BT-Drucksache 16/6606

Beitragsfreie Entgeltumwandlung - Erst prüfen, dann entscheiden

Vom 10. Oktober 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6606
16. Wahlperiode 10. 10. 2007

Antrag
der Abgeordneten Irmingard Schewe-Gerigk, Birgitt Bender, Britta Haßelmann,
Markus Kurth, Dr. Thea Dückert, Dr. Gerhard Schick und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Beitragsfreie Entgeltumwandlung – Erst prüfen, dann entscheiden

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Jahr 2002 wurde – zeitlich befristet bis Ende 2008 – eine sozialabgabenfreie
Gehaltsumwandlung zugunsten von betrieblicher Altersvorsorge eingeführt.
Der Anreiz sollte eine Ausweitung der Betriebsrenten bewirken, die seit Mitte
der 80er Jahre stagnierte. Dieses Ziel wurde erreicht. Bis zum Frühjahr 2007 hat
das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales regelmäßig die Posi-
tion vertreten, dass die beitragsfreie Entgeltumwandlung, wie im Gesetz vorge-
sehen, Ende 2008 auslaufen soll. Der Gesetzentwurf der großen Koalition aus
den Fraktionen der CDU/CSU und SPD sieht nunmehr eine unbefristete bei-
tragsfreie Gehaltsumwandlung zugunsten der Betriebsrente vor. Die Finanzie-
rung der beitragsfreien Entgeltumwandlung zu Lasten der sozialen Sicherungs-
systeme senkt deren Beitragseinnahmen dauerhaft. Das Niveau der gesetzlichen
Rentenversicherung wird weiter abgesenkt. Wer im Einzelnen und in welchem
Umfang zu dem Personenkreis gehört, der von einer solchen Weichenstellung
profitiert bzw. davon belastet wird, ist bislang nicht ausreichend untersucht
worden. Deshalb ist es unabdingbar, die Auswirkungen genau zu kennen, bevor
dauerhaft Fakten geschaffen werden.

Inzwischen mehren sich Hinweise, dass Geringverdienende, Menschen mit gro-
ßen Lücken in ihrer Erwerbsbiografie und Selbstständige ohne eigene Alters-
sicherung zukünftig nicht mehr ausreichend vor Armut im Alter geschützt sind.
In ihrem Interesse müssen Reformen auf den Weg gebracht werden.

Die bisherigen Erfolge der privaten und betrieblichen Altersvorsorge können
stabilisiert werden, indem die Rahmenbedingungen den Veränderungen im
Erwerbsleben angepasst und die Verträge transparenter und versichertenfreund-
licher gestaltet werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung dazu auf,
1. die Verteilungswirkung der beitragsfreien Entgeltumwandlung auf das Ren-
tenniveau – gesondert nach Einkommens- und Versichertengruppen sowie
nach Geschlecht – zu überprüfen und dem Parlament umgehend einen Be-
richt dazu vorzulegen;

2. die beitragsfreie Entgeltumwandlung nicht über 2008 hinaus unbefristet fort-
zusetzen, solange die Auswirkungen auf das Rentenniveau der Versicherten
nicht hinreichend geklärt sind;

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3. Maßnahmen über die Altersgrundsicherung hinaus zu entwickeln, damit Ge-
ringverdienende, Menschen mit unsteten Erwerbsverläufen und Selbststän-
dige ohne ausreichende, eigene Altersicherung entlastet und vor Altersarmut
geschützt werden;

4. die Rahmenbedingungen der betrieblichen Altersvorsorge den Entwicklun-
gen am Arbeitsmarkt anzupassen und die Verträge versichertenfreundlich zu
gestalten. Dazu gehören: die Herabsetzung des Mindestalters auf 21 Jahre,
die Senkung der Unverfallbarkeitsfrist auf zwei Jahre, mehr Transparenz hin-
sichtlich Kosten und Leistungen der einzelnen Produkte und die Einrichtung
eines individuellen Vorsorgekontos für jede Bürgerin und jeden Bürger.

