BT-Drucksache 16/7017

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung -16/5846, 16/6979- Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG

Vom 7. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/7017
16. Wahlperiode 07. 11. 2007

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Jörg van Essen, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Gisela
Piltz, Dr. Max Stadler, Mechthild Dyckmans, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks,
Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Uwe Barth, Rainer Brüderle, Angelika
Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Otto Fricke, Horst Friedrich
(Bayreuth), Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther
(Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Heinz-Peter Haustein, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb,
Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Harald
Leibrecht, Michael Link (Heilbronn), Markus Löning, Horst Meierhofer, Patrick
Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Jörg Rohde, Frank Schäffler, Marina
Schuster, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian
Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 16/5846, 16/6979 –

Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung
und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der
Richtlinie 2006/24/EG

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält einerseits Regelungen zur
Neugestaltung von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen und andererseits Vor-
schriften zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (2006/
24/EG).

1. Die Reform der Telefonüberwachung ist lange überfällig. Seit Jahren gibt es
einen stetigen Anstieg von Überwachungsmaßnahmen. Allein 2006 gab es
42 761 Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen, davon 7 432 Ver-
längerungsanordnungen. Dieser starke Anstieg der Telefonüberwachung ist
besorgniserregend und erklärungsbedürftig. Mehrere wissenschaftliche Un-
tersuchungen haben zudem festgestellt, dass die geltende Praxis der Anord-
nungen rechtsstaatlich bedenklich ist, da eine große Anzahl der richterlichen
Anordnungen von Telefonüberwachungsmaßnahmen fehlerhaft ist. Auch
die Benachrichtigungspflicht an die Beteiligten wird nur sehr unzureichend
erfüllt. Zudem ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum

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Kernbereich der privaten Lebensgestaltung vom Gesetzgeber bislang für die
Telekommunikationsüberwachung nicht umgesetzt worden.

Zu begrüßen ist, dass der Gesetzentwurf Verbesserungen bei den Verfahrens-
sicherungen vorsieht. Die Vorschläge zur Benachrichtigung der Betroffenen,
zur Erweiterung der Unterrichtungspflicht des anordnenden Gerichts und zu
den Rechtsschutzmöglichkeiten gehen in die richtige Richtung.

Daneben enthält der Gesetzentwurf jedoch auch Änderungen, die teilweise
zu einer Verschlechterung des jetzigen Rechtszustandes führen.

Der Gesetzentwurf schafft erstmals eine einheitliche Schutzvorschrift für alle
Berufsgeheimnisträger vor staatlichen Überwachungsmaßnahmen. Der kon-
krete Schutz, den diese Vorschrift für die einzelnen Berufsgruppen bietet, ist
jedoch unzureichend. Für Verteidiger, Geistliche und Abgeordnete soll es
einen absoluten Schutz vor Ermittlungsmaßnahmen geben. Für alle anderen
Berufsgeheimnisträger (u. a. Ärzte, Journalisten und Rechtsanwälte) wird der
Schutz nur im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung gewährt. Ins-
besondere die Unterscheidung zwischen Strafverteidigern und sonstigen
Anwälten wird dem Berufsbild des Rechtsanwaltes in keiner Weise gerecht.
Nach § 160a Abs. 2 StPO-E soll bei nicht erheblichen Straftaten nicht von
einem Überwiegen des Strafverfolgungsinteresses ausgegangen werden. Im
Umkehrschluss ist daher davon auszugehen, dass bei erheblichen Straftaten
das Strafverfolgungsinteresse regelmäßig überwiegt. Darüber hinaus beste-
hen bei erheblichen Straftaten keine verlässlichen Abwägungskriterien. Kein
Angehöriger der von § 160a Abs. 2 StPO-E erfassten Berufsgruppen kann
sich daher von vornherein seines Schutzes sicher sein. Der konkrete Schutz-
umfang wird vielmehr im Einzelfall von den Ermittlungsbehörden positiv
festgestellt. Mit § 160a Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) tritt eine Ver-
schlechterung gegenüber der jetzigen Rechtslage ein.

