BT-Drucksache 16/682

Beendigung der Gewalt und Wiederherstellung von demokratischen Grundrechten und Menschenrechten in Nepal

Vom 15. Februar 2006


Deutscher Bundestag Drucksache 16/682
16. Wahlperiode 15. 02. 2006

Antrag
der Abgeordneten Harald Leibrecht, Jens Ackermann, Dr. Karl Addicks, Christian
Ahrendt, Rainer Brüderle, Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring,
Mechthild Dyckmans, Jörg van Essen, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth),
Dr. Edmund Peter Geisen, Hans-Michael Goldmann, Miriam Gruß, Joachim
Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan, Elke Hoff, Birgit Homburger,
Dr. Werner Hoyer, Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb,
Gudrun Kopp, Jürgen Koppelin, Heinz Lanfermann, Sibylle Laurischk, Sabine
Leutheusser-Schnarrenberger, Michael Link (Heilbronn), Horst Meierhofer, Patrick
Meinhardt, Jan Mücke, Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Hans-Joachim Otto
(Frankfurt), Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz, Jörg Rohde, Frank Schäffler,
Marina Schuster, Dr. Hermann Otto Solms, Dr. Max Stadler, Dr. Rainer Stinner,
Carl-Ludwig Thiele, Florian Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein,
Dr. Volker Wissing, Martin Zeil, Dr. Wolfgang Gerhardt und der Fraktion der FDP

Beendigung der Gewalt und Wiederherstellung von demokratischen
Grundrechten und Menschenrechten in Nepal

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die aktuelle Situation im Königreich Nepal bietet Anlass zu großer Sorge. Am
1. Februar 2005 entließ der nepalesische König Gyanendra Premierminister Sher
Bahadur Deuba und seine Regierung, entzog dem nepalesischen Parlament seine
Macht und übernahm selbst die Regierung. Als Begründung nannte er die angebli-
che Unfähigkeit Sher Bahadur Deubas, den Konflikt mit den maoistischen Rebel-
len unter Kontrolle zu bekommen.

Seit Gyanendras Machtübernahme verschlechterten sich jedoch der innenpolitische
Konflikt sowie die allgemeine politische und menschenrechtliche Situation in Ne-
pal erheblich. Im Mittelpunkt dieser nun bürgerkriegsähnlichen Zustände steht
zum einen der seit über zehn Jahren andauernde Konflikt zwischen der
nepalesischen Führung und den maoistischen Rebellen, die ein Ende der Monar-
chie in Nepal anstreben. Ein einseitiger Waffenstillstand seitens der Rebellen
wurde im Januar 2006 nach vier Monaten, in denen der König keine Gespräche mit
den Rebellen, die sich nun zu einer Mehrparteiendemokratie bekannten, aufnahm,

beendet. Der Konflikt zwischen den Rebellen und den Sicherheitskräften des
Königs hat bislang ca. 12 000 Menschenleben gekostet. Zum anderen eskaliert
auch der Konflikt zwischen dem König und den Oppositionsparteien und -poli-
tikern, die eine Demokratisierung des Landes fordern. Leidtragende der Konflikte
ist die Zivilbevölkerung, die zum einen unter den autoritären Maßnahmen des
Königs und dem gewaltsamen Vorgehen seiner Sicherheitskräfte, zum anderen
unter der Gewalt durch die bewaffneten maoistischen Rebellen leidet.

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Sowohl die Rebellen als auch die Sicherheitskräfte machen sich massiver Men-
schenrechtsverletzungen schuldig. Die Maoisten werden für Tötungen und Folter
von Angehörigen der Sicherheitskräfte und Zivilisten verantwortlich gemacht. Da-
rüber hinaus werden ihnen grausame und unmenschliche Strafmaßnahmen ein-
schließlich öffentlicher Exekutionen und die Vollstreckung der von den „Volksge-
richten“ verhängten Todesurteile vorgeworfen.

