BT-Drucksache 16/6791

Ökoeffiziente Beschaffung auf Bundesebene durchsetzen

Vom 24. Oktober 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6791
16. Wahlperiode 24. 10. 2007

Antrag
der Abgeordneten Kerstin Andreae, Dr. Thea Dückert, Margareta Wolf (Frankfurt),
Christine Scheel, Cornelia Behm, Birgitt Bender, Alexander Bonde, Hans-Josef
Fell, Sylvia Kotting-Uhl, Markus Kurth, Dr. Gerhard Schick und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Ökoeffiziente Beschaffung auf Bundesebene durchsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stell fest:

Die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, die sich anbahnende Res-
sourcenverknappung und der voranschreitende Klimawandel machen die dras-
tische Senkung des Verbrauchs von Material und Energie zu einer wirtschafts-
und umweltpolitischen Notwendigkeit. Ökologische Beschaffung kann einen
wichtigen Beitrag dazu leisten.

Jedes Jahr gibt die öffentliche Hand in der Bundesrepublik Deutschland etwa
300 Mrd. Euro für Bauleistungen, Fahrzeuge, Energie, Kantinenverpflegung
usw. aus. 20 Prozent dieses Nachfragevolumens entfallen auf den Bund. Immer
mehr Verbraucherinnen und Verbraucher achten beim Einkauf auf ökologische
Kriterien. Sie erwarten, dass sich auch der Staat ökologisch verantwortungs-
bewusst verhält, und dass er entsprechende Anreize am Markt setzt.

Das Leitbild des nachhaltigen Konsums, der neben wirtschaftlichen Kriterien
die ökologischen und sozialen Aspekte in den Vordergrund rückt, ist ein
wesentlicher Teil der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie. In der neuen europäi-
schen Strategie für nachhaltige Entwicklung ist nachhaltiges Produktions- und
Konsumverhalten als eines der sieben Schlüsselthemen identifiziert und mit
entsprechende Zielen und Maßnahmen versehen.

Eine Veränderung der öffentlichen Beschaffung kann einen wesentlichen Bei-
trag für die Verwirklichung von Umwelt- und Klimaschutzzielen leisten. So
würde der Wechsel aller öffentlichen Stellen Europas zu umweltfreundlichem
Strom den CO2-Ausstoß um 60 Mio. Tonnen reduzieren. Das entspricht 18 Pro-
zent der Verpflichtungen im Rahmen des Kyoto-Protokolls.

Notwendig ist es, dass der Bund sich konkrete Ziele für die Reduzierung der
Umweltbeeinträchtigungen und die Förderung von ökologischen Alternativen
durch die öffentliche Beschaffung setzt.
Inzwischen bestehen rechtliche Voraussetzungen dafür, dass ökologische Krite-
rien – sowohl bei der Produktion eines Gutes wie auch während seiner Nutzung
und Entsorgung – zum Kriterium der Ausschreibung gemacht werden können.
Notwendig ist es, dass Bund und Länder breit über die Möglichkeiten zur Be-
rücksichtigung ökologischer Kriterien informieren und die Kommunen bei der
nachhaltigen Beschaffung aktiv unterstützen.

Drucksache 16/6791 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode

Die Europäische Kommission hat die Mitgliedstaaten 2005 in ihrer Lissa-
bonstrategie aufgefordert, die öffentliche Vergabe zur Förderung von Innova-
tionen zu nutzen. Die Nachfragemacht der öffentlichen Hand muss systema-
tisch für ökologische Innovationen genutzt werden.

Die Bundesregierung hat zwar einige Elemente für ökologische Beschaffung
auf den Weg gebracht, aber eine integrierte Nachfragestrategie zur Förderung
ökologischer Innovationen fehlt bislang ebenso, wie eine Strategie der umfas-
senden Förderung der Entwicklung und Markteinführung ökologischer Inno-
vationen durch die Beschaffung. Mit Beantwortung der Kleinen Anfrage zur
Ökologischen Beschaffung (Bundestagsdrucksache 16/6371) und zur Nachhal-
tigen Beschaffung von Papier bei der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache
16/2021) wird deutlich, wie oberflächlich und unkoordiniert das Ziel umgesetzt
wird, Güter und Dienstleistungen auf Bundesebene nach ökologischen Krite-
rien zu beschaffen. Die Bundesregierung führt aus, dass in manchen Ministe-
rien über „Möglichkeiten umweltfreundlicher Beschaffung informiert wird“,
dass „Informationsveranstaltungen in Zusammenarbeit mit dem Umweltbun-
desamt vorgesehen“ sind, dass „Leitfäden, Leitlinien und Erlasse in unter-
schiedlichem Ausmaße bestehen“, dass „Hinweise zur Berücksichtigung von
Umweltaspekten bei der Beschaffung“ in manchen Ministerien bestehen und
dass Kantinen in ihren Ausschreibungen saisongebundenen Einkauf „verein-
baren können“.