Die Bundesregierung verkennt damit die besondere Stellung der betroffenen
Berufsgruppen. Der Verfassung ist nicht zu entnehmen, dass es Berufsgrup-
pen erster und zweiter Klasse gibt. Es ist allein eine rechtspolitische Entschei-
dung des Gesetzgebers, welchen Schutz er speziellen Berufsgruppen vor
strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen zubilligt. Wenn er sich für ein unter-
schiedliches Schutzniveau entscheidet, muss dies rechtspolitisch aus sach-
lichen Gründen geboten sein. Dies ist hier nicht erkennbar. Insbesondere der
unzureichende Schutz für Journalisten verkennt deren verfassungsrechtliche
Stellung im Hinblick auf Artikel 5 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Das
Grundrecht der Pressefreiheit ist für das Funktionieren eines demokratischen
Staates und einer demokratischen Gesellschaft schlechterdings unverzichtbar
(Maunz-Dürig, Artikel 5, Rn. 118). In der sog. CICERO-Entscheidung hat
das Bundesverfassungsgericht diese Bedeutung erneut unterstrichen. Eine
freie Presse und ein freier Rundfunk seien von besonderer Bedeutung für
den freiheitlichen Staat, so das Gericht (BVerfG v. 27. Februar 2007 – 1 BvR
538/06). Aufgrund der Verhältnismäßigkeitsprüfung in § 160a Abs. 2 StPO
kann auch künftig der Informantenschutz nicht mehr verlässlich garantiert
werden. Der Journalist kann seinem Informanten nicht zusichern, dass er als
Quelle anonym bleibt. Damit wird der verfassungsrechtlich garantierte
Informantenschutz unterlaufen. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu
ausgeführt, dass die Geheimhaltung der Informationsquellen und das Ver-
trauensverhältnis zwischen Presse bzw. Rundfunk und den Informanten
geschützt sei. Dieser Schutz sei unentbehrlich, weil die Presse auf private
Mitteilungen nicht verzichten könne, diese Informationsquelle aber nur dann
ergiebig fließe, wenn sich der Informant grundsätzlich auf die Wahrung des
Redaktionsgeheimnisses verlassen könne (BVerfG v. 27. Februar 2007 –
1 BvR 538/06).

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Bedauerlich ist, dass die Bundesregierung darauf verzichtet, die Pressefrei-
heit umfassend zu stärken. Auch an anderen Stellen innerhalb der StPO und
des Strafgesetzbuches (StGB) sind Änderungen notwendig, um den Schutz
der journalistischen Recherche zu verbessern. Regelungsbedarf besteht ins-
besondere beim Beschlagnahme- und Durchsuchungsverbot sowie bei der
Ermittlung gegen Journalisten wegen des Verdachts der Beihilfe zum Ge-
heimnisverrat. Beschlagnahmen sollten nur noch bei Vorliegen eines drin-
genden Tatverdachts gegen den Journalisten möglich sein. Heute reicht dafür
ein einfacher Tatverdacht aus. Darüber hinaus bedarf es zwingend eines
Richtervorbehalts für alle Anordnungen einer Beschlagnahme, sowohl bei
fest angestellten als auch bei freien Journalisten. Der Schutzbereich muss
sich daher auch auf eine Beschlagnahme in einer Wohnung und in allen an-
deren Räumen erstrecken, die der Journalist für seine Arbeit nutzt. Mit einer
Änderung im StGB muss sichergestellt werden, dass sich Journalisten künf-
tig nicht mehr wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat strafbar machen, wenn
sie das ihnen vertraulich zugeleitete Material veröffentlichen. Gerade diese
Strafbestimmung hat zu zahlreichen Ermittlungen gegen Journalisten ge-
führt, obwohl der schwerwiegende Gesetzesverstoß von so genannten un-
dichten Stellen in Behörden verursacht wurde.

2. Die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung begegnet un-
verändert grundsätzlichen Bedenken in rechtsstaatlicher, wirtschaftlicher und
technischer Hinsicht.

