenznahen Regionen ist jedoch sachgerecht, da die
Zuständigkeitsgrenze nur selten dem verwinkelten Verlauf der Staatsgrenze fol-
gen kann und sie vollauf den Intentionen der SES-Verordnungen entspricht.
Umso wichtiger ist es, sie auf eine verfassungskonforme Grundlage zu stellen.
Die Flugsicherungsdienste sind dabei im Grundgesetz als privatwirtschaftliche
Dienstleistungen zu definieren. Dieses lässt im Vergleich zu anderen diskutier-

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ten Modellen die geringsten verfassungsrechtlichen Probleme bei der Rechts-
umsetzung entstehen – ohne Einbußen bei der Sicherheit befürchten zu müssen.
Solange Flugsicherungstätigkeiten als hoheitliche Aufgaben charakterisiert wer-
den, müssen die vom Bundespräsidenten geforderten Ingerenz- und Kontroll-
rechte des Bundes stets gegeben sein. Dies scheint bei Flugsicherungsorganisa-
tionen mit Sitz im Ausland ausgeschlossen. Eine solche Bindung des Unterneh-
mens an Deutschland würde die wirtschaftliche Entwicklung der DFS nachhal-
tig behindern und dem aufkeimenden Wettbewerbsgedanken zuwiderlaufen.

Zudem entspricht die Einordnung als privatwirtschaftliche Leistung auch der
Charakterisierung der Flugsicherungsdienste durch das Gemeinschaftsrecht.
Nach der in den SES-Verordnungen genutzten Terminologie stellen Flugsiche-
rungstätigkeiten Dienstleistungen dar, Flugsicherungsorganisationen werden als
Dienstleister bezeichnet. Eine Abkehr vom deutschen Verständnis, die Flug-
sicherung zwingend als hoheitliche Maßnahme anzusehen, bewahrt die Bundes-
republik Deutschland für lange Zeit vor Systemkonflikten mit dem europäischen
Recht und dadurch notwendig werdenden tiefgreifenden Rechtsanpassungen.
Durch das dadurch erreichte hohe Maß an Rechtssicherheit für alle Beteiligten
erlangt der Standort Deutschland einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen
Ländern.

Ein Blick auf das System Schiene zeigt, dass eine privatrechtliche Ausgestaltung
der Verkehrssicherung möglich und zuverlässig ist. In Deutschland sind für die
sichere und pünktliche Fahrt jedes Zuges Fahrdienstleiter verantwortlich. Diese
sind seit der Bahnreform Mitarbeiter eines privaten Wirtschaftsunternehmens,
der DB Netz AG, und verfügen nicht über Hoheitsgewalt. Gleichwohl dürfen
Züge nur mit ihrer Zustimmung fahren. Private Akteure richten hierbei ihr Han-
deln nach privatautonomen Zielsetzungen aus, dies führt jedoch zu gemeinwohl-
verträglichen Ergebnissen. Die Aufgabe des Staates beschränkt sich auf die
Schaffung eines regulativen Rahmens, z. B. durch Normierung eines Kontrahie-
rungszwangs für die Luftverkehrsteilnehmer mit der zuständigen Flugsiche-
rungsorganisation sowie einer privatrechtlich ausgestalteten Pflicht zur Befol-
gung von deren Weisungen. Diese Struktur steht einem hoheitlichen Handeln
hinsichtlich der Aufrechterhaltung des Sicherheitsniveaus in nichts nach, er-
möglicht jedoch Kostensenkungen durch Effizienzsteigerungen.

An der Gründung des Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung (BAF) ist fest-
zuhalten. Zwar hat das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung in Umsetzung des gemeinschaftsrechtlichen Regelungsauftrages bereits
das hauseigene Referat LR 23 geschaffen, das die Aufgaben einer Aufsichts-
behörde wahrnehmen soll. Angesichts der Komplexität der Aufgaben scheint es
aber zweckdienlich, eine eigenständige Behörde zu schaffen. Diese muss je-
doch dem hohen Anspruch und der Verantwortung der ihr übertragenen Aufga-
ben entsprechend mit hinreichenden finanziellen Mitteln und genügend hoch-
qualifiziertem Personal ausgestattet sein. Darüber hinaus bedarf die Gründung
des BAF einer gesetzlichen Grundlage, die hinsichtlich der Aufgaben und Be-
fugnisse des BAF – anders als verwaltungsinterne Vorschriften – Rechtssicher-
heit schafft. Überdies ermöglicht die Errichtung einer eigenständigen Behörde
ein (zusätzliches) Weisungsrecht des Bundesministeriums der Verteidigung.
Dieses ist unerlässlich, um eine schnelle und sichere Durchsetzung der Belange
des militärischen Einsatzflugbetriebes gewährleisten zu können.

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