Bisher behindern vielfältige Hemmnisse, besonders aber der mangelnde Wille
zur Vereinbarung umfassender Regeln und Ziele, die Durchsetzung einer effek-
tiven ökologischen Beschaffung beim Bund. Es fehlt an Kompetenz zur öko-
effizienten Beschaffung und an effizientem Management zur Nutzung der inno-
vativen Potenziale. Die Vergabestellen sind zersplittert und das Know-how
wird nicht gebündelt. Die Bundesregierung muss die ökologische Beschaffung
aktiv fördern und vorantreiben und kann es nicht einzelnen Einkäufern und
Einkäuferinnen überlassen, ob sie ökologische Kriterien anwenden oder nicht.

Zumeist werden lediglich Einkaufspreise verglichen, nicht aber die Kosten, die
ein Produkt während seiner Lebensdauer verursacht. Durch die systematische
Betrachtung der Kosten, die ein Produkt von der Anschaffung über die Nutzung
zu seiner Entsorgung verursacht, können deutliche Einsparungen realisiert und
die Umwelt geschont werden. Die Trennung von Kapital- und Betriebskosten
in den öffentlichen Budgets und die strikte Jährlichkeit der öffentlichen Bud-
gets erschweren eine solche ganzheitliche Betrachtung der Kosten. Der Erfolg
von Einkäufern und Einkäuferinnen wird häufig an ihrer Fähigkeit, Preise zu
drücken, bemessen. Die Einführung von Produkthaushalten und der doppelten
Buchführung in der öffentlichen Verwaltung würde dagegen die ganzheitliche
Betrachtung der Kosten erheblich erleichtern.

Durch die Zusammenfassung der Beschaffung von Gütern verschiedener Be-
schaffungsstellen kann die Nachfrage nach innovativen Produkten deutlich er-
leichtert werden. Dabei geht es darum, für standardisierbare Produkte Rahmen-
verträge abzuschließen, auf die einzelne Vergabestellen bei Bedarf zurück
greifen können. Sinnvoll erscheint auch die Ankündigung der Bundesregie-
rung, ökologische Beschaffung für Standardprodukte im Rahmen des „Kauf-
hauses des Bundes“ breit zu fördern. Im Einzelfall kann dann abgewogen wer-
den, ob die zentrale oder die dezentrale Beschaffung zur Förderung regionaler
Wirtschaftskreisläufe sinnvoller ist.

Unternehmen, die innovative ökoeffiziente Produkte verkaufen, haben zu Be-
ginn der Vermarktung häufig mit hohen Kosten zu kämpfen, wenn die Stück-
zahlen der Produktion noch nicht so groß sind, dass Mengeneffekte realisiert
werden können. Die öffentliche Beschaffung kann mit ihrer großen Markt-

macht wichtige Impulse geben, damit ökologische Innovationen sich am Markt
durchsetzen können. Zur Entwicklung von ökologischen Innovationen im Be-

Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode – 3 – Drucksache 16/6791

schaffungsprozess müssen die Anbieter und Anbieterinnen die Bedürfnisse und
Gegebenheiten der nachfragenden Stellen genau kennen und mit den Bietern
und Bieterinnen in einen Austausch über technische Möglichkeiten eintreten.
Dadurch können zielgerichtet ökoeffiziente Innovationen entwickelt werden.
Das Verfahren der dynamischen Beschaffung erleichtert diesen Kommunika-
tionsprozess und stellt ihn auf eine transparente Grundlage.

Durch die Liberalisierung des Strommarktes kann jeder Stromkunde sich sei-
nen Stromversorger selbst auswählen. Eine konsequente ökologische Beschaf-
fung bedeutet auch bei der Stromversorgung auf ökologische Angebote zurück-
zugreifen. Die Bundesregierung kann beim Umstieg auf Ökostrom zeigen, dass
sie weiter konsequent am Atomausstieg festhält und gewillt ist, eine Vorreiter-
rolle in der ökologischen Beschaffung einzunehmen. Dafür sollten alle Einrich-
tungen des Bundes auf Ökostrom wechseln.

Bei den Informations- und Kommunikationstechnologien steigt der Stromver-
brauch massiv an. Der Bund sollte energiesparende Rechentechnik anschaffen.
Dazu gehören Rechner, die z. B. im Ruhezustand keinen Strom verbrauchen.
Übergangsweise sollten Doppelstecker, über die der Rechner von der Stromver-
sorgung getrennt werden kann, genutzt werden.

