BT-Drucksache 16/6477

Familienfreundlichkeit und "Dual Careers" an deutschen Hochschulen und in Forschungseinrichtungen

Vom 19. September 2007


Deutscher Bundestag Drucksache 16/6477
16. Wahlperiode 19. 09. 2007

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ina Lenke, Uwe Barth, Sibylle Laurischk, Miriam Gruß,
Dr. Karl Addicks, Christian Ahrendt, Daniel Bahr (Münster), Rainer Brüderle,
Angelika Brunkhorst, Ernst Burgbacher, Patrick Döring, Mechthild Dyckmans,
Jörg van Essen, Ulrike Flach, Otto Fricke, Horst Friedrich (Bayreuth),
Hans-Michael Goldmann, Joachim Günther (Plauen), Dr. Christel Happach-Kasan,
Heinz-Peter Haustein, Elke Hoff, Birgit Homburger, Dr. Werner Hoyer,
Michael Kauch, Hellmut Königshaus, Dr. Heinrich L. Kolb, Gudrun Kopp, Jürgen
Koppelin, Heinz Lanfermann, Harald Leibrecht, Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger, Markus Löning, Horst Meierhofer, Patrick Meinhardt, Jan Mücke,
Burkhardt Müller-Sönksen, Dirk Niebel, Detlef Parr, Cornelia Pieper, Gisela Piltz,
Jörg Rohde, Marina Schuster, Dr. Rainer Stinner, Carl-Ludwig Thiele, Florian
Toncar, Christoph Waitz, Dr. Claudia Winterstein, Dr. Volker Wissing, Hartfrid Wolff
(Rems-Murr), Martin Zeil, Dr. Guido Westerwelle und der Fraktion der FDP

Familienfreundlichkeit und „Dual Careers“ an deutschen Hochschulen
und in Forschungseinrichtungen

Die Analysen wirtschaftlicher Entwicklung weltweit zeigen, dass in den Indus-
triestaaten allein hoch qualifizierte Arbeit seit zwei Jahrzehnten zum Wachstum
beiträgt. Nahezu alle wichtigen Industriestaaten haben sich durch einen Ausbau
hochqualifizierter Beschäftigung seit Beginn der 90er Jahre mehr Wohlstand er-
arbeitet als Deutschland (vgl. hierzu die Stellungnahme der Bundesregierung
zum „Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit Deutschlands 2007“, S. 7
und den TAB-Innovationsreport „Forschungs- und wissensintensive Branchen:
Optionen zur Stärkung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit“, 2007).
Deutschland braucht daher eine Qualifizierungsoffensive, weil es aufgrund der
positiven wirtschaftlichen Entwicklung bereits jetzt Anzeichen dafür gibt, dass
nicht mehr genügend Fachkräfte mit Hochschulabschluss zur Verfügung stehen.
Im Rahmen einer Projektion errechnete etwa das Zentrum für Europäische Wirt-
schaftsforschung GmbH (ZEW) bis zum Jahr 2014 selbst bei konservativen An-
nahmen einen jährlichen Fehlbedarf an Ingenieuren und anderen Akademikern
von 41 000 bis 62 000; dies entspreche im Mittel ca. einem Drittel der Absol-
ventenjahrgänge (a. a. O.).
Umso wichtiger ist es, den Standort Deutschland als Wissenschaftsstandort
sowohl für deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, für Bildungs-
inländer wie für ausländische Forscher attraktiv zu gestalten. Hierzu gehören
neben wissenschaftlichen Rahmenbedingungen auch familienfreundliche
Rahmenbedingungen an den Hochschulen, ein ausreichendes und qualitativ
hochwertiges Angebot an Kindertagesbetreuung und die Förderung von Frauen.
Das wissenschaftliche Personal besteht zu 29,1 Prozent aus Frauen. Liegt der

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Frauenanteil bei den Lehrkräften für besondere Aufgaben noch bei 44 Prozent,
so sind 33,9 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiterstellen mit Frauen be-
setzt. Bei den Dozenturen und Assistenturen beträgt der Frauenanteil 28 Pro-
zent. Von allen Professuren waren im Jahr 2004 13,6 Prozent mit Frauen besetzt;
lediglich 9,2 Prozent der höchstdotierten Professuren (C 4) haben Frauen inne
(Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung, Kurzexpertise zum
Themenfeld Frauen in Wissenschaft und Forschung, erstellt im Auftrag der
Robert Bosch Stiftung, Januar 2006, S. 1 m. w. N.). Besonders niedrige Frauen-
anteile finden sich in den Ingenieurwissenschaften und der Fächergruppe
Mathematik/Naturwissenschaften.