Zu den Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte der Regierung zählen
extralegale Hinrichtungen von Maoisten oder Zivilisten, die unter dem Verdacht
stehen, mit den Maoisten zu sympathisieren. Als Sympathisanten betrachtet die
Regierung dabei alle Zivilisten, die den Maoisten Unterkunft, Geld oder Nahrungs-
mittel zur Verfügung stellen. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass diese Unterstüt-
zung von den Maoisten häufig unter starkem Druck erpresst wird. Insgesamt ist die
Zahl der Opfer in der Zivilbevölkerung seit der Machtübernahme des Königs – mit
Ausnahme des viermonatigen Waffenstillstands – konstant hoch geblieben.

Der Konflikt zwischen dem König und den Oppositionsparteien war in den ver-
gangenen zwölf Monaten geprägt von einer dramatischen Erosion demokratischer
und rechtsstaatlicher Grundrechte. Nach Schätzungen von Human Rights Watch
sind seit der Machtübernahme des Königs über 3 000 Politiker, Journalisten und
Studenten – oft ohne Prozess – verhaftet worden. Rechtliche Grundlage dieser
Verhaftungen ist u. a. der so genannte Public Security Act (PSA), welcher in der
Zeit der absoluten Monarchie in den 1980er Jahren erlassen wurde und präventive
Festnahmen bis zu 90 Tagen rechtfertigt und die Möglichkeit beinhaltet, diese bis
auf ein Jahr auszuweiten.

Zu den massiven Einschnitten in den Grund- und Menschenrechten durch den
König und seine Regierung zählen Einschränkungen und teilweise Aufhebungen
der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit. Der König verhängte zahl-
reiche Demonstrationsverbote, so dass auch die Kundgebung der Koalition der
sieben größten nepalesischen Parteien am 1. Februar 2006 verhindert wurde. Das
Handynetz sowie die telefonischen Verbindungen ins Ausland wurden zeitweise
gezielt unterbrochen. Des Weiteren erließ der König ein Gesetz zur Unter-
drückung zivilgesellschaftlichen Engagements. Insbesondere im Vorfeld der
Kommunalwahlen am 8. Februar 2006, bei denen der königstreue Teil der Natio-
nal-Demokratischen Partei die meisten Sitze gewann, verschlechterte sich die
Situation drastisch. Hunderte von Kandidaten wurden getötet, an ihrer Teilnahme
gehindert oder zogen ihre Kandidatur aus Protest oder Angst zurück. Insgesamt
gab es für rund die Hälfte der kommunalen Mandate keine Kandidaten. Zahlreiche
Mandate wurden bereits vor dem Wahltag aufgrund fehlender konkurrierender
Kandidaten an einzelne Personen vergeben. Der Wahltag selbst war geprägt von
bewaffneten Auseinandersetzungen, Entführungen und niedriger Wahlbeteiligung.

Erschwert wird die Situation in Nepal durch weitere problematische Faktoren:
Mit dem Ziel der Untersuchung und Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen
wurde die Nationale Menschenrechtskommission (NHRC) gegründet. Eine be-
achtenswerte Reaktion, Anerkennung oder Einbeziehung ihrer seitens der Regie-
rung ist bisher jedoch ausgeblieben.

Im Bereich der Justiz gibt es nach wie vor starke Defizite. Die Unabhängigkeit der
Justiz ist zwar verfassungsrechtlich gesichert, jedoch wird nur der oberste Ge-
richtshof als weitgehend unabhängig beurteilt. Die Unabhängigkeit der unteren
Gerichte wird einerseits durch die Ernennung der Richter durch den König und
andererseits durch grassierende Korruption und politische Einflussnahme be-
schränkt. Das Anti-Terror-Gesetz TADA (Terrorist and Disruptive Activities Act)
stellt hierbei ein zentrales Problem dar, da es den Sicherheitskräften der Regie-
rung weitreichende Sonderbefugnisse einräumt. So wird vielen Gefangenen der
Zugang zu einem Anwalt verweigert bzw. es wurden Sondergerichte eingerichtet,

die jeglichen Anforderungen an ein faires und öffentliches Verfahren widerspre-
chen. Strafgefangene werden mitunter Jahre in Haft gehalten, bevor ein Gericht

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über ihren Fall entscheiden kann, gerichtliche Anordnungen werden von den Si-
cherheitskräften oft einfach ignoriert. Das Gesetz wurde ursprünglich für zwei
Jahre erlassen, im April 2004 jedoch durch den König zeitlich verlängert.