a) Zweifelhaft ist nach wie vor, ob die Richtlinie aufgrund einer tauglichen
Rechtsgrundlage ergangen ist. Die Europäische Kommission vertritt die
Auffassung, die Zuständigkeit der Gemeinschaft ergebe sich aus Arti-
kel 95 EGV. Dies ist die Ermächtigungsgrundlage für Harmonisierungs-
maßnahmen im Zusammenhang mit dem Binnenmarkt. Der Deutsche
Bundestag vertritt eine entgegenstehende Rechtsauffassung (Bundestags-
drucksache 15/4748). Nach Auffassung des Deutschen Bundestages ergibt
sich die Rechtsgrundlage für die Vorratsdatenspeicherung aus den Bestim-
mungen über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Straf-
sachen des EUV (sog. 3. Säule). Irland hat beim Europäischen Gerichts-
hof eine Nichtigkeitsklage (Az. C-301/06) gegen die Richtlinie ein-
gereicht, mit der Begründung, die Vorratsdatenspeicherung diene einer
verbesserten Strafverfolgung und habe deswegen nicht im Wege einer
Richtlinie beschlossen werden können. Der Gesetzgeber sollte daher von
der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht Abstand nehmen und
zunächst die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs abwarten.

b) Der Gesetzentwurf sieht die Speicherung von Telekommunikationsver-
bindungsdaten für sechs Monate vor. Erfasst sind davon alle Verbindungs-
daten von Telefon, Handy und E-Mail. Festgehalten wird auch, wer wann
das Internet genutzt hat. Damit erhalten die Strafverfolgungsbehörden
Kenntnis vom Kommunikationsverhalten der Bürger. Aufgrund der Daten
können genaue Bewegungsprofile der Bürger erstellt werden. Dies ist ein
Eingriff in Artikel 10 GG (Fernmeldegeheimnis). Vom Schutz des Fern-
meldegeheimnisses sind nicht nur die Kommunikationsinhalte, sondern
auch die näheren Umstände der Telekommunikation erfasst (BVerfGE 67,
157 (172)). Die freie Kommunikation ist gefährdet, weil die Beteiligten
damit rechnen müssen, dass staatliche Stellen Kenntnis von ihrem Kom-
munikationsverhalten erlangen. Betroffen ist auch das Grundrecht auf
informationelle Selbstbestimmung. Das Recht auf informationelle Selbst-
bestimmung räumt dem Einzelnen die Befugnis ein, darüber zu bestim-
men, welche ihn betreffenden Daten an staatliche Stellen gelangen und
dort verwahrt werden dürfen. Geschützt ist die Befugnis des Einzelnen,
grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen
persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Das Bundesverfas-

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sungsgericht hat entschieden, dass bereits die Erhebung und Speicherung
personenbezogener Daten einen Eingriff in das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung darstellt (BVerfGE 65, 1, BVerfGE 103, 21 83). Eine
Rechtfertigung für diesen Grundrechtseingriff ist nicht gegeben. Der Ein-
griff ist nicht verhältnismäßig. Er steht in keinem angemessenen Verhält-
nis zu den mit der Vorratsdatenspeicherung beabsichtigten Zwecken. Der
Grundrechtseingriff ist nicht abhängig von bestimmten Verdachts- oder
Gefahrenstufen. Mit der anlass- und verdachtslosen Speicherung sämt-
licher Verbindungsdaten werden alle Bürger unter einen Generalverdacht
gestellt. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu ausgeführt, dass der
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dazu führe, dass der Gesetzgeber in-
tensive Grundrechtseingriffe erst bei bestimmten Verdachts- oder Gefah-
renstufen vorsehen darf. Verzichtet der Gesetzgeber auf begrenzende
Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts sowie an
die Nähe der Betroffenen zur abzuwehrenden Bedrohung und sieht er
gleichwohl eine Befugnis zu Eingriffen von erheblichem Gewicht vor, ge-
nügt dies dem Verfassungsrecht nicht, so das Gericht (BVerfG v. 4. April
2006 – 1 BvR 518/02). Das Bundesverfassungsgericht hat weiter festge-
halten, dass der Zwang zur Abgabe personenbezogener Daten voraussetzt,
dass der Gesetzgeber den Verwendungszweck bereichsspezifisch und prä-
zise bestimmt und das die Angaben für diesen Zweck geeignet und er-
forderlich sind (BVerfGE 65, 1). In einer neueren Entscheidung hat das
Gericht diese Auffassung erneut bekräftigt: „Eine Sammlung der dem
Grundrechtsschutz unterliegenden personenbezogenen Informationen auf
Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken ist mit
dem Grundgesetz nicht vereinbar.“ (BVerfG v. 13. Juni 2007 – 1 BvR
1550/03). Die in § 113b TKG-E genannten Speicherzwecke „für die Zwe-
cke der Strafverfolgung“ und „zur Abwehr von erheblichen Gefahren für
die öffentliche Sicherheit“ genügen den Anforderungen der Bestimmbar-
keit nicht. Diese Zwecke sind weder bereichsspezifisch noch präzise be-
stimmbar. Eine Eingrenzung auf bestimmte Straftaten erfolgt nicht. Viel-
mehr sind die in § 113b TKG-E genannten Zwecke als Generalklauseln zu
verstehen, unter die sich die unterschiedlichsten Sachverhalte subsumie-
ren lassen. Zudem ist die Vorratsdatenspeicherung nicht erforderlich. Mit
dem sog. Quick-Freeze-Verfahren steht eine grundrechtsschonendere
Alternative zur Verfügung. Mit diesem Verfahren können Verbindungsda-
ten vorübergehend gesichert werden. Für die Anordnung dieses gezielten
„Quick Freeze“ muss die Staatsanwaltschaft einen konkreten Anhalts-
punkt für einen Verdacht vorweisen. Aufgrund der hohen Eingriffsinten-
sität bei der Vorratsdatenspeicherung überwiegt bei Abwägung zwischen
Eingriffstiefe und Effizienz der Nutzen des Quick Freeze Verfahrens.