Hinzu kommen muss eine Unterstützung der „Dual Career Couples“. Oftmals
dauern die Berufungsverfahren sehr lange, und es ist ungewiss, inwieweit der je-
weilige Partner vorort ebenfalls eine Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit
aufnehmen kann. Bei ausländischen Wissenschaftlern kommt neben der Suche
nach einer Erwerbsmöglichkeit hinzu, dass ein Arbeitsmarktzugang des mitrei-
senden Ehegatten nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Bei der Entscheidung
über die Rückkehr eines Wissenschaftlers haben die Befragten zu 80 Prozent ein
gutes Stellenplatzangebot auch für den Lebenspartner als „sehr wichtig“ bzw.
„wichtig“ bezeichnet; die Vereinbarkeit familiärer Belange mit dem Beruf be-
nannten 92 Prozent als „wichtig“ bzw. „sehr wichtig“ (Quelle: „Stifterverband
für die Deutsche Wissenschaft im Auftrag der Gesellschaft für Empirische Stu-
dien, Brain Drain – Brain Gain. Eine Untersuchung internationaler Berufskarri-
eren, Mai 2001–Juni 2002“, S. 71).

Laut Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion der FDP „Konsequenzen der
Auswanderung Hochqualifizierter aus Deutschland“ (Bundestagsdrucksache
16/5417) ist es Ziel der Nachwuchsförderung der Bundesregierung, dazu beizu-
tragen, dass die besten Bedingungen geschaffen werden, damit sich die Poten-
tiale junger Menschen optimal entfalten und Hochqualifizierte ihre Chancen in
Deutschland wahrnehmen können. Dies sei eine gemeinsame Aufgabe von
Bund, Ländern, Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen
und Wissenschaftsorganisationen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie hoch ist der Anteil derjenigen Hochschulen, außeruniversitären For-
schungseinrichtungen und Wissenschaftsorganisationen, die familien-
freundliche Maßnahmen getroffen haben, und welche sind diese im Wesent-
lichen?

2. Wie können Hochschulen, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und
Wissenschaftsorganisationen verstärkt motiviert werden, am Audit „beruf-
undfamilie“ teilzunehmen?

3. Welche Hochschulen, außeruniversitären Forschungseinrichtungen und
Wissenschaftsorganisationen haben die „Charta der Vielfalt“ vom Dezem-
ber 2006 unterzeichnet, und welche Folgen wurden daraus für die Familien-
freundlichkeit und eine verstärkte Frauenförderung abgeleitet?

4. Wie stellt sich nach Bundesländern und Hochschulen, außeruniversitären
Forschungseinrichtungen und Wissenschaftsorganisationen getrennt die
Möglichkeit einer halb- bzw. ganztägigen Kinderbetreuung an der Hoch-
schule bzw. in hochschulnahen Einrichtungen dar, und wie unterteilt sich
diese Versorgungsquote auf Kinder von 0 bis 3 Jahren, von 3 bis 6 Jahren
und im Rahmen einer Hortbetreuung?

5. In welchem Umfang gibt es eine Kooperation mit der Tagespflege bzw. das
Angebot einer Notfall- oder Übernachtbetreuung?

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6. Wie hoch sind durchschnittlich die Beiträge für Studierende bzw. an der
Hochschule oder Forschungseinrichtung Beschäftigte, die ihr Kind während
des Studiums in einer hochschuleigenen oder hochschulnahen Einrichtung
betreuen lassen?

7. Haben sich in dem Bereich der hochschuleigenen oder hochschulnahen
Kinderbetreuung in den letzten Jahren signifikante Veränderungen ergeben,
falls ja, welche und warum, falls nein, warum nicht?

8. Wie haben sich die Forderungen des Wissenschaftsrates von 1998 nach
Chancengleichheit von Frauen in der Wissenschaft und Forschung an den
Hochschulen und den wissenschaftlichen Einrichtungen ausgewirkt, und
welche Konsequenzen werden von den jüngsten Empfehlungen vom 16. Juli
2007 erwartet?

