BT-Drucksache 16/6819

Haltung des Bundesministeriums für Verteidigung im Zusammenhang mit den Urteilen des Verwaltungsgerichts Potsdam gegen eine Inbetriebnahme des Bombodroms in der Kyritz-Ruppiner Heide (Luft-Boden-Schießplatz)

Vom 24. Oktober 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6819
16. Wahlperiode 24. 10. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann, Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche,
Dr. Lothar Bisky, Dr. Dagmar Enkelmann, Wolfgang Gehrcke, Diana Golze, Lutz
Heilmann, Inge Höger, Wolfgang Neskovic und der Fraktion DIE LINKE.

Haltung des Bundesministeriums der Verteidigung im Zusammenhang mit den
Urteilen des Verwaltungsgerichts Potsdam gegen eine Inbetriebnahme des
Bombodroms in der Kyritz-Ruppiner Heide (Luft-Boden-Schießplatz)

Seit über 15 Jahren engagieren sich Bürgerinnen und Bürger sowie Kommunal-
und Landespolitikerinnen und -politiker in und um die Kyritz-Ruppiner Heide
gegen die Wiederaufnahme der militärischen Nutzung des dortigen Luft-Bo-
den-Schießplatzes durch die Bundeswehr. Die Region gehört zu den struktur-
schwachen Gebieten Deutschlands. Die Landwirtschaft und das produzierende
Gewerbe verbuchen seit Jahren rückläufige Beschäftigtenzahlen. Das verarbei-
tende Gewerbe ist nur punktuell entwickelt. Ein militärischer Betrieb würde
nicht nur durch Lärm und Verschmutzung die Lebensbedingungen der Men-
schen dort beeinträchtigen sondern auch für die zahlreichen unternehmerischen
Initiativen, die seit vielen Jahren diese strukturschwache Region in Mecklen-
burg und Brandenburg mit neuen Nutzungskonzepten, zum Beispiel biologi-
scher Landwirtschaft und naturnahem, Tourismus ökonomisch beleben, einen
Rückschlag bedeuten. Diese Gefahr sieht auch ein Gutachten des Bundesamtes
für Bauwesen und Raumordnung Bonn aus dem Jahr 2006: „Ein erhebliches
Risiko für die touristische Entwicklung des Ruppiner Landes und der Mecklen-
burgischen Seenplatte sehen regionale Akteure, aber auch die Gutachter, in
dem geplanten Luft- und Bodenschießplatz Wittstock in der Kyritzer Ruppiner
Heide („Bombodrom“). Der Schießplatz liegt in unmittelbarer Nachbarschaft
zu den hochattraktiven und touristisch bedeutenden Räumen rund um Rheins-
berg sowie der Mecklenburgischen Kleinseenplatte. Er würde nicht nur die
Ruhe der Einwohner empfindlich stören. Er gefährdet auch eine wesentliche
Beschäftigungsquelle – den Tourismus.“ (Quelle: Platz u. a.: Beschäftigungs-
potenziale des Tourismus in den ländlichen Regionen der neuen Bundesländer,
BBR-Online-Publikation, Nr. 1/2006, Kurzfassung, S. 14, Anlage 1.)

Trotz einer langen Reihe von juristischen Niederlagen, zuletzt in drei Muster-
verfahren gegen eine Nutzungsanordnung durch den Verteidigungsminister, die
am 31. Juli 2007 vom Brandenburger Verwaltungsgericht verworfen wurde,
und dem Fehlen neuer Argumente für ein Berufungsverfahren (siehe Antwort

der Bundesregierung zu den Fragen 55 und 56 der Abgeordneten Kirsten Tack-
mann auf Bundestagsdrucksache 16/6701) hält das Bundesverteidigungsminis-
terium (BMVg) weiter an den Plänen zur Nutzung des Bombodroms bei Witt-
stock fest. Das BMVg macht dafür die Notwendigkeit der Vorbereitung der
deutschen Luftwaffe und Luftstreitkräfte anderer NATO-Staaten auf Interven-
tionseinsätze geltend und argumentiert, dass die Entwicklungsbedingungen für
die Region Müritz/Ruppin nicht über Gebühr belastet werden würden. Das

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BMVg setzt damit weiter Steuermittel in Gerichtsverfahren mit dem Ziel ein,
die Bombodromnutzung gegen den Mehrheitswillen der betroffenen Bevölke-
rung juristisch zu erzwingen. Das BMVg hat darüber hinaus mit Verweis auf
die (von ihr selbst betriebene) Fortsetzung der juristischen Auseinandersetzung
dringend notwendige Konversionsmaßnahmen unterbrochen, gefährdet Ent-
wicklungspotenziale der Region durch Aufrechterhaltung eines Zustands der
Rechtsunsicherheit, versucht die Menschen der Regionen um das Bombodrom
einschließlich seiner Ein- und Ausflugschneisen sowie der anderen Luft-Bo-
den-Schießplätze gegeneinander auszuspielen und ignoriert den zigtausend-
fach immer wieder artikulierten demokratischen Mehrheitswillen der Bürgerin-
nen und Bürger in der Region sowie die wiederholten Entscheidungen der
Landesparlamente und Landesregierungen von Mecklenburg-Vorpommern,
Brandenburg und Berlin.