Berlin, den 10. Oktober 2007

Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion

Begründung

Die Große Koalition aus den Fraktionen der CDU/CSU und SPD hat einen Ge-
setzentwurf zur Förderung der betrieblichen Altersversorgung in den Deutschen
Bundestag eingebracht. Die beitragsfreie Entgeltumwandlung soll demnach un-
befristet über 2008 hinaus fortgesetzt werden, ohne dass die Auswirkungen auf
das gesetzlich festgelegte Niveausicherungsziel der gesetzlichen Rentenversi-
cherung hinreichend geklärt sind. Der Bericht von TNS Infratest Sozialfor-
schung vom 22. Juni 2007 im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und
Soziales zur Situation und Entwicklung der betrieblichen Altersversorgung ent-
hält keine Aussagen zu dem Personenkreis, der davon profitiert beziehungs-
weise dadurch belastet wird. Unter Fachleuten ist unumstritten: Die dauerhafte
Finanzierung der beitragsfreien Gehaltsumwandlung führt zu einer weiteren
Senkung des Rentenniveaus der gesetzlichen Rentenversicherung und trägt dazu
bei, dass das gesetzlich fixierte Niveausicherungsziel der gesetzlichen Renten-
versicherung zukünftig schwerer eingehalten werden kann. Lediglich zum
Umfang der Senkung des gesetzlichen Rentenniveaus gibt es verschiedene Ein-
schätzungen, weil mögliche Ausweichreaktionen von Arbeitgebern und Arbeit-
geberinnen sowie Beschäftigten schwer vorhersehbar sind. Die dauerhafte
Finanzierung der beitragsfreien Gehaltsumwandlung zu Lasten der sozialen
Sicherungssysteme ist vor allem für Versicherte problematisch, die kaum ein
Rentenniveau über der Grundsicherung erreichen werden. Vor allem für Gering-
verdienende, Menschen mit unsteten Erwerbsverläufen und Selbstständige ohne
ausreichende Alterssicherung besteht Anlass zur Sorge, dass sie künftig ver-
mehrt von Altersarmut betroffen sein werden. Die OECD betonte kürzlich das
hohe Armutsrisiko von Geringverdienern in unserem Alterssicherungssystem.
Die deutsche Rentenpolitik ist gefordert, für die gesetzliche Rentenversicherung
eine Strategie zur Armutsvermeidung zu entwickeln.

Für die private und betriebliche Altersvorsorge muss weiterhin geworben wer-
den. Nur die ergänzende Altersversorgung ermöglicht die Chance auf ein aus-
kömmliches Alterseinkommen. Sie hat die Funktion, die demografiebedingte
Senkung des Rentenniveaus ausgleichen zu können. Allerdings darf es keine
Ausweitung der betrieblichen Alterssicherung zu Lasten der gesetzlichen Ren-
tenansprüche geben.

Damit die private und betriebliche Alterssicherung weiterhin attraktiv bleiben,

bedarf es einer Anpassung und Verbesserung der Rahmenbedingungen an die
veränderten Realitäten der Arbeitswelt. Die traditionelle Bindungsfunktion der

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betrieblichen Alterssicherung ist nicht mehr zeitgemäß. Wenn von den Beschäf-
tigten Flexibilität zur Erhaltung ihrer Erwerbsfähigkeit und frühzeitig ergän-
zende Altersvorsorge erwartet werden, dann müssen die Rahmenbedingungen
der Betriebsrente den Veränderungen in der Arbeitswelt angepasst werden. Wir
wollen deshalb bei den Betriebsrenten das Mindestalter auf 21 Jahre herabset-
zen, die Unverfallbarkeitsfrist auf zwei Jahre senken und mehr Transparenz über
die Kosten und Leistungen einzelner Produkte der betrieblichen Alterssicherung
herstellen. Die Schaffung eines individuellen Vorsorgekontos eröffnet die Mög-
lichkeit, alle Ansprüche auf ergänzende Altersvorsorge bündeln zu können. Das
Altersvorsorgekonto schafft einen besseren Überblick über bereits erzielte An-
wartschaften und stärkt somit die Selbstverantwortung der Bürgerinnen und
Bürger für ihre individuelle Alterssicherung.

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