Auch den Papierverbrauch gilt es zu minimieren. In der Antwort der Bundes-
regierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Bundestagsdrucksache 16/6021) wird deutlich, das es bisher keine Übersicht
über die Beschaffung, den Verbrauch bzw. den Anteil von Recyclingpapier
gibt. Einzelne Ministerien sind noch nicht einmal in der Lage, grundsätzlich
Angaben zur Beschaffungsmenge zu geben.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

– gemäß EU-Beschluss einen Nationalen Aktionsplan zur umweltfreundlichen
Beschaffung zu entwickeln, mit dem die Potenziale ökologisch effizienter
Beschaffung genutzt werden können;

– dem Bundestag eine für alle Ministerien und nachgeordneten Verwaltungs-
einheiten verbindliche Richtlinie zur Beschlussfassung vorzulegen, welche
die öffentliche Beschaffung auf ökologische Nachhaltigkeitskriterien fest-
legt und eine stärkere Berücksichtigung der Lebenszykluskosten von Pro-
dukten vorschreibt;

– eine Beratungseinheit zur ökoeffizienten Beschaffung aufzubauen und zu
prüfen, ob zusätzliche Beratungskapazitäten notwendig sind, um einen öko-
logisch effiziente Beschaffung durchzusetzen;

– die Einführung von Produkthaushalten und der doppelten Buchführung
voran zu treiben, denn diese erlauben es leichter, die Kosten, die ein Produkt
über seinen Lebenszyklus verursacht, zu erfassen;

– ein Konzept zur Förderung ökologischer Innovationen vorzulegen;

– konkrete Ziele zur Reduzierung der aus öffentlicher Beschaffung entstehen-
den Umweltbelastungen für jedes Ressort festzulegen;

– in Ministerien, Bundesbehörden und seitens des Bundes finanzierten For-
schungsinstituten zukünftig Strom vollständig aus erneuerbaren Energien zu
beziehen;

– als Alleineigentümerin der Deutschen Bahn AG im Aufsichtsrat darauf zu
drängen, dass die Deutsche Bahn AG sich verpflichtet, den Anteil erneuer-
barer Energien, sowohl beim Strom als auch bei Kraftstoffen jährlich deut-
lich zu steigern mit dem Ziel einer 100-Prozent-Quote;

Drucksache 16/6791 – 4 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
– bei Neuanschaffungen von die Dienstwagen der Ministerien und Bundesbe-
hörden im Mittel einen Wert von 140 g CO2/km ab 2008 und von 120 g CO2/
km ab 2012 einzuhalten. Die gleichen Vorgaben sind für Fahrzeuge von
externen Dienstleistern einzuhalten;

– dem Bundestag jährlich einen Fortschrittsbericht über die Umsetzung des
Ziels vorzulegen, die öffentliche Beschaffung auf ökologische Nachhaltig-
keitskriterien festzulegen;

– bei der Berechnung wirtschaftlicher Amortisationszeiten von Erneuerbaren
Energien sowie Effizienztechnologien die bevorstehende Erdölverknappung
und die damit zu erwartenden Preissprünge beim Erdöl und Erdgas zu be-
rücksichtigen;

– Bundesliegenschaften nach ökologischen Gesichtspunkten anzumieten und
mindestens die energetische Qualität eines Gebäudes zum Auswahlkriterium
zu machen;

– beim Neubau von Bundesbauten einen hohen ökologischen Standard anzule-
gen und die Baumaterialien nach dem Kriterium der Nachhaltigkeit, des
Ressourcen- und Energieverbrauchs und der Recyclebarkeit auszuwählen
und verstärkt Holz einzusetzen;

– die Holzbeschaffungsrichtlinie des Bundes weiter ökologisch zu qualifizie-
ren und nur Holz zu kaufen, dass das FSC-Label trägt oder die Ansprüche
dieses Labels erfüllt;

– den Verbrauch an Papier systematisch zu erfassen, Einsparpotenziale zu he-
ben und den Anteil von Recyclingpapier zu erhöhen;

– Grundsätzlich biobasierte Produkte wie z. B. Biokunststoffe, Bioschmier-
stoffe oder Dämmstoffe, die auf der Basis von nachwachsenden Rohstoffen
hergestellt werden, bei der Beschaffung den konventionellen Produkten auf
der Basis von Erdöl vorzuziehen;

– im Bereich der Gebäudereinigung umweltverträgliche und biobasierte Rei-
nigungsmittel einzusetzen bzw. von beauftragten Unternehmen den Einsatz
solcher zu verlangen;

– sich bei der Beschaffung technischer Geräte am höchsten Energieeffizienz-
standard zu orientieren;

– in den bundeseigenen Rechenzentren Optimierungspotenziale zu erfassen
und schrittweise umzusetzen.

Berlin, den 24. Oktober 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.