BT-Drucksache 16/6971

zu dem Antrag der Bundesregierung -16/6939- Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen

Vom 7. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6971
16. Wahlperiode 07. 11. 2007

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Monika Knoche, Wolfgang Gehrcke, Paul Schäfer (Köln),
Dr. Norman Paech, Hüseyin-Kenan Aydin, Dr. Diether Dehm, Heike Hänsel, Inge
Höger, Dr. Hakki Keskin, Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Alexander Ulrich,
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

zu dem Antrag der Bundesregierung
– Drucksache 16/6939 –

Fortsetzung des Einsatzes bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der
Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die
USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des
Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolutionen 1368 (2001) und
1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Am 4. Oktober 2001 beschloss der Nordatlantikrat in der Folge des Terror-
anschlags vom 11. September 2001 auf Antrag der USA, den Bündnisfall
nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags zu erklären. Der Artikel 5 des Nord-
atlantikvertrags nimmt ausdrücklich Bezug auf den Artikel 51 der Charta der
Vereinten Nationen.

2. Die Bindung des Bündnisfalls nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrags an
den Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen bedeutet auch, dass der
Bündnisfall aufzuheben ist, wenn ein das Recht auf kollektive oder indivi-
duelle Selbstverteidigung auslösender Angriff nicht oder nicht mehr vor-
liegt. Ist das Selbstverteidigungsrecht aus materiellen (kein gegenwärtiger
Angriff) und/oder aus formellen Gründen (Maßnahmen des Sicherheitsrats
gemäß Artikel 51 Satz 2 der Charta der Vereinten Nationen) nicht mehr ge-
geben, fehlt es an der Legitimität für die Fortdauer des Bündnisfalls. Ist die
unmittelbare Gefahr eines Angriffs auf das betroffene Mitgliedsland abge-
wendet, besteht kein Recht mehr, die militärischen Maßnahmen fortzu-

führen. Eine Präventivverteidigung gegen mutmaßliche neue Angriffe ist
völkerrechtlich unzulässig.

3. Der Bündnisfall ist auf die Abwehr eines unmittelbar stattfindenden oder dro-
henden Angriffs gerichtet. Daher ist es sinnverfälschend, aus einem Ausnah-
mefall eine Dauereinrichtung zu machen. Der Nordatlantikrat hat in seinem
Beschluss vom 4. Oktober 2001 keine zeitliche Befristung des Bündnisfalls

Drucksache 16/6971 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
oder auch nur ein regelmäßiges Überprüfungsregime vorgesehen, womit
diese Aufgabe den NATO-Mitgliedsländern obliegt. Auf bisherige Erfahrun-
gen kann nicht zurückgegriffen werden, denn der Bündnisfall ist am 4. Okto-
ber 2001 erstmalig in der NATO-Geschichte erklärt worden. Artikel 5 des
Nordatlantikvertrags schreibt kein über die allgemeinen Grundsätze der
NATO hinausgehendes Verfahren zur Erklärung bzw. Aufhebung des Bünd-
nisfalls vor. Es gilt also das allgemeine Konsensprinzip und eine dementspre-
chende Erklärung der Bundesrepublik Deutschland ist ausreichend, um deut-
lich zu machen, dass ein Konsens in dieser Frage nicht mehr besteht.

4. Das neue Afghanistankonzept, auf das sich die Bundesregierung in ihrem
Antrag zur Fortsetzung des Einsatzes deutscher Soldatinnen und Soldaten be-
zieht, sieht vor, die Aufgaben von ISAF und OEF stärker miteinander zu ver-
binden. Dies kann zur Folge haben, dass von der afghanischen Bevölkerung
die verschiedenen militärischen Aktivitäten noch weniger unterschieden wer-
den als bisher und der Widerstand gegen die Militärpräsenz insgesamt
wächst. Deutsche zivile Hilfsorganisationen weisen seit längerem auf diese
Problematik hin und warnen davor.

5. Zahlreiche Zivilistinnen und Zivilisten starben in Afghanistan bei Kämpfen
im Rahmen der Operation Enduring Freedom. Dies verstößt gegen die Genfer
Abkommen von 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter
Konflikte, in dessen Zusatzprotokoll dem Schutz der Zivilbevölkerung abso-
lute Priorität eingeräumt wird (Artikel 51, 43. I. Zusatzprotokoll von 1976).
Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan werden mit Terrorismusbe-
kämpfung entschuldigt. Gefangene wurden und werden nach Guantanamo
verbracht, wo sie rechtlos sind und einer menschenrechtswidrigen Behand-
lung ausgesetzt werden.

6. Das Fortbestehen des Bündnisfalls fungiert immer mehr als politische Gene-
ralzustimmung zum gesamten Vorgehen der USA. Eine solche generelle
politische Legitimationsbasis kann bei eigenständiger politischer Verantwor-
tungswahrnahme durch die Bundesregierung und weiterer Bündnispartner
nicht uneingeschränkt in der Sache und in der Zeit weitergelten. Die Beendi-
gung des Bündnisfalls hätte auch zur Folge, dass die auf dieser Grundlage
erteilten Mandate des Deutschen Bundestages zur deutschen Beteiligung an
der Operation Enduring Freedom (OEF) erneut überprüft werden müssten.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. innerhalb des NATO-Bündnisses auf die sofortige Aufhebung des am 4. Ok-
tober 2001 beschlossenen Bündnisfalls hinzuwirken;

2. im Falle der Aufrechterhaltung des NATO-Bündnisfalles nach Artikel 5 des
Nordatlantikvertrags durch die anderen NATO-Mitgliedstaaten den Bündnis-
fall für die Bundesrepublik Deutschland einseitig als beendet zu erklären;

3. das deutsche Engagement im Rahmen der Operation Enduring Freedom in
Afghanistan und am Horn von Afrika sowie im Rahmen der Operation Active
Endeavour (OAE) im Mittelmeer sofort zu beenden.

Berlin, den 6. November 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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