Auch die wirtschaftliche Entwicklung in Nepal leidet unter dieser Situation. Die
Hauptzweige der nepalesischen Wirtschaft, insbesondere der Tourismus, sind
schwer beschädigt. Nepal ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt mit
einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von ca. 250 US-Dollar. Der öffentliche
Haushalt des Landes speist sich zu einem Großteil aus finanziellen Hilfen aus
dem Ausland. Deutschland ist dabei einer der größten bilateralen Geber und gab
2004 ingesamt 56,71 Mio. Euro.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

● gemeinsam mit den EU-Partnern die beiden Konfliktparteien zur Wiederauf-
nahme der Friedensgespräche und zur Beendigung der gegenseitigen Gewalt-
tätigkeiten und Menschenrechtsverletzungen aufzurufen;

● König Gyanendra darauf zu drängen, dem Parlament seine politischen Rechte
und Pflichten zurückzugeben;

● die Fortzahlung der deutschen Budgethilfe an Nepal daran zu knüpfen, dass die
vom König bis Mitte April 2007 angesetzten Parlamentswahlen tatsächlich bis
zu diesem Zeitpunkt spätestens durchgeführt werden und international aner-
kannten Standards von freien und fairen Wahlen entsprechen;

● grundsätzlich die Zahlung von deutscher Entwicklungshilfe an Nepal an die
Erfüllung von Kriterien der „good governance“ und des Menschenrechtsschut-
zes zu knüpfen;

● sich dafür einzusetzen, dass wieder solche Rahmenbedingungen herrschen, die
es internationalen Hilfsorganisationen und Entwicklungsprogrammen ermög-
lichen, ihre Arbeit in Nepal wieder aufzunehmen bzw. fortzusetzen;

● sich bei der nepalesischen Führung für die umgehende Aussetzung des Anti-
Terror-Gesetzes TADA und des Public Security Act einzusetzen;

● die nepalesische Regierung aufzufordern, die Mitglieder ihrer Armee, der
Polizei sowie Sicherheitskräfte umfassend über die Bestimmungen des humani-
tären Völkerrechts und über die menschenrechtlichen Mindeststandards aufzu-
klären und Kontrollmechanismen zu deren Einhaltung einzurichten;

● die nepalesische Regierung nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass das
humanitäre Völkerrecht in Form der Genfer Konventionen insbesondere nach
deren gemeinsamem Artikel 3 auch in internen bewaffneten Konflikten gilt und
die nepalesische Regierung aufzufordern, der daraus folgenden Verpflichtung
zur Einhaltung und Implementierung des humanitären Völkerrechts und zur
Verfolgung und Bestrafung von Verletzungen Folge zu leisten;

● die nepalesische Regierung eindringlich an ihre internationalen und menschen-
rechtlichen Verpflichtungen insbesondere aus den von Nepal unterzeichneten
und ratifizierten VN-Menschenrechtspakten, dem Abkommen über die Beseiti-
gung jeder Form der Diskriminierung der Frau, dem Abkommen über die
Rechte des Kindes, dem Abkommen über die Beseitigung jeder Form der Ras-
sendiskriminierung und der VN-Folterkonvention zu erinnern und die Einhal-
tung dieser Verpflichtungen einzufordern.

Berlin, den 14. Februar 2006

Dr. Wolfgang Gerhardt und Fraktion

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