Wir fragen die Bundesregierung:

I. Bereich Haushalt

1. Welche direkten und indirekten Kosten sind zwischen 1997 und 2007 für
den Bundeshaushalt für den Luft-Boden-TÜP Wittstock/Kyritz-Ruppiner
Heide angefallen (bitte nach Jahren aufgeschlüsselt), insbesondere für

a) Gesamtkosten aus allen Ausgaben,

b) Personalausgaben für innerhalb des Standorts tätige bzw. beschäftigte
Bundeswehrangehörige und Zivilbeschäftigte (bitte aufgeschlüsselt nach
den einzelnen Dienstarten bzw. Beschäftigtengruppen und nach Bezügen,
Entgelten und Nebenleistungen),

c) sächliche Verwaltungsausgaben (bitte aufgeschlüsselt nach den Titeln der
Ausgabengruppe 5),

d) Zuweisungen und Zuschüsse (ohne Investitionen – bitte aufgeschlüsselt
nach den Titeln der Ausgabengruppe 6),

e) Investitionen (bitte aufgeschlüsselt nach den Titeln der Ausgabengrup-
pen 7 und 8),

f) die Sicherung des Geländes inkl. Sicherheitsdienst,

g) die Feuerwehr,

h) die Beseitigung von Umweltschäden,

i) Konversionsmaßnahmen (z. B. Munitionsberäumung; bitte aufgeschlüs-
selt nach einzelnen Maßnahmen)?

2. Welche Erträge erzielte der Bundeshaushalt im gleichen Zeitraum durch die
nicht-militärische Nutzung des Geländes insgesamt und insbesondere

a) aus Holzeinschlag,

b) aus Jagd (z. B. Treib-, Drück- und Trophäenjagd),

c) aus Vermietung und Verpachtung (z. B. an Jäger, Landwirte oder Schäfer),

d) aus Imkerei,

e) aus dem Verkauf von Pflastersteinen aus dem Abriss von alten, historisch
wertvollen Ortsverbindungsstraßen,

f) aus sonstigen, bisher nicht genannten Bereichen (bitte benennen)?

II. Bereich Naturschutz

3. Wie werden bei der aktuellen Bewirtschaftung des Geländes die Belange des

Naturschutzes beachtet und welche naturschutzrelevanten Veränderungen
des Geländes sind während der nicht-militärischen Nutzung nachweisbar?

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4. Welche Gebiete des europäischen Netzes NATURA 2000 sind im Nutzungs-
bereich des Bombodroms (Luft-Boden-Schießplatz selbst sowie seiner Ein-
und Ausflugschneisen) bislang in welcher Form unter Schutz gestellt?

5. Welcher jeweilige Schutzzweck und welches jeweilige Erhaltungsziel sind
benannt?

6. Für welche dieser Gebiete wurden bislang Erhaltungsmaßnahmen im
Sinne des Artikels 6 FFH-Richtlinie festgelegt und welche sind bislang
umgesetzt oder begonnen worden?

7. Wird in diesen Gebieten der Zustand der schützenswerten Naturbestand-
teile durch ein Monitoring erfasst?

Wenn nein, warum nicht, und plant die Bundesregierung, ein solches Mo-
nitoring aufzunehmen?

Wenn ja, sind die Ergebnisse öffentlich zugänglich?

Wenn ja, wo, wenn nein, warum nicht?

8. Welche Treibstoffe verwenden die Flugzeuge der Bundeswehr und der
NATO, die das Bombodrom nutzen sollen, und welche Kenntnisse haben
die Bundesregierung bzw. die Bundeswehr über Untersuchungen, Gutach-
ten oder Studien zur Schädlichkeit dieser verwendeten Treibstoffe (z. B.
Umweltgefährdung, toxische Wirkungen usw.)?

9. Welche Schadstoffe enthalten die Abgase, und welche Untersuchungen,
Gutachten oder Studien sind dem BmVg bekannt, die die Umweltschäd-
lichkeit und Toxizität dieser Schadstoffe untersucht haben?

10. Gibt es eine Risikobewertung hinsichtlich der toxischen und umweltrele-
vanten Wirkungen dieser Treibstoffe, bzw. wer würde gegebenenfalls dafür
zuständig sein?

11. Sind im Zusammenhang mit der Nutzung des Bombodroms auch Betan-
kungen aus der Luft über den Regionen rund um das Bombodrom sowie
seiner Ein- und Ausflugschneisen vorgesehen oder denkbar?

12. Welche Auswirkungen hätte nach Auffassung der Bundesregierung der
Übungsbetrieb in der Kyritz-Ruppiner Heide auf staatlich anerkannte
(Luft-)Kurorte, und unter welchen Bedingungen könnten diese Auswir-
kungen dazu führen, dass den (Luft-)Kurorten ihr Status aberkannt werden
könnte?

