BT-Drucksache 16/6660

zu der zweiten Beratung des Antrags der Bundesregierung -16/6460, 16/6112- Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen

Vom 10. Oktober 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6660
16. Wahlperiode 10. 10. 2007

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Monika Knoche, Hüseyin-Kenan Aydin,
Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Heike Hänsel, Inge Höger, Dr. Hakki Keskin,
Michael Leutert, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Norman Paech, Alexander Ulrich,
Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und der Fraktion DIE LINKE.

zu der zweiten Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 16/6460, 16/6612 –

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz
der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International
Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der
Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002,
1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003,
1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. September 2005,
1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1776 (2007) vom 19. September 2007
des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Der Versuch, mit militärischer Gewalt den Terrorismus in Afghanistan zu
besiegen und das Land zu stabilisieren, ist gescheitert. Insbesondere in den
letzen zwei Jahren hat sich die Sicherheitslage dramatisch verschlechtert.
Die Zahl der Selbstmordanschläge, Attentate und militärischen Angriffe
durch Taliban und andere bewaffnete Gruppen steigt. Die von den USA,
aber auch der militärischen Führung der NATO, verfolgte Strategie der radi-
kalen „Ausmerzung“ aller terroristischen Gruppen – unter Inkaufnahme vie-
ler Opfer in der Zivilbevölkerung – hat dazu geführt, dass die auswärtigen
Truppen mehr und mehr als Besatzung empfunden werden.

2. Die immer engere Verflechtung des Krieges gegen den Terror, geführt von
einer Koalition der Freiwilligen und ohne völkerrechtliche Grundlage, und
des UN-mandatierten Truppeneinsatzes unter ISAF hat die völkerrechtliche

Grundlage des Militäreinsatzes insgesamt untergraben und den Widerstand
in Teilen der afghanischen Bevölkerung gegen die ausländischen Truppen
verstärkt. Im Zuge dessen wurde die enge Verbindung zwischen ISAF und
OEF-Antiterroreinsatz erheblich verstärkt. ISAF hat teilweise die Rolle und
Vorgehensweise der OEF übernommen; ISAF mutiert so von der ursprüng-
lich vorgesehenen Schutztruppe gerade im Süden und Osten des Landes im-
mer mehr zur Kampftruppe.

Drucksache 16/6660 – 2 – Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode
3. Die NATO ist nicht in der Lage, eine stabilisierende und konstruktive Rolle
beim demokratischen Wiederaufbau Afghanistans zu leisten. Das Militär-
bündnis ist durch die massiven Menschenrechts- und Völkerrechtsverlet-
zungen seiner Mitgliedstaaten im globalen Anti-Terrorkrieg diskreditiert. In
Afghanistan setzt die NATO auf militärische Eskalation und es geht ihr im-
mer deutlicher vor allem um die eigene Glaubwürdigkeit als global hand-
lungsfähiges Militärbündnis und nicht um das Schicksal Afghanistans und
seiner Menschen.

4. Deutschland unterstützt durch die fortgesetzte Beteiligung an der aus dem
Ruder laufenden ISAF-Mission die militärische Eskalationsstrategie der
NATO, die zunehmend auch zu einer Verschlechterung der Sicherheitslage
im relativ ruhigen Norden Afghanistans führt. Bereits in der Vergangenheit
hat die Bundesregierung jeden Eskalationsschritt der NATO mitgetragen,
von der geographischen Ausweitung des ISAF-Mandats seit 2003 bis hin zur
Verlegung von Recce-Tornados zum Auftakt der NATO-Frühjahrsoffensive.
Gerade die Entsendung der Flugzeuge bedeutet eine neue Qualität der deut-
schen Beteiligung an den Kämpfen in Afghanistan. Die Tornado-Kampf-
flugzeuge werden nicht zuletzt über den heftig umkämpften Gebieten in
Süd- und Ostafghanistan eingesetzt. Von einer mittelbaren Beteiligung der
Bundeswehr an Bombenangriffen mit Todesfolgen ist daher auszugehen.
Die Bundesrepublik Deutschland muss jetzt deutlich machen, dass sie ihren
Anteil an diesen Militäreinsätzen unverzüglich beenden wird. Damit würde
zugleich ein klares politisches Signal an die anderen Staaten gesandt wer-
den, dass auch sie endlich die richtigen Konsequenzen aus der gescheiterten
militärischen Strategie ziehen.

5. Der Wiederaufbau Afghanistans wird nicht gelingen solange die anderen
NATO-Staaten und Deutschland daran festhalten, Stabilität vor allem mit
militärischen Mitteln zu erreichen. Um der afghanischen Bevölkerung tat-
sächlich eine Friedens- und Entwicklungsperspektive zu verschaffen, ist ein
Strategiewechsel dringend notwendig. Es geht um den Auf- und Ausbau
einer zivilen Infrastruktur genauso wie darum, die Teilhabe aller Menschen
in Afghanistan an politischen Entscheidungen zu ermöglichen und die staat-
liche Souveränität und das Selbstbestimmungsrecht der Afghanen zu ge-
währleisten. Diese Art der Unterstützung und Investitionen kann nur von
zivilen Institutionen und Personen geleistet werden – nicht von Streitkräften.
Die proklamierten Ziele „Wiederaufbau“, „Demokratisierung“ und „Sicher-
heit“ sind durch eine enge Verzahnung von Militär und ziviler Hilfe nicht zu
erreichen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

das ISAF-Mandat nicht zu verlängern und unverzüglich mit dem Abzug der
deutschen Soldaten aus Afghanistan zu beginnen.

Berlin, den 9. Oktober 2007

Dr. Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Fraktion

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