BT-Drucksache 16/6930

Bei öffentlichen Aufträgen sozial-ökologische Anliegen und Tariftreue durchsetzen

Vom 7. November 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6930
16. Wahlperiode 07. 11. 2007

Antrag
der Abgeordneten Ulla Lötzer, Dr. Barbara Höll, Werner Dreibus,
Kornelia Möller, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Axel Troost, Sabine Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

Bei öffentlichen Aufträgen sozial-ökologische Anliegen und Tariftreue
durchsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Soziale und ökologische Kriterien finden im öffentlichen Beschaffungswesen
von Bund, Ländern und Kommunen Deutschlands noch viel zu wenig Beach-
tung. So erhalten auch solche Unternehmen öffentliche Aufträge, die tarifliche
und soziale Standards unterlaufen und ihren Beschäftigten nur Armutslöhne
zahlen, die Frauen diskriminieren, die in internationalen Lieferketten elementare
Menschen- und Arbeitsrechte missachten oder deren Produktionsweisen nicht
den politisch angestrebten Klima- und Umweltschutzzielen entsprechen.

Daher bedarf es dringend einer Reform des Vergaberechtes, mit dem die Tarif-
treue, die Gleichstellung von Frauen und Männern sowie weitere zentrale sozial-
ökologische Anliegen unmissverständlich als zulässige Kriterien der öffentli-
chen Auftragsvergabe festgeschrieben werden. Zudem müssen konkrete Umset-
zungspläne und Maßnahmen ergriffen werden, so dass zukünftig das Nachfrage-
verhalten der öffentlichen Hand im Sinne von „nachhaltigem Konsum“ nicht
mehr der verkürzten Logik des niedrigsten Preises folgt, sondern gesamtwirt-
schaftlicher und gesamtgesellschaftlicher Verantwortung unterliegt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Vorschlag für die zweite Stufe der Vergaberechtsreform vorzulegen,
mit dem

– die Unternehmen, die Aufträge der öffentlichen Hand erhalten, zur Tarif-
treue bzw. dort, wo Tariflöhne unterhalb eines festzulegenden Mindest-
lohns liegen, zur Zahlung von Mindestlöhnen verpflichtet werden;

– die Unternehmen, die Aufträge der öffentlichen Hand erhalten, verpflich-
tet werden, in Anlehnung an das Bundesgleichstellungsgesetz die notwen-
digen Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen und Männern sowie zur

Vereinbarkeit von Beruf und Familie durchzuführen und dies auch bei
allen verwaltenden Maßnahmen zu berücksichtigen;

– Unternehmen, die eine angemessene Zahl an Ausbildungsplätzen anbie-
ten, bevorzugt behandelt werden;

– in den Wertschöpfungsketten öffentlich beschaffter Güter und Dienstleis-
tungen die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen und die Zahlung men-

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schenwürdiger Löhne (living wages) sowie die Wahrung elementarer
Menschenrechts-, Gesundheits- und Arbeitsschutzrechte durchgesetzt
wird;

– bei der öffentlichen Beschaffung von importierten Produkten soweit mög-
lich Produkte des Fairen Handels (Kaffee, Lebensmittel, Textilien, u. a.)
entsprechend der Kriterien der Fairtrade Labelling Organisations Interna-
tional (FLO) bezogen werden;

– bei Beschaffungen die Ziele des Klima- und Umweltschutzes konsequent
beachtet und die öffentliche Beschaffung von Strom so schnell wie mög-
lich auf eine vollständige Beschaffung von Öko-Strom (entsprechend der
Musterausschreibung des Umweltbundesamtes) umgestellt wird;

2. die Möglichkeiten für öffentliche Auftraggeber zu erweitern, der jeweiligen
regionalen, kleinen und mittelständischen Wirtschaft eine faire Chance im
Wettbewerb um öffentliche Aufträge zu geben. Zu diesem Zweck ist unter-
halb der europarechtlich relevanten Auftragsgrößen die freie Wahl zwischen
öffentlicher Ausschreibung und zweistufigem Verfahren (öffentlicher Teil-
nahmewettbewerb mit anschließender beschränkter Ausschreibung) zu er-
möglichen;

3. die konkrete Umsetzung und Weiterentwicklung einer verantwortungsbe-
wussten Beschaffung durch praktikable, rechtssichere, zeitlich gestaffelte und
finanzierbare Umsetzungspläne für die Bundeseinrichtungen sowie durch den
Aufbau entsprechender Ausschreibungs-, Zertifizierungs-, Kontroll- und
Qualifizierungsinstrumente für die Vergabestellen zu unterstützen.