13. Welche Schadstoffe sind in der Manöver- und Übungsmunition enthalten,
und in welcher Konzentration?

Welche Kenntnisse liegen der Bundesregierung zu Umweltschädlichkeit
und Toxizität (Freisetzung von Schadstoffen und deren Aufnahme in den
Boden, durch die Vegetation, die Fauna und im Grundwasser) im Zusam-
menhang mit der Verwendung dieser Munition vor?

14. Aufgrund welcher Untersuchungen, Gutachten oder Studien gelangt die
Bundesregierung zu der in ihrer Antwort zu den Fragen 6 und 9 der Kleinen
Anfrage „Bedeutung der Tourismuswirtschaft für die künftige Nutzung der
Kyritz-Ruppiner Heide“ (Bundestagsdrucksache 16/5193, S. 5f.) getroffenen
Aussage, dass die Anwesenheit der Bundeswehr in Wittstock und der militä-
rische Betrieb des Truppenübungsplatzes ein Vorteil für die Region darstellt
und die touristischen Entwicklungschancen nicht beeinträchtigt?

In welchem Kontext steht diese Aussage mit der Beurteilung dieses Sach-
verhalts im Gutachten des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung?

15. Wie bringt das BMVg die Zahl der geplanten Übungsflüge mit der Tatsache
in Einklang, dass das Bombodrom in einem Flugbeschränkungsgebiet liegt?

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III. Bereich Militärtechnik

16. Hält das Verteidigungsministerium nach wie vor daran fest, den Truppen-
übungsplatz neben der fliegerischen Nutzung auch für die Ausbildung von
Bodentruppen an 80 bis 100 Tagen im Jahr zu nutzen?

Wenn ja, werden auch Verbände aus anderen NATO-Staaten dort üben, und
welche Flugabwehrraketensysteme sollen in diesem Fall verwendet werden?

17. Welche Untersuchungen und Gutachten zu welchen Umweltaspekten wur-
den bisher in Auftrag gegeben, um die möglichen Umweltbelastungen (vor
allem Lärm- und Bodenbelastung) durch die Errichtung der Standort-
schießanlage und des Standortübungsplatzes zu prüfen?

18. Mit welchen Kosten ist für den Aufbau und den Betrieb der Standort-
schießanlage und des Standortübungsplatz zu rechnen?

IV. Bereich politische Institutionen sowie Akteurinnen und Akteure

19. Wie bewertet die Bundesregierung das presseöffentlich geäußerte Bedauern
von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier zur Entscheidung des
Bundesverteidigungsministers, die eindeutig verlorenen Gerichtsverfahren
vor dem Brandenburger Verwaltungsgericht dennoch weiterzuführen, und wie
bewertet die Bundesregierung die öffentliche Reaktion auf die angekündigte
Berufung (Märkische Allgemeine Zeitung, Regionalteil Landkreis Ostprig-
nitz-Ruppin, 29. August 2007; DER TAGESSPIEGEL, 25. August 2007)?

20. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundeswehr aus den Äußerungen des
Bundeswehrverbandes, dass das Bombodrom für die Ausbildung der Piloten
nicht erforderlich ist (NDR, 2. August 2007, TAZ, 2. August 2007, SPIEGEL
ONLINE, 3. August 2007, Hamburger Abendblatt, 3. August 2007)?

21. Wie viele Übungseinsätze wurden seit 2003 auf den Luft-Boden-Schieß-
plätzen Nordhorn und Siegenburg geflogen (bitte jeweils aufgeschlüsselt
nach Jahren und getrennt nach Bundeswehr und anderen Streitkräften)?

22. Wie viele Einsätze der Bundeswehr wurden im Rahmen des Luft-Boden-
Schießbetriebs seit 2003 über See oder im Ausland geflogen (bitte jeweils
aufgeschlüsselt nach Jahren)?

23. Auf welcher Berechnungsgrundlage kommt die Bundesregierung zu dem
Schluss, dass die aktuell verfügbaren Kapazitäten für den Luft-Boden-
Schießbetrieb um die für das Bombodrom vorgesehenen 1 700 Einsätze er-
höht werden müssen?

Welche konkreten Sicherheitseinschränkungen sind durch die bisherige
Nichtverfügbarkeit über das Bombodrom in der Kyritz-Ruppiner Heide
nachweisbar?

24. Treffen die Pressemeldungen zu, wonach das Bundesverteidigungsministe-
rium unmittelbar nach den drei Urteilen des Potsdamer Verwaltungsgerichts
gegen eine sofortige Inbetriebnahme des Bombodroms eine im Vergleich zu
den vergangenen Jahren deutlich verstärkte Nutzung des Truppenübungsplat-
zes Siegenburg angekündigt hat (Donaukurier, 7. September 2007)?

Wenn ja, womit wird die aktuelle Notwendigkeit dieser verstärkten Nut-
zung begründet?

In welchem Zusammenhang steht ggf. diese verstärkte Nutzung mit der
Ankündigung des BMVg unmittelbar vor dem Gerichtsentscheid in Pots-
dam, die Belastung in Siegenburg und Nordhorn bei Inbetriebnahme des
Bombodroms bei Wittstock weiter zu reduzieren?

Berlin, den 22. Oktober 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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