9. Welche Konsequenzen hat voraussichtlich die Einführung des Bachelor-
und Masterstudiengangs auf Frauen mit Kindern in dem jeweiligen Studien-
gang?

10. Welche Auswirkungen hatte die Einführung des sog. Tenure Track (Lauf-
bahngestaltung mit fester Laufbahnzusage) insbesondere für Junior-Profes-
suren für Frauen, und hat dies zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie
und Erwerbstätigkeit beigetragen?

11. Wie hat sich die Inanspruchnahme der Elternzeit an den Hochschulen, den
außeruniversitären Forschungseinrichtungen und den Wissenschaftsorgani-
sationen getrennt nach Müttern und Vätern während der letzten Jahre ent-
wickelt?

12. Wie hoch ist der Anteil jeweils von Frauen und Männern mit Kindern, die
an Hochschulen studieren, promovieren und habilitieren, wie hoch ist
jeweils die durchschnittliche Kinderzahl, und wie stellt sich dies für an
außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Wissenschaftsorganisa-
tionen beschäftigte Personen dar?

13. Inwieweit gibt es für die jeweiligen Beschäftigtengruppen flexible Studien-
modelle bzw. Arbeitszeitmodelle, um Ausbildung, Qualifikation, Beruf und
Familie besser miteinander vereinbaren zu können?

14. Welche Empfehlungen gibt es seitens der Länder, der Deutschen For-
schungsgemeinschaft (DFG), des Wissenschaftsrates oder auch der Bund-
Länder-Kommission (BLK) für eine Frauenförderung und Familienfreund-
lichkeit der jeweiligen Institution, wurden diese umgesetzt, oder bestehen
weiterhin Defizite?

15. Welche Studien liegen der Bundesregierung über Probleme von Doppelkar-
rieren vor, wenn beide Lebenspartner in der Wissenschaft tätig sind, bzw.
ein Lebenspartner selbstständig ist oder einer außerwissenschaftlichen
Erwerbstätigkeit nachgeht?

16. Welches sind die Hauptgründe für das Scheitern von Doppelkarrieren, und
inwieweit sind hier männliche und weibliche Lebenspartner betroffen?

17. Inwieweit liegen Erkenntnisse dahingehend vor, dass das Problem der Dop-
pelkarrieren bereits im Rahmen des Berufungsverfahrens angesprochen und
dem jeweiligen Bewerber eine Unterstützung durch die Hochschule ange-
boten wird?

18. Falls eine solche Unterstützung erfolgt, welcher Art ist sie hauptsächlich
(Empfehlung, Vermittlung, Herstellung von Kontakten, u. a.), und inwie-
weit liegen Erkenntnisse darüber vor, dass diese Hilfsangebote auch zielfüh-
rend waren?

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19. Welche Handlungsaufträge leitet die Bundesregierung hieraus für die
öffentliche Hand bei Doppelkarrieren ab?

20. Welche Ergebnisse weist das Netzwerk der Hochschulen im Land Bremen
mit dem Alfred-Wegener-Institut und der Universität Oldenburg auf, das
Dual-Career-Couples bei der Suche nach einem angemessenen Arbeitsplatz
für den Ehepartner/die Ehepartnerin unterstützen soll, auf?

21. Wie lange dauern in der Regel die Berufungsverfahren für Wissenschaftler
jeweils aus dem Inland und aus dem Ausland, und welche Möglichkeiten
sieht die Bundesregierung für eine Beschleunigung und einen Bürokratie-
abbau?

22. Inwieweit liegen Studienerkenntnisse darüber vor, dass Wissenschaftler/
Wissenschaftlerinnen aufgrund dessen, dass ihr Lebenspartner/ihre Lebens-
partnerin entweder keine Berufsperspektive hatte, es keinen Zugang zum
Arbeitsmarkt oder keine ausreichenden Möglichkeiten der Kinderbetreuung
gab, oder aufgrund eines zu großen bürokratischen Aufwandes und der Län-
ge der Berufungsverfahren einen Ruf abgelehnt bzw. ein Angebot in einem
anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union bzw. in anderen Staaten wie
den USA angenommen haben?

Berlin, den 19. September 2007

Dr. Guido Westerwelle und Fraktion

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