Berlin, den 7. November 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

Begründung

Ein Tariftreuegesetz, das Unternehmen bei öffentlicher Auftragsvergabe an die
Zahlung von Tariflöhnen bindet, hatte der Bundestag bereits in der 14. Wahl-
periode verabschiedet. Das Gesetz wurde damals vom Bundesrat blockiert. An-
gesichts der verschärften Lage auf dem Arbeitsmarkt und der Weigerung zahl-
reicher Bundesländer zur wirksamen Einführung von Tariftreueregelungen ist es
notwendig, hier unverzüglich eine bundespolitische Vorgabe zu verabschieden.
Staatlich gefördertes Lohndumping darf nicht weiter geduldet werden. Da zu-
dem einige Tariflöhne unterhalb des Niveaus von menschenwürdigen Einkom-
men liegen, muss eine Tariftreueregelung um eine Kopplung an ein bestimmtes
Lohniveau (als Untergrenze) ergänzt werden. Damit ließe sich im Bereich der
öffentlichen Auftragsvergabe eine sozial und gesamtwirtschaftlich verantwor-
tungsvolle Lohnpolitik erreichen, deren Einführung auch für die übrige Volks-
wirtschaft weiterhin überfällig ist.

Die neuen Vergaberichtlinien der Europäischen Union (2004/17/EG und 2004/
18/EG) sehen in Artikel 38 bzw. Artikel 26 explizit vor, dass öffentliche Auf-
traggeber zusätzliche Bedingungen für die Ausführung eines Auftrags vor-
schreiben können. Dort heißt es: „Die Bedingungen für die Ausführung eines
Auftrags können insbesondere soziale und umweltbezogene Aspekte betreffen.“
Die öffentliche Hand kann also mit gutem Beispiel vorangehen und ihren Ein-
fluss als Auftraggeberin dazu nutzen, in ihrem Einflussbereich sozial gerechte

Lohn- und Tarifverhältnisse sowie die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen zu

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sichern, die soziale und ökologische Verantwortung von Unternehmen zu för-
dern und aktiven Klima- und Umweltschutz zu betreiben. Die Bundesregierung
hat bisher versäumt, dies in verbindliches nationales Recht umzusetzen und über
die „Kann“-Formulierungen der EU-Vorgabe hinaus eigene verbindliche und
umsetzungsfähige Vorschläge zu erarbeiten.

Der Verpflichtung des Bundes zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und
Männern bei allen verwaltenden Maßnahmen (Gender Mainstreaming) muss
auch im Vergaberecht nachgekommen werden. Dieses sollte sich nicht nur auf
personelle Gleichstellung von weiblichen und männlichen Beschäftigten be-
schränken, sondern auch bei der Wirkung öffentlicher Aufträge, wie etwa
Dienstleistungen oder bauliche Maßnahmen, unterschiedliche Bedürfnisse von
Frauen und Männern berücksichtigen und ihre gesellschaftliche Gleichstellung
systematisch fördern.

Öffentliche Gelder dürfen auch im Hinblick auf internationale wirtschaftliche
Verflechtungen nicht dazu beitragen, dass ausbeuterische Kinderarbeit genutzt
und Menschenrechte in den Ländern des Südens verletzt werden. Um zu verhin-
dern, dass Menschen dort zu Hungerlöhnen und menschenfeindlichen Bedin-
gungen für die Herstellung öffentlich beschaffter Güter arbeiten müssen, sind
Unternehmen zu verpflichten, in all ihren Betriebsstätten sowie in ihren Zu-
lieferketten die weltweit gültigen Arbeitsstandards der ILO (Internationale
Arbeitsorganisation) zu beachten. Auch der Einkauf von Produkten des Fairen
Handels seitens der öffentlichen Hand wird einen Beitrag zur Verbesserung der
Umwelt- und Arbeitsbedingungen in ärmeren Ländern leisten. Wo die nötigen
Zertifizierungs- und Kontrollmechanismen zur Überprüfung von Sozial- und
Umweltstandards noch nicht ausreichend verfügbar sind, müssen diese in Zu-
sammenarbeit mit den jeweiligen Gewerkschaften, Branchenakteuren und zivil-
gesellschaftlichen Organisationen entwickelt werden.

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