Bedenken bestehen auch im Hinblick auf Artikel 5 Abs. 1 GG. Es ist zu
befürchten, dass Informanten künftig von der Kontaktaufnahme mit Jour-
nalisten abgehalten werden. Der staatliche Zugriff, auf alle elektronischen
Kontakte der Journalisten kann für den Informanten bedeuten, dass er als
Quelle aufgedeckt wird. Damit wird das Vertrauensverhältnis zwischen
Journalist und Informant erheblich beeinträchtigt.

c) Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel hat in ihrer Regierungserklärung vor
dem Deutschen Bundestag am 30. November 2005 erklärt: „Wir haben
uns vorgenommen, die EU-Richtlinien im Grundsatz nur noch eins zu eins
umzusetzen.“ Die Bundesregierung hat sich dennoch nicht darauf be-
schränkt, die Umsetzung eng an der Richtlinie auszurichten. Vielmehr
geht der Gesetzentwurf an entscheidenden Punkten über den Regelungs-
gehalt der Richtlinie hinaus. Während die Richtlinie die Speicherung von
Verbindungsdaten nur zum Zwecke der Ermittlung, Feststellung und Ver-
folgung von schweren Straftaten vorsieht, erweitert der Gesetzentwurf

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 5 – Drucksache 16/7017

den Zugriff auf die Verbindungsdaten bei jedem Verdacht einer „erhebli-
chen“ oder einer „mittels Telekommunikation begangenen Straftat“. „Er-
hebliche“ Straftaten haben nicht dieselbe Eingriffstiefe wie „schwere“
Straftaten, wie § 100a StPO-E zeigt. Auch das aktuelle Gutachten des
Max-Planck-Instituts für Ausländisches und Internationales Strafrecht
über die „Rechtswirklichkeit der Auskunftserteilung über Telekommu-
nikationsverbindungsdaten nach §§ 100g, 100h StPO“ weist darauf hin,
dass die Anknüpfung der Verkehrsdatenabfrage an den Begriff der Straftat
von erheblicher Bedeutung offensichtlich dazu führt, dass unter das Merk-
mal der erheblichen Straftat auch Straftaten fallen, die der leichten bis
mittelschweren Kriminalität zuzuordnen sind. Völlig unvereinbar mit der
Richtlinie ist die Speicherung von Daten beim Verdacht einer „mittels
Telekommunikation begangenen Straftat“, da hierfür keine Eingriffs-
schwelle verlangt wird und eine Einschränkung auf schwere Straftaten,
bzw. Straftaten von erheblicher Bedeutung nicht vorgesehen ist. Darüber
hinaus sieht § 113b Nr. 2 TKG-E die Verwendung der gespeicherten Daten
auch zur Abwehr von erheblichen Gefahren für die öffentliche Sicherheit
vor. Auch hier entfernt sich der Gesetzentwurf von den Vorgaben der
Richtlinie, die die Speicherung der Daten nur zur Verfolgung schwerer
Straftaten vorsieht. Zudem sieht § 113b Nr. 3 TKG-E die Verwendung der
gespeicherten Daten auch zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der
Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnach-
richtendienstes und des Militärischen Abschirmdienstes vor. Auch da-
durch wird die Vorgabe der Richtlinie, wonach die Vorratsdatenspeiche-
rung nur zum Zwecke der Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von
schweren Straftaten eingesetzt werden darf, missachtet. Strafverfolgung
ist nicht Aufgabe der Nachrichtendienste. Bedenklich ist zudem, dass ein
Zugriff durch die Nachrichtendienste eine richterliche Prüfung und An-
ordnung nicht voraussetzt.

d) Die Bundesregierung missachtet mit dem Gesetzentwurf das Gebot der
grundrechtsschonenden Umsetzung von europarechtlichen Vorgaben. Das
Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum Europäischen
Haftbefehlsgesetz dazu ausgeführt, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist,
die Umsetzungsspielräume in einer grundrechtsschonenden Weise auszu-
füllen (BVerfG v. 18. Juli 2005 – 2 BvR 2236/04).

e) Die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung hat für die
Telekommunikationsunternehmen unzumutbare Belastungen zur Folge.
Der Gesetzentwurf verpflichtet die Anbieter von Kommunikationsdiens-
ten zur Speicherung von Vorratsdaten bzw. zur Übermittlung dieser Daten,
ohne dafür eine angemessene Entschädigungsregelung vorzusehen. Der
von der Bundesregierung erwartete finanzielle Mehraufwand für die Tele-
kommunikationswirtschaft für die erforderlichen Investitionen in Höhe
von bis zu mehreren 100 000 Euro wird von der Branche bestritten. Nach
Angaben der betroffenen Verbände belaufen sich die Kosten für die er-
forderlichen Investitionen auf ca. 50 bis 75 Mio. Euro. Zudem sind die
Unternehmen verpflichtet, die sich aus dem Gesetzentwurf ergebenen
Pflichten bis zum 1. Januar 2008 umzusetzen. Lediglich die Verpflichtung
zur Speicherung von Internet-Daten muss spätestens bis zum 1. Januar
2009 erfüllt sein. Von der Möglichkeit, die die Richtlinie bietet, die An-
wendung für den Internet-Zugang, Internet-Telefonie und Internet-E-Mail
bis zum 15. März. 2009 aufzuschieben, hat die Bundesregierung keinen
Gebrauch gemacht. Diese Fristen sind viel zu kurz bemessen, um den Ver-
pflichtungen angemessen nachkommen zu können.

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II. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der zu einer Stärkung der journalistischen
Recherche und zu einem dem Artikel 5 Abs. 1 GG angemessenen Schutz vor
staatlichen Ermittlungsmaßnahmen führt. Dazu bedarf es insbesondere

a) eines umfassenden Zeugnisverweigerungsrechts von Berufsgeheimnis-
trägern (insbesondere Journalisten, Ärzten und Anwälten) und einer Stär-
kung des Informantenschutzes;

b) einer Änderung in § 97 Abs. 2 Satz 3 StPO, mit der sichergestellt wird,
dass das Beschlagnahmeverbot bei subjektiver Strafverstrickung nur
dann entfällt, wenn gegen den zeugnisverweigerungsberechtigten Berufs-
geheimnisträger ein dringender Tatverdacht besteht;

c) einer Erweiterung des Schutzbereichs in § 98 Abs. 1 Satz 2 StPO auf
Wohnungen und andere Räume von Journalisten mit der Folge, dass der
Richtervorbehalt zwingend für alle Anordnungen einer Beschlagnahme
von Sachen bei Journalisten gilt;

d) einer Änderung des Strafgesetzbuches, wonach künftig Beihilfehandlun-
gen zum Geheimnisverrat von Journalisten nicht mehr strafbar sind, wenn
sie sich auf die Veröffentlichung des Geheimnisses beschränken oder mit
dieser in unmittelbarem Zusammenhang stehen;

e) einer Streichung von § 353d StGB, damit künftig die Strafbarkeit entfällt,
wenn der Wortlaut der Anklageschrift oder anderer amtlicher Schrift-
stücke eines Strafverfahrens, eines Bußgeldverfahrens oder eines Diszi-
plinarverfahrens ganz oder in wesentlichen Teilen öffentlich mitgeteilt
wird;

2. von der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung Abstand
zu nehmen und zunächst die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
(Az. C-301/06) abzuwarten.

Berlin, den